Herausgegeben und mit einem Nachwort von Arno Bammé und einer Einführung von Stefan Willeke
392 Seiten
38,00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1230-8
(März 2017)
Register
Heinrich Hardensett (1899-1947), einer der profiliertesten Vertreter der deutschen Technokratie-Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und führender Kopf des Konstanzer "Hardensett-Kreises" entwickelte in seiner 1932 veröffentlichten Dissertation "Der kapitalistische und der technische Mensch" die "wohl weitestgehende und fundierteste Theorie zur sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Standortbestimmung des technischen Menschen" (Willeke). Als sein Hauptwerk gilt die zwischen 1932 und 1936 nahezu fertiggestellte "Philosophie der Technik". Hierbei handelt es sich weniger um eine eigenständige Technikphilosophie als vielmehr um eine kritische Synopse zeitgenössischer Techniktheorien unter anderem von Autoren, die heute kaum noch jemand kennt, deren Schriften für die Technokratie-Diskussion aber von entscheidender Bedeutung waren und die, gleichsam unterirdisch, noch heute nachwirken.
Umso tragischer mutet das Schicksal dieser nie publizierten Schrift an, die als 196-seitiges Schreibmaschinenmanuskript erhalten ist. Ursprünglich war sie im Berliner Verlag von Junker und Dünnhaupt zur Veröffentlichung vorgesehen. Ihr Erscheinen wurde aber von der "Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums" untersagt, weil Hardensett sich weigerte, Textpassagen und Literaturverweise auf Autoren zu streichen, die auf dem Index der NS-Prüfungskommission standen. Nach dem Krieg setzte sich der Kultur- und Technikphilosoph Prof. Manfred Schröter (München) in seiner Eigenschaft als Cheflektor des Oldenbourg-Verlages für eine Veröffentlichung ein, die durch den frühen Tod Hardensetts aber nicht mehr zustande kam. Zu Beginn der 90er Jahre unternahm der Technikhistoriker Prof. Wolfhard Weber (Bochum) mit Zustimmung der Tochter Hardensetts einen weiteren Versuch, der ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt war.
"Die Bedeutung des Theoretikers Hardensett für die Organisationsfähigkeit der Technokratie-Bewegung der dreißiger Jahre kann kaum überschätzt werden. Seine herausragende Position ist im Wesentlichen auf die langjährigen intellektuellen Auseinandersetzungen mit der Technik und ihren gesellschaftlichen Bezugsgrößen zurückzuführen." (Willeke)
"Das Manuskript 'Philosophie der Technik' von Heinrich Hardensett entstand zwischen 1932 und 1936 und ist nun 2017 von Arno Bammé im Metropolis Verlag erstmals herausgegeben worden. Stefan Willeke hat dazu ein Vorwort verfasst und der Herausgeber ein Nachwort. Das Buch ist keine eigenständige Technikphilosophie, sondern eine kritische Synopse zeitgenössischer Techniktheorien von Autoren, die heute kaum noch bekannt sind.
Der Text ist in drei große Kapitel aufgeteilt: Im ersten Kapitel 'Naturphilosophie der Technik' kritisiert der Autor anthropologische Organ-Ersatz-Theorien und plädiert für ein Technikverständnis im Sinne einer sozialhistorisch geprägten Kulturphilosophie. "Alle Technik muss in die Natur eingreifen, ihres eigenen Sinnes wegen und nicht aus einem Vernichtungsdrang heraus. Sie greift demgemäß von sich aus nur so weit ein, als ihr Gesetz ihr vorschreibt. Nur aus dem wesensgemäßen und wesenseigentümlichen Kulturanspruch der Technik - so meinen wir daher - folgt ein eindeutiges Verhältnis zwischen Technik und Natur. Dann erst kann der Kulturanspruch der Technik und seine besondere Haltung zur Natur abgewogen werden." (Hardensett 2017/S.50)
Im zweiten Kapitel 'Kulturphilosophie der Technik' nähert er sich der Technik 'von nicht-technischen Gebieten ausgehend' und 'von der Technik als wesenseigenem Gebiet ausgehend'. Hervorzuheben ist der Zusammenhang von Christentum und Technik. "Da dieses christliche Europa aber zwei Technikarten kennt, die mittelalterliche Technik der Hand und die neuzeitliche funktionale Technik, ... so ist die Beurteilung des Zusammenhangs von Technik und Christentum entscheidend davon abhängig, ob man beide Technikarten oder nur die mittelalterliche oder nur die neuzeitliche Technik dem Christentum zuordnet." (Hardensett 2017/S.96)
Hier findet man auch die Unterscheidung vom kapitalistischen und dem technischen Menschen. Eine bedeutsame Frage, die der Autor in einem gesonderten Buch abgehandelt hat (Der kapitalische und der technische Mensch). Im Gegensatz zum gewinnorientierten, egoistischen kapitalistischen Menschen wird der technische Mensch mit positiven Eigenschaften versehen. "Der technische Idealtypus ist derjenige gedachte Mensch, der das Schaffen von Sachwerken als eine hohe Form der Lebenserfüllung liebt, will und ausübt, wobei der Begriff des 'Sachwerks' genügend weit gefasst werden muss: das 'Sachwerk' als das durch kunstmäßiges Handeln aus natürlichen Stoffen, Formen und Energien gestaltete Gebilde; die 'Sachwerkerzeugung' als das Erforschen, Entwerfen, Planen, Organisieren, Anordnen, Ausführen, Leiten und Überwachen der Gestaltung oder des Betriebs dieser Gebilde ... Seine idealtypische Funktion ist die des Ingenieurs und nicht die des Erfinders." (Hardensett 2017/S.159f)
Im dritten Kapitel geht es um die 'Geschichtsphilosophie der Technik'. Einleitend beschreibt der Autor den technischen Fortschritt und seine Grenzen. Informativ sind seine Strukturformen der Technik. Er unterscheidet die 'magische Technik', 'Technik der Hand', 'Chinesische Technik', 'Zukünftige Technik' etc. "China hat eine andere philosophische Haltung zur Natur und zur menschlichen Gesellschaft und deshalb auch eine andere Technik und ein anderes technisch-soziologisches Gepräge ... Als typisch chinesische Technik sind zu nennen Seide, Rikscha, die große Mauer, Ausnutzung der Bodenfläche durch intensiven Hackbau, Schubkarre mit Segel, von aufgeblasenen Ochsenschläuchen getragene sehr leichte und flache Frachtfloße ... Hölzerne Brücken waren so kunstreich gebaut, dass sie einstürzten, wenn ein Brett fortgenommen wurde. Sehr kunstreich sind auch die Holz- und Bambusbauten der Schöpfwerke, Pagoden und Wasserhaltungen, Salzgewinnung und Transportwesen." (Hardensett 2017/S.213-214)
Die historische Dimension der Technikentwicklung wird zum Abschluss besonders betont. "Auch alle Technik wird in der Zeit vollzogen, aber die Bedeutung der Zeit ist in den verschiedenen Techniken sehr unterschiedlich. Es ist daher zu vermuten, dass zwischen dem geschichtlichen Bewusstsein und der technischen Zeitanwendung Zusammenhänge bestehen, die ihrerseits wiederum mit dem philosophischen und naturwissenschaftlichen Zeitbegriff verbunden sind." (Hardensett 2017/S.239)
Stefan Willeke hat in seinem informativen Vorwort die Geschichte seines Fundes des Manuskriptes auf dem Dachboden des Hardensett-Hauses im Jahre 1993 bis zur Erstveröffentlichung plastisch beschrieben. Arno Bammé hat in seinem fundierten Nachwort die Bedeutung des Autors für die Technikbewegung und die Dringlichkeit der Technikfrage für die heutige Zeit excellent präzisiert. Nun liegt eine Vielzahl von Sichtweisen auf die Technik vor. Das Buch hätte einige Jahrzehnte früher kommen müssen. So wurde in den 1970er Jahren ein anspruchsvoller Diskurs zu 'Technik und Herrschaft' (Otto Ullrich) geführt. Es wurde eine 'Strukturidentität' zwischen dem ökonomischen und dem technischen Menschen behauptet. Hier wären die Thesen des Technikers Hardensett hilfreich gewesen, der vor allem im technischen Menschen ein Fortschrittsmoment sieht. Diese Komponente hat dem Diskurs der gesellschaftskritischen Ökonomen und Sozialwissenschaftlern eindeutig gefehlt."
"Vielleicht hätte ich nicht den Mumm gehabt, mich so intensiv auf dieses Stück spezieller Wissenschaftsgeschichte einzulassen, wäre mir nicht vor kurzem ein ähnliches, auf den ersten Blick kaum aktuell anmutendes Buch begegnet, das ich mit Gewinn gelesen habe: die Neuauflage von "Der kapitalistische und der technische Mensch" - eine 1932 in Deutschland publizierte Dissertation von Heinrich Hardensett. Ich wies im 'P.S.' kurz auf sie hin. Bei der zwei Grundcharaktere ausleuchtenden Gegenüberstellung "technischer" und "kapitalistischer" Weltsicht kam die erstere klar besser weg: Qualität gegen Quantität, Kooperation statt Konkurrenz, Gemeinsinn vor Egoismus. Auch die Konsequenzen einer unbegrenzten Modernisierung wurden benannt: "Der Automat ist das Ende der Technik, die Idee des Automaten vernichtet die Idee des technischen Menschen" - sowie dessen Lebensziel, "das baumeisterliche Erlebnis, die baumeisterliche Tat". Dies seien kulturell wichtige Elemente. Wenn wir Technokratie nur negativ sehen, mahnt Arno Bammè im Nachwort, blenden wir aus, dass Expertenwissen zumal in unseren hochkomplexen Gesellschaften unabdingbar ist. Umsomehr wäre heute allerdings zu fragen, "wie parlamentarische Demokratie, Basisdemokratie und Expertenkompetenz in ein institutionell ausbalanciertes Verhältnis gebracht werden können."
Hardensett ist heute so vergessen wie die Technokratie-Bewegung, für die seine Schrift damals so etwas wie ein Manifest war. Der von ihm mitbegründete "Weltbund der guten Technik" erhoffte sich einen vom primär auf Profit ausgerichteten Kapitalismus befreiten Technizismus. Mit solchen Gedankenspielen machten die Nazis bald Schluss. Die vom Autor in der Folge entwickelte "Philosophie der Technik" passte nicht ins neue Umfeld; verlangte Anpassungen lehnte der Verfasser ab. Auch nach dem Krieg fand sich für seine zweite Studie kein Verleger. Jetzt erst, siebzig Jahre nach dem Tod des Autors, wurde sie publiziert, kompetent kommentiert, mit Einblicken in eine eher tragische Werk- und Lebensgeschichte versehen.
An die Grenze des Fortschritts
Entdeckt hatte Stefan Willeke das verstaubte Manuskript in Konstanz auf einem Estrich, als er an einer Doktorarbeit über jene teils konservative, teils revolutionäre Strömung der Zwischenkriegszeit arbeitete. Zwei der mit handschriftlichen Vermerken versehenen Blätter sind als Faksimile wiedergegeben - ein sicher faszinierender Fund. Aber hat uns der Text noch etwas zu sagen? Ich fand ihn zuerst weniger spannend als den oben skizzierten Vergleich zweier Weltbilder, der durch seine Zuspitzungen überraschte. Die hier breiter angelegte natur-, kultur- und vor allem geschichtsphilosophische Betrachtung verschiedener Theorien und Haltungen gegenüber der Technik ist eine eher referierende Auslegeordnung. Ernst Jünger, Marx, Nietzsche, Spengler tauchen auf, daneben weniger bekannte Namen. Interessant, bereits im ersten Teil auch dem "Energismus" sowie jenem Wilhelm Ostwald zu begegnen, von dem der durch Ariane Tanner gewürdigte Lotka bei seinem Welt-Rechen-Modell ausgegangen war. Hardensett hielt den dort georteten "energetischen Imperativ" für nur bedingt brauchbar, weil mit ihm etwa die Arbeitsqualität oder geistige Leistungen "unfassbar" blieben, kommt aber wiederholt auf diesen Ansatz zurück.
An latenter Aktualität mangelt es der Tour d'horizon durch die damalige Techniktheorie nicht. Technokraten, seltener weiblich, gibt es ja nach wie vor reichlich. Für die Ökologie-Bewegung werden sie zu einem Problem, weil sie Energiefragen zu lösen versprechen, ohne dabei unbequem von Grenzen, gar von Verzicht zu reden. Dass sich Ökonomie und Ökologie durch Technik versöhnen lasse, hören Rotgrüne gern, da bei derartigen Wenden auch der modernere Teil der Wirtschaft mitmacht. So könnte der am 21. Mai anstehende Energiekompromiss durchkommen. Wer die Kämpfe danach gewinnt, bleibt offen. Eine dem kapitalistischen System gegenüber kritische Technokratie-Bewegung, wie es sie vor einem knappen Jahrhundert gab, wäre in diesem Umfeld sehr erwünscht. Hardensett stellte in seiner nun erstmals veröffentlichten Schrift fest: "Die kapitalistische Wirtschaft kann ohne unbegrenzten technischen Fortschritt nicht leben." Doch solch unbegrenzter technischer Fortschritt "widerspricht aller geschichtlichen Erfahrung." All jene Fragen, die er im letzten Abschnitt aufgreift, wären erneut zu diskutieren: Was ist Fortschritt? Gibt es für diesen im technischen Bereich auch Grenzen, womöglich gar ein katastrophales Ende? Dass letzte Woche besorgte Forscher der ETH Zürich angesichts mangelnder Massnahmen zum Klimaschutz bereits eine ergebnisoffene Debatte über "Risiken und Chancen" des sogenannten Geoengineerings zur gezielten Manipulation des Klimas forderten, zeigt die Dringlichkeit des Themas."
Technizismus versus Kapitalismus
Heinrich Hardensett ist heute so vergessen wie die Technokratie-Bewegung, für die 1932 seine Dissertation zum Manifest wurde. Der von ihm mitbegründete «Weltbund der guten Technik» erhoffte sich einen am Gemeinsinn orientierten Technizismus, befreit vom primär auf Profit ausgerichteten Kapitalismus. Mit derart eigenständigen Gedankenspielen um ein anderes Wirtschaftsmodell machten die Nazis bald Schluss. Eine vom Autor danach noch entwickelte «Philosophie der Technik» passte nicht zu deren Weltanschauung; sie wird nun mit Einblicken in die tragische Werk- und Lebensgeschichte postum publiziert.
Es ist wirklich «ungewohnt», so der Herausgeber zur Neuauflage der ersten Schrift, wie Hardensett «den Typus des technischen Menschen in überaus positivem Licht» zeigt. Zwar ausdrücklich als eine ideale Konstruktion, wie er sich im idealen gesellschaftlichen Umfeld entwickeln könnte. Aber angesichts des inzwischen Erfahrenen wirkt dieses Wunschbild heute eher exotisch als utopisch. Trotzdem ist der theoretische Vergleich «technischer» und «kapitalistischer» Weltsichten spannend: Qualität gegen Quantität, Kooperation statt Konkurrenz, Gemeinsinn statt Egoismus. Das könnte auf Alternativen hinweisen. Auch die Konsequenzen unbegrenzter Modernisierung werden benannt: «Der Automat ist das Ende der Technik, die Idee des Automaten vernichtet die Idee des technischen Menschen» - und dessen Lebensziel, «das baumeisterliche Erlebnis, die baumeisterliche Tat». Wenn wir die Technokratie nur negativ sehen, mahnt Arno Bammè im Nachwort, blenden wir aus, dass Expertenwissen in einer hochkomplexen Gesellschaft unabdingbar ist. Stattdessen wäre zu fragen, «wie parlamentarische Demokratie, Basisdemokratie und Expertenkompetenz in ein institutionell ausbalanciertes Verhältnis gebracht werden können.»