5., aktualisierte Auflage
667 Seiten
29,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1014-4
(19. April 2013)
"Die ganze Wahrheit über die "große Krise" seit 2007, der ersten wirklich globalen Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg, erschließt sich erst, wenn man den Charakter der gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als Finanzmarktkapitalismus begreift. Dann wird deutlich, dass diese Krise, so viele Facetten sie in konjunktureller, struktureller, institutioneller, psychologischer und politischer Hinsicht auch aufweist, im Kern eine Finanzmarktkrise ist, deren tiefste Ursache in der "Finanzialisierung" (P. Sweezy) von Wirtschaft und Gesell-schaft, in der Dominanz der Finanzsphäre über die Produktion, zu sehen ist. Dies zeigt sich auch darin, dass das Epizentrum der Krise in den USA und in Westeuropa liegt, den am stärksten finanzialisierten Wirtschaftsräumen der Welt, und dass das Ende der Krise gerade dort auf sich warten lässt.
Seit 2008 gibt es viele Versuche, die Finanzkrise zu ergründen, ihre Entstehung und ihren Verlauf nachzuzeichnen und ihre Ursachen zu erforschen. Dabei überwiegen bis heute deskriptive Arbeiten, während die theoretische Reflexion eher schwach ausfällt. Das Buch von Helge Peukert stellt einen "Beitrag zum Verständnis" der Krise dar, indem es eine theoretisch fundierte und komplexe Sicht der Krisenphänomene bietet. Es ist aber weder eine Monografie, die sich stringent an einem theoretischen Erklärungsmodell orientiert, noch eine Phänomenologie, welche viel zeigt, aber wenig erklärt. Eher handelt es sich hierbei um eine Collage, sowohl hinsichtlich der theoretischen Ansätze als auch was die Beschreibung finanzwirtschaftlicher Tatbestände anbetrifft. Dies gilt auch sprachlich: das Buch ist zweisprachig abgefasst, englisch und deutsch, wobei häufig selbst in einem Satz die Sprache wechselt. Der Autor ist kein Ökonom und kein Finanzmarktspezialist. Folglich entbehrt das Buch aller modelltheoretischen Erörterung und ökonometrischen Analyse. Es versteht sich als Teil der Finanzsoziologie und der Staatswissenschaft, wozu traditionell ja auch die Finanzwissenschaft zählt, der Historischen Schule (der ökonomischen Theorie) und des kritischen Institutionalismus. Damit ist es einem größeren Leserkreis zugänglich als dies gemeinhin für fachökonomische Werke gilt. Obwohl das Buch schnell geschrieben wurde und dem Autor selbst die Zeit für eine grobe Fehlerkorrektur fehlte, ist es "nichts für schnelle Leser", da, wie der Autor betont, "Evidenzen über ein Mosaik aus Einzelereignissen, wirtschaftshistorischen Verläufen, stilisierten Fakten und vergleichenden Beispielen hergestellt" werden, welche "im Zwischenbereich von Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Philosophie, Geschichtswissenschaft, Rechtswissenschaft und Politologie angesiedelt" (12) sind. Psychologie und Informatik fehlen in der Aufzählung, sind aber nichtsdestotrotz ebenfalls relevant. Das Werk ist aber auch deshalb nichts für schnelle Leser, weil es 558 Seiten umfasst, die alle gelesen sein wollen, wenn man die Reformvorschläge am Schluss verstehen will. Es fehlt auch nicht an Hinweisen auf weiterführende Literatur: das Literaturverzeichnis umfasst knapp 50 Seiten. Trotz Umfang und Komplexität ist es ein aktuelles, anregendes und unmittelbar in den "interpretativen Wettstreit" um die besten Vorschläge für Finanzmarktreformen und Maßnahmen zur Krisenprävention eingreifendes Buch. Es erschöpft sich nicht in theoretischen Einsichten, sondern zielt auf wirtschaftspolitische Konsequenzen, sprich Reformen, die diesen Namen verdienen.
Peukert beginnt seine Abhandlung, indem er "elementare Basissätze unseres Alltagsverstandes" durch die große Finanzmarktkrise "in Frage gestellt" (32) sieht. Dies betrifft nicht einzelne "Wahrheiten", sondern grundlegende Annahmen des hegemonialen Paradigmas. Im Allgemeinen wird dies als "Krise des Neoliberalismus" interpretiert. Peukert spricht vom Zweifel an der "Effizienzmarkthypothese" (EMH). Er stellt dem marktfundamentalistischen Denken das der Börse entlehnte "Bullen-Bären-Paradigma" (BBP) als Gegenentwurf gegenüber, ein Denkmodell, das keineswegs neu ist, in seiner Gesamtheit bisher aber "keine Billigung findet" (41). Für Peukert bildet es die Voraussetzung für das Verständnis seiner Vorschläge wirksamer Reformen. Im Folgenden entwickelt der Autor ein "Panoramabild" der Krise und ihrer Interpretationen. "Rechte" wie "linke" Vertreter kommen zu Wort und werden kritisiert: Sie bieten keine plausiblen Erklärungen für die große Krise und entwickeln keine umsetzbaren Vorschläge für eine Umgestaltung der Wirtschafts- und Finanzordnung. Bei den Sozialwissenschaftlern, namentlich den Soziologen, kommt erschwerend hinzu, dass sie "praktisch keine Kenntnisse volkswirtschaftlicher Gesamttatbestände zu besitzen scheinen und daher auch an sich verdienstvolle Studien teilnehmender Beobachtung keine größeren Erkenntnisgewinne bieten" (82). Dabei teilen sie ihre Ahnungslosigkeit mit den meisten Menschen, denn der Durchschnittsbürger versteht vom Kapitalmarkt und von Finanzinstrumenten nichts. "Es ist immer wieder überraschend, welches stupende Wissen Menschen z.B. über Autos, Fußball usw. haben und mit welch geringem Basiswissen sie sich zu Finanzmärkten und Geldanlage zufrieden geben, selbst wenn sie durch falsche Anlageberatung jahrelang um-sonst arbeiten." (85) Zu Recht wird kritisiert, dass die Politik hier nicht für mehr Aufklärung sorgt. Für die Finanzindustrie dagegen stellt die Intransparenz dessen, was auf den Finanzmärkten vorgeht, sogar einen Schutz dar, der die Kontrolle erschwert und Extragewinne leichter möglich macht.
Im zweiten Teil referiert Peukert den von der ökonomischen Orthodoxie gepflegten Ansatz effizienter Finanzmärkte. Im Zentrum steht dabei die bei den Akteuren tief verwurzelte Überzeugung, dass die Finanzmärkte von sich aus "effizient" seien und daher ohne Regulierung am besten funktionierten. Er zeigt, dass die Theorie des Mainstream die fatale Deregulierungspolitik theoretisch untermauert hat und damit eine Mitschuld an der großen Finanzkrise trägt. Schützenhilfe dafür boten die Allgemeine Gleichgewichtstheorie und die neomonetaristische Geldtheorie. Peukert arbeitet anhand zahlreicher Quellen heraus, dass mit Hilfe formaler Modelle und simpler Annahmen jahrzehntelang die Botschaft verbreitet wurde, "die Welt sei in Ordnung" und bedürfe keiner Reformen. Diese Gewissheit sitzt bei den Finanzmarktex-perten und -akteuren derart tief, dass sie selbst nach der Finanzkrise, welche ihnen die Ineffizienz der Finanzmärkte offenbart hat, nicht zu neuen Erkenntnissen gelangten, sondern so weitermachen wie zuvor. Als Grundproblem aller Mainstream-Theorien erscheint "der formale Zähmungsversuch der Unsicherheit, indem die Zukunft zum statistischen Schatten der Vergangenheit" (154) gemacht wird. Es war aber J. M. Keynes, der nachwies, "dass die real vorliegende radikale Unsicherheit über die ökonomische Zukunft nicht durch den Blick auf die statistischen Muster der Vergangenheit behoben werden kann" (155).
Mit Keynes beginnt dann auch der dritte Teil, welcher alternativen (heterodoxen) Ansätzen gewidmet ist, insbesondere dem BBP. Neben dem Werk von Keynes finden hier auch die Theorien von T. Veblen, H. Minsky, J. K. Galbraith, L. R. Wray, N. Roubini, N. N. Taleb und L. Stout Erwähnung. Bei Veblen ist die Unterscheidung zwischen industriellen und pekuniären Aktivitäten von Interesse. Im Finanzsektor sah er den "Kernbereich einer dysfunktionalen Überlagererschicht, die wie im mittelalterlichen Feudalismus die Fürsten mit religiösen Ideologen (heute: der Wissenschaft) die Gesellschaft ausbeuten" (177). Auch Keynes, der selbst an der Börse spekulierte, war dem Finanzsektor gegenüber kritisch eingestellt. Das "Nichtwissen" und die "Unsicherheit" gegenüber der Zukunft sind bei ihm "epistemologische Tatsachen", die nicht durch "mathematische Modelle oder ökonometrische Berechnungen und Prognosen überwunden werden" (180) können. Durch die Einführung aller möglichen Derivate, welche die Unsicherheit einzelner Assets in Risiko transformieren sollen, hat sich diese vermutlich noch erhöht. Veblen und Keynes stehen für eine "endogene systemische Instabilität" des Finanzkapitalismus und für eine "radikale Unsicherheit", was die Zukunftserwartungen anbetrifft. Im Finanzsektor sehen sie ein "Nullsummen- oder Negativsummenspiel" für die Gesamtgesellschaft. Nichtsdestotrotz betonen sie "die Notwendigkeit eines funktionierenden monetären Sektors für die Transaktionen im Realsektor" (194), was sie von den Vorstellungen radikaler linker Kapitalismuskritiker, welche Kapitalmärkte und Banken am liebsten abschaffen würden, unterscheidet. Bei Galbraith kommen psychologische und soziostrukturelle Faktoren hinzu. Roubini zeichnet sich durch einen realistischen Blick für das Krisenpotenzial des gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus aus, was ihn die letzte Krise frühzeitig vorhersehen ließ. Er und andere heterodoxe Kritiker lieferten gute Argumente für den pluralen Charakter der Krise. Das "Neue" sehen sie dabei im "Zusammentreffen mehrerer Problemherde" und darin, dass die Krise dieses Mal durch "eine Spekulation auf Finanztitel" und nicht auf Waren angefacht worden ist (211).
Im Anschluss an diese theoretischen Überlegungen finden sich in dem Buch wirtschaftshistorische, theoriehistorische und philosophisch-psychologische Auslassungen, die eine Fülle an Material verarbeiten und interessante Einsichten in wenig bekannte Zusammenhänge liefern. Über das eigentliche Thema weisen sie jedoch hinaus, so dass sie als Exkurse zu behandeln sind. Den Abschluss bilden zwei Kapitel über das "große Staatsversagen" und über die "Notwendigkeit einer postautistischen Wirtschaftswissenschaft". Im ersten Text wird darüber räsoniert, wer in einer demokratisch verfassten Gesellschaft den Primat haben sollte - die Politik oder die Finanzindustrie. In den USA, in Großbritannien und in Deutschland scheint diese Frage entschieden. Was bleibt, ist, dies zu bedauern und "zur Verbesserung der Staatsqualität" aufzurufen. (321) Der zweite Text geht der Frage nach, was aus den Erkenntnissen der großen Finanzkrise für die Wirtschaftswissenschaften "an Reformbedarf" folgt. Erwartungsgemäß plädiert der Autor hier für weniger Mathematik und mehr Geschichte, Soziologie und Psychologie (323). So einfach ist dies jedoch nicht, nachdem ganze Generationen von Ökonomen einseitig mathematisch geschult wurden und die anderen Fachgebiete Jahr für Jahr weiter zurückgefahren wurden. Ein Umdenken hat indes eingesetzt, zumindest in einigen kritischen Köpfen, worauf Peukert hoffnungsvoll verweist.
Im vierten Teil fragt der Autor, ob ein Leben gänzlich ohne Finanzkrisen überhaupt möglich sei. Zunächst erscheint dies unmöglich. Seit Jahrzehnten treten Banken- und Finanzkrisen auf, ohne dass es gelungen wäre, diese einzugrenzen oder gar zu verhindern. Oftmals waren die Maßnahmen zu ihrer Überwindung und Prävention mit immensen Kosten verbunden, was nicht ohne fiskalische Konsequenzen blieb. Die Kosten der aktuellen Krise führten ganze Staaten an den Rand des Bankrotts. Und noch ist die Krise der Staatsfinanzen als "Nachläufer" der großen Finanzkrise nicht ausgestanden. Nach diesem düsteren Bild werden einige Überlegungen darüber angestellt, welche institutionellen, juristischen und politischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um eine krisenfreie Finanzwirtschaft aufzubauen (375ff.). Bemerkenswert sind die in diesem Zusammenhang geäußerten Zweifel an einer positiven Wertschöpfung des Finanzsektors. Ebenso die ketzerische Frage, ob die "Finanzglobalisierung zum Wirtschaftswachstum beigetragen hat oder nicht" (383). Viele der hier geäußerten Zweifel scheinen begründet, sind aber statistisch nicht nachvollziehbar, ebenso wenig wie das Gegenteil. Der Autor nutzt sie vor allem, um seine Reformvorschläge vorzubereiten, welche darauf abzielen, die "eingebaute Instabilität" und das "systemische Risikopotential" des Finanzsektors spürbar abzusenken, den Finanzsektor stärker zu kontrollieren und seine Dominanz gegenüber der Realsphäre zu brechen. Auf den folgenden 100 Seiten werden die Reformvorschläge im Einzelnen entwickelt und begründet. Diese sind: erstens: Einführung eines 100%-Geldes, zweitens: Entflechtung des Bankensektors und Verbot von Megabanken; drittens: Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken; viertens: Beseitigung eines Bail-outs für Nicht-Geschäftsbanken; fünftens: Erhöhung der Eigenkapitalquote für Banken; sechstens: Erhebung einer Finanztransaktionssteuer von maximal 0,1%; siebentens: Veränderung des Derivatrechts und Verbot von Leerverkäufen; achtens: Umstrukturierung der Ratingagenturen, diese sollen künftig von den Käufern bezahlt werden; neuntens: Emission gedeckter Anleihen anstelle von Verbriefungen; zehntens: Einführung der vollen persönlichen Boni-Haftung für Manager; elftens: Einführung einer Karenzzeit von zwei Jahren für den Wechsel von Regulatoren; zwölftens: Abschaffung der kapitalgedeckten Rentensysteme und dreizehntens: Abbau der Vermögenskonzentration durch Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe. Hier kann nur auf einige der Punkte näher eingegangen werden.
Der wichtigste, weil folgenreichste Vorschlag ist der erste. Würde er verwirklicht, so bedeutete dies nicht weniger als die Etablierung einer neuen Geldordnung. Inhalt des Vorschlags ist die Einführung der vollen (100%igen) Deckung der Giroguthaben durch Zentralbankgeld. Die Mindestreservehaltung der Geschäftsbanken bei der Zentralbank würde von derzeit 2% auf 100% aufgestockt. Dadurch würde eine sekundäre Kreditgeldschöpfung der Geschäftsbanken, wodurch jetzt 85% des Geldes (M1) entsteht (!), unmöglich. Die Kreditpyramide würde zusammenbrechen, die Geldzufuhr nur noch zentral erfolgen, Zinsen könnten nur noch auf Geldkapital und langfristig angelegte Einlangen gezahlt werden. Der Vorschlag geht auf Ideen von I. Fisher (1935), S. Gesell (1916), H. Simons (1934) und J. Huber (2010) zurück und fand auch bei L. von Mises und M. Friedman Unterstützung. Sein zentrales Anliegen ist die ordnungspolitische Zurückweisung der multiplen Geldschöpfung und der Ausschluss der Geschäftsbanken von der Geldversorgung. Die Folgen für die Volkswirtschaft bezeichnet Peukert als "konservativ-evolutionär"(406), was immer das heißen mag. Tatsächlich lässt sich dieses Projekt in einer entwickelten Geldwirtschaft aber nicht realisieren ohne dass diese in ihren Fundamenten zerstört werden würde. Mit der Kreditwirtschaft würde die Volkswirtschaft kollabieren, was kaum gewollt sein kann. Es sind aber "abgespeckte" Lösungen denkbar, wie die Erhöhung der Mindestreservesätze, wodurch auch schon viel erreicht werden könnte.
Mehr Zustimmung gibt es für die anderen Vorschläge. Teilweise waren diese auch schon im Gespräch, wenn es um Reformen im Finanzsektor ging. Dies gilt zum Beispiel für die Größenbegrenzung der Banken. Von A. Greenspan stammt der Satz: "If they are too big to fail, they are too big" (440). Die Konsequenz kann nur lauten: Größenbegrenzung und Limitsetzung für das Geschäftsvolumen. Dies wäre auch im Sinne der Wettbewerbsordnung, da große Institute ihre Monopolmacht missbrauchen, um staatliche Subventionen einzufordern, womit der Wettbewerb verzerrt wird (443). Der letzte Abschnitt des Buches ist dem "gesamtgesellschaftlichen Rahmen" der Finanzwirtschaft gewidmet. Der Autor wirft die Frage auf: "Wie kann ein Wirtschaftssystem überleben, dass angesichts positiver Zinssätze und mit Vermögenswerten, die Rendite abwerfen sollen, was letztlich nur durch Erlöse aus der Realsphäre geleistet werden kann, ein System also, das auf Wachstum angelegt ist, mit den Erfordernissen der Ökosphäre harmonieren, die stetiges Wachstum nicht mehr verträgt?" (500) Es liegt auf der Hand, dass ein Finanzsystem, das auf Wirtschaftswachstum orientiert, alle hierin implizierten Probleme nur verschärfen kann. Folglich kommt es darauf an, ein Geldsystem zu entwerfen, das mit einer nicht unter Wachstumszwang stehenden Wirtschaft korrespondiert. Dass der Autor das Geldsystem als zentrales Kettenglied für eine Gesellschaftsreform ansieht, ist richtig und weist ihn als einen Vertreter der seltenen Spezies ökonomisch denkender Soziologen aus. Zur Reform der Finanzwelt vermittelt das Buch zahlreiche überlegenswerte Anregungen und Ideen. Aber sind die Probleme wirklich gelöst, wenn das Finanzsystem zurückgestutzt wird? - Die Antwort des Autors lässt sich in dem Begriff "Suffizienzrevolution" (510) zusammenfassen, wobei offen bleibt, welches die Konturen der dann revolutionierten Wirtschaft und Gesellschaft im Einzelnen sind. Die unterbreiteten Vorschläge zur Finanzreform sind vielleicht Bausteine dafür, kleine Schritte auf dem Wege dorthin. Bis das Reformprojekt politikreif ist, bleibt aber noch viel zu tun.
"Nach dieser Art 'Abrechnung' mit gemachten Fehlern folgt die detailgenaue Erklärung der Finanzmarktkrise. Dabei bietet Peukert in seiner Erläuterung einen dogmengeschichtlichen und zugleich theoretischen Überblick, sodass der Leser unter anderem mit den Wirtschaftstheorien von Gesell, Galbraith, Keynes und Minsky vertraut gemacht wird. Zuweilen geht der Verfasser so ins Detail, dass es dem 'eiligen Leser' vielleicht doch zu viel werden könnte. Wer aber wirklich etwas über Krisen lernen will, erhält hier die Chance. Peukert fordert, dass die Notwendigkeit einer 'postautistischen Ökonomie' besteht: eine Ökonomie, die nicht weiter im mathematischen Elfenbeinturm lebt, sondern anstatt abstrakter Modelle mehr Geschichte, Psychologie oder auch Soziologie in die Lehre einbezieht.
Dass sich Peukert nicht davor drückt, auch Lösungsvorschläge anzubieten, ist angesichts der Kritik, die er an seinem Fach äußert, folgerichtig. Die vom Verfasser diskutierten Reformvorschläge zur Regulierung der Finanzmärkte reichen von einer neuen Geldordnung bis zu Restriktionen für riskante Finanzmarktinstrumente. Dabei vergisst er auch nicht, auf ökologische Probleme und Grenzen einer wachstumsabhängigen Ökonomie hinzuweisen. Das Buch hält was es verspricht. Nämlich eine konsequente Aufarbeitung der Finanzmarktkrise: Ursache, Wirkung und Lösungsansätze."
"das Buch ist eine Fundgrube an bedenkenswerten Analysen und Perspektiven.
Peukert konfrontiert den Leser vielmehr behutsam, aber gezielt mit seiner grundsätzlichen Reflexion. Ihn stört, dass man auch nach zwei Jahren Krise noch keine Klarheit über den entscheidenden Kern der Probleme und die eigentliche Krisenquelle hat. Die Öffentlichkeit wird stattdessen mit dem Hinweis auf ein Sammelsurium an Formen des Markt- und Staatsversagens befriedigt, die alle eine Rolle gespielt und sich irgendwie gegenseitig auch noch hin zu einem toxischen Gesamtcocktail verstärkt haben. Der Rezensent möchte gerne gleich widersprechen und teilt beispielsweise nicht die Aussage, dass man eine tiefergehende Aufarbeitung scheut (S. 21). Ganz im Gegenteil scheint das sogenannte ?Regulierungsfenster? viel weiter und vor allem länger geöffnet zu sein, als es allgemein in den Wirren der Finanzkrise gedacht wurde. Aber man lernt schnell, dass es Helge Peukert nicht um Einzelaspekte, Kleinigkeiten, geht wie die Einführung einer Leverage Ratio oder ein weiteres, sogar internationales Aufsichtsgremium. Er will grundsätzlich hinterfragen, ob der modere Finanzsektor wirklich so innovativ ist, wie er allgemein beschrieben wird, ob er als Wachstumsbranche tatsächlich Modellcharakter haben kann und benennt die negativen Begleiterscheinungen der Globalisierung an den Finanzmärkten. Dabei hat er keine Scheu, die politischen Vertreter (Parteien wie auch einzelne Personen) zu benennen und in die Verantwortung zu ziehen. Da verwundert es auch nicht, dass er sich im Weiteren kritisch (und polemisch) mit dem Spekulationsbegriff und dem vermeintlichen Nutzen des Agierens von Spekulanten auseinandersetzt. Im zweiten Abschnitt ?Panoramabild? bereitet der Autor die aus seiner Sicht entscheidende Frage, ob es überhaupt rational-effiziente Kapitalmärkte gibt, vor. Ab und an treibt er seine Polemik sehr weit. ... Solchen kleinen Ausreißern braucht man aber keine allzu große Aufmerksamkeit zu widmen. Wesentlich spannender und ertragreicher ist die kritische Analyse des Wissenschaftsbildes der letzten Jahre. Peukert beschäftigt die Frage, weshalb die Fehlersuche der Finanzexperten nur gelegentlich über den Mikroblick hinausgeht, meist aber innerhalb der Grenzen des etablierten und befürworteten Finanzsektors verharrt (S. 61). Seit Jahren vermisst er in der Fachwissenschaft eine kritischere Grundhaltung zu den Entwicklungen an den Finanzmärkten und wird auch im deutschen Standardwerk für die universitäre Lehre in der Bankbetriebslehre (Hartmann-Wendels et al. 2010) nicht fündig. Auf den Seiten 79 bis 86 präsentiert er schließlich einige aus seiner Sicht zumindest diskussionswürdige Beispiele der Aufarbeitung der Finanzkrise (unter anderem Rudolph 2009, Acharya et al. 2009, Münchau 2008, Sinn 2009, Zeise 2009). Für ihn sind die meisten Beiträge bei allen positiven Teilaspekten aber dann doch ?eher enttäuschend? (S. 82). ...
Grundsätzlich aber erzählt Peukert sehr spannend, man folgt ihm sehr gerne (S. 89-99). Er übersieht keineswegs, dass sich Fama als Schüler von Benoit Mandelbrot (Mandelbrot und Hudson 2004), dem Begründer der fraktalen Geometrie, der Grenzen der Beschreibung von Kurs- bzw. Renditeverteilungen nur über die ersten beiden Verteilungsmomente bewusst ist. Fama weiß sehr wohl, dass "die Mandelbrotverteilung besser mit den Daten übereinstimmt als die Gaussche Normalverteilung". Helge Peukert weist deshalb bereits hier auf die große Nähe zwischen der Effizienzmarktthese nach Fama und dem von ihm propagierten Bullen-Bären-Paradigma hin. Damit ist er schon mitten in seiner kritischen Diskussion im zweiten Unterabschnitt "Skepsis und Relativierungen". Er bedauert, dass Eugene Fama seine Kompetenz und seine Einsichten hin zu einer kritischen Grundhaltung zur Theorie effizienter Märkte nicht zu einer konsequenten Weiterentwicklung genutzt hat, sondern mit seiner Beliebigkeit faktisch einer "Nonsenstheorie" (S. 127) das Wort redet. Auch die an sich vielversprechenden Ansätze der verhaltensorientierten Finanzmarktforschung, der Behavioral Finance, verpassen eine hinreichende Emanzipation von der Effizienzmarkttheorie (Shleifer 2000, Shiller 2000). Die dringend benötigte hermeneutische Ausrichtung der Volkswirtschaftslehre gibt es nicht, diese setzt seit Jahren vielmehr auf deduktives Modellieren und die ökonometrische Auswertung von Marktdaten, was zur Lösung der Probleme gar nichts nützt ? so Helge Peukert.
Helge Peukert gelingt es, seine Empörung in eine spannende wissenschaftliche Auseinandersetzung umzusetzen. Das Buch schwächelt, wenn manchmal ganz am Rande quasi beiläufig eine konkrete Handlungsempfehlung ohne weitere Analyse gegeben wird. So steht für Peukert fest, dass man bis auf ein oder zwei alle Landesbanken schließen sollte (S. 280). Auch muss man seine Polemik ertragen können, denn seine große Skepsis gegenüber allem, was das Investment Banking ausmacht, verleugnet er nicht ("Bankster", S. 165). Die durch sehr viele Zitate geprägten Texte machen das Lesen nicht immer leicht. Er fordert den Leser, aber er bietet auch sehr viel. Dabei ist es ganz gleich, ob man seine skeptische Haltung gegenüber den Finanzmärkten annehmen will oder sich eher doch auf der anderen Seite wohler fühlt. Das Buch ist insofern herausragend, als es das Denkmuster einer postautistischen Finanzmarktregulierung ausführlich und nachvollziehbar wissenschaftlich begründet. Jedem am Finanzmarktgeschehen interessierten Leser (und Wissenschaftler) kann Peukerts Buch mit gutem Gewissen und sehr nachdrücklich empfohlen werden. Der Rezensent zumindest hat von der Lektüre profitiert, viel dazugelernt und wird sich mit den gut durchdachten Argumentationsketten weiter auseinandersetzen müssen."
"Der gewaltige Umfang dieses Buches wird hoffentlich seine breite Rezeption nicht behindern. Helge Peukert hat nämlich eine bewundernswert ehrliche und kompetente Bestandsaufnahme des bisherigen Umgangs mit der Finanzkrise vorgelegt. ...
Peukerts Buch hebt sich wohltuend von anderen Reaktionen auf die Finanzkrise ab, die die Öffentlichkeit in dem trügerischen Glauben wiegen, dass wir uns im Gegensatz zu Lucas Zeises "Ende der Party" (2009) mit einem "Weiter so" bereits wieder auf der Überholspur in die Richtung einer Dauerkonjunkur mit Wachstum und Vollbeschäftigung befinden. Weder verharmlost Peukert die Beinahe-Kernschmelze des Weltfinanzsystems als Betriebsunfall noch liefert er ein vordergründig-kritisches Scheingefecht, bei dem die Ursachen der Krise letztlich doch unangetastet bleiben. ...
Trotz seiner Zurückhaltung gegenüber Gesell kommt Peukert auf den letzten Seiten seines Buches erfreulicherweise auf genau jene schon eingangs angesprochene "ungeklärte Zukunftsfrage" zurück, zu deren Lösung Gesells Freigeld bzw. Keynes' "künstliche Durchhaltekosten" auf liquide Mittel in weiter entwickelter Form vielleicht doch noch einmal etwas beitragen könnten. Zusätzlich zu all den von Peukert für notwendig gehaltenen Reformen, die den Finanzmärkten 'von außen' Daumenschrauben anlegen, wird es nämlich auch notwendig sein, ihre permanente Expansion und Verselbständigung 'von innen' mit einem Abbau der (u.a. durch den Zinseszins bewirkten) Konzentration der Geldvermögen" zu bremsen. Letztlich geht es auch für Peukert und die "ungeklärte Zukunftsfrage: Wäre eine ökologisch tragfähige Gesellschaft, die nicht auf den Wachstumsimperativ angewiesen ist, mit einer Geldordnung vereinbar, in der es positive Zinssätze gibt? Falls die Frage zu verneinen ist: Ist eine Geldordnung in einer arbeitsteiligen Wirtschaft ohne positive Zinssätze möglich?" (S. 25, 27)
Nachdem diese Schlüsselfrage bei allen Ausführungen Peukerts zu den Finanzmarkttheorien des ökonomischen Mainstreams sowie zu den alternativen Erklärungsansätzen und Reformvorschlägen im Hintergrund geblieben ist, taucht sie am Ende als Krönung seines Buches wieder auf. Mit einer bewundernswerten Geste der Aufrichtigkeit bekennt Peukert, dass er "sich an die letzte Wurzel des Problems der Finanzmärkte bisher nicht herantraute: Wie kann ein Wirtschaftssystem überleben, das angesichts positiver Zinssätze und mit Vermögenswerten, die Rendite abwerfen sollen, was letztlich nur durch Erlöse aus der Realspähre geleistet werden kann, ein System also, das auf Wachstum angelegt ist, mit den Erfordernissen der Ökosphäre harmonieren, die stetiges Wachstum nicht mehr verträgt.
Diese Fragen im wirtschaftswissenschaftlichen Raum überhaupt zu stellen, ist - unabhängig davon, wie sie in Zukunft beantwortet werden - ein geradezu sensationelles Ergebnis."
Am 19. Juli 2012 stellte Prof. Dr. Dr. Helge Peukert von der Uni Erfurt im vollbesetzten Tagungsraum der ZBW Hamburg seine Sicht auf die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise dar. Die Ursache der aktuellen Krise sieht er darin, dass sich die Staaten von den Finanzmärkten abhängig gemacht haben. Anstatt Steuern auf das wachsende Geldvermögen zu erheben, habe der Staat seine Ausgaben zunehmend durch Kredite finanziert. Die Probleme potenzierten sich, da die Staatsschulden aufgrund der Bankenrettungen weiter wuchsen. Die Reaktion der Politik auf die Krise: Durchwursteln. "Das funktioniert aber nicht", fürchtet Peukert und sieht als kurzfristige Lösung: Griechenland sollte Staatsinsolvenz erklären, was historisch bereits in vielen Ländern vorgekommen ist. Außerdem sollte die EZB als "lender of last owner" und "lender of last resort" fungieren, d.h. sie sollte eine Zwangsrekapitalisierung von Banken finanzieren und als Garant für Problemkredite wirken.
Allerdings meint Peukert: "Die Finanzmärkte müssen grundlegend reformiert werden." Deshalb fordert er ein Größenlimit für Banken und eine aktive Entflechtungspolitik, die Einführung eines Trennbankensystems und eine Quote von 30% für das Kernkapital. Er geht aber noch über diese Einzelmaßnahmen hinaus und sieht eine langfristige Lösung darin, dass die Geldordnung auf ein - schon von dem US-Ökonomen Irving Fisher propagiertes - 100%-Vollgeld umgestellt wird. Mit dem Konzept verbunden sind eine 100%ige Mindestreserve und die Abschaffung der Geldschöpfung durch Geschäftsbanken. Wachstum wird in diesem Konzept dadurch ermöglicht, dass die Notenbanken dem Staat entsprechend einer jährlichen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate Geld zuteilen.
Nach dem Vortrag eröffnete Moderatorin Dr. Brigitte Preissl die Fragerunde mit dem Publikum. Das Vollgeld-Konzept stieß bei den Zuhörern auf Skepsis, so wurde das große Vertrauen in die Fähigkeit des Staats, die richtigen Investitions-Entscheidungen zu treffen, in Zweifel gezogen. Ein anderer Zuhörer sah eine konsequente Durchsetzung der Gläubigerhaftung als wesentliche ordnungspolitische Maßnahme an und traf damit bei Helge Peukert auf Zustimmung.
Ein Audiomitschnitt dieser Veranstaltung ist auf der Quellseite vorhanden.
Quelle: Wirtschaftsdienst