262 Seiten
18,00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1405-0
(September 2019)
Der hohe Ressourcenverbrauch und die Emissionen unseres Wirtschaftens sprengen die planetaren Grenzen. Trotzdem halten viele in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am Ziel fest, die Wirtschaftsleistung weiter zu steigern. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Wirtschaftswachstum ausreichend Arbeitsplätze schaffen soll.
"Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft" basiert auf folgender These: Wir brauchen eine Relativierung der Erwerbsarbeit, um uns aus der Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum lösen und innerhalb der planetaren Grenzen wirtschaften zu können. Voraussetzung dafür ist eine neue Gewichtung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit sowie ein Umbau der Systeme der sozialen Sicherung und der Besteuerung, die bislang wesentlich auf Erwerbsarbeit beruhen. Auch brauchen wir mehr Zeit, Infrastrukturen und Anerkennung für andere Tätigkeiten als Erwerbsarbeit.
"Mit einer auf Wachstum basierenden Wirtschaft zerstören wir Menschen unsere Lebensgrundlagen. Das wissen wir schon lange - dennoch hören wir nicht damit auf. Einer der Gründe ist, dass es im aktuellen System Wachstum braucht, damit es genügend Arbeitsplätze gibt. Auch unsere Sozialwerke sind vom Wirtschaftswachstum abhängig, denn sie werden über die Erwerbsarbeit finanziert (was mit ein Grund ist, weshalb menschliche Arbeit teuer ist). Für die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt ist klar, dass die Wirtschaft wachstumsunabhängig werden muss und es das Sozialsystem aus seiner starken Abhängigkeit von der Erwerbsarbeit zu lösen gilt. Zudem brauche es ein breiteres Verständnis von Arbeit - eines, das neben der Erwerbs unter anderem auch die Sorge und die Freiwilligenarbeit beinhaltet. Aber viele Fragen sind noch offen, denn die Rolle der Arbeit wurde bisher im Kontext eines Systemwechsels noch kaum debattiert. Deshalb haben die beiden Herausgeberinnen weitere Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen eingeladen, für dieses Buch Zusammenhänge aufzuzeigen und zukunftstaugliche Konzepte vorzustellen. Teilzeitarbeit gehört dazu, eine AHV Revision wie sie jetzt zur Abstimmung steht, definitiv nicht."
Viele umweltfreundliche Verhaltensweisen - wie mit dem Fahrrad statt dem Auto zur Arbeit fahren, selber kochen statt Fertiggerichte konsumieren, oder Dinge reparieren und selber herstellen an Stelle eines Neukaufs - brauchen Zeit. Zeit, welche vielen Menschen nebst Erwerbs- und Sorgearbeit vermeintlich oder effektiv fehlt. In ihrem 2019 im Metropolis-Verlag erschienenen Buch Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft beleuchten die Herausgeberinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt das komplexe Zusammenspiel zwischen Erwerbsarbeit und Tätigkeiten jenseits dieser, sowie Arbeitsproduktivität, Wirtschaftswachstum, unserem Verbrauch natürlicher Ressourcen, und Fragen der sozialen Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Absicherung. Bereits in ihrem früheren Werk Postwachstumsgesellschaft. Perspektiven für die Zukunft (2010 bei Metropolis erschienen) haben die Herausgeberinnen argumentiert, dass ohne Abkehr von einer wirtschaftlichen Wachstumsorientierung der Verbrauch natürlicher Ressourcen unserer Gesellschaft nicht innerhalb der planetaren Belastbarkeitsgrenzen zu halten ist. Eine solche Abkehr sei jedoch nur zu erreichen, wenn zentrale Bereiche und Institutionen unserer Gesellschaft und Wirtschaft so umgestaltet werden, dass diese auch wachstumsunabhängig funktionieren können.
Das nun erschienene Buch Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft rückt Erwerbsarbeit in den Fokus, da Erwerbsarbeit aus Sicht der Herausgeberinnen ein wesentlicher Treiber des Wirtschaftswachstums, und damit des ungebremsten Verbrauchs natürlicher Ressourcen mit entsprechenden Folgen für Umwelt und Klima ist. Erwerbsarbeit, so argumentieren sie im einleitenden ersten Kapitel, nimmt einen zentralen Stellenwert in unserer Gesellschaft ein: Möglichkeiten der individuellen Sicherung der materiellen Existenz, der sozialen Teilhabe, aber auch des individuellen Konsums und Wohlbefindens hängen von Erwerbsarbeit und dem damit verbundenen Erwerbseinkommen ab. Aber auch die Finanzierung unserer Sozialwerke basiert aktuell zu einem maßgeblichen Teil auf direkten und indirekten Abgaben aus Erwerbsarbeit. Das Ziel der Vollbeschäftigung dominiert deshalb die politischen und wirtschaftlichen Debatten. Dieses Ziel der Vollbeschäftigung ist jedoch, angesichts der anhaltenden Steigerung der Arbeitsproduktivität durch technologischen Fortschritt, nur durch stetig steigenden Konsum, d.h. Wirtschaftswachstum zu erhalten. Die Herausgeberinnen legen dem Buch deshalb folgende These zu Grunde: "Soll sich unsere Gesellschaft aus der Fixierung auf Wirtschaftswachstum und Erwerbsarbeitsplätze lösen, muss das Erwerbsarbeitssystem umgebaut werden" (S. 13). Klassische Erwerbsarbeit müsse sich zugunsten von Tätigkeiten der Eigenarbeit, Sorgearbeit und Gemeinnützigkeit verschieben, bei gleichzeitiger Umgestaltung der Sozialsicherungssysteme.
Dieses erste, einleitende Kapitel gibt einen verständlichen thematischen Überblick. Die Herausgeberinnen stellen die komplexe Verknüpfung von Erwerbsarbeit und Wachstum dar, zeigen aktuelle Herausforderungen der Erwerbsarbeit auf, plädieren für ein umfassenderes Verständnis von Arbeit auch im Sinne von nichterwerblichem Tätigsein und präsentieren erste Ansatzpunkte und Rahmenbedingungen für ein neues Verständnis von Tätigsein in einer wachstumsunabhängigen Gesellschaft. Es folgen danach vier thematische Bereiche unterschiedlicher Autor*innen:
Der erste Buchteil startet mit grundlegenden Einblicken ins Thema Erwerbsarbeit: Andrea Komlosy zeichnet die Entstehung unseres aktuellen Verständnisses von bezahlter und mittels sozialer Sicherheit verbundener Erwerbsarbeit aus historischer Sicht nach. Ernst Fritz-Schubert geht auf die Rolle von Bildung in Bezug auf den Wertediskurs ein, welcher für eine gesellschaftliche Neuorientierung in Bezug auf Erwerbsarbeit nötig ist. Stefanie Gerold argumentiert, dass es im Rahmen einer Postwachstumsgesellschaft eine drastische Verkürzung der Erwerbsarbeit brauche, an deren Stelle eine Vielfalt neuer Möglichkeiten der Existenzsicherung und Teilhabe entstehen müssen.
Der zweite Teil des Buches beleuchtet die Rolle verschiedener Akteure für einen entsprechenden Wandel der Erwerbsarbeit: Corinna Fischer und Immanuel Stieß machen sich auf die Suche nach alternativen Konsumformen des Teilens, gemeinsam Nutzens und des kollaborativen Konsums. Gerrit von Jorck und Ulf Schrader sehen einen großen Gestaltungshebel für Unternehmen im Sinne neuer Arbeitszeitregimes und Arbeitsorganisationen. Norbert Reuter beleuchtet die Rolle der Gewerkschaften und Theo Wehner argumentiert, dass in einer Gesellschaft mit verkürzten Erwerbsarbeitszeiten gemeinnütziges Tätigsein einen größeren Stellenwert einnehmen wird.
Der dritte Teil des Buches ist konkreten Bereichen gewidmet, in welchen ein entsprechender Wandel besonders relevant sein wird. So argumentiert Jonas Hagedorn, dass sich im Bereich der Sorgearbeit die Arbeitsproduktivität nicht im gleichen Maße steigern lässt, wie in anderen Produktionsbereichen, wodurch formale Sorgearbeit einem stetig steigenden Kostendruck ausgesetzt wird. Der Bereich der Sorgearbeit wird in Zukunft in besonderem Maße auf neue Konzepte des Tätigseins angewiesen sein. Ein ähnliches Problem stellt sich der ökologischen Landwirtschaft, wie Franz-Theo Gottwald, Irmi Seidl und Angelika Zahrnt darlegen. Diese ist besonders arbeitsintensiv, gleichzeitig würde ein Ausbau vielfältige, anspruchsvolle und sinnstiftende Tätigkeiten für mehr Menschen bieten. Nicht zuletzt wird sich Erwerbsarbeit durch die Digitalisierung stark verändern. Linda Nierling und Bettina-Johanna Krings argumentieren, dass es eine soziale Gestaltung der derzeitigen digitalen Entwicklung brauche, wenn ihr Potential für neue Formen des Tätigseins genutzt werden soll.
Der letzte und vierte Teil des Buches widmet sich Fragen der Gestaltung des sozio-ökonomischen Kontexts: Gisela Kubon-Gilke schlägt in ihrem Beitrag zwei mögliche Alternativen vor, wie die soziale Sicherung auch unter der Annahme ausbleibender Wachstumsraten gewährleistet werden könnte. Angela Köppl und Margit Schratzenstaller widmen sich der Frage, wie das öffentliche Steuer- und Abgabesystem unabhängiger von Einnahmen aus Erwerbsarbeit gestaltet werden könnte. Und im letzten Beitrag wird von Georg Stoll der Fokus des Buches auf die Situation in Entwicklungs- und Schwellenländern erweitert. Die dort völlig verschiedene Ausgangslage, mit formellen Erwerbsarbeitsverhältnissen als Ausnahme und ungesicherten informellen Arbeitsverhältnissen als weit verbreitete Realität, rückt insbesondere Fragen der sozialen Gerechtigkeit und internationalen Abhängigkeiten in den Mittelpunkt.
Die theoretisch-konzeptuell verfassten Beiträge des Buches geben aufschlussreiche Einblicke in die komplexen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Erwerbsarbeit. In einem ersten Moment lassen sie einen zwar mit vielen offenen Fragen zurück, ein Synthesekapitel hätte hier vielleicht nochmals die wichtigsten Aspekte im Gesamtkontext verorten und hervorheben können. Auch würde man sich aus psychologischer Sicht teilweise eine vertiefendere Unterlegung der Argumentation durch empirische Studien wünschen. Gleichzeitig liegt darin, dass sich das Buch auf konzeptuelle Argumentationen stützt und auf eine zu starke Vereinfachung verzichtet, aber auch sein Wert, auch für Leserinnen und Leser aus der Umweltpsychologie. Das Buch ist damit insbesondere für Leser*innen empfehlenswert, welche sich mit dem größeren gesellschaftlichen Kontext umweltrelevanten Handelns auseinandersetzen und insbesondere die Zusammenhänge zwischen umweltfreundlichem Konsum, Zeit, Einkommen und Arbeit vertiefen möchten. Hier bietet das Buch mögliche Inspirationen für umweltpsychologische Untersuchungen, Fragestellungen wie auch ein erweitertes Verständnis des Gegenstandbereichs umweltrelevanten individuellen Handelns (wie z.B. alternative Konsumformen, freiwilliges Engagement, ökologischer Landbau). So könnte beispielsweise untersucht werden, welche Rolle Werte und Einstellungen in Bezug auf ressourcenleichte Tätigkeiten spielen und wie sich solche wiederum aufs subjektive Wohlbefinden auswirken. Aber auch, wie sich eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit auf das Umweltverhalten von Menschen auswirken würde, oder wie symbolische Funktionen von Konsum - wie beispielsweise Identität, aber auch soziale Teilhabe - mit ressourcenleichten Tätigkeiten befriedigt werden könnten, und nicht zuletzt Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz der im Buch vorgeschlagenen Maßnahmen zur Umgestaltung der Besteuerung und Finanzierung von Arbeit versus Umwelt, könnten Inhalt für psychologische Untersuchungen bieten.
Nicht zuletzt ermöglicht das Buch ein besseres Verständnis über die Einbettung individuellen umweltfreundlichen Handelns in dessen größeren gesellschaftlichen Kontext und der damit verbundenen Möglichkeiten und Grenzen (z.B. zeitlicher und finanzieller) individueller Handlungsspielräume. Ein geschärftes Bewusstsein über die Rollen von Erwerbsarbeit, Einkommen und Konsum in Bezug auf unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme und ihre entsprechenden ökologischen Folgen ist letztendlich unabdingbar, um auch in der Umweltpsychologie die relevanten Fragen zu stellen, wie unser Verbrauch natürlicher Ressourcen letztendlich gesenkt werden kann.
Irmi Seidl und Angelika Zahrnt identifizieren in ihrem Sammelband die herkömmliche Erwerbsarbeit als zentrale Wachstumstreiberin. Zusammen mit der stetigen Steigerung der Arbeitsproduktivität, die bei gleichbleibender Wirtschaftsleistung und ohne fortlaufende Arbeitszeitverkürzung zu einem Wegfall von (Erwerbs-)Arbeitsplätzen führen würde, und dem zunehmenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung, der Versorgungs- und Gesundheitsleistungen in die Höhe treibt, entstehe so durch und für die Erwerbsarbeit ein starker, anscheinend unbezähmbarer Wachstumsimpuls. Und das, während sie gleichzeitig als zentrale Quelle sozialer Sicherung dienen soll und auf den technischen, ökologischen und gesellschaftlichen Strukturwandel reagieren muss.
Den engen Arbeitsbegriff erweitern Seidl und Zahrnt nun zum umfassenden Konzept des "Tätigseins", das die vielfältigen Formen bezahlter und unbezahlter Arbeit umfasst und neben marktwirtschaftlicher Äquivalenz auch Reziprozität und sogar Uneigennützigkeit als Koordinationsmechanismen kennt und nutzt. Natürlich ist diese Begriffserweiterung per se noch kein Lösungsangebot. Deswegen werden die Vielfalt der Arbeitsformen und ihre Konsequenzen für die angestrebte Postwachstumsgesellschaft in ihren unterschiedlichen Facetten und Wechselwirkungen in 13 weiteren Beiträgen untersucht. Dabei werden grundlegende Überlegungen zum historischen Wandel von Arbeit und zu den Besonderheiten der gegenwärtigen Situation ebenso thematisiert wie die Wertorientierung beim Tätigsein in einer künftigen Postwachstumsgesellschaft und die Neubewertung von Arbeit in ihren vielfältigen, teils noch konzeptionellen, teils bereits praktizierten Formen, die von den Menschen häufig parallel oder auch abwechselnd ausgeübt werden.
Eine solche "Mischarbeit" bedeutet natürlich, dass die derzeit starke Abhängigkeit sozialer Sicherung von der bis heute dominierenden Erwerbsarbeit verringert werden muss. Dabei kann eine präventive Sozialpolitik, die auf gleichmäßigere Vermögensverteilung, eine sozial ausgestaltete CO2-Besteuerung und die Förderung genossenschaftlicher Organisationformen sowie von Gewinnbeteiligung setzt, gute Dienste leisten. Ebenso können Änderungen der Finanzierungs- und Anspruchsbasis der sozialen Sicherung, zum Beispiel die Einbeziehung der auf Reziprozität angelegten Tätigkeitsbereiche als zusätzliche Säule sozialer Sicherung, hilfreich sein - neben traditioneller Sozialversicherung, betrieblicher Alters- und Gesundheitsversorgung sowie staatlich geförderter Vermögensbildung und staatlich geförderten privaten Rentenverträgen. Hingegen können Finanzierungserfordernisse beim unbedingten Grundeinkommen (und bei der "negativen Einkommensteuer") politische Anreize für Wirtschaftswachstum als Basis für hohes Einkommen setzen, damit dafür hohe Steuereinnahmen erzielt werden.
Wie die Sicherung der Versorgung im Alter und bei Krankheit für die verschiedenen Akteure und Bereiche des Tätigseins auch jenseits der Erwerbsarbeit gestaltet werden kann, dafür gibt dieser Band viele Anregungen und Denkanstöße. Sie fügen sich noch nicht zu einem geschlossenen Konzept, aber sie verweisen darauf, wie dringend das weitere Tätigsein in diesem Themen- und Praxisfeld ist.
Wirtschaftswachstum gilt nach landläufiger Auffassung als Garant für Wohlstand und Prosperität in einer Gesellschaft. Wenn die Produktion wächst, die Beschäftigung hoch ist und die Konsumnachfrage steigt, dann scheint die Welt in bester Ordnung zu sein. Allerdings wird mit dieser Sichtweise ausgeblendet, dass unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt nicht möglich ist. Der hohe Ressourcenverbrauch und die Emissionen als Folge industriellen Wirtschaftens überschreiten die Grenzen des Planeten. Nicht nur in Studien zum Klimawandel kommt diese Grenzüberschreitung deutlich zum Ausdruck. Eine kritische Perspektive zur Wachstumsorientierung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird mit dem Begriff Postwachstum formuliert. Die Kritik richtet sich gegen den Zwang zu wirtschaftlichem Wachstum und die damit verbundene Vorstellung, nur eine wachsende Wirtschaft sorge für ein gutes Leben. Bereits im Jahr 2010 veröffentlichten Irmi Seidl und Angelika Zahrnt das Buch mit dem Titel "Postwachstumsgesellschaft - Konzepte für die Zukunft". Im Kern ging es den Autorinnen und Autoren dieser ersten Veröffentlichung um Konzepte und Erfahrungen für eine Gesellschaft ohne Wachstumszwang. Es wurden neben grundsätzlichen Überlegungen auch konkrete Gesellschaftsbereiche thematisiert, wie Alterssicherung, Gesundheitswesen, Bildung, Steuerpolitik.
In ihrem neuen Buch konzentrieren sich die Herausgeberinnen auf den Zusammenhang von Erwerbsarbeit und Wirtschaftswachstum. Denn eine hohe Beschäftigungsquote ist eines der zentralen Argumente für ein stetiges Wirtschaftswachstum. Eine weit verbreitete Auffassung lautet: Arbeitsplätze würden nur erhalten und neue geschaffen, wenn die Wirtschaft dauerhaft wächst.
Mit dem neuen Buch vertreten die Herausgeberinnen die These, dass das Erwerbsarbeitssystem umgebaut werden müsse, um die Fixierung auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu überwinden. Sie argumentieren, dass das Abgabesystem mit einer hohen Belastung des Erwerbseinkommens dazu beiträgt, die Arbeitsproduktivität zu steigern, um "teure" Arbeit zu ersetzen. Als Reaktion auf drohende bzw. reale Arbeitsplatzverluste werde von der Politik gefordert, Wirtschaftswachstum zu fördern, damit neue Arbeitsplätze entstehen, die wiederum dem Druck der Rationalisierung unterliegen. Um aus dieser ausweglos scheinenden Spirale zu entkommen, wird im Buch das Verhältnis von Erwerbsarbeit und Wirtschaftswachstum und die Bedeutung der Erwerbsarbeit für Existenzsicherung, Sozial- und Steuersystem thematisiert. Es geht den Autorinnen und Autoren um Konzepte und Initiativen für eine Reform der Sozialsysteme, die bislang eng verbunden sind mit einer Wachstumspolitik. Eine hohe Beschäftigungsquote ist entscheidend für die Finanzierung des Sozialstaats. Für die meisten Menschen unserer Gesellschaften hat diese Kopplung eine existentielle Bedeutung. Folglich stellt sich die Frage, wie das Erwerbsarbeits- und Sozialsystem umgebaut werden soll, wenn die Wirtschaftsleistung nicht mehr wächst bzw. aufgrund von strukturellen Veränderungen Arbeitsplätze wegfallen. Die Autorinnen vertreten die Auffassung, dass "die starke Abhängigkeit des Sozialsystems von Erwerbsarbeit verringert werden muss."
Arbeit wird mit der Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert als Erwerbsarbeit, in Geld entlohnte Arbeit, verstanden. Im 21. Jahrhundert erfährt die gut regulierte und an das Sozialsystem gekoppelte Erwerbsarbeit angesichts Deregulierung und Flexibilisierung der Normalarbeitsverhältnisse immer mehr Auflösungserscheinungen. Hinzu kommen Globalisierung und Digitalisierung, die einen Teil der gesicherten Erwerbsarbeit in flexible, prekäre und informelle Arbeitsverhältnisse verwandeln.
Damit werden einerseits die Arbeitsverhältnisse vielfältiger, andererseits gelangt die Beschäftigung in anderen Lebensbereichen in den Blick. Irmi Seidl und Angelika Zahrnt fassen dies - die Erwerbs- und andere Arbeit - unter den Begriff des Tätigseins. Es zeigt: Menschen sind in vielfältiger Weise tätig. Das Tätigsein kann bezahlt und unbezahlt sein, wobei mehr unbezahlte Arbeitsstunden geleistet werden als bezahlte. Die in Geld nicht bewerteten Arbeitsleistungen sind für den sozialen Zusammenhalt und das Funktionieren der Gesellschaft äußerst wichtig. Beim oftmals wohlfeilen Lob des Ehrenamts kommt diese Bedeutung ansatzweise zum Ausdruck.
Tätigsein integriert Erwerbs-, Versorgungs-, Gemeinschafts- und Eigenarbeit im Sinne des Konzepts der Mischarbeit. Diese Perspektive vom "tätigen Leben" (Hannah Arendt) würdigt die vielfältigen alltäglichen Aktivitäten der Individuen und überwindet die Trennung zwischen den jeweiligen Funktionen. Denn Erwerbsarbeit füllt nicht das ganze Leben aus und scheinbar erfüllt sie zunehmend weniger Menschen. Tätigsein dagegen nimmt auch soziale Beziehungen, kulturelle Aktivitäten, Versorgung von Kindern, Pflegeleistungen und vieles mehr in den Blick.
Die zentrale Frage lautet: "Wie kann die Erwerbsarbeitszeit und ihre gesellschaftliche Bedeutung reduziert werden, wie wird diese Reduktion sozialversicherungstechnisch abgefedert und ist ein Lohnausgleich - und in welchem Ausmaß - nötig?"
Es sind Strukturen und förderliche Bedingungen für andere Arbeitsformen als Erwerbsarbeit weiter zu entwickeln. Verschiedene Anreize gibt es bereits, bestimmte Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit auszuführen. Hier sind vor allem Elternzeit und Freiwilligendienste zu nennen sowie die Förderung von Eigen- und Subsistenzarbeit, damit Menschen einen größeren Teil ihrer alltäglichen Versorgung selbst übernehmen können.
Die Autorinnen und Autoren verkennen nicht, dass der Umbau des Sozial- und Erwerbsarbeitssystems eine komplexe Herausforderung und vor allem deshalb schwierig ist, weil Interessen, Besitzstände und Errungenschaften betroffen sind. Ideen für einen großen Wurf, um eine grundlegende, radikale Umstrukturierung des historisch gewachsenen Zusammenhangs von Abgaben- und Sozialsystem voranzubringen, gibt es denn auch (noch) nicht. Weil ein Umbau eher Schritt für Schritt erfolgen muss, beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren des Buches mit dem Prozess der Transformation des bisher eng verknüpften und in Abhängigkeit voneinander stehenden Sozial- und Erwerbsarbeitssystems, das auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist.
Ansätze für den Transformationsprozess bieten der Entwurf eines gerechteren Steuersystems, die finanzielle Absicherung der Menschen über Grundrente und Mindesteinkommen, der Ausbau der sozialen Infrastruktur sowie die Förderung sozialer Beziehungen, über die Tätigsein praktiziert werden kann. Neue Wege eröffnen sich häufig in Nischen, die es zu unterstützen gelte.
Die vierzehn Beiträge in diesem Buch geben wichtige Anregungen und diskussionswürdige Überlegungen, um die bestehende Dominanz der Erwerbsarbeit zu relativieren und neue Möglichkeiten des Tätigseins zu entwickeln und zu fördern. Wirtschaften und Tätigsein innerhalb der planetaren Grenzen ist eine der großen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.
Das lesenswerte Buch liefert Anregungen zum Zurechtrücken des Lebensstils im globalen Norden. Allerdings verliert es sich dabei ein wenig im Kleinklein.
Wenn heutzutage von Arbeit die Rede ist, handelt es sich üblicherweise um bezahlte Erwerbstätigkeit oder um freiberufliche Tätigkeit. Diese Sichtweise hat sich erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt: Als sich die häusliche Familienwirtschaft zur arbeitsteiligen Industriegesellschaft gewandelt hat, wurde die Haus- und Familienarbeit und auch die Selbstversorgung entwertet. Nur die Erwerbsarbeit bildet heute die Grundlage für soziale Absicherung und gesellschaftliche Anerkennung.
Das sollte überdacht werden, argumentieren die beiden Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt. In dem von ihnen herausgegebenen Buch schildern 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie das Leben in Zeiten stagnierenden oder schrumpfenden Wirtschaftswachstums in den Industrieländern weitergehen kann. Den Schwerpunkt legen sie auf die "Gemeinschaftsarbeit", beispielsweise Familien-, Freiwilligen- oder Sorgearbeit, die kaum in die Berechnungen des volkswirtschaftlichen Gesamteinkommens einfließen.
Unter anderem sei das Ökosystem überlastet. Deshalb wäre eine Wende weg von der industriellen Massenproduktion hin zu mehr genossenschaftlichen und gemeinnützigen Arbeitsweisen erforderlich. Insbesondere müssten falsche Anreize bei den Agrarsubventionen abgebaut werden, um dem ökologischen Landbau und einer Diversifizierung der Landwirtschaft mehr Raum zu geben.
Die in dem Buch entwickelten Ideen wirken oft ein wenig kleinteilig. Dass sich Menschen, die ihre Arbeit verlieren oder verkürzen müssen, dem "urban gardening" widmen oder häusliche Reparaturen selbst vornehmen, scheint wünschenswert, ist aber nicht unbedingt realistisch. Zudem dürfte es volkswirtschaftlich kaum eine Rolle spielen, wenn Menschen Gemüse auf ihrem Balkon ziehen. Nur am Rande geht das Buch darauf ein, dass diese Art des Wirtschaftens in einem großen Teil der Welt verbreitet ist. Dass die betroffenen Menschen das oftmals überhaupt nicht erstrebenswert finden und nur aus der Not heraus tun, wird nicht erwähnt. Die "großen Visionen" kommen in dem Buch nicht vor - weder zu einer konsequenten Kreislaufwirtschaft noch zu einer Entwicklung, die alle Teile der Welt mit einbezieht. Auch Gedanken darüber, ob Wachstum grundsätzlich schädlich ist oder ob es auch gutes Wachstum gibt, fehlen.
"Sozialversicherungen werden mit Lohnabgaben finanziert. Löhne steigen mit Wirtschaftswachstum. Letzteres führt zu höherer Umweltbelastung. Erkaufen wir also den Erhalt der Sozialversicherungen mit Umweltzerstörung? Bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir die Umwelt nur schützen können, indem wir die Sozialversicherung gefährden?
Die Herausgeberinnen von "Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft", Irmi Seidl und Angelika Zahrnt, behandeln dieses unterschätzte Dilemma der heutigen formellen Wirtschaft. Sie postulieren im Einleitungsbeitrag, "dass die starke Abhängigkeit des Sozialsystems von Erwerbsarbeit verringert werden muss." In 14 Beiträgen behandeln die Autor/innen des Sammelbandes mehrere Ebenen, übergreifende Zusammenhänge, die Rolle von Akteuren und Beispiele postwachstumstauglicher Tätigkeiten.
Grundlegend herrscht Einigkeit darüber, dass ein Ausbau von ehrenamtlicher und kooperativer (nicht lohnbasierter) Tätigkeit erlaubt, die Bedeutung von Lohnarbeit zu reduzieren. Damit einhergehen würde eine Reduktion von Wachstumsdruck und Armut sowie die Sicherung der Altersbetreuung. Die Artikel zielen jedoch nicht immer in dieselbe Richtung.
So weisen Corinna Fischer und Immanuel Stieß mit Bezug auf Bourdieu daraufhin, dass der (meist auf Lohn basierende) Konsum wichtig für die gesellschaftliche Teilhabe sei. Darunter fällt die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen sowie das Zeigen von Kompetenzen und Werthaltungen. Ein veränderter Zugang zu (Lohn-)Arbeit müsse deshalb auch zukunftsfähige Möglichkeiten des Konsumierens mitdenken. Die ehrenamtliche Tätigkeit als Weg, auch außerhalb der Geldwirtschaft eigene Leistung mit Wertschätzung und sozialer Teilhabe zu verbinden, wird mehrfach angesprochen. Offen bleibt, ob der Rückgang des ehrenamtlichen Engagements in vielen Ländern gerade Ausdruck der seit Jahrzehnten laufenden Ökonomisierung von sozialen Tätigkeiten ist.
Auch zentrale volkswirtschaftliche Fragen werden thematisiert: Arbeitszeitverkürzung, mit oder ohne Lohnausgleich, könne gemäß Norbert Reuter die Wachstumsförderung von Produktivitätsgewinnen brechen. Deren Wirkung auf den internationalen Wettbewerb wird im Beitrag jedoch nur kursorisch angesprochen.
Georg Stoll beschreibt in einem wichtigen Beitrag, wie in Niedriglohnstaaten das Lohnwachstum weithin als zentral angesehen wird, ohne dass vor Ort rechtzeitig erkannt werden könne, wie (Lohn-)Wachstum zur Zerstörung von Natur und von lokalen kulturellen Strukturen führt. Als Gegenbewegung hierzu verweist Stoll auf das lateinamerikanische Konzept des buen vivir. Beispiele aus Landwirtschaft, Sorgearbeit und moderner Digitalarbeit zeigen, wie gemeinschaftliches Tätigsein bereits heute funktioniert. Zum Verhältnis von Lohn-, Kapital-, Umwelt- und weiteren Abgaben zeigen Angela Köppl und Margit Schratzenstaller, dass der Anteil der Umweltabgaben an den gesamten Staatserträgen vielerorts in Europa - gegen den sinnvollen Trend - rückläufig ist.
Insgesamt beleuchtet "Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft" wichtige und oft übersehene Aspekte von Arbeiten und Nachhaltigkeit. Gleichzeitig verweisen die Beiträge auf viele relevante offene Fragen und regen zum Weiterdenken an."
Was wird aus der Arbeit, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst - oder nicht mehr wachsen soll? Das ist das Thema des vorliegenden Buches. Die Antwort der Herausgeberinnen lautet: Aus der Erwerbsarbeit muss ein "Tätigsein" werden. Was Tätigsein ist oder sein kann, erfahren wir, wenn wir dieses Buch lesen.
Seidl und Zahrnt haben vor zehn Jahren im selben Verlag ein Buch mit einem ähnlichen Titel veröffentlicht: "Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft". Nun legen sie nach, indem sie einen Schwachpunkt des Diskurses um Nachhaltigkeit und Postwachstum aufgreifen, nämlich die Gestaltung der Arbeit in einer Postwachstumsgesellschaft.
Ihre zentrale These lautet: "Soll sich unsere Gesellschaft aus der Fixierung auf Wirtschaftswachstum und Erwerbsarbeitsplätze lösen, muss das Erwerbsarbeitssystem umgebaut werden." Erwerbsarbeit darf nicht weiter ein so großes Gewicht haben und die Abhängigkeit des Sozialsystems von der Erwerbsarbeit muss verringert werden. Dies ist, für sich genommen, schon ein hehres Ziel, das aber begleitet werden muss von einem anderen Verständnis von Arbeit, das neben der Erwerbs-, Sorge- und Freiwilligenarbeit, Selbstversorgung und andere Formen der Nicht-Erwerbsarbeit berücksichtigt und diesen einen höheren Stellenwert zuweist.
Die Publikation gliedert sich neben dem einleitenden Artikel von Seidl und Zahrnt in vier Kapitel. Der erste Teil ist mit "Grundlegendes" überschrieben und beinhaltet drei Beiträge, die sich u.a. mit der geschichtlichen Entwicklung von Arbeit (Komlosy) sowie der Neubewertung von Arbeit befassen (Gerold). Teil zwei beschreibt AkteurInnen einer Neuinterpretation von Arbeit als "Tätigsein", so der verbindende Begriff für das neue Narrativ des hier vorliegenden Bandes. Das Kapitel beschreibt in vier Beiträgen die Rolle von vier Akteurinnen zu dieser neuen Form des Arbeitens, dem Tätigsein: Die Rolle der Konsument*innen (Fischer/Stieß), der Unternehmen (von Jorck/Schrader), der Gewerkschaften (Reuter) und von frei-gemeinnützigen Einrichtungen (Wehner). Kapitel 3 analysiert konkrete Bereiche des Tätigseins: Dies sind die Sorgearbeit, die Landwirtschaft und die Digitalisierung. In den drei Aufsätzen zu Kapitel 4 wird der sozioökonomische Kontext bearbeitet. Dort geht es um das Thema soziale Sicherung, ein Abgabensystem, das die Arbeit fördert. Dieser Teil wird mit einem Exkurs zur Arbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern abgeschlossen. Das von Seidl und Zahrnt herausgegebene neue Buch ist absolut empfehlenswert. Es ist voll anregender Ideen zur Art und Weise, wie Wirtschaft und Gesellschaft sich in Zukunft entwickeln werden oder entwickeln sollten. Der Begriff "Tätigsein" könnte im allgemeinen Sprachgebrauch heimisch werden, wenn es darum geht, die Postwachstumsgesellschaft arbeitspolitisch zu gestalten.
Die Herausgeberinnen Angelika Zahrnt und Irmi Seidl argumentieren in ihrem neuen Buch, dass die Fixierung auf Witschaftswachstum und Erwerbsarbeitsplätze aufzugeben sei. Es gehe darum, Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit neu zu gewichten und das Steuer- und Sozialsystem so umzubauen, dass dieses weniger von Erwerbsarbeit abhängig wird. Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zeigen in ihren Beiträgen auf, wie das gelingen kann:
Noch vor Kurzem galten Meinungen, die eine Ökonomie des permanenten Wachstums für ökologisch und sozial verheerend hielten, noch als abseitig. Inzwischen wächst zumindest die Zahl der Skeptiker*innen, denen dämmert, dass das Wohlstandsversprechen auf dem bisherigen Weg wohl nicht einzulösen ist. Und diese Wachstumskritiker*innen finden zunehmend Gehör. Allerdings fehlt es ihnen noch an schlüssigen Konzepten dafür, wie eine Gesellschaft mit sehr viel weniger oder Nullwachstum gestaltet werden könnte. Eine große Leerstelle ist vor allem die Frage, wie soziale Sicherung in einer Postwachstumsgesellschaft aussehen könnte.
Dieser Thematik haben sich nun Irmi Seidl und Angelika Zahrnt angenommen, die zum engeren Zirkel der Postwachstumsprotagonist*innen zählen: Seidl ist Professorin für Ökonomie an der Uni und der ETH Zürich, Zahrnt war langjährige Bundesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland und ist nun dessen Ehrenvorsitzende. Seidl und Zahrnt haben Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gebeten, mehr Licht ins Dunkel zu bringen.
Seidls und Zahrnts Grundthese lautet folgendermaßen: "Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist paradox: Wachstum soll Erwerbsarbeitsplätze schaffen. Dazu beitragen soll die Steigerung der Arbeitsproduktivität, doch damit gehen gleichzeitig Arbeitsplätze verloren. Entsprechend muss Wachstum zusätzlich die wegrationalisierten Arbeitsplätze kompensieren."
Da Sozial- und Abgabensystem maßgeblich von Erwerbsarbeit abhängig sind (in Deutschland zu rund 75 Prozent), treibe dies die Steigerung der Arbeitsproduktivität voran, meinen die Herausgeberinnen. Wie aber kommt man raus aus diesem Hamsterrad? Wie lässt sich soziale Sicherung von ökonomischem Wachstum abkoppeln?
Seidl und Zahrnt halten dabei zweierlei für besonders wichtig: Die Bedeutung der Erwerbsarbeit sei zu relativieren, sowohl als Basis für soziale Sicherung als auch als Quelle gesellschaftlicher Anerkennung. Dafür müsse man ein anderes Verständnis von "Tätigsein" (bewusst wählen sie diesen Begriff statt des Begriffs "Arbeit") entwickeln, das etwa auch die Eigen-, Freiwilligen-, Care- und Gemeinschaftsarbeit einschließt. Konkret müsste die Arbeit steuerlich entlastet, personenbezogene Dienstleistungen in Gesundheit und Pflege ausgeweitet und soziale Netze wie Nachbarschaften und andere Strukturen der Selbsthilfe gestärkt werden. Lebensstile, die auf Selbstversorgung und Genügsamkeit aufbauen, sollten gefördert werden.
Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft stellt Beiträge, die Grundsätzliches zur Entwicklung und Bedeutung von Arbeit und Tätigsein behandeln, neben solche, die sich mit verschiedenen Akteuren (Konsument*innen, Unternehmen, Gewerkschaften, gemeinnützigen Organisationen) auseinandersetzen, und solche, die die Bedeutung von Sorgearbeit, Arbeit in der Landwirtschaft und Digitalisierung analysieren. Artikel, die sozioökonomische Fragen nach sozialer Sicherung, dem Abgabensystem, aber auch der Arbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern stellen, runden den Band ab. ...
Das Buch bietet viele konkrete Ideen und Konzepte, die bisher in dieser Form fehlten. Nicht alles ist neu, aber vieles aktualisiert und neu konnotiert. Dennoch entbehrt der Band einer Analyse, an welchen Stellen die vorgestellten Konzepte an die aktuellen politischen Auseinandersetzungen im deutschsprachigen Raum anzuknüpfen vermögen. Hier sollte man tätig werden.
In dem schon länger andauernden Transformationsdiskurs käme das Arbeits- und Sozialsystem kaum vor; das sei ein schwerwiegendes Defizit, denn die ökologisch notwendige Transformation in den vor allem fokussierten Sektoren Energie, Mobilität, Industrie und Ernährung werde durch mächtige Wachstumsinteressen gebremst, die vorgeben, Arbeitsplätze zu erhalten beziehungsweise zu schaffen und die soziale Absicherung zu gewährleisten. Es gelte deshalb die Dominanz der Erwerbsarbeit zu relativieren und viele neue Möglichkeiten des Tätigseins zu fördern und zu entwickeln. Und dazu bedürfte es einer ernsthaften Auseinandersetzung um institutionelle Reformen und Visionen einer besseren Zukunft. Dementsprechend werden die beiden zentralen Begriffe des Buchtitels sorgfältig definiert. ... Auf dieser Definitionsbasis entwickeln die beiden Herausgeberinnen im einleitenden Beitrag die relevanten Ansatzpunkte für das Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft. Sie fokussieren dabei auf drei solcher Punkte: 1. Erwerbsarbeit relativieren und Erwerbsarbeitssystem umbauen; 2. Sozialsystem weiterentwickeln; 3. Förderlicher Kontext für die Transformation des Sozial- und Erwerbsarbeitssystems. ...
Die 13 Einzelbeiträge sind alle in höchstem Maße lesenswert. Sie zeigen viele Projekte und eine große Breite dessen, was in Zukunft möglich ist oder werden könnte. Und sie wurden von den Herausgeberinnen in hervorragender Weise organisiert. ... Das von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt herausgegebene neue Buch ist in höchstem Maße empfehlenswert. Es ist voll anregender Ideen zur Art und Weise, wie Wirtschaft und Gesellschaft sich in Zukunft entwickeln werden beziehungsweise entwickeln sollten. Der Begriff "Tätigsein" könnte im allgemeinen Sprachgebrauch heimisch werden, der Begriff "Postwachstumsgesellschaft" wohl eher nicht.
Anderscht schaffe, nüme wachse
"Höhere Erwerbsquoten" forderte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) vor zwei Wochen, um die "wachstumshemmenden Auswirkungen der demografischen Entwicklung", also der Alterung, in der Schweiz zu mildern. Vor allem die Erwerbsarbeit von Frauen und über 55-Jährigen gelte es zu erhöhen, befand das Seco und stützte sich dabei auf vier von ihm finanzierte Studien. Über dieses Begehren berichtete Infosperber leicht belustigt unter dem Titel "Schaffe, schaffe, wachse, wachse".
Kurz darauf stellten die Autorinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt in Zürich ihr Buch "Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft" vor. Darin empfehlen sie just das Gegenteil: "Wir brauchen eine Relativierung der Erwerbsarbeit", schreiben sie im Klappentext, "um uns aus der Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum zu lösen und innerhalb der planetaren Grenzen wirtschaften zu können."
In der Analyse stimmen Seco und Seidl/Zahrnt weitgehend überein: Beide betrachten die Erwerbsarbeit als wesentlichen Faktor, der das Wirtschaftswachstum antreibt. Doch während das wachstumsgläubige Seco dieses Wachstum ohne Rücksicht auf ökologische Verluste erhalten und stützen will, wollen die ökologisch orientierten Wachstumskritikerinnen Seidl/Zahrnt die Wirtschaft vom Wachstumszwang befreien respektive sie in die Ära des "Postwachstums" überführen.
Die Erwerbsarbeit ist - neben dem Einsatz von Geld sowie der Plünderung von Vorräten aus der Natur - nicht nur ein wichtiger Treiber des Wirtschaftswachstums, sondern verstärkt auch die Abhängigkeit von diesem Wachstum. Das rührt daher, dass die Steuereinnahmen des Staates und die Beiträge an die Sozialversicherungen eng mit der Erwerbsarbeit verknüpft sind: Weniger Erwerbsarbeit schmälert darum auch die Staatseinnahmen und die Finanzierung von Renten und Sozialversicherungen.
Aus diesen Gründen streben Seidl/Zahrnt zwei Ziele an: Sie wollen erstens den Anteil, den die Erwerbsarbeit am Leben der Menschen einnimmt, zurückdrängen und ersetzen durch andere Formen von "Tätigsein". Das Wort "Tätigsein" verwenden sie als Oberbegriff für bezahlte Erwerbsarbeit und alle andern, nicht mit Geld entlöhnten Aktivitäten. Dazu gehören etwa die Selbstversorgung oder Freiwilligenarbeit - vom politischen Engagement über Vereinstätigkeit bis zur unentgeltlichen Betreuung von Alten, Kranken oder Kindern.
Zweitens möchten die beiden Autorinnen Staatsaufgaben und Sozialsysteme, die heute schwergewichtig aus dem Einkommen der Erwerbsarbeit bezahlt werden (Steuern, AHV-Beiträge, etc.), vermehrt aus anderen Quellen finanzieren. Damit liesse sich die Abhängigkeit des Staates von der Erwerbsarbeit ebenso vermindern wie jene der auf Wachstum programmierten Wirtschaft.
Diese Erkenntnisse sind einfach und auch nicht ganz neu. Im 260 Seiten umfassenden neuen "Postwachstums"-Buch (ein erstes von Seidl und Zahrnt erschien 2010) vertiefen die beiden Haupt- und viele Gast-AutorInnen die hier zusammengefasste Analyse und die daraus abgeleiteten Empfehlungen.
Darin steckt viel Fleiss und viel Information, aber auch ziemlich viel Sprachschwulst, wenig Originalität und kaum Humor (der Schreibende hat beim Lesen kein einziges Mal gelacht). Das von Stiftungen mitfinanzierte Werk bietet eine hilfreiche und brave Übersicht über Alternativen zur wachstumsabhängigen Wirtschaft. Es versammelt Analysen und Empfehlungen, die in früheren Büchern schon zugespitzter, intellektuell brillanter, witziger und mitreissender formuliert worden sind.
360 000 Jobs werden in der deutschen Autoindustrie in den kommenden 10 Jahren verloren gehen, teils durch Produktivitätsfortschritte, teils durch Umstellung auf die einfacher herstellbaren Elektroautos, teils durch Ausbau des öffentlichen Verkehrs. So das Ergebnis einer im Auftrag des BUND erstellten aktuellen Modellrechnung. Das ist nur ein Beispiel für die Herausforderungen, die beim Umbau unserer Wirtschaft in naher Zukunft zu bewältigen sind. Während aber vor allem der Wandel des Lebensstils, die Suche nach geeigneten Instrumenten zu seiner Beeinflussung und die generellen Weichenstellungen zwischen Green New Deal und Postwachstumsgesellschaft diskutiert und erforscht werden, bleiben Fragen der Gesellschafts- und Finanzpolitik bisher weitgehend ausgeblendet.
Wie müssen das Erwerbsarbeits- und das Sozialsystem umgebaut werden, wenn diese Systeme vom Wirtschaftswachstum, wie wir es kennen, unabhängiger werden sollen? Das ist die Frage, der die 14 Beiträge des Sammelbandes nachgehen. Die Beiträge stammen von Expertinnen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, herausgegeben ist der Sammelband von Irmi Seidl, unter anderem Professorin für Ökologische Ökonomik an der Universität und an der ETH Zürich, und Angelika Zahrnt, unter anderem langjährige Vorsitzende des BUND und langjähriges Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der deutschen Bundesregierung. Der gemeinsame Schlüssel zum Verständnis der genannten Herausforderungen ist das "Tätigsein" als Oberbegriff, der weit über die Erwerbsarbeit hinausgeht. Er umfasst, so die Herausgeberinnen, die Vielfalt menschlicher Arbeiten, die im Leben neben- und nacheinander getan werden und mit dem Anspruch verbunden sind, für den Einzelnen und die Gesellschaft gleichermaßen sinnvoll zu sein.
Die Beiträge diskutieren notwendige und förderliche Voraussetzungen für eine so verstandene Tätigkeitsgesellschaft, die sich vom Zwang des Wirtschaftswachstums schrittweise unabhängig macht: die Einführung einer finanziellen Grundsicherung wie etwa eines Mindesteinkommens und einer Grundrente, der Umbau des Steuer- und Sozialversicherungssystems durch Verlagerung auf der Einnahmeseite von der Arbeit hin zu anderen Einnahmequellen wie Naturverbrauch, Kapitalerträge und Vermögen, die Bereitstellung von sozialen Infrastrukturen und die Etablierung sozialer Praktiken, die den Alltag unabhängig von der Verfügung über Erwerbseinkommen machen und auch die teilweise Selbstversorgung ermöglichen. Solche förderlichen Infrastrukturen sind, so die Herausgeberinnen in ihrem Einleitungsartikel, Gemeingüter (Gemeinschaftsräume, Werkstätten, Gärten), Unterstützungsnetze (Nachbarschaften, Selbsthilfestrukturen, Sozialdienste) und Strukturen für die Ermöglichung einer suffizienten und subsistenten Lebensweise (Repair-Cafés, Häuser der Eigenarbeit). Seidl und Zahrnt plädieren für die Schaffung von Experimentierräumen für neue Lösungen angesichts der drängenden Herausforderungen des Erwerbsarbeits- und des Sozialsystems (einschließlich seiner Finanzierung). Bei der Schaffung dieser Experimentierräume kommt es neben dem zivilgesellschaftlichen Engagement ganz wesentlich auf die finanzielle Unterstützung durch Stiftungen, "relevante Institutionen" und vor allem die öffentliche Hand an, die in ihren Haushalten dafür "feste Kategorien" vorsehen muss.
Ein für die politische Bildung, die auf der Höhe der Zeit sein will, überaus lehrreiches Buch. Und zwar auch deshalb, weil es im Kontext der Postwachstumsdiskussion nicht nur die Perspektive des globalen Nordens einnimmt, sondern auch aus der Perspektive des globalen Südens Vorschläge macht, wie eine nachhaltige Entwicklung auf einem Globus, der mit hoher Geschwindigkeit an die Grenzen des Wachstums stößt und an immer mehr Orten offensichtlich außer Kontrolle gerät, gelingen kann.
Was wird aus der Arbeit, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst - oder nicht mehr wachsen soll? Das ist das Thema eines Buches, dessen Herausgeberinnen die Antwort wissen: aus der Erwerbsarbeit muss ein Tätigsein werden. Was Tätigsein ist oder sein kann, erfährt der Leser, wenn er dieses Buch liest. Eine Einschätzung dazu von Professor Udo E. Simonis.
Die beiden Herausgeberinnen hatten vor zehn Jahren im selben Verlag ein Buch mit einem ähnlichen Titel veröffentlicht: "Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft". Warum nun dieses neue Buch mit dem seltsam klingenden Titel? Sie begründen es auf geschickte Art und Weise: In dem schon länger andauernden Transformationsdiskurs käme das Arbeits- und Sozialsystem kaum vor; das sei ein schwerwiegendes Defizit, denn die ökologisch notwendige Transformation in den vor allem fokussierten Sektoren Energie, Mobilität, Industrie und Ernährung werde durch mächtige Wachstumsinteressen gebremst, die vorgeben, Arbeitsplätze zu erhalten beziehungsweise zu schaffen und die soziale Absicherung zu gewährleisten. Es gelte deshalb, die Dominanz der Erwerbsarbeit zu relativieren und viele neue Möglichkeiten des Tätigseins zu fördern und zu entwickeln. Und dazu bedürfte es einer ernsthaften Auseinandersetzung um institutionelle Reformen und Visionen einer besseren Zukunft.
Dem entsprechend werden die beiden zentralen Begriffe des Buchtitels sorgfältig definiert: "Postwachstumsgesellschaft" heißt, dass (1) keine Politik zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums mehr stattfindet; (2) dass wachstumsabhängige und wachstumstreibende Sektoren, Institutionen und Strukturen umgebaut werden; (3) dass Energie- und Ressourcenverbrauch auf ein nachhaltiges Niveau reduziert und der Verlust der Biodiversität gestoppt werden. Unter dem Begriff Arbeit wird üblicherweise bezahlte Erwerbstätigkeit in einem Normalarbeitsverhältnis mit sozialer Absicherung verstanden. Dem stellen die Herausgeberinnen den zweiten zentralen Begriff, das "Tätigsein", entgegen, als Oberbegriff für (1) die große Vielfalt möglicher Arbeit, inclusive Erwerbsarbeit; (2) für den Umstand, dass Menschen verschiedene Formen von Arbeit nach- oder nebeneinander wahrnehmen; und (3) für die Arbeit, die den Anspruch beinhaltet, für den tätigen Menschen wie für die Gesellschaft insgesamt auch sinnvoll zu sein.
Tätigsein kann bezahlt oder unbezahlt sein; Tätigsein entspricht dem Konzept der Mischarbeit; Tätigsein findet in einem Kontext statt, in dem Menschen ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen auch verwirklichen können. So zentral das Tätigsein für Menschen also ist oder sein sollte, so braucht es aber auch der Zeit für ein Nichts-Tun, für Muße, Nachdenken und Kontemplation.
Auf dieser Definitionsbasis entwickeln die Herausgeberinnen im einleitenden Beitrag die relevanten Ansatzpunkte für das Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft. Sie fokussieren dabei auf drei solcher Punkte: 1. Erwerbsarbeit relativieren und Erwerbsarbeitssystem umbauen; 2. Sozialsystem weiterentwickeln; 3. Förderlicher Kontext für die Transformation des Sozial- und Erwerbsarbeitssystems. ...
Die entsprechenden 13 Einzelbeiträge sind alle in höchstem Maße lesenswert. Sie zeigen viele Projekte und eine große Breite dessen, was in Zukunft möglich ist oder werden könnte. Und sie wurden von den Herausgeberinnen in hervorragender Weise organisiert: Die 9 Autoren und 10 Autorinnen werden umfassend und gut erkennbar vorgestellt, die einzelnen Beiträge beginnen alle mit einer kurzen Zusammenfassung und enden mit sehr ausführlichen Literaturangaben.
Fazit: Das von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt herausgegebene neue Buch ist in höchstem Maße empfehlenswert. Es ist voll anregender Ideen zur Art und Weise, wie Wirtschaft und Gesellschaft sich in Zukunft entwickeln werden beziehungsweise entwickeln sollten. Der Begriff "Tätigsein" könnte im allgemeinen Sprachgebrauch heimisch werden, der Begriff "Postwachstumsgesellschaft" wohl eher nicht.
Auf den Arbeitsaspekt, der allein schon riesig und komplex genug ist, konzentriert sich der Sammelband, den Irmi Seidl und Angelika Zahrnt vorlegen: ein topaktueller Nachtrag zu ihrem fast schon klassischen Reader zur "Postwachstumsgesellschaft" von 2010. Es geht um das "Tätigsein" in einem ökonomischen Umfeld, das sich zwar - nicht zuletzt durch die Digitalisierung - fortlaufend verändert, aber ohne ein erkennbar vernünftiges Ziel. Wenn schon Wandel, warum dann nicht gleich hin zur eigentlich längst allgemein als notwendig anerkannten nachhaltigen Entwicklung? Anhand der Arbeitswelt, die hier weitaus mehr als Erwerbsarbeit meint, wird differenziert und doch umfassend skizziert, wie diese Wende aussehen, unser tägliches Tun wieder Sinn bekommen könnte.
Exemplarisch etwa bei der Landwirtschaft, welche die Herausgeberinnen mit Franz-Theo Gottwald als Ko-Autor selber ausleuchten. Dass dieser in vielerlei Hinsicht nach wie vor elementare Bereich "in einer tiefen ökologischen, ökonomischen und sozialen Krise" steckt, ist kaum zu bestreiten, "und dies lokal, national und global". Mit der Klimafrage kam nur eine weitere Verschärfung hinzu. Die gegenwärtigen Subventionsregeln sind voll von Widersprüchen, schaffen fast mehr Probleme als sie lösen. Kritik kommt von allen Seiten. Eine wenig beachtete Konsequenz: "Zwölf Prozent der Schweizer LandwirtInnen leiden unter Burnout-Symptomen"; allgemein sollen laut der zitierten Studie von 2017 rund sechs Prozent der Bevölkerung betroffen gewesen sein. Es tauchen übrigens häufig Beispiele aus der Schweiz auf, was mit dem Berufsfeld von Irmi Seidl zusammenhängen dürfte. Sie wirkt als Professorin für eine ökologische Ökonomik an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Was an Agraralternativen umrissen wird, führt weg vom technik- und chemiezentrierten, am Weltmarkt orientierten Industriezweig, hin zu einer der Umwelt angepassten und wieder stärker lokal ausgerichteten Agrikultur. Ansätze dafür gibt es. Die "inzwischen jahrzehntelange Diskussion über die negativen Folgen der Agrarpolitik" hat längst alternative Methoden, Organisationsformen und konkrete Projekte hervorgebracht. Die wären politisch zu unterstützen, zumal dabei mehr menschliche Arbeit im Sinn von "guter Arbeit" anfällt - mit Teilzeit- und "Mischarbeit" sowie direktem Kontakt zwischen Produzierenden und Konsumierenden. Für andere Bereiche vielleicht modellhaft.
Auch die Situation im Pflegesektor oder unserer alternden Gesellschaft allgemein kommt als prekär in den Blick. In einer nicht ungewollt hereinbrechenden, sondern gestalteten Postwachstumsgesellschaft würde Erwerbsarbeit für alle weniger wichtig, wäre aufgrund der Arbeitszeitverkürzung mehr Zeit für Eigeninitiative und unentgeltliches Tun vorhanden. Jonas Hagedorn nimmt an, dass dann die Marktlogik zurückgedrängt, Achtsamkeit und Schutz in den Mittelpunkt gerückt würden. So könne etwas Neues entstehen, das sich "von der heutigen kapitalistischen Wirtschaft deutlich unterscheiden" würde. Allerdings dürfe unentgeltliche Sorgearbeit "nicht als Vorwand zum Abbau öffentlich bereitgestellter Dienste herangezogen werden", sonst trage "nur ein Teil der Bevölkerung unbezahlt und überproportional die Last". Wiederholt wird betont, dass generell mehr Gerechtigkeit zu schaffen ist. So leuchten Mitarbeiterinnen des Wiener Instituts für Wirtschaftsforschung auch die europaweit laufende Debatte um CO2- und andere Umweltsteuern unter diesem Aspekt aus. Auf dem neusten Stand und mit klarer Tendenz: Weg vom Besteuern der Arbeit, hin zu wirksamen Lenkungsabgaben. Statt endlos über Patentrezepte zu streiten, ginge es um einen geeigneten Mix, der die Vorteile einzelner Instrumente so kombiniert, dass ein Höchstmass an effektiver Klimapolitik erreicht wird. Bei vielem ist die Wirkung ja gar nicht kalkulierbar. Klar ist aber, dass hier "wie kaum in einem anderen Politikbereich" das Potenzial steckt, entscheidende Dimensionen zu verknüpfen, und dass die heutigen Abgabesysteme "aus Nachhaltigkeitssicht nicht mehr zeitgemäss" sind. Allein schon dieses Kapitel macht das Buch als nützliches Hilfsmittel für die Parlaments- (und auch Exekutiv-)Tätigkeit auf allen Stufen empfehlenswert.
Der prägnanteste, ja leidenschaftlichste Beitrag aber ist der letzte, so trocken sein Titel klingt: "Arbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern." Georg Stoll stellt unser Seilziehen um politische Problemlösungen in einen globalen Kontext, wo weit brisantere Konflikte drohen. Er würdigt die Anstrengungen auf UNO-Ebene, eine Nord-Süd-Zusammenarbeit unter gerechteren Bedingungen zu erreichen, blendet aber konzeptionelle Widersprüche und möglicherweise verhängnisvolle Dynamiken nicht aus. Selbst wenn es gelänge, einen neuen Wirtschaftsaufschwung in Niedrig- und Mitteleinkommensländern "sozial inklusiv" zu gestalten und damit "allen Erwerbssuchenden einen Zugang zu auskömmlicher und menschenwürdiger Arbeit zu verschaffen", würde dies ökologische Probleme eher noch verschärfen. Die optimistischen "Green Growth"-Szenarien sind nüchtern zu hinterfragen; das derzeit dominierende "Festhalten an der Zwei-Klassen-Weltgesellschaft" kann und darf keine Zukunftsoption sein. Obwohl die Steigerung von Wirtschaftswachstum mit immer mehr Produktivität "zum Kernbestand nationaler wirtschaftspolitischer Strategien" gehört und weltweit propagiert wird: Sie führt uns in eine Sackgasse. Es bleibt nur der Systemwandel, eine "sozial-ökologische Transformation". Was auch "Widerstand gegen bestehende Ausbeutungsverhältnisse" bedeutet, sowohl auf Menschen in aller Welt wie auf die Zerstörung natürlicher Lebensräume bezogen. Dass der bei einem kirchlichen Hilfswerk in der Abteilung Politik und globale Zukunftsfragen tätige Autor den Text mit einer Fussnote als quasi nicht amtliche Position deklariert, sagt einiges über noch zu leistende Aufklärungsarbeit aus.
Abschied vom Wachstum. Irmi Seidl im MigrosMagazin.
Erwerbsarbeit, Tätigsein und Postwachstum
Zur geschichtlichen Entwicklung von Arbeit
Orientierung an Werten für das Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft
Neubewertungen von Arbeit: Vielfalt von Tätigkeiten ermöglichen und kombinieren
Alternative Konsumformen: Soziale Teilhabe jenseits von Markt und Arbeit
Unternehmen als Gestalter nachhaltiger Arbeit
Erwerbsarbeit im Spannungsverhältnis von Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit
Frei-gemeinnütziges Tätigsein: Motive, Voraussetzungen, Gelingen
Formelle und informelle Sorgearbeit
Tätigsein in der Landwirtschaft. Agrarkultur als Leitkonzept
Digitalisierung und erweiterte Arbeit
Soziale Sicherung in der Postwachstumsgesellschaft
Ein Abgabensystem, das (Erwerbs-)Arbeit fördert
Arbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern