211 Seiten
10,00 EUR
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ISBN 978-3-7316-1563-7
(29. Februar 2024)
Personenregister
"System change" kann man allenthalben auf den Demos der Klimagerechtigkeitsbewegung hören. Das vorliegende Buch zeigt auf, worin dieser Systemwandel bestehen müsste. Pointiert und mit guten Argumenten macht der Autor deutlich, dass nicht nur der Kapitalismus, sondern auch die Industriegesellschaft, wie wir sie kennen, zur Disposition steht. Echte Klimapolitik darf nicht einfach auf ein technisches Problem reduziert werden. Es geht nicht bloß um einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien und eine andere Infrastruktur. Eine ökologisch nachhaltige Wirtschaft wird unter dem Strich mit wesentlich weniger Nettoenergie und wesentlich weniger Rohstoffen auskommen müssen. Die Herausforderung für uns lautet: Wie gestalten wir eine solidarische Gesellschaft auf einer deutlich schmaleren materiellen Basis?
Menschheitsgeschichtlich betrachtet erweisen sich die kaum drei Jahrhunderte der Industrialisierung als Singularität, die nicht in die Zukunft extrapoliert werden können. Einzig die Rückkehr zum menschlichen Maß weist uns den Weg aus der verhängnisvollen Geschichte des naturzerstörenden Industrialismus.
Der Autor zeigt detailliert auf, dass der Ökostrom bei Weitem nicht reicht, dass er das, was uns jetzt noch auf fossiler Basis zur Verfügung steht, keineswegs substituieren kann. Eine Industriegesellschaft auf unserem Niveau lässt sich damit nicht mehr aufrechterhalten. Technische Lösungen, die mit immer mehr Aufwand an Ressourcen einen Ausweg aus unserem Dilemma versprechen (Kernfusion, CO2-Verpressung, Geo-engineering) entlarvt der Autor als Sackgassen. Ein geplanter Schrumpfungsprozess ist der einzige Ausweg aus der Klimakatastrophe. Angesichts dieser Herausforderung müssen aber rein marktkonforme Instrumente wie Ökosteuern oder Emissionshandel versagen. Der Autor gibt Hinweise auf rasch umzusetzende ordnungspolitische Maßnahmen der "industriellen Abrüstung", auf die es jetzt ankäme. Und er zeigt, wie man das so gestalten kann, dass niemand um seine materielle Existenz bangen muss und dass es gerecht dabei zugeht.
Wie aber entfalten wir den nötigen politischen Druck? Kritisch setzt sich der Autor mit dem geforderten "Labour turn" der Klimagerechtigkeitsbewegung auseinander, die den ArbeiterInnen Besitzstandswahrung verspricht. In den reichen Industrieländern kann ökologische Nachhaltigkeit nur Deprivilegierung bedeuten. Erfolgversprechend könnte der Aktionismus des radikalisierten Teils der Klimagerechtigkeitsbewegung sein. Allerdings müssten ihre Aktionen auch einer entsprechend radikalen Vorstellung von der Transformation entsprechen, die uns bevorsteht. Und ihr ziviler Ungehorsam müsste sich mit einer Lebenspraxis verbinden, die sich als Widerstand gegen den herrschenden, systemstabilisierenden Konsumismus begreift.
"Auf 200 Seiten beschreibt das Gründungsmitglied der deutschen «Initiative Ökosozialismus», wie die industrielle Überformung unserer Zivilisation unsere Welt an ihre planetaren Grenzen bringt und so Mensch und Mitwelt ausbeutet und zerstört. Kenntnisreich und faktensicher analysiert der Autor in Kapiteln mit Titeln wie «Die Rückkehr zum menschlichen Mass» die multiplen Krisen, in denen die menschliche Zivilisation wie auch das Ökosystem unserer Erde stecken. Unter «Der Ökostrom reicht bei Weitem nicht» und «Technischer Grössenwahn» entzaubert er die unrealistischen Erwartungen in Zusammenhang mit der Energiewende und plädiert für eine radikale Rücknahme des industriellen Wachstums: Nur so kann der Kollaps unseres Planeten gestoppt werden!
In den Kapiteln «System Change — aber wie?» und «Klimaschutz heisst Pazifismus heisst Klimaschutz» fordert er einen konsequenten Abbau auch von Rüstungsgütern. Um die ökologische Transformation in Gang zu setzen, brauche es gesellschaftspolitische Aushandlungsprozesse. Denn die Schrumpfung der Produktion soll sozialverträglich gestaltet werden, damit es nicht zu gesellschaftlichen Verwerfungen kommt.
Bruno Kern äussert auch deutliche Kritik an der «Fridays for Future»-Bewegung. Diese nimmt er als in der Regel zu systemkonform wahr: So würde sie einerseits den Konsumismus zu wenig infrage stellen und anderseits die Klimakrise als ein mit technischen Mitteln und Innovation zu bewältigendes Problem darstellen. Stattdessen plädiert er für die Abkehr von diesem wachstumsgetriebenen ökonomischen System, welches unseren Planeten an die Wand fährt.
Und den Linken schreibt er ins Stammbuch, dass sie nicht der Illusion verfallen sollten, die Arbeiterinnen als die Subjekte dieser unabdingbaren Transformation zu betrachten. Diese stünden mit ihrem Anspruch auf materielle Besitzstandswahrung meist auf der falschen Seite: So war die Arbeiterschaft oft die treibende Kraft hinter dem ausbeuterischen Kapitalismus und dem Militarismus; einzig um des Erhalts von nicht nachhaltigen Arbeitsplätzen willen. Ich stimme dieser Analyse zu und finde sie bedenkenswert. Alle Arbeitnehmenden im Weltnorden profitierten von der Ausbeutung von natürlichen und menschlichen Ressourcen in anderen Teilen der Welt. Das Buch ist eine lesenswerte Analyse des Ist-Zustands unserer Zivilisation und zeigt Szenarien auf, wie wir als Menschheit und Gesellschaft die Klimakrise bewältigen können. Es bietet vielfältige Argumente für Diskussionen rund um Postwachstumsökonomie, Suffizienz und ein würdiges Leben für alle Bewohnerinnen dieses Planeten."
Gegen die Technikillusion
Womit wir beim Titel des neuen Buches von Bruno Kern sind. Nachdem dieser 2019 in einer Rotpunkt-Publikation das «Märchen vom grünen Wachstum» entlarvte, argumentiert er nun wie Sakar gegen «Technik-Illusionen» aller Art. Ökostrom? Damit lassen sich keine Industriegesellschaften auf unserem heutigen Niveau betreiben. Mit immer mehr Material und gigantischen Infrastrukturen eine schädliche Maschinerie in Gang halten? Kernfusion, Wasserstoff, CO2-Verpressung, Geo-Engineering? Alles unausgereifte Ideen, die nicht aus, sondern in Sackgassen führen. Keine neuen Mittel, neue Zwecke sind gefragt. Fatal sei, «dass gerade Linke, die sich auf Karl Marx berufen, kein kritisches Verhältnis zum Industrialismus selbst entwickeln konnten.» Bebel schwärmte mit dem 19. Jahrhundert entsprungener Fortschrittsideologie davon, dass Nahrung künftig die Chemieindustrie produzieren werde und die Menschheit sich nicht weiter mit Ackerbau abplagen müsse. Ernst Bloch wollte mit Atomkraft die Polkappen schmelzen ... Es gab konträre Stimmen. Etwa feministische Ökonominnen, welche früh «die Strategie des Kapitals» kritisierten, Menschen von ihren Subsistenzgrundlagen zu trennen und so Wege zur «unmittelbaren» Produktion auf gemeinschaftlicher Basis zu verbauen. Sie bestritten auch, dass Technik systemneutral sei. Doch das wurde als rückwärtsgewandt verlacht. Zwischendurch kam die grosse Maschine manchmal ins Stocken, ausgerechnet der elitäre Club of Rome löste mit der Publikation eines rechnerisch nüchternen Berichts über planetare Grenzen breitere Debatten aus. Da hatten «Hohepriester des Wachstums» den Tempeldienst verweigert. Es war ein Paukenschlag, obwohl er vorerst nur wenig bewirkte.
Schluss mit Luxuskonsum
Inzwischen wurden die Diagnosen bestätigt, neue kamen hinzu und Krisen sind offensichtlich. Als zentralen Treiber, womöglich «die Achillesferse des Kapitalismus» im Zeitalter der Globalisierung, beurteilt der Autor die Mobilität. Allenfalls könnte der Ausbau des öffentlichen Verkehrs die Probleme dämpfen. Doch: Je mehr und je schneller, desto schlimmer. Flüge werden nie «grün». Zudem sind sie ein Luxus von derzeit vielleicht zehn Prozent aller Menschen. «Was wir für so selbstverständlich halten, ist die unverschämte Aneignung eines Privilegs auf Kosten anderer.» Mit verheerenden Folgen. Kurzstreckenverbote sollten selbstverständlich sein, wären aber Tropfen auf heissem Stein. Wer auf die Minderung des Ressourcenverbrauchs durch digitale Alternativen hofft, träumt erneut. Material- wie Energieaufwand sind enorm, es zeichnen sich tiefgreifende gesellschaftliche Konsequenzen ab. Trotzdem wird von allen Seiten, «einschliesslich der Öko-Bewegung», das rasche Weitertreiben einer Digitalisierung gefordert, die sich fast in jeder Hinsicht als Brandbeschleuniger erweist. Was will denn der Mann? Schon im Titel des ersten Kapitels fordert er «die Rückkehr zum menschlichen Mass», beruft sich auf Ernst F. Schumacher, welcher mit seinem «Small is beautiful» schon 1973 eine ökonomische Studie vorgelegt habe, die «das glatte Gegenteil des vulgärmarxistischen Konzepts einer sich stets nach oben windenden Spirale von Bedürfnissen und den historischen Möglichkeiten ihrer Befriedigung» war. Da sich diese Spirale über Jahrzehnte weiter gedreht und die Lage ökologisch verschärft hat, wirken die notwendigen «Rückschritte» unserer Konsumgesellschaft in der von Kern vorgelegten Skizze jetzt extrem. Klimagerechtigkeit verlangt Konsequenzen"
Radikal ehrliche Fragen
Sind seine Forderungen nicht völlig unrealistisch? Keine der im rotgrünen Spektrum angesiedelten politischen Parteien könnte sie in ihr Programm nehmen, ohne Wahlen zu verlieren. Gewerkschaften müssten gegen die Interessen ihrer Mitgliedschaft kämpfen. Ja, der Einsatz für eine auch sozialistische Wirtschaftsordnung in den Industrieländern sei heute «als ethisches Projekt» zu begreifen, müsste auf einer neuen Art internationaler Solidarität basieren. Um das Ausmass der fälligen Transformation zu erkennen und dann offen zu benennen, wären rigorose Analysen sowie konsequente Ehrlichkeit gefragt. Beides ist diesem Buch zu attestieren. Was hier postuliert, wie jede Ausflucht, jeder Kompromiss hinterfragt wird, ist von beängstigender Radikalität. Aber wer Sozialismus und Ökologie wirklich verknüpfen will, muss sich solche(n) Fragen stellen. Im letzten Kapitel, wo der Autor die ‹Fridays›-Jugendlichen ins Visier nimmt, pauschal «Wohlstandskinder zwischen Technikfantasien und Wissenschaftsgläubigkeit» beschimpft, verfehlt er den Ton. Hier ist etwas von der Verzweiflung zu spüren, von der Wut, sich als einen der «alten weissen Männer» angeklagt zu sehen, die nicht genug oder das Falsche getan und kommenden Generationen die Zukunft verdorben hätten. Er erinnert an jene Menschen, die ihn selbst dazu brachten, sich zu engagieren. «Ich verneige mich hier stellvertretend vor Dorothee Sölle und Maria Mies.» Denn natürlich waren auch «alte weisse Frauen» inspirierend.""Bruno Kern ist zusammen mit Saral Sarkar Mitbegründer der Initiative Ökosozialismus, einem kleinen Kreis von Linken, die schon vergleichsweise früh die ökologische Herausforderung begriffen haben. Inzwischen hat das Label Ökosozialismus weitere Kreise gezogen. Das wiederum scheint dem Theologen und Philosophen Kern nicht zu gefallen: In seinem neuen Buch finden sich mehrere distanzierende Formulierungen gegenüber dem Label. Er legt aber auch ausführlich dar, was ihn an ökosozialistischen Konzeptionen - etwa derjenigen des Wirtschaftsgeografen Christian Zeller, mehr noch derjenigen des Soziologen Klaus Dörre - stört. Diese hätten das, was ökologisch notwendig sei, nicht richtig erfasst: Dörre etwa verspreche den Arbeitenden, dass sie nicht auf materiellen Wohlstand verzichten müssten. Das müssten sie aber, hält Kern dagegen. Ihre «imperiale Lebensweise» (Ulrich Brand / Markus Wissen) bedeute einen Naturverbrauch, der mit den planetarischen Grenzen unvereinbar sei.
Kern begründet überdies ausführlich, warum erneuerbare Energien und Technologien (Kernfusion, CO₂-Verpressung, Geoengineering) nicht ausreichen, um der Klimakrise beizukommen. Was es brauche, sei nicht nur eine Abkehr vom Kapitalismus, sondern auch eine Abkehr vom Industrialismus. Nur eine industrielle Abrüstung führe zu einer nennenswerten Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs - und damit der Emissionen. In der Menschheitsgeschichte seien die 300 Jahre Industriegesellschaft ohnehin zwangsläufig eine vorübergehende Erscheinung, weil die Ressourcen bald erschöpft sein würden.
Was das konkret heisst? Weniger Flachbildschirme, Autos und Reisen - nicht nur für die Reichen, sondern auch für breite Bevölkerungskreise im Globalen Norden. Das klingt nicht danach, als wäre damit ein politisches Projekt zu machen. Kerns Buch ist unbequem, weil es mit verbreiteten linken Vorstellungen hart ins Gericht geht - mit ökoliberalen sowieso. Mitunter hätte man sich allerdings den Einbezug aktuellerer Studien gewünscht.
Die Forderung nach einem »System change« ist in der Klimabewegung öfters zu hören. Und gleich auf den ersten Seiten des neuen Buchs von Bruno Kern wird deutlich, dass es ihm um einen wirklichen Systemwandel geht. Denn es stehe nicht nur der Kapitalismus, sondern auch die Industriegesellschaft, wie wir sie kennen, zur Disposition. Echte Klimapolitik dürfe nicht einfach nur auf ein technisches Problem reduziert werden.
Dabei scheut sich der Autor, der Gründungsmitglied der Initiative Ökosozialismus (2004) und des Netzwerks Ökosozialismus (2018) war, nicht, die Dinge beim Namen zu nennen: So bezeichnet er beispielsweise die eher technokratische Diskussion um ein »Restbudget« an C02-Emissionen für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels als »absurd«. Und auch Teile der Klimabewegung kritisiert er kräftig, wenn er Aktivistinnen »fehlendes Bewusstsein« unterstellt, wenn sie ihre berechtigten, öffentlichkeitswirksamen Blockaden lediglich mit der Forderung nach einem Tempolimit verknüpfen würden.
Aber Kern meckert nicht nur, sondern formuliert klare Vorstellungen, was aus seiner Sicht dringend erforderlich ist: Es gehe nicht bloß um den schnelleren Ausbau emeuerbarer Energien und eine andere Infrastruktur. Die notwendige und ökologisch nachhaltige Wirtschaft werde unter dem Strich mit wesentlich weniger Nettoenergie und wesentlich weniger Rohstoffen auskommen müssen. »Die Rückkehr zum menschlichen Maß« sei notwendig, um einen Weg aus der verhängnisvollen Geschichte des »naturzerstörenden Industrialismus« herauszufinden. Ein »geplanter Schrumpfungsprozess« sei der einzige Weg aus der Klimakatastrophe.
Die Herausforderung aus Kerns Sicht laute, wie wir eine solidarische Gesellschaft auf einer deutlich schmaleren, materiellen Basis gestalten könnten. Dafür im Mainstream debattierte technische Lösungen wie Kernfusion, CO2-Verpressung oder Emissionshandel entlarvt der Autor fundiert als Sackgassen, wobei er sich argumentativ in einem breiten Feld bewegt - unter anderem von Karl Marx bis Niko Paech und Ulrich Brand sowie von Maria Mies bis zu seinem Ökosozialismus-Mitstreiter Sarai Sarkar.
Interessant wird es in den letzten vier von insgesamt neun Kapiteln, in denen er erörtert, wie der nötige politische Druck für die Transformation zu Stande kommen könnte. Dabei sieht er den »Labour turn« der Klimagerechtigkeitsbewegung, also die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften eher kritisch, plädiert hingegen vehement und mit klaren Forderungen für gemeinsame Ziele von Klima- und Friedensaktivistinnen: Klimapolitik gestützt auf Suffizienz, raus aus der Nato und Einstellung der Rüstungsproduktion.
Dem Autor ist ein streitbares und auch lesenswertes Buch gelungen, da er nicht bei zivilen Ungehorsam und einer fundierten Analyse stehen bleibt, sondern sie mit Vorschlägen für eine widerständige Lebenspraxis verbindet.
" ... Doch wie soll diese ökologische Transformation gelingen, wie entfalten wir den notwendigen politischen Druck? Kritisch setzt sich der Autor einerseits mit den Gewerkschaften auseinander und stellt fest, dass diese in den spätkapitalistischen Industrieländern zu einem der wichtigsten systemstabilisierenden Faktoren geworden sind. Sie identifizieren sich weitgehend mit dem System, wovon sie in erheblichem Maß profitieren. Andererseits stellt er bei der Klimagerechtigkeitsbewegung fest, dass diese größtenteils das ökologische Desaster unter Beibehaltung bisherigen Wohlstands mit technischen Lösungen bewältigen will, indem fossile Energie durch erneuerbare ersetzt wird. Dass wir unsere imperiale Lebensweise infrage stellen und unser Zusammenleben auf einer sehr viel schmaleren materiellen Basis gestalten müssen, wird eher ausgeblendet.
Um die Politik für die notwendige Transformation wirksam unter Druck setzen zu können, ist ein Zusammenschluss des radikalisierten, nicht bloß auf technische Lösungen fixierten Teils der Klimagerechtigkeitsbewegung mit dem pazifistischen Teil der Friedensbewegung nötig. Eine kritische Masse von Menschen mit einem politischen Veränderungsanspruch muss bereit und in der Lage sein, Privilegien aufzugeben und auch gegen eigene unmittelbare Interessen zu agieren, ihr Aktionismus muss sich mit einer Lebenspraxis verbinden, die sich als Widerstand gegen den herrschenden, systemstabilisierenden Konsumismus begreift.
Nach seinem 2019 erschienenen Buch "Das Märchen vom grünen Wachstum" hat Bruno Kern mit "Industrielle Abrüstung jetzt!" erneut ein sehr wichtiges und lesenswertes Buch vorgelegt. Faktenreich und pointiert begründet er darin, welch große Herausforderung dringend anzugehen ist. Ich habe das Buch mit Gewinn gelesen und sehe mich durchaus in meinem eigenen politischen Verständnis und meiner individuellen Lebenspraxis herausgefordert. Gleichzeitig hinterlässt es bei mir Spuren des Zweifels, weil ich die Bewegung (noch) nicht sehe, die sich für den dringend notwendigen Wandel mit entsprechender Radikalität einsetzt. Dabei würde, darauf weist Bruno Kern ebenfalls hin, laut Erkenntnissen der US-amerikanischen Politologin Erica Chenoweth eine Minderheit von 3,5 Prozent der Menschen, die bereit sind, gewaltfrei und entschlossen aufzubegehren, ein genügend großes Protestpotential bilden, um die erforderliche gesellschaftliche Transformation zu erreichen. Also hoffe ich, dass sich eine solche kritische Masse in näherer Zukunft bildet. Und das angesichts der Brisanz der aktuellen Situation lieber heute als morgen!
"Das von Bruno Kern verfasste Buch "Industrielle Abrüstung jetzt!" ist nicht das erste, in dem das wirtschaftliche Wachstum kritisch hinterfragt und gesellschaftliche Transformationen gefordert werden. Der Autor bezieht sich auch auf die bereits durchaus zahlreich vorliegenden Publikationen zum Thema, seine Analysen sind aber konkreter und seine Schlussfolgerungen konsequenter.
Die Kritik der wachstumsgetriebenen kapitalistischen Ökonomie durchzieht folgerichtig die verschiedenen Kapitel des Buches. Ausgangspunkt sind wie bei verschiedenen anderen neueren Publikationen die Debatten um Klimaveränderungen. Die meisten Autoren gehen aber davon aus, dass gewisse Verhaltensänderungen und Umstellungen von Produktionsweisen so gut wie alle Probleme lösen werden. Bruno Kem geht zurück auf den ersten Bericht des Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" (1972) und weist nach, dass radikale Veränderungen und damit massive Reduktionen des Verbrauchs an Rohstoffen notwendig sind. Jeder Verbrauch von Rohstoffen ist prinzipiell auch mit dem Verbrauch von Energie verbunden. Durch den effizienteren Einsatz von Energie und die verstärkte Nutzung von sogenannten erneuerbaren Energien lassen sich die vorhandenen Probleme aus verschiedenen Gründen nicht dauerhaft lösen. Eine Entkoppelung von Wachstum und Energie ist nicht möglich. Alle Rohstoffe sind nur in begrenztem Umfang vorhanden, manche Rohstoffe sind bereits besonders knapp, die Abbau- und Produktionsbedingungen sind teilweise katastrophal (Ausbeutung von Mensch und Natur), die Kosten steigen, Nachfolgeprobleme (Abfall- und Emissionsmengen) werden nicht ausreichend bedacht, auch sogenannten erneuerbare Energie sind nur begrenzt verfügbar, die Anlagen zu deren Nutzung erfordern immer wieder neue fossile Rohstoffe. Der gegenwärtige "Wohlstand" lässt sich so nicht dauerhaft sichern. Zu den nicht aufrechtzuerhaltenden Ungleichheiten des Wohlstands kommen die ungleiche Verteilung der Rohstoffe und der Produktionsanlagen hinzu.
Es sei fatal, wenn gerade auch viele Linke Illusionen verbreiten und kein kritisches Verhältnis zum Industrialismus entwickeln. Karl Marx und andere frühe Sozialisten seien allzu oft falsch verstanden worden. Auch hätten diese selbstverständlich nicht voraussehen können, welche Entwicklungen mit welchen Folgen möglich sein würden. Bei neueren "Think Tanks" sei wiederum zu hinterfragen, welche Interessen dahinter stünden. ...
Was also bleibt? Bruno Kern macht konkrete Vorschläge zur industriellen Abrüstung und zum Umbau auf mittlere Technik, dazu gehört der Rüstungsabbau, der Verzicht auf Luxus wie Kreuzfahrtschiffe, die Begrenzung der Flüge, Verzicht auf Inlands- und Kurzstreckenflüge sowie der Verzicht auf SUV, Geschwindigkeitsbegrenzungen, weitgehender Verzicht auf private PKW, der Umstieg auf ökologischen Landbau, grundsätzlich keine Neuausweisung von Baugebieten, weitgehender Verzicht auf Plastik und letztlich auch die Begrenzung des Bevölkerungswachstums."