140 Seiten
19,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1261-2
(Februar 2018)
Die Notenbanken der großen Industrieländer haben auf die Finanzkrise mit einer extrem expansiven Geldpolitik reagiert. Für viele Beobachter unbekannt war und ist die rigorose Niedrigzinspolitik. Aber auch die theoretischen und konzeptionellen Debatten haben sich auf neues Terrain begeben. Insbesondere die umfangreichen Aufkäufe von Staatsanleihen, einem zentralem Instrument der neuen Geldpolitik, haben eine höchst vielfältige und kontroverse Debatte ausgelöst. Wolfgang Krumbein argumentiert in diesem Buch, dass diese Debatten trotz aller Neuerungen noch nicht die ganze Tragweite dessen erfasst haben, was sich an möglichen Folgerungen in geldpolitischer Theorie und Praxis ergeben könnte; dies gilt insbesondere in Bezug auf Weiterungen im Gefolge der jetzt schon partiell betriebenen Staatsfinanzierung.
In einem ersten geldtheoretischen Teil kritisiert Krumbein sowohl den neoklassisch ausgerichteten Mainstream als auch viele linke Auffassungen. Hier wird dem Geld eine nur sekundäre Rolle im Wirtschaftsprozess zugeschrieben, was daran hindert, die ganze Bandbreite der mit 'dem Geld' als Handlungsinstrument zusammenhängenden Steuerungsmöglichkeiten zu erfassen.
In einem historischen Teil zeigt der Autor auf, dass Kanada, Japan und Deutschland schon in früheren Jahrzehnten erfolgreich eine pragmatische Geldpolitik betrieben und dabei bewusst auch öffentliche Haushalte finanziert haben. Diese durch ideologische Vorurteile weit weniger als heute behinderte Geldpolitik ist heute völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten.
In den Schlussabschnitten geht es Krumbein darum, die verschiedenen Varianten der heutigen Debatte um eine evtl. Finanzierung von Staatshaushalten durch Notenbanken aufzuarbeiten und weiterzuentwickeln. Der Autor entwickelt konkrete Vorschläge zu möglichen Umfängen und Verfahrensregeln einer Staatsfinanzierung durch Notenbanken.
"Der Göttinger Politikwissenschaftler Wolfgang Krumbein tritt in seiner verständlich abgefassten und für einen größeren Leserkreis bestimmten Schrift "Staatsfinanzierung durch Notenbanken!" genau dafür ein, für eine Finanzierung des Staates durch Notenbanken. Dabei interessieren ihn die derzeit diskutierten juristischen Probleme, also die Fragen, ob eine solche erlaubt sei oder nicht und ob eine indirekte, über den Sekundärmarkt erfolgende Finanzierung genauso zu behandeln sei wie eine direkte Finanzierung, wenig. Er geht von den praktischen Gegebenheiten aus, also davon, dass heutzutage so oder so eine Staatsfinanzierung über die Notenbanken erfolgt. Auf welche Art und Weise diese bewerkstelligt wird, sei unerheblich. Entscheidend sei vielmehr, dass mit Hilfe von Geld und Kredit "Handlungschancen eröffnet werden, die bei einer adäquaten Einbettung in eine umfassende makroökonomische Politik weitreichend sein können" (17). Mit dieser pro-monetären Position grenzt der Autor sich gleichermaßen von neoklassischen wie von traditionellen marxistischen Positionen ab, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, dem Geld gegenüber der Realökonomie eine nachrangige Stellung zuzumessen. Diese "Fehleinschätzung" der Rolle des Geldes verbaue vielen Ökonomen den Zugang zu einer effizienten Wirtschaftspolitik und führe zu einer Blockierung von Handlungsoptionen. Bei der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung handele es sich um "ein güterwirtschaftliches und geld- und kreditwirtschaftliches System". Folglich seien "Entwicklungen im Finanzbereich gegenüber güterwirtschaftlichen Prozessen keineswegs als sekundär einzustufen" (26). Diese in ihrer Polemik gegenüber fragwürdigen Charakteristika des Kapitalismus, zum Beispiel als "Schuldenökonomie", durchaus schlüssige Argumentation gleitet dann theoretisch jedoch in eine Position der Modern Monetary Theory (MMT) über, wie sie Mitchell, Wray, Mosler, Ehnts und andere vertreten. Danach seien die Notenbanken "Bestandteil des Staates" (19) und würde eine unbegrenzte Staatsfinanzierung durch die Notenbanken kein Problem darstellen, vielmehr "verlöre die 'Staatsverschuldung' fast alle ihr zugeschriebenen Schreckensmerkmale" (34). In diesem Kontext kommt auch der Gedanke einer Streichung der Staatsschulden ins Gespräch (42). Dabei wird übersehen, dass es sich bei der Geldschöpfung wie bei der Streichung von Schulden um bilanzielle Vorgänge handelt. Die Gegenseite muss also mitbedacht werden! Bei Krumbein überwiegt eine einseitige, die "Chancen" des Geldes als "Handlungsinstrument" betonende Sicht. Es fehlt aber ein Hinweis auf die damit verbundenen Risiken und Gefahren. Dies gilt auch für die drei historischen Beispiele einer Staatsfinanzierung (Deutschland, Kanada und Japan), die allesamt das Problem nur von der positiven Seite aus angehen, die negativen Wirkungen, die mit einer Staatsfinanzierung durch die Notenbanken verbunden sein können und es tatsächlich auch waren, werden dagegen ausgeklammert. Unbedingt zu begrüßen ist, dass der Autor nicht in den üblichen Kontroversen des ökonomischen Diskurses steckenbleibt, sondern aus politikwissenschaftlicher Sicht herausarbeitet, dass heute eine "neue Problemkonstellation" entstanden ist, die sich durch geringes Wirtschaftswachstum, niedrige Inflationsraten und einen hohe Staatsverschuldung auszeichnet (102). Krumbein diskutiert die neuen Handlungsmöglichkeiten, die sich hieraus ergeben. Er lässt jedoch keinen Zweifel daran, welcher Option er den Vorzug gibt. Für ihn besitzen ein (indirekter) Schuldenerlass durch die Notenbanken, ein "vollständiger Tilgungsverzicht, gekoppelt mit einem Verzicht auf Zinszahlungen" und die Umsetzung der Idee des sogenannten "Helikopter-Geldes" die größte Attraktivität. Alle drei Konzepte entbehren aber einer ökonomisch schlüssigen Erklärung. Sie mögen daher eher Politikwissenschaftler als Ökonomen begeistern. Das Helikopter-Projekt hatte EZB-Präsident Mario Draghi 2016 als "interessantes Konzept" bezeichnet. Im Buch wird diese Aussage unterstützend zitiert. Es könnte aber auch als höfliche Distanzierung gemeint gewesen sein. Die Deutsche Bundesbank hält jedenfalls nichts davon. Und die übergroße Mehrheit der Ökonomen auch nicht. Als "linke" Autorität im ökonomischen Meinungsstreit wird zu guter Letzt Sahra Wagenknecht zitiert. Von ihr stammt die Anregung, die Notenbanken sollten als "Staatsfinanziers" fungieren, da sie "Geld auch ohne Kredit in Umlauf bringen" können (109). Krumbein ist erstaunt darüber, dass dieser "nicht eben unspektakuläre Vorschlag" unter Ökonomen bisher kaum Resonanz gefunden hat. Warum wohl?! Die Bundesbank hat demgegenüber 2016 und 2017 dargelegt, wie sich der Geldschöpfungsprozess tatsächlich vollzieht und dass auch die Geldemission der Zentralbank in der Regel an eine Kreditvergabe gekoppelt ist. Diese Darlegungen spielen hier jedoch keine Rolle. Sie sind nicht einmal im Quellenverzeichnis genannt. Dabei lesen sie sich wie eine Klarstellung irrtümlicher Annahmen über die Geldemission. Der Vorschlag des Autors, "das Vorhaben einer Staatsfinanzierung durch Notenbanken intensiver als bisher voranzutreiben" (122), dürfte nicht überall auf Zustimmung stoßen.
"Diesem Buch sind schon einmal deshalb viele Leser zu wünschen, da trotz der massiven Käufe von Staatsanleihen durch Zentralbanken überall auf der Welt, wie Krumbein schreibt, "die wenigen Befürworter [...] insbesondere in Deutschland" in einer "ausgesprochen schlechten Position" sind, da man sich "nicht nur im Gegensatz zur breiten öffentlichen Meinung" befindet, sondern auch "im gewerkschaftlichen und linken Lager kaum Unterstützung" findet.
Krumbein formulierte diese Zitate allerdings im Präteritum. Während es sicher leichter geworden ist, über das Thema "monetäre Staatsfinanzierung" zu reden, gilt es jedoch weiterhin einen Zustand zu beklagen, den Krumbein wie folgt beschreibt: "Ihre Gegner hatten sich eine rundum gut abgesicherte Position verschafft: Vielfältige institutionelle Regelungen untersagen sie formell, öffentliche und wissenschaftliche Debatten darüber fanden kaum statt, politische Kräfte befassten sich nicht mit dieser verpönten Form der Haushaltsfinanzierung." In seinem Buch finden sich viele gute Argumente, die es erlauben, diese leider noch immer vorherrschende Position begründet infrage zu stellen. Da er sich auch mit den Hintergründen dieser Position beschäftigt, regt die Lektüre seines Buches möglicherweise auch denjenigen "Linken" zum Nachdenken an, die die Politik der EZB massiv kritisieren und die Klage der Fraktion der Partei "Die Linke" vorm Bundesverfassungsgericht gegen das OMT-Ankaufprogramm durch die EZB noch immer für richtig halten. Möglicherweise lässt sie die Lektüre des Buches erkennen, dass sie der neoklassischen Mär von der Neutralität des Geldes aufgesessen sind und sich damit, wie der explizit von Krumbein kritisierte Joachim Bischoff, ins "analytische Niemandsland" manövriert haben? Das Buch kann aber auch denjenigen zur Lektüre empfohlen werden, die bereits erkannt haben, dass Geld und Kredit ein bedeutsames Steuerungsmittel in den Händen eines am Gemeinwohlinteresse orientierten Staates ist. Interessant sind insbesondere die von ihm diskutierten historischen Beispiele einer Staatsfinanzierung in Kanada und Japan in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, deren Folgen er für Japan wie folgt resümiert: "Japan konnte bei geringen Inflationsraten in den Jahren von 1932 bis 1936 eine durchschnittliche Wachstumsrate des BIP von 6,1 % aufweisen"."Herr Krumbein, die Notenbanken haben mit ihrer Niedrigzinspolitik infolge der globalen Wirtschaftskrise von 2008 viele Kritiker auf den Plan gerufen. Und zwar von rechter, liberaler und linker Seite. Zu Recht?
Zu Unrecht. Die Niedrigzinspolitik war überall zur Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise notwendig. Heute ist sie mindestens in Europa und Japan weiterhin unverzichtbar. Das übersehen viele Kritiker. Man muss allerdings beachten, dass sich die Kritik nicht nur gegen die Niedrigzinspolitik wendet. Für Rechte und mehr noch Liberale ist es untragbar, dass die EZB Markteinflüsse auf die Zinsbildung umgeht. Für dieses Lager spielt insgeheim aber noch die Verletzung eines spezifischen Interesses eine Rolle: Die niedrigen Zinsen machen eine Geldanlage in sichere Staatsanleihen unattraktiv. Das war jahrzehntelang für große Teile der Begüterten - weniger der kleinen Leute - die bevorzugte Anlageform. Anders muss man die linke Kritik beurteilen.
Sehen wir da näher hin. Viele Linke verdammen die ultralockere Geldpolitik. Woran liegt das?
Ihnen ist die EZB als solche höchst suspekt. Das liegt maßgeblich an der Beteiligung der EZB an der unsäglichen Griechenlandpolitik der EU. Die Kritik daran ist auch völlig berechtigt. Was dabei aber übersehen wird, ist die Innovationskraft der EZB-Politik rund ums Geld. Sie hat historisch niedrige Zinsen eingeführt, insbesondere aber auch mit der indirekten Staatsfinanzierung durch den Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt große fortschrittliche Pflöcke eingeschlagen. Die Kritik von linken Theoretikern - weniger von politischen Praktikern - an dieser neuen Geldpolitik ist weitestgehend unbegründet, die EZB-Politik wird inhaltsleer zum Beispiel als »irre« abqualifiziert.
Michael Schlecht, der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, hat die EZB-Politik als irre bezeichnet, weil »sie versucht, einen Brand mit heißer Luft zu löschen.« Warum ist diese Kritik unbegründet?
Aus drei Gründen. Erstens geht Schlecht wie viele andere linke Theoretiker immer noch von einer ultraorthodoxen Kapitalismus-Theorie aus, in der die Produktionsseite allein maßgeblich ist. Die Austausch- und Geldseite sei demgegenüber sekundär. Mit einer solchen These kann man die Totalität des heutigen Kapitalismus analytisch nicht erfassen. Und zweitens macht die EZB viel mehr als nur Griechenlandpolitik. Immer wieder wird übersehen, dass in der neuen Geldpolitik, speziell dem Aufkauf von Staatsanleihen, ein riesiges Steuerungspotenzial schlummert, das im Rahmen einer alternativen Wirtschafts- und Sozialpolitik von großem Nutzen sein könnte. ..."