Herausgegeben und eingeleitet von Michele Cangiani und Claus Thomasberger
328 Seiten
29,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-390-4
(August 2002)
12 Seiten Sach- und Personenregister
In den letzten Jahren wächst das Interesse an den Arbeiten, die Karl Polanyi zwischen 1920 und 1945 verfasste und die - mit wenigen Ausnahmen - bisher nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Die in Wien und in England geschriebenen Artikel, Aufsätze und Manuskripte sind nicht nur das Ergebnis intensiver Studien während der zentralen Jahre des Lebens des Autors, sie machen auch den Hauptteil seines Werkes aus. Polanyi analysiert in diesen Arbeiten eine für die Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts entscheidende Periode. Die Schriften behandeln nicht nur die zentralen Problem- und Fragestellungen, deren Resultate, ohne erneut explizit aufgegriffen zu werden, in seinem 1944 publizierten Hauptwerk, The Great Transformation, einfließen, und geben damit Einblick in die Gedankengänge, Ideen und Überlegungen, aus denen jene hervorgegangen sind. Sie sind auch (und vor allen Dingen) wichtige Zeitdokumente, bedeutsam als direkte und unmittelbare Reflexionen über die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse der Zwischenkriegsphase. Polanyi analysiert mit großer Sorgfalt sowohl die wirtschaftlichen wie auch die politischen Ereignisse, die Weltwirtschaftskrise wie die internationale politische Lage, die Versuche, die Bedingungen für Frieden und Aufschwung herzustellen, wie die Konflikte, die in Richtung eines neuen Weltkriegs weisen. Zu den Themen der hauptsächlich für den Österreichischen Volkswirt verfassten Artikel gehören die industrielle Restrukturierung, die korporativen Tendenzen, der Aufstieg des Faschismus sowie die Transformation der ökonomischen und politischen Institutionen in Großbritannien und in den USA während der Periode des New Deal. Diese werden ergänzt durch Arbeiten über grundsätzliche Themen wie Preisbildung, ökonomische Theorie, Soziologie und Theorie des Sozialismus. Allen Untersuchungen unterliegt eine einheitliche, theoretisch und politisch grundlegende Fragestellung: Wie können - nach dem Zusammenbruch des liberalen Systems des 19. Jahrhunderts wie der sozialistischen Hoffnungen der zwanziger Jahre - Demokratie und Freiheit verteidigt und ausgebaut werden?
Die wichtigsten Artikel, Aufsätze und Manuskripte, die in der Periode zwischen 1920 und 1945 entstanden sind, werden nach inhaltlichen Schwerpunkten in drei Bände gruppiert. Band I, der die Überschrift Wirtschaftliche Transformation, Gegenbewegungen und der Kampf um die Demokratie trägt, enthält die Analysen zu den Themenbereichen Wirtschaft, Weltwirtschaftskrise und Wirtschaftspolitik. Gegenstand von Band II ist Die internationale Politik zwischen den beiden Weltkriegen. Band III, in dem wir die theoretischen Arbeiten zur den Fragen Preisbildung, sozialistische Wirtschaftsrechnung, Marxismus, soziologische Theorie, Sozialismus und Demokratie u.a. zusammengefasst haben, steht unter der Überschrift Freiheit, Demokratie und Sozialismus.
Michele Cangiani und Claus Thomasberger
Vorbemerkung 9
Marktgesellschaft und Demokratie: die Perspektive der
menschlichen Freiheit. Karl Polanyis Arbeiten von 1920 bis 1945 11
I. Politische Kämpfe in den zwanziger Jahren
1. England und die Wahlen 46
2. Zur Krise der englischen Arbeiterbewegung 51
3. Die neue Internationale 56
4. Das Bergbauproblem in England 63
5. Der englische Generalstreik 72
6. Probleme des englischen Generalstreiks 80
II. Liberale Reformprojekte
7. Liberale Wirtschaftsreformen in England 90
8. Liberale Sozialreformer in England 95
9. Schmalenbach und Liberalismus 104
III. Die Weltwirtschaftskrise
10. Zur wirtschaftlichen Neuordnung Europas 110
11. Demokratie und Währung in England 120
12. MacDonald und die Wirtschaftspolitik 129
13. England auf der Waage 134
14. Kritik an Lausanne 142
15. Wirtschaft und Demokratie 149
16. Weltinflationismus 155
17. Von Lausanne bis Washington 163
18. Brain-Trust siegt 170
19. Roosevelt zerschlägt die Konferenz 178
IV. Der Zusammenbruch der Demokratie
in Deutschland und in Europa
20. Gegenrevolution 186
21. Staatsgründung 193
22. Hitler und die Wirtschaft 199
23. Korporatives Österreich - eine funktionale Gesellschaft? 204
V. Restrukturierung und Demokratie in England
24. Wirtschaftsprogramm der Samuel-Liberalen 214
25. Ende der Slums 216
26. Englisches Stahlstatut 218
27. Technologische Arbeitslosigkeit 220
28. Elliot oder Empire ? 223
29. Probleme der Demokratie in England 226
30. Lohntarif-Bill in Lancashire 228
31. Lancashire im Fegefeuer 230
32. Lancashire als Menschheitsfrage 236
33. England überlegt 249
34. Labour und die Eisenindustrie 251
35. Gewerkschaftstagung in Weymouth 253
36. Labour in Southport 256
37. Tory-Planwirtschafter 259
38. Die Liberalen für Empirehandel 261
VI. New Deal
39. Roosevelt im Verfassungskampf 264
40. Amerika im Schmelztiegel 271
41. Roosevelt im Kampf 279
42. T.V.A. - Ein amerikanisches Wirtschaftsexperiment 281
43. Arbeitsrecht in U.S.A. 290
44. Amerikanisches Gewerkschaftsgesetz verfassungsmäßig 291
45. Roosevelts strategischer Rückzug 293
46. Gewerkschaften in den U.S.A. 295
VII. Die Entwicklung in der Sowjetunion
47. Zweiter Fünfjahresplan abgebremst 298
48. Wo hält Sowjetrußland? 308
49. Russischer Verfassungswandel 316
"Lasst die Figer von der Profitgier! Hört auf, die Arbeit zu vermarkten! Bettet die Wirtschaft im Leben ein! Ist es an der Zeit, wieder Karl Polanyi zu lesen? Er war der Denker des eingefangenen Kapitalismus"
"Karl Polanyi ist einer der rätselhaftesten Denker des zwanzigsten Jahrhunderts. Er ist Essayist, Phamphletist, glänzender Stilist und immens gebildeter Wirtschaftshistoriker in einem. Polanyi war nie richtig modern und klingt doch in Krisenzeiten wie diesen so aktuell wie kaum ein Zweiter. Weil er eine rückwärtsgewandte Utopie des guten Lebens träumte, in dem der Austausch der Menschen untereinander nicht nur von der Profitgier getrieben sein soll, ist er schon lange der Geheimtipp der Soziologen und Anthropologen, während die meisten Ökonomen ihn hartnäckig ignorieren. Er wurde stets viel und gerne zitiert, aber wenig gelesen. Und doch hat die 'Great Transformation' immer schon, sozusagen als Strom des Unbewussten, einen kaum zu überschätzenden Einfluss: Polanyi artikuliert die Erfahrung vieler - einerlei, ob sie sich als Konservative oder Linke verstehen -, die den Eindruck haben, wir hätten uns in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr dem Ökonomischen unterworfen, und daran habe das gute Leben "jenseits von Angebot und Nachfrage" (Wilhelm Röpke) Schaden genommen. Das schuf allenthalben ein diffuses Unbehagen in der Zivilisation. Weil heute aber kaum mehr einer dem Heilsversprechen des Sozialismus glaubt und weil zugleich viele vom Wohlstandsversprechen liberaler Märkte enttäuscht und vom ökonomischen Imperialismus angewidert wurden, könnte Polanyi zum Helden jener werden, die darauf hoffen, die entfesselte Ökonomie zu demostizieren und sie in die Lebenswelten der Menschen zu integrieren, damit künftig ähnlich erschütternde Instabilitäten des Kapitalismus, wie wir sie gerade erleben, vermeiden werden."
"Ein weiterer, nicht minder bedeutender Versuch über die Ursachen von Krieg und Faschismus ist das von Karl Polanyi erstmals 1944 in den USA veröffentlichte Buch "The Great Transformation". Political and Economic Origins of Our Time". Schon im Untertitel wird deutlich, daß diese historisch-politiche Analyse einen Einsatz darstellt, worin es um nicht weniger geht als darum, die politische und ökonomische Geschichte der Gegenwart zu schreiben. Diese, "unsere Zeit" - ihr Produktions- und Destruktionspotential -, so Polanyi, reicht zurück auf jene "große Transformation", die im ausgehenden 18. Jahrhundert von England aus den Globus erfaßte. Seit der radikalen Umwälzung, die mit der Kommodifizierung von Arbeit, Boden und Geld bzw. mit der Geburt einer modernen Marktgesellschft vollzogen wurde, stellt sich die Frage: Wie ist eine soziale, freie und demokratische Lebensweise der Menschen mit den industriekapitalistischen Produktions- und Konsumtionsverhältnissen vereinbar? Faschismus und NS lauern nicht schon, wie Horkheimer und Adorno glauben, in den historischen Tiefenschichten einer nur instrumentell entfalteten Vernunft, und sie sind ebensowenig, wie Hayek betont, das Ergebnis einer willentlichen oder unwillentlichen Abweichung vom liberalen Pfad der Freiheit und des Glücks; vielmehr sind sie eine - wenn auch die bislang destruktivste - Reaktion auf die zerstörerischen Folgen der entfesselten Zentrifugalkräfte des Marktes.
Es ist ein großes Verdienst der Herausgeber und des Metropolis-Verlags, mit einer fast vollständigen Sammlung von Aufsätzen und Artikeln der Jahre 1920 bis 1947 Einblick in die Entstehung des Klassikers "The Great Transformation" ermöglicht zu haben. ...
Die drei Bände enthalten ... neben Manuskripten aus dem Nachlaß im wesentlichen Polayis Artikel, die er für den "Österreichischen Volkswirt" verfaßte. Man kann darin nicht nur die Entwicklung seiner Denkweise und Argumentationsfiguren erkennen, die er in der "Great Transformation" entfalten wird, sondern ebenso die journalistische Sorgfalt und analytische Fähigkeit, mit der er die Konflikte dieser Zeit in einen systematischen Zusammenhang bringt. Man erfährt daher nicht nur die Entstehungsgeschichte eines Buches, sondern erhält eine reflektierte "Chronik" der politischen und ökonomischen Ereignisse insbesondere der Zwischenkriegsphase."