Herausgegeben von Richard Bräu, Eberhard Demm, Hans G. Nutzinger und Walter Witzenmann
6009 Seiten
299,00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-100-9
(Juni 1997)
Die Bände der Gesamtausgabe sind für 36,80 € bzw. der Doppelband 10 für 48 € auch einzeln erhältlich.
Alfred Webers monumentales Werk umfaßt neben der Kultursoziologie, deren Begründer er ist, zahlreiche andere Bereiche, in denen er als einer der letzten Gelehrten mit universalem Anspruch bahnbrechende Forschungsarbeit geleistet hat: Industrielle Standortlehre, Arbeits- und Betriebssoziologie, Bürokratieforschung, Politische Theorie und Geschichtsphilosophie. Als streitbarer politischer Gelehrter verfaßte er viele Aufsätze zur politischen Situation, die wichtige Aufschlüsse über die Lage in Deutschland vom Kaiserreich zur Bundesrepublik geben. Als Wissenschaftler mit einer großen Ausstrahlung sammelte er viele Schüler um sich, die später zu den bedeutenden Wissenschaftlern gehörten wie z.B. Karl Mannheim, Norbert Elias, Emil Lederer und andere.
Webers große Fragen beziehen sich auf die Veränderung des soziokulturellen Habitus in den einzelnen Kulturen und Völkern über die Jahrhunderte hinweg. Dieses Thema wurde in neuester Zeit von Norbert Elias und dem Soziologen Pierre Bourdieu wieder aufgegriffen. Auch Webers kulturkritische Aspekte haben nichts an Aktualität verloren.
Webers Arbeiten, die in den 50er Jahren hohe Auflagen erreichten, sind in Deutschland seit Jahren vergriffen. Sie sollen mit dieser Gesamtausgabe endlich wieder zugänglich gemacht werden. Die einzelnen Bände sind thematisch und chronologisch gegliedert, jeder Band hat eine eigene Einleitung, Band 1 auch eine Einführung in Werk und Person des Gelehrten. Eine Auswahl aus seinem Briefwechsel dokumentiert die Spannweite seiner persönlichen und politischen Beziehungen.
"... Alfred Weber lehrte wie sein älterer Bruder Max als ordentlicher Professor in Heidelberg; beide gelten als Mitbegründer der deutschen Soziologie, sie hatten auch - wie seit langem bekannt ist, aber die neuesten Biographien noch einmal detailreich belegen - dieselben Geliebten. Dennoch nannte man Alfred Weber bereits vor dem Tod seines berühmten Bruders spöttisch "Mini-Max", und er hielt auch selbst den älteren für den bedeutenderen und originelleren Denker. In der Zeit vor und nach dem Nationalsozialismus war allerdings Alfred Weber der weit bekanntere und einflussreichere Wissenschaftler, er prägte das berühmte Heidelberger "Institut für Sozial- und Staatswissenschaften" (InSoSta). Der Siegeszug Max Webers begann ... in der Bundesrepublik erst in den 1950er Jahren auf dem Umweg über die USA, als neue, amerikanische Paradigmen sich in den Geistes- und Sozialwissenschaften durchsetzten. Dies bedeutete zugleich den endgültigen Niedergang einer originär "deutschen" Soziologie, für die neben Alfred Weber auch Namen wie Hans Freyer oder Eduard Heimann stehen könnten. Eine kleine, aber sehr engagierte Gruppe von Wissenschaftlern unter der Federführung des Alfred Weber-Biographen Eberhard Demm bemüht sich aber seit Jahren darum, das Andenken an ihn, seine soziologischen Ansätze und Fragestellungen wachzuhalten, weil diese immer noch aktuell und fruchtbar seien. Diesen Bemühungen verdanken wir eine Reihe neuerer Veröffentlichungen zu Alfred Weber sowie nun auch eine Alfred Weber-Gesamtausgabe (AWG). Zumindest im Veröffentlichungstempo (10 Bände in sechs Jahren) und im Preis (die ganze Ausgabe kostet weniger als ein oder zwei Bände MWG) schlägt die AWG dank großzügiger Unterstützung durch den Alfred Weber-Schüler und Metallunternehmer Walter Witzenmann (1908-2004) den großen Bruder um Längen. ...
So bleibt als Fazit: Alfred Weber hat als Sozialtheoretiker und als Soziologe sicher nicht den Rang seines großen Bruders - das haben auch weder er selbst noch diejenigen, die ihn vor dem Vergessen bewahren wollen, je behauptet. Aber er war ein bedeutender und in mancher Hinsicht typischer liberaler Gelehrtenpolitiker des frühen 20. Jahrhunderts. Durch die an klassischen Standards orientierte zweibändige politische Biographie von Eberhard Demm ist diese politisch wichtige Persönlichkeit auf lange Sicht vor dem Vergessen bewahrt. Was die Alfred Weber Gesamtausgabe angeht, so ist die Dokumentation des politischen Wirkens in Band 7 (Politische Theorie und Tagespolitik 1903-1933) und 9 (Politik im Nachkriegsdeutschland) unbedingt zu begrüßen. Eine Vielzahl an entlegenen Orten gedruckter Aufsätze und Artikel, die von politischen Interventionen Webers und der politischen Kultur der ersten wie der zweiten deutschen Nachkriegszeit zeugen, sind so für wissenschaftliche Analysen leicht zugänglich gemacht worden. Noch weit mehr als die relativ einfach herzustellenden Reprints von Webers Veröffentlichungen stellen die beiden Briefbände der Gesamtausgabe eine große editorische Leistung dar. Aus dem umfangreichen Nachlass wurden zahlreiche Briefwechsel transkribiert, die von hoher politischer oder kultureller Bedeutung sind - mit dem Bruder, mit Fachkollegen und Schülern, mit politischen Freunden und Gegnern; leider nur im Ausnahmefall mit der Geliebten (s.o.). Eigenwillig, aber durchaus überzeugend ist die Entscheidung der Herausgeber, die Briefe thematisch zu ordnen; unbedingt zu loben ist, dass Briefwechsel zusammengestellt wurden, dass man also nicht allein die Briefe Webers, sondern auch die Reaktionen seiner Briefpartner präsentiert bekommt. Man würde sich oft eine Kommentierung der Briefe wünschen, aber die Edition ist auch so eine wissenschaftliche Leistung, die Bestand haben wird. Mit einem im Vergleich zu Großprojekten wie der MEGA oder der MWG erstaunlich geringen Personaleinsatz wurde hier eine Vielzahl von interessanten Dokumenten zur politischen und Kulturgeschichte Deutschlands im frühen 20. Jahrhundert der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Man kann sicher Zweifel anmelden, ob das wissenschaftliche Oeuvre Alfred Webers auch derart vollständig wieder veröffentlicht werden musste - zumal seine Hauptwerke zwar, wie die AWG Herausgeber vielfach betonen, nicht mehr auf dem Buchmarkt erhältlich, für den Interessierten jedoch in Bibliotheken und antiquarisch ohne Probleme zu bekommen waren. Auch innerhalb des wissenschaftlichen Oeuvres gibt es einzelne gewichtige Texte (wieder) zu entdecken: etwa den Aufsatz "Der Beamte" (AWG, Bd. 8, S. 981-17), der Kafka in seinem Bild der modernen Bürokratie beeinflusst hat, oder Webers hellsichtige Beobachtungen über die Veränderung der Gewerkschaftsbewegung und der Mentalität ihrer Klientel (mehrere Aufsätze in AWG, Bd. 5, u. a. "Die Bürokratisierung und die gelbe Arbeiterbewegung" (1913), S. 459 74). Alle Bände der Gesamtausgabe werden vom jeweiligen Herausgeber mit einem längeren Essay eingeleitet, der die einzelnen Texte vorstellt und in ihrer Bedeutung würdigt. Zudem sind die Bände derart preiswert und wurden (anders als die meisten vergleichbaren Editionen) ohne öffentliche Gelder in so kurzer Zeit produziert, dass man die Alfred Weber Gesamtausgabe eine wissenschaftsorganisatorische Leistung von (Alfred) Weberschem Rang nennen kann. Welchen Erfolg sie hat und ob sie wirklich zur erhofften Renaissance von Webers wissenschaftlichen Fragen und Anliegen beiträgt, wird sich zeigen. Zu hoffen bleibt, dass der kleine Marburger Metropolis-Verlag über einen so langen Atem verfügt, dass Webers Werke lange auf dem Markt bleiben und dass sich in absehbarer Zeit noch ein edler Sponsor findet, der die wissenschaftliche Edition des Alfred Weber Else Jaffe Briefwechsels und die Erstellung von Gesamtregistern zur AWG finanziert!"
"... Bocksprünge der Gene führten wohl auch dazu, daß sich der Soziologe Max Weber und sein Bruder und Kollege Alfred Weber zerstritten und Max gelegentlich Alfred einen 'Verderber der Jugend' nannte. Denn die beiden arbeiteten zwar im selben Fach, aber sie verband kaum mehr als dessen Türschild. Max Weber befleißigte sich eines möglichst genauen Denkens und begründete damit sein Ansehen zu seiner Zeit ebenso wie seinen immensen Nachruhm. Alfred Weber hatte Schüler mit Namen wie Karl Mannheim und Norbert Elias, aber er legte niemanden auf seine Sicht der Dinge fest. Er liebte Eingebungen jenseits des Beweisbaren und Definitionen waren ihm im Zweifelsfall weniger wichtig als ein Erfassen der Dinge mittels empfindsamem Geist und suchender Seele.
Alfred Webers Denkweise schloß nicht aus, daß er trotzdem recht hatte. Die Behauptung, er habe stets in des Bruders Schatten gestanden, ist schon darum falsch, weil er Max Weber fast 40 Jahre überlebte und nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur als Lehrer eine blendende Figur machte, sondern auch in der Politik eine Haltung an den Tag legte, von der sich mancher eine Scheibe abschneiden konnte. Der Mitbegründer der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei feierte 1923 in der Frankfurter Paulskirche die Revolution von 1848 und damit eine Republik, gegen die andere den Revolver zogen. Zehn Jahre später holte Alfred Weber die Hakenkreuzfahne vom Dach seines Heidelberger Instituts und ließ sich emeritieren.
Zum Helden war er nicht geboren, auf Anstand legte er trotzdem Wert, und 1945 war er wieder zur Stelle - mit einem Buch über den 'Abschied von der bisherigen Geschichte', mit einem weiteren, umfänglicheren Werk über die 'Kulturgeschichte als Kultursoziologie' und darin mit einer Theorie vom hochgezüchteten 'Vierten Menschen', den - apropos Phänotyp - keine Individualität mehr am Funktionieren hindern sollte und dem der 'Dritte Mensch', der bürgerliche, allemal vorzuziehen sei. ...
Für Hans Ulrich Wehler, der über Alfred Weber jetzt mit Berserkerwut in der 'FAZ' hergefallen ist, zählt dies alles nicht. Dabei mag es durchaus sein, daß uns nun die Gesamtausgabe der Weberschen Werke, die mutige Leute in Marburg auf Stapel gelegt haben, zuvörderst auf die Nerven gehen wird. Hochsinnige Lust an stehend freihändiger Spekulation dürfte es schwer haben gegen den Forschungsstand der 90er Jahre. Aber erstens ist Geistreichtum auch etwas Schönes, zweitens läuft der Ankläger, wenn er dem Angeklagten vorwirft, daß der nebenher Gedichte geschrieben habe, leicht Gefahr, beim eigenen Rotwelsch genommen zu werden, und drittens ist es lächerlich, Alfred Weber anzukreiden, er habe seine Grundgedanken im Kopf schon im Jahr 1914 fertig gehabt, während Max Weber über den grünen Klee gepriesen wird, obwohl er wegen Abgangs 1920 notgedrungen vor 1914 nicht nur im Kopf weitgehend fertig war. ... "