309 Seiten
24,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1482-1
(27. September 2021)
Das Prinzip Maßlosigkeit charakterisiert die Ökonomie und die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Nichts scheint je genug zu sein - alles muss immer mehr werden. Der entfesselte Wille zum "Immer-mehr" und die von ihm hervorgebrachte Ökonomie der Maßlosigkeit haben eine erstaunliche Geschichte. Dieses Buch versucht, Antworten auf drei Fragen zu geben: Die erste Frage führt uns in die Vergangenheit: Wie hat sich die maßlose Ökonomie herausgebildet? Welche Entwicklungen und historischen Wendepunkte haben uns dorthin gebracht, wo wir heute stehen? Die zweite Frage blickt auf die Konsequenzen: Wie verändert die Ökonomie der Maßlosigkeit im Verlauf ihres historischen Siegeszuges allmählich den Menschen selbst, sein Denken und seine Beziehungen? Die dritte Frage richtet sich an die Zukunft: Wie geht es weiter? Wohin könnte uns dieser historische Irrweg noch führen? Was droht uns, und wie kann ein Pfadwechsel hin zu einer Ökonomie des rechten Maßes vielleicht doch noch gelingen?
Die Verwandlung der Welt
Eine lange VorgeschichteDie Verwandlung des Menschen
Die Rechtfertigung des Willens zum Immer-mehrScheidewege - Wie wird es weitergehen?
Weiter wie bisher - Dystopische Ausblicke"Wenn man sich verirrt hat, empfiehlt es sich, an jene Orte zurückzukehren, an denen man falsch abgebogen ist", schreibt Bernhard Ungericht, der einen historischen Abriss über die Steigerungslogik des Wirtschaftens sowie seine Verquickung mit Herrschaft und sozialen Hierarchien liefert. (S. 12) Drei Merkmale nennt der Autor für diese "Ökonomie der Maßlosigkeit": "die Macht der Elite, der Drang zur Expansion und repressive Gewalt." (S. 21) Ihre Ursprünge findet er in sumerischen Stadtstaaten, als sich erstmals eine kleine Elite von Beamten, Priestern und Königen über die Bevölkerung stellte und dem egalitären Zusammenleben in kleineren Einheiten ein Ende setzte. Privatisierung von Land sowie Schuldverhältnisse seien zu "ökonomischen Machtmitteln" (S. 21) geworden und hätten die Menschen ihrer Freiheit und Selbstbestimmung beraubt.
Mit der Ausbreitung des Münzgeldwesens verbindet Ungericht den neuen militärischen Expansionismus - Söldnerheere wurden mit Geld entlohnt, Naturalabgaben durch Steuern ersetzt. Während die griechische Antike und das Römische Reich mit der Absolutsetzung des privaten Eigentums zum "Aufstieg der Ökonomie der Maßlosigkeit" geführt habe, sprenge die Ökonomie der Neuzeit alle Grenzen. "Maßloser Konsum und imperialer Lebensstil" (S. 156) würden die Krisen der Jetzt-Zeit bestimmen. Ungericht führt weiter aus, wie das quantifizierende Denken den Menschen selbst verändert (hat). Drei neue Erzählungen würden dieses Denken bestimmen: "Das Bild einer unerschöpflichen und grenzenlos ausbeutbaren Natur, die Idee vom Fortschritt und das Bild vom Menschen als ein natürlicherweise egoistisches, habgieriges Individuum." (S. 226) Abschließend setzt Ungericht einigen dystopischen Ausblicken wie der weiteren Zunahme der Elitenmacht durch Kontroll- und Überwachungstechnologien die Hoffnung auf einen "Pfadwechsel" (S. 256ff.) entgegen: "eine Kultur der Genügsamkeit und des Maßhaltens, eine Kultur der Solidarität mit denen, die schlechter gestellt sind, und eine Kultur des Mitgefühls für alles Leben auf diesem Planeten" (S. 256). Aber dies sei mit "Selbstdeprivilegierung" verbunden, was den Wandel nicht leichter mache.
Ein informatives, bestens recherchiertes und zugleich beklemmendes Buch, das dazu einlädt, unsere Bilder von Wohlstand und Fortschritt grundlegend zu revidieren. Und das die Gewalttätigkeit der modernen Ökonomie herausarbeitet.
"Bernhard Ungericht ist von Haus aus Politikwissenschaftler, an der Universität Graz für "Wirtschaftsethik und Verantwortungsmanagement” zuständig, und zuhanden williger Unternehmen legte er auch Konzepte für nachhaltiges Handeln vor. Hier aber sind die letzten 5000 Jahre im Blickfeld. Gefragt wird, wann und warum sich jenes Prinzip des Immer-mehr-und-Nie-genug durchsetzen und etablieren konnte, das die Ökonomie und die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts charakterisiert. Um die Kernfrage des Buches knapper zu fassen: Wie begann der Kapitalismus? Denn auch diesem Begriff wird nicht ausgewichen. Zumal dessen neoliberale Variante erwies sich später - im Umfeld der Globalisierung - als verheerend. Kapitalgesellschaften und Börsen wurden zu perfekten Institutionen der Gier. Dabei konnten sich die Profitierenden und Bestimmenden des imperialen Nordens weitgehend auf eine "stillschweigende Komplizenschaft" der von den Machtzentren ferngehaltenen "privilegierten Konsumenten" verlassen. Sie wurden Nutzniessende, blieben aber gleichzeitig auch Opfer; ihr relativer Reichtum und ein komfortabler Lebensstil auf Kosten anderer macht sie zu einem integralen Teil der weltweiten strukturellen Gewalt.
Sekundenschnell ausgeplündert
Schon in der Antike wurden mit Münzgeldwirtschaft, einer hierarchischen Schichtung der Gesellschaft sowie einer bis heute dominierenden "radikalen Vorstellung von Eigentum" wichtige Weichen (falsch) gestellt. Vor eigentlich kurzer Zeit! Denn im Prolog verweist der Autor darauf, dass der Homo sapiens unsere Welt schon vor gut 200'000 Jahren zu bevölkern begann. Würde dieser Zeitraum für eine geraffte Darstellung der Dynamik zu einem einzigen Tag verdichtet, bestimmten 23 Stunden lang egalitäre und kooperative Jäger- und Sammlergesellschaften das Geschehen. Vor rund einer Stunde wurden wir mehrheitlich sesshaft, verbrachten 58 Minuten in einem "subsistenzorientierten" System, genügsam bemüht, für uns Lebensnotwendiges zu erzeugen. Seit zwei Minuten sind wir nun Bestandteil einer zunehmend expansiven Ökonomie der Masslosigkeit. "Und erst vor einigen Sekunden wurde diese destruktive Logik so global, dass sie heute das Leben auf dem ganzen Planeten bedroht." Dass es zu dieser mit einer "Verwandlung der Welt" verbundenen Plünderung kam, betont Ungericht, habe nicht primär mit neuen technologischen Möglichkeiten zu tun sondern weit mehr mit sozialen Faktoren. In der Folge leuchtet er kulturelle Elemente aus, zum Beispiel die Rolle der Religionen und besonders kritisch die ideologische Funktion der Wirtschaftswissenschaften. Diese dienten den am Status quo Interessierten auch als Religionsersatz.
Mit der sich verschärfenden ökologischen Krise kommen jetzt noch "Techno-Religionen" hinzu. Wir wollen Wunder bewirken, Klimakatastrophen mit Geoengineering verhindern. Am deutlichsten zeigt sich der Grössenwahn im Glauben, uns von den natürlichen und lebenserhaltenden Systemen der Erde lösen zu können. Es ist absurd: Wir scheinen als Menschheit nicht im Stande zu sein, die Lebensgrundlagen intakt zu erhalten, aber wir träumen davon, exterrestrische Kolonien zu errichten und absolut sicher funktionierende künstliche High-Tech-Habitate zu schaffen. "Letztlich verbirgt sich dahinter die immer gleiche Hoffnung der ökonomischen Eliten, die zerstörten Orte verlassen zu können und ewig plündernd weiterzuziehen."
Weiter wie bisher eröffnet in jeder Hinsicht dystopische Perspektiven. Längst sind auch die Grenzen im Menschen kein Tabu mehr - "sein Körper, sein Gehirn, seine Psyche werden zur Ressource", leistungssteigernde Substanzen boomen und Versuche mit Implantaten schreiten voran. Zudem sind die digitalen Welten unendlich. Von den dort präsenten selbstlernenden Algorithmen werden wir zu nichts gezwungen, das wir nicht wollen, "aber wir werden allmählich lernen, zu wollen, was sie uns raten". Und aus den Hilfsmitteln können Instrumente einer totalen Kontrolle werden, mit denen die Elite in Krisenlagen die Macht sichert. Es gibt Passagen, die zwar ein bisschen nach Verschwörungstheorie riechen, aber unter die Haut gehen.
Leider "mit fast leeren Händen"
Ziemlich spät taucht auch in diesem Buch die alternative Wie-weiter-Frage auf - wie anders weiter? Wir stehen offensichtlich an Scheidewegen. Doch wer nun nach diesen Jahrtausenden mit konträrer Fortschrittsvorstellung "eine Ökonomie des rechten Masses skizzieren will, steht mit fast leeren Händen da". Prägungen unserer Identität, unserer Beziehungen, des eigenen Denkens erschweren die Neuorientierung, aber auch die Institutionen, die Gesellschaft, "und unsere Begierden". Auf den zehn allerletzten Seiten wird dennoch ein Pfadwechsel postuliert und rudimentär skizziert. So etwa als Ziel der Wirtschaft: Regionalität und Resilienz. Da gäbe es dann einfach "keinen Platz mehr für global agierende Konzerne", welche die Profitmaximierung über Bedürfnisbefriedigung stellen. "Wird das geschehen? Vermutlich nicht. Aber wir haben die Wahl, aus unserer Geschichte zu lernen." Es läge an uns, "neu zu beantworten, wer wir sein wollen und was ein gutes Leben ausmacht."
Wie eingangs erwähnt, wären in früheren Publikationen des Autors dementsprechende Konzepte, gar Strategien für Unternehmen zu finden. Vielleicht war es ihm jetzt einfach wichtiger, mit aller Deutlichkeit zu zeigen, auf was für Abgründe sich eine noch voll auf Wachstum getrimmte Wirtschaft hinbewegt."