"Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie" · Band 29
155 Seiten
24,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-561-8
(Oktober 2006)
Personenregister
Milton Friedman, 1912 in New York als Sohn jüdischer Einwanderer geboren, ist nach den Worten seines großen Gegenspielers John Kenneth Galbraith, der wohl "einflußreichste Ökonom der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts". Seine Biographie, der unaufhaltsame Aufstieg vom Sohn einer weitgehend mittellosen Näherin zum Nobelpreisträger, liest sich wie ein Hollywood-Märchen aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Sein Vater, ein wenig erfolgreicher, immer verschuldeter kleiner Geschäftsmann, starb als Milton 15 Jahre alt war. Von da ab mußte er sich selbst versorgen. Mit 34 Jahren hatte er es dann geschafft, und konnte sich 1946 Professor an der Universität von Chicago nennen. Weitere 30 Jahre später erhielt er den Nobelpreis.
Friedmans Haltung ist durch eine nur als 'radikal' zu bezeichnende Begeisterung für die durch die USA repräsentierten westlichen Werte gekennzeichnet: Freiheit, Kapitalismus und Demokratie, kurz: Liberalismus und Ablehnung jeder Spielart von Sozialismus. Eine Haltung, die ihm die anhaltende Feindschaft der in den sechziger und siebziger Jahren 'links' orientierten Intellektuellen einbrachte.
Friedman und Deutschland, das scheint zunächst eine Geschichte beiderseitiger Abneigung gewesen zu sein. Friedman war zwar mit einigen Deutschen und Österreichern wie Fritz Machlup, Friedrich A. Hayek, Ludwig Mises und Friedrich Lutz bekannt und teilweise befreundet gewesen. Aber er hatte stets ungute Gefühle, wenn er durch Deutschland reiste, und es gelang ihm nicht, von der Nazi-Zeit abzusehen.
Auch das akademische Deutschland tat sich mit Friedman schwer. Er neige zur "oversimplification" und wisse wohl nicht, "daß man in Deutschland die amerikanische Art, komplizierte Zusammenhänge möglichst schlicht darzustellen für unwissenschaftlich" hielt, hieß es beispielsweise im Herbst 1970. So gab es in den großen deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften bis Ende der sechziger Jahre von und über Friedman kaum etwas zu lesen. Die Hauptwerke blieben weitgehend unbesprochen. Erst Anfang der stürmischen siebziger Jahre wendete sich das Blatt. Plötzlich wirbelte Friedmans Geldlehre die hergebrachte keynesianische Makroökonomie durcheinander und in der ersten Hälfte der siebziger Jahre vollzog sich in Deutschland das, was nach einem Wort Karl Brunners bald "die monetaristische Revolution" genannt wurde.
Die vorliegende Arbeit untersucht folgende Fragen: Was waren die theoriegeschichtlichen Bedingungen der Rezeption Friedmans in Deutschland? Wie vollzog sich die monetaristischen Revolution in Deutschland und welche Personen, Organe und Institutionen waren daran beteiligt? Wie lauteten die Themen und was waren die Ergebnisse?
Weitere Suchbegriffe: Monetarismus, Keynes, Geldpolitik
"Innerhalb der amerikanischen Wirtschaftswissenschaft entwickelte sich Friedmans Lehre seit den frühen 1960er-Jahren zu einem anerkannten Paradigma, was durch seine Wahl zum Präsidenten der American Economic Association 1965 bestätigt wurde. Neben der strikt empirischen Überprüfung der keynesianischen Konsumfunktion und der Geldtheorie - so Janssens Bilanz - sei es Friedman aber nicht gelungen, die monetaristische Position zu einer hegemonialen makroökonomischen Theorie weiterzuentwicklen. Erst mit der 'Theorie der rationalen Erwartung' - so wäre zu ergänzen - setzte sich seit Beginn der 1970er-Jahre der monetaristische Vorläufer auch als wissenschaftlicher ökonomischer 'mainstream' an den Universitäten durch.
Die bundesdeutsche Volkswirtschaftslehre - das ist die zentrale These Janssens in bezug auf die Rezeptionsgeschichte - habe diese Entwicklung nur mit einer Zeitverzögerung und schleppend erkannt. Durch die letztlich auf den Nationalsozialismus zurückgehende verspätete Rezeption des Keynesianismus sei dieses Paradigma noch sicher und unbestreitbar in Deutschland gewesen, als es in den USA bereits zu wanken begann. Zwar sei eine frühe Publikation von Friedman bereits 1959 in der Zeitschrift "Ordo" zu finden, die Rezeption des Monetarismus habe aber erst am Ende der 1060er-Jahre eingesetzt, unter anderem getrieben durch eine jüngere Generation von Ökonomen, die nun im Umkreis des aus den USA nach Konstanz berufenen Karl Brunner, von dem auch der Begriff 'Monetarism' 1968 geprägt wurde (Friedman lehnte dieses Begriff Zeit seines Lebens ab), das 'publizistische Sperrfeuer' auf den Keynesianismus eröffnete. 1974 ging die Bundesbank als erste zentrale Notenbank der Welt zu einer Geldmengensteuerung über, nachdem im Sachverständigenrat etwas früher die keynesianischen Theroetiker in eine Minderheitenposition geraten waren.
Für die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik ist diese Trendwende in der bundesdeutschen Geldpolitik von eminenter Bedeutung. Das Verdienst der Arbeit von Janssen ist es, den dahinter stehenden wirtschaftstheoretischen Akzentwechsel systematisch erläuert zu haben. Im Gegensatz zu den Vorarbeiten zur Entwicklung der Geldtheorie - beispielsweise von Rudolf Richter - konzenrtiert sich Janssen dabei auf die Person und Ansätze Froiedmans, was die Erzählung spannen macht, aber auch Folgekosten birgt. ...
Eine alternative Erklärung für die Rezeptionsgeschichte des Friedman-Paradigmas könnte in der stärkeren Orientierung der bundesdeutschen Volkswirtschaftslehre am Produktionsaspekt liegen, während die Geldtheorie (gleich welcher Provenienz) hierzulande bis in die späten 1960er-Jahre eine im Vergleich zum Ausland untergeordnete Rolle spielte. Lehrstühle für Geld- und Währungstheorie gab es selbst nach der ersten Expansionsphase der Universitäten nur vereinzelt. In den Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik und den Ausschüssen spielte die Geldtheorie bis dahin eine untergeordnete Rolle. Auch auf dem Feld der Geldtheorie herrschten nicht zufällig die Bundesbanker. Es wäre daher zu überlegen, ob die nach Janssens Meinung verspätete Rezeption Friedmans auf die spezifisch strukturelle Interessenlage der akademischen Volkswirtschaftslehre in der Bundesrepublik zumindest anteilig zurückzuführen ist. Hauke Janssen hat mit seinem gut lesbaren und auch für Laien verständlichen Buch derartige Überlegungen aufgeworfen und angesichts der begonnenen historiografischen Eroberung der 1070er Jahre bleib zu hoffen, dass es weitere Forschungen anregt."
"Wie diese 'monetaristische Revolution' in Deutschland ankam, welchen Vorbehalten Friedman hier begegnete und wer ihn unterstützte, hat Janssen im zweiten Teil seiner Studie dargestellt. ... Die Rezeption von Friedmans Arbeiten verlief schleppend. In den fünfziger und frühen sechziger Jahren wurde er beinahe ignoriert ... Mit der beginnenden Stagflation kam das keynesianische Lager zunehmend unter Druck. ... In der wissenschaftlichen Debatte Deutschlands waren es vor allem der charismatische Schweizer Karl Brunner und dessen amerikanischer Mitstreiter Allan Meltzer sowie Manfred J.M. Neumann, ein junger ehemaliger Mitarbeiter der Bundesbank, die von 1970 an ein regelrechtes Sperrfeuer gegen die herrschende Orthodoxie des Keynesianismus eröffneten.
Überzeugend stellt Janssen dar, wie nun eine Flut neuer Lehrbücher den Umbruch ankündigte und wie der Streit auch Züge eines Generationenkonflikts annahem: Vor allem junge, zuvor kaum bekannte Ökonomen beteiligten sich. Immer selbstbewusster probten sie den 'Aufstand ... gegen einen erstarrenden keynesianischen Lehrbetrieb'. Größten Einfluss hatten Brunners Konstanzer Seminiare, die führende deutsche Geldpolitiker anlockten. Der deutsche Sachverständigenrat näherte sich schon 1972 in seinen Gutachten dem monetaristischen Thema an. Ende 1974 vollzog dann die Bundesbank die Wende weg von der Zinssteuerung zu einer strikten Geldmengensteuerung, wie sie die Monetaristen predigten."
In "Milton Friedman und die monetaristische Revolution in Deutschland" beschreibt Janssen wie sich das monetaristische Lehrgebäude in Deutschland durchsetzen konnte. Noch bis Ende der sechziger Jahre gab es in den großen wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften kaum etwas von und über Milton Friedman zu lesen, aber schon wenige Jahre später übernahm die Bundesbank als eine der ersten Zentralbanken die von Friedman empfohlene Geldmengenkontrolle. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Monetarismus durchsetzte, rechtfertigt den Begriff "Revolution".
In der Einleitung beschreibt Janssen Friedmans Werdegang und seine Entwicklung zum Begründer des Monetarismus und radikalen Liberalen. Während in den Vereinigten Staaten sich in den fünfziger Jahren die monetaristische Geldtheorie zum Gegenspieler des Keynesianismus entwickelte, vollzog Westdeutschland gerade erst eine nachgeholte "Keynesianische Revolution". Die deutschen Neoliberalen, die Ordoliberalen, wiederum waren es, die Friedman in Deutschland erstmals zu Wort kommen ließen. Ihr Zentralorgan, die Zeitschrift ORDO, war zuerst die einzige Fachzeitschrift, die über Friedman berichtete.
Ironisch ist, dass die kapitalistischen Ideen Friedmans fast zeitgleich mit den marxistischen Parolen der Studentenrevolte ihren Durchbruch erreichten und zwar aus demselben Grund. Denn Janssen führt diesen Erfolg auf den wissenschaftssoziologischen Umstand zurück, dass eine junge Generation von Wirtschaftswissenschaftlern wie ihre linken Kommilitonen in anderen Bereichen mit modernen Ideen gegen das Establishment rebellierte. Nur das deren wissenschaftliche "Rebellion" sich nicht gegen den Kapitalismus, sondern gegen den in ihrem Fachbereich dominanten Keynesianismus richtete.
Die zentralen Figuren dieser "Revolution" waren der Schweizer Karl Brunner und sein Partner Allan H. Meltzer. Von Brunner sagt man bis heute, er habe die monetaristische Revolution aus den USA "nach Deutschland gebracht". Neben Brunners theoretischen Beiträgen war vor allem die Gründung des "Konstanzer Seminars für Geldtheorie und Geldpolitik", das die Lücke zwischen Theorie und Praxis schließen sollte, für die Verbreitung der Lehre verantwortlich. Es gelang führende Geldpolitiker zur Teilnahme zu bewegen, darunter wichtige Repräsentanten der Bundesbank wie ihren Chefvolkswirt und späteren Präsidenten Helmut Schlesinger. Hier schließt sich der Kreis. Am 5. Dezember 1974 legte die Bundesbank erstmals ein quantitatives monetäres Ziel fest, wie es Friedman gefordert hatte und ist dieser Politik bis zu Einführung des Euro treu geblieben.
Das Buch bietet nicht nur ein Beispiel für den Verlauf einer wissenschaftlichen Revolution sondern auch eine detailreiche Darstellung der z.T. komplizierten theoretischen Argumente. Leider fehlt eine Beurteilung, ob der Sieg über die Inflation in den achtziger Jahren und die Stabilität der Mark Folgen dieser Politik gewesen sind, also ob sich die "Monetaristische Revolution" letztendlich für Deutschland ausgezahlt hat. Das Buch ist Studenten der Wirtschaftswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte sehr zu empfehlen und ein wichtiger Baustein zur Geschichte der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland."
"Am 16. November 2005 ist Milton Friedman, der wohl einflussreichste Ökonom in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, gestorben. Friedmans Arbeiten lieferten die Grundlage für die Denkschule des Monetarismus, die inflationäre Prozesse auf die Menge des umlaufenden Geldes zurückführt. Wer sich mit der Rezeption der Arbeiten Friedmans in Deutschland und ihren theoriegeschichtlichen Bedingungen befassen möchte, der kann auf das kurz vor Friedmans Tod erschienene Buch Milton Friedman und die "monetaristische Revolution" in Deutschland von Hauke Janssen zurückgreifen.
Das Buch liefert zwar einen kurzen Überblick über Friedmans Leben und auch über seine theoretischen Arbeiten. Als Einstiegslektüre in das Schaffen Friedmans oder den Monetarismus eignet sich Janssens Arbeit allerdings nicht, da der Autor entsprechende Kenntnisse voraussetzt: Wer mit Begriffen wie "absolute und relative Einkommenshypothese", "permanente Einkommenstheorie" oder "monetaristischer Transmissionsmechanismus" nicht vertraut ist, wird mit dem Buch nicht allzu viel anfangen können. Auch jene, die eine Arbeit über den sozio-ökonomischen Hintergrund für den Aufstieg des Monetarismus suchen, werden über Janssens Publikation eher enttäuscht sein. Wer sich allerdings für die an der deutschen "monetaristischen Revolution" beteiligten Personen, Organe und Institutionen interessiert und ein einigermaßen fundiertes volkswirtschaftliches Wissen mitbringt, der liegt mit Milton Friedman und die "monetaristische Revolution" in Deutschland genau richtig.
Janssens Buch beruht neben einer umfangreichen Literaturstudie auf Diskussionen im Verein für Sozialpolitik und auf Befragungen von Ökonomen, die an der Auseinandersetzung um Friedman und den Monetarismus insbesondere in den 1970er Jahren in Deutschland beteiligt waren.
Genau wie die keynesianische Revolution vollzog sich die monetaristische (Konter-)Revolution zeitversetzt zu den USA. Die 1950er und 1960er Jahre waren in Deutschland geprägt durch die Rezeption der keynesianischen Theorie, also jenes Stoffs, "den die Amerikaner schon durchgekaut und davon bereits einen faden Geschmack bekommen hatten." (61) Dabei zeichnete sich Deutschland dadurch aus, dass der Keynesianismus hier nie eine überragende Stellung einnehmen konnte: Der insbesondere mit dem Namen Walter Eucken verbundene Ordoliberalismus behauptete seine Stellung auch während der "deutschen keynesianischen Revolution".
In den ersten Nachkriegsjahrzehnten spielten Friedmans Arbeiten in der deutschen Debatte faktisch keine Rolle - in deutschen Lehrbüchern kam Friedman bis weit in die 1960er Jahre praktisch nicht vor. Und im Vergleich zum deutschen Ordoliberalismus bestanden wesentliche Unterschiede, weshalb Friedmans Positionen als nicht anschlussfähig galten: "Während Friedman im Staat, im Staatsversagen, den letzten Grund der Wirtschaftskrisen ausmachte, bildete ein starker Staat die Voraussetzung des Euckenschen Ordogedankens und damit die Stabilität eines freiheitlichen Wirtschaftssystems." (73 f.) Ein starker Staat muss, so die ordoliberale Position, insbesondere durch eine intakte Wettbewerbsordnung die Spielregeln der Wirtschaft garantieren. Demgegenüber stand Friedman staatlichen Regelungsversuchen skeptisch gegenüber, die Gefahr durch wirtschaftliche Monopole schätzte er vergleichsweise gering ein.
Bei der Verbreitung und Durchsetzung des Monetarismus in Deutschland ist nicht Friedman, sondern der aus der Schweiz stammende Ökonom und Monetarist Karl Brunner die entscheidende Person gewesen. Brunner war nach dem zweiten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten ausgewandert, war dort wesentlich durch die Chicago-Schule beeinflusst worden und lehrte in den USA. "Zugleich las er ab 1969 zunächst jedes Sommersemester in Konstanz, dann ab 1974 an der Universität Bern. Er war damit, anders als Friedman, in Deutschland persönlich präsent." (S. 102) An dem durch Brunner gegründeten Konstanzer Seminar, einem jährlich stattfindenden Symposium, nahmen vielen bekannte Keynesianer und Monetaristen sowie führende Geldpolitiker teil. Die Tagungen finden nach wie vor statt und werden - dies ist der Homepage Verein Konstanzer Seminar e.V. zu entnehmen - finanziert durch Zuwendungen europäischer Zentralbanken, europäischer Behörden sowie internationaler Geschäftsbanken und anderer Finanzinstitutionen. Brunner, der auch den Ausdruck Monetarismus prägte, scharte in Konstanz eine Gruppe junger Ökonomen - zu denen etwa Manfred Neumann und Hans Monissen zählten - um sich, die sich dort profilierten und habilitierten. "Diese Gruppe eröffnete ab 1970 geradezu ein publizistisches Sperrfeuer auf die orthodoxen, im Verlaufe der Debatte oft gelähmt wirkenden und in die Defensive gedrängten Gegner." (107) Der Monetarismus konnte so schnell in Deutschland Fuß fassen und die Wirtschaftspolitik prägen - Sachverständigenrat und Bundesbank schwenkten bis Mitte der 1970er Jahre zur monetaristischen Lehre um.
Janssen hat mit Milton Friedman und die "monetaristische Revolution" in Deutschland ein lesenswertes Buch geschrieben, dass den deutschen Wissenschaftsbetrieb in Hinblick auf die Rezeption und Durchsetzung der Lehren von Milton Friedman beleuchtet. Es ist zwar nur für ein eingeschränktes Publikum geeignet, da es sich an ein wirtschaftswissenschaftlich ausgebildetes Publikum richtet. Diesem Personenkreis wird aber ein interessantes Buch geboten, dass sich auch durch einen angenehm lesbare Sprache auszeichnet.