248 Seiten
29,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1193-6
(Februar 2016)
Register
Die makroökonomische Theorie ist nach Finanz- und Eurokrise wieder in die Kritik geraten. Wissenschaft und Öffentlichkeit sind darüber zerstritten, ob und in welche Richtung theoretische und wirtschaftspolitische Konzepte reformiert werden sollen - oder ob ein "Zurück zu Keynes" der richtige Weg ist.
Muss die Volkswirtschaftslehre ihr Gleichgewichtsdenken überwinden, um Krisen verstehen zu können? Soll man gesamtwirtschaftliche Vorgänge wieder stärker aus der Perspektive individueller Entscheidungen analysieren - oder übersieht man gerade dadurch makroökonomische Problemfelder? Verhalten sich die Menschen überhaupt rational - oder braucht man mehr wirtschaftspsychologische Erkenntnisse? Muss man Finanzmärkte und Banken in die Makromodelle einbauen?
Das vorliegende Buch beantwortet diese Fragen auf der Basis einer theoriegeschichtlichen Revue von Wicksell, Hayek und Keynes über Friedman, Lucas und Sargent bis zu Woodford, dessen Ansatz den heutigen Mainstream repräsentiert. Es zeichnet den Wandel der makroökonomischen "Weltbilder" nach und erklärt ihre Struktur mit einfachen formal-theoretischen Modellen. Es bezieht eine eigenständige Position in der wissenschaftlichen Debatte und legt die Schwächen der verschiedenen makroökonomischen "Schulen" ebenso offen wie diejenigen ihrer Kritiker.
"Die Thematik dieses Buches befasst sich mit gewichtigen Theorien und Kontroversen in der monetären Makroökonomik seit rund hundert Jahren. Die Darstellung bedient sich im wesentlichen der folgenden drei Bausteine: eines Rahmens, der die Diskussion über den vielfach beklagten Reputationsverlust der Makroökonomik aufgreift, eines teilweise lehrbuchhaften Abrisses theoriegeschichtlicher Debatten und einer Einschätzung derselben seitens des Autors, die in einen schlussfolgernden Ausblick mündet. Der Rahmen knüpft an dem nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den Wirtschaftswissenschaften artikulierten Unbehagen über die Tauglichkeit der heutigen Makroökonomik an, insbesondere wenn es um die Prognose und Erklärung aktueller Probleme, wie etwa die Finanzmarktkrise, geht. Der Autor nimmt hier eine mittlere Position ein. Einerseits weist er zu Recht darauf hin, dass sich viele Phänomene der Turbulenzen auf den Finanzmärkten und im Euroraum durchaus mit dem vorhandenen Instrumentarium zielführend analysieren lassen. Andererseits hält er bestimmte Streitpunkte doch für diskussionswürdig, namentlich die Gleichgewichtstheorie, das Rationalitätsprinzip, die mikroökonomischen Optimierungskalküle sowie eine unzureichende Interpretation real- und finanzwirtschaftlicher Aspekte. Diese Kontroversen können nach Ansicht von P. Spahn jedoch "nur vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Fortschritts in der Volkswirtschaftslehre sinnvoll diskutiert werden" (S. 21). Damit ist ein zentrales Anliegen des Buches angesprochen, nämlich die Darstellung volkswirtschaftlicher Lehrmeinungen von Wicksell über Keynes und Friedman bis hin zu Woodford. ...
Abweichend jedoch von der üblichen Lehrbuchliteratur greift ein 5. Kapitel die eingangs erwähnten "methodischen Streitpunkte" wieder auf und widmet ihnen immerhin rund dreißig Seiten. Dieses Kapitel stellt dann schon eher die Innovation des Buches dar. Es ist meistens ohne die vorangegangenen Kapitel verständlich. Von der Systematik her betrachtet hätte man einige der in diesem 5. Kapitel diskutierten Ansätze eigentlich in dem theoriegeschichtlichen Überblick erwartet, wie etwa die Darstellung des Behaviorismus oder der Agent-based Computational Economics. So aber bestärkt dies den bereits geäußerten Eindruck zweier im wesentlichen unverbundener Teile des Buches, nämlich einer Geschichte volkswirtschaftlicher Lehrmeinungen in Form einer Vorlesung einerseits und einer Auseinandersetzung mit der Forderung "Die Volkswirtschaftslehre neu denken" andererseits.
Der Diskurs im 5. Kapitel ist insgesamt gesehen überzeugend geschrieben und kann als gelungen bezeichnet werden, ohne damit notwendigerweise eine Zustimmung zu jedem Argument zu signalisieren. Vielleicht hätten die Ausführungen zum Gleichgewichtsgedanken in der Makroökonomik noch stärker herausarbeiten können, dass kaum ein Makroökonom der Ansicht ist, eine real existierende Volkswirtschaft habe sich jemals in einem Gleichgewichtszustand befunden, sondern dass es sich vornehmlich um einen methodischen Kunstgriff handelt, um Änderungen makroökonomischer Variablen auf Grund exogener Störungen isoliert zu analysieren, eine Vorgehensweise, die dann ja immer noch hinterfragt werden mag. Des weiteren überzieht der Autor seine Kritik an Überlegungen, welche die Bedeutung (gesellschaftlicher) Normen hervorheben, sie seien "nicht überzeugend" (S. 194). Denn beispielsweise schrecken Unternehmen sehr wohl vor eigentlich rational begründbaren Maßnahmen wie gegebenenfalls Nominallohnsenkungen zurück, weil sie Verhaltensnormen ("so etwas tut man nicht") verletzen und deshalb Reputationseinbußen mit wirtschaftlichen Konsequenzen befürchten müssen. Dafür gibt es empirische Evidenz. Nebenbei bemerkt stellt diese Verhaltensmaxime den Grundgedanken der Insider-Outsider-Theorie dar. Die Macht der Outsider resultiert unter anderem daraus, dass Unternehmen keine "Lohnunterbieter" gegen bereits Beschäftigte austauschen. Schließlich hätten die Ausführungen zur Finanzmarktkrise stärker auf deren Auslöser hinweisen können, nämlich den Druck der US-amerikanischen Politik, unteren Einkommensschichten unbedingt zu Hauseigentum zu verhelfen. Zum Schluss seiner durchaus verdienstvollen Darlegungen wäre es höchst willkommen gewesen, wenn P. Spahn seine Erörterungen mit einem Vorschlag zur Neuorientierung der Makroökonomik gekrönt hätte. Leider beschränkt sich seine Empfehlung auf den "Verzicht auf die Mikrofundierung als Regelanforderung für die Makrotheorie" (S. 217). Wie diskussionswürdig dieser Hinweis auch immer sein mag, auf jeden Fall wäre eine genauere Beschreibung des Makromodells, welches P. Spahn vorschwebt, erfreulich gewesen. So aber beendet man die insgesamt befriedigende Lektüre etwas unbefriedigt."
Spannende Zeitreise
Eine kleine Geschichte makroökonomischen Denkens
Seit dem Ausbruch der Finanzkrise ist die Wirtschaftswissenschaft und hier vor allem die gesamtwirtschaftliche Theorie (Makroökonomie) unter Beschuss geraten. Vier Kritikpunkte sind dominierend. Erstens wird das Denken der Ökonomen in Gleichgewichten als untauglich bezeichnet, um Krisen zu verstehen. Zweitens habe die Annahme rationaler Erwartungen der Teilnehmer an das Wirtschaftsleben mit dem tatsächlichen Verhalten der Menschen nichts zu tun. Drittens führe der Versuch der modernen Makroökonomie, ein Fundament auf die Theorie einzelwirtschaftlicher Entscheidungen (Mikroökonomie) zu bauen, zu wirklichkeitsfremden und schwer verständlichen Modellen. Und viertens unterschätzen moderne makroökonomische Modelle eklatant die Bedeutung von Geld und Finanzmärkten.
Was ist an dieser Kritik dran? Peter Spahn, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hohenheim, vertritt die Auffassung, das nur ein Blick auf die Theoriegeschichte der Makroökonomie eine sinnvolle Diskussion der Frage gestattet. Als Makroökonom und Dogmengeschichtler bringt Spahn die Qualifikation für sein Unterfangen mit. Das Ergebnis ist ein sehr kompakt geschriebenes und inhaltsreiches rund 250 Seiten umfassendes Buch in deutscher Sprache, das volkswirtschaftliche Grundkenntnisse und die Bereitschaft erfordert, sich auf makroökonomische Modelle einzulassen. An mehr als einer Stelle wäre etwas mehr Raum für eine weiter ausholende Erklärung hilfreich gewesen, um dem nicht so versierten Leser den Zugang zu erleichertn
Spahn beginnt mit dem Schweden Knut Wicksell, dessen 1898 erschienenes Buch "Geldzins und Güterpreise" in seiner Bedeutung für die Makroökonomie bis heute unterschätzt wird. Wicksell hat viele Ökonomen unterschiedlicher Schulen beeinflusst, darunter auch den heutigen Mainstream. Wicksells zentrale Botschaft war nach Ansicht Spahn, dass die Vergabe von Bankkrediten den Zusammenhang von Ersparnis und Investition entscheidend verändert.
Eine vollständige gesamtwirtschaftliche Theorie entwickelte der Schwede allerdings nicht; sie verbindet sich zuerst mit dem Namen John Maynard Keynes. Spahn gibt dem Werk des berühmten Briten viel Platz und zeigt damit unter anderem seine Vielschichtigkeit. Sehr zu loben ist, das er eng an den Originaltexten - des Buches "Vom Gelde" (1930) und der "Allgemeinen Theorie" (1936) - vorgeht.
Anschließend arbeitet sich der Autor durch die Theoriegeschichte. Besonders interessant wird die Auseinandersetzung mit der modernen makroökonomischen Theorie, wie sie heute in den Lehrbüchern zu finden ist. Der Grundgedanke der neuen Theorie besteht darin, "die seit Jahrzehnten gepflegte Konvention einer Abgrenzung zwischen Konjunktur- und Wachstumstheorie aufzugeben" und durch eine Wachstumstheorie zu ersetzen, in der unvorhersehbare Datenänderungen eine wichtige Rolle spielen. Durch das Standardmodell läuft ein Robinson Crusoe, der repräsentativ für die Menschen steht, und versucht, seine wirtschaftlichen Alltagsprobleme in einer unsicheren Welt zu lösen. Das wurde als ein großer Fortschritt verstanden, weil dadurch formal die Verbindung von einzelwirtschaftlichem und gesamtwirtschaftlichem Denken möglich erschien. Dieses Grundmodell wurde in den vergangenen Jahrzehnten zwar erheblich angereichert, aber Spahn stellt trocken fest, dass die neue Form des Arbeitens dazu führte, dass die neue Theorie offenkundige empirische Fakten wie die Reaktion der Wirtschaftsleistung und der Beschäftigung "auf geldpolitische Impulse noch weniger als zuvor erklären konnte".
Dennoch sei ein nicht geringer Teil der teils scharfen Kritik an der heutigen makroökonomischen Theorie nicht gerechtfertigt, kommentiert Spahn. Die Kritik beruhe zu einem großen Teil auf Missverständnissen. "Gleichgewichtstheorie bildet geradezu den Kern der Volkswirtschaftslehre", schreibt der Verfasser. Das seit den achtziger Jahren betriebene "Projekt einer mikrofundierten Makroökonoie ist als groß angelegter Versuch einer Synthese zu werten, die prinzipiell einen richtigen Werg einschlägt".
Aber auch wer sich auf einem prinzipiell richtigen Weg befindet, kann die Orientierung verlieren. Spahn sieht eine Schwäche der heutigen makroökonomischen Theorie in einem "vor einem erheblichen Konformitätsdruck" beeinflussten Drang, immer komplexere Modelle zu entwickeln, die zwar in sich formal schlüssig seien, aber dafür einen Mangel an Realitätsnähe aufwiesen. In diesem Zusammenhang sieht Spahn den Einbau von Friktionen an Finanzmärkten in traditionelle Modelle kritisch, denn diese würden dadurch noch komplexer. Wobei Spahn das Thema selbst für sehr wichtig hält: "Gesamtwirtschaftliche Stabilitätsprobleme drohen aber vor allem vom Finanzmarkt." Ablehnend äußert sich der Stuttgarter Ökonom gegenüber der Neigung, die ökonomische Theorie durch Ausflüge in die Psychologie zu ergänzen.
Wo könnte eine Lösung liegen? In einfacheren Modellen, antwortet Spahn, der vor allem den Verzicht auf den Zwang meint, jedes Modell mikroökonomisch zu unterlegen. Dies "eröffnete die Möglichkeit, Interdependenzen zwischen verschiedenartigen gesamtwirtschaftlichen Problemfeldern (Kreditblasen, Variationen der "natürlichen Raten" bei Arbeitslosigkeit, Produktion und Zins) in noch transparenterer Weise herauszuarbeiten." In theoretischer Hinsicht spreche vieles dafür, das in früheren Jahrzehnten stärker diskutierte Thema der Zusammenhangs zwischen Einkommensverteilung, Kredit- und Güternachfrage wieder aufzugreifen. Ob die Theorie diesen Weg gehen wird, ist offen. Aber darüber nachdenken kann man sehr wohl - ebenso wie über Spahns Feststellung, dass viele wirtschaftspolitische Fehlleistungen der jüngeren Vergangenheit im Widerspruch zu Folgerungen aus dem oft verdammten makroökonomischen Mainstream standen.