573 Seiten
38,00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1469-2
(23. Juni 2021)
"...schon dieser Titel sowie das Cover, welches ein ausgeschüttetes Füllhorn schmückt, weisen dem Leser den Weg zum Verständnis menschlicher Bedürfnisse und bei entsprechender Einsicht auch zur Begrenzung eben dieser. Das Buch bedient mit dieser Verzichtsrhetorik einerseits den Zeitgeist wider die Ressourcen verzehrende Wachstums- und Konsumgesellschaft. Andererseits ist das Werk tatsächlich wissenschaftlich fundiert und es bietet nicht nur eine tief schürfende sondern sicher auch die umfassendste Abhandlung über die Bedürfnisse des Menschen überhaupt.
Sehr erfreulich ist, dass sich hier ein (aus-)gebildeter Ökonom dieser Thematik widmet und das wirtschaftswissenschaftliche Theorem der unbegrenzten Bedürfnisse kritisch aufgreift. Die Thematik wird historisch, theoretisch und vor allem im besten Sinne interdisziplinär behandelt. Da es ein episches Werk ist, wird jeder Leser fündig werden und auf seine Kosten kommen. Die Ausführungen reichen von der Begriffs- und Ideengeschichte, über die Diskussion sämtlicher Bedürfnis- bzw. Motivationstheorien bis hin zu großen philosophischen Fragen der Menschenwürde, der Gerechtigkeit oder Gleichheit. Auch werden religiöse Wurzeln wie beispielsweise die Todsünden (Habgier, Geiz, Neid, Wollust und Völlerei) als Triebfedern der menschlichen Bedürfnisse nicht ausgespart. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor auch den Ursachen des menschlichen Glücks bzw. einer "Glücksökonomie", die die tradierte Konsumgesellschaft ablösen sollte.
Das Buch ist mit einem gutem Dutzend Kapiteln bestens strukturiert und immer wieder mit zusammenfassenden Ergebnissen am Ende jedes Abschnitts ausgestattet, so dass der Leser auch nur einzelne Teile oder bestimmte Themenaspekte studieren oder einzelne Kapitel und den Fußnotenapparat auch auslassen kann. Ein "Bedürfnis-Glossar" und die umfassende Literaturliste runden das enorme Gesamtwerk ab.
Die wissenschaftliche Arbeit folgt insgesamt eher normativen Theorien als empirischen Studien. So wird am Ende des Buches der "Abschied vom Wachstumszwang" konstatiert und eine "neue Ökonomie und Gesellschaft" postuliert. Nach der Lektüre erscheint dem Leser ein "bedürfnisbasiertes Wirtschaften" für eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung einleuchtend. Zweifel dürften allerdings hinsichtlich deren Realisierung bleiben. Denn sobald die Lesebrille des gebildeten Mitglieds der Wohlstandsgesellschaft abgenommen ist, dürfte sich der Blick auf Milliarden Menschen in prekären Lebenssituationen weiten, deren existentielle Bedürfnisse sicher noch längerfristig auf herkömmlichen Konsum und stetiges Wachstum ausgerichtet bleiben. Individuelle Selbstbegrenzungen oder politisch verordneter Verzicht im Sinne nachhaltiger Entwicklungen dürften daher global gesehen (noch) weiter auf sich warten lassen."
"Das dritte Buch kann ich wieder ausdrücklich empfehlen. Voraussetzung ist allerdings ausreichend Zeit, sich intensiv mit einer Ursache unseres Versagens in der Klima- und Gerechtigkeitsfrage auseinanderzusetzen. Sie wird bereits im Titel prägnant benannt: "Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug." Herbert Schaaff, der als Professor im Bereich Volkswirtschaft lehrt und offenbar "Führungspositionen im Personalmanagement" mehrerer Unternehmen hatte, fragt nach den menschlichen Bedürfnissen. Das sei zwar ein etwas unscharfer und altmodischer Begriff, doch aus seiner Sicht blieb er nicht nur aussagekräftig, er wird bei beschränkten Ressourcen auch zunehmend wichtig. In der jüngeren Vergangenheit interessierte meist nur noch das Erzeugen neuer Bedürfnisse, da ohne sie wirtschaftliche Stagnation drohte. Nun wäre aber eine "Bedürfnisbefriedigungs-Ökonomie" mit normativen Ansätzen zu konzipieren, die in eine zukunftsfähigere Weltgesellschaft passt. "Dabei ist mancher erbittert und oft genug ohne rechtes Niveau geführter Streit unter Intellektuellen, Wissenschaftlern und Politikern argumentativ zu entkrampfen."
Darum bemüht sich der Verfasser. In einem mit Polemik geladenen Umfeld sichtet er in Ruhe früher und jetzt vertretene Positionen, vergleicht, weist allenfalls auf Widersprüche und Inkonsequenzen hin, aber ohne sie abschliessend zu bewerten "oder gar zu einem neuen zusammenhängenden Theoriegebäude formen zu können". So möge nicht nur der Bedürfnis-Begriff, um den sich sein langer, mit weiten philosophischen und soziologischen Exkursen versehener Essay dreht, für viele "leicht antiquiert anmuten", sondern auch die Art seiner Analyse. Doch er habe diese bewusst gewählt. Mir als interessiertem Laien brachte sie viel. Es war gut, zum Beispiel an die radikale Haltung eines Jean-Jaques Rousseau erinnert zu werden, der die Anmassung jenes ersten Bürgers beklagte, der als Einzelner ein Stück Land zu seinem Eigentum erklärte. Dem hätte widersprochen werden müssen. Denn "ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte euch allen, der Boden aber niemandem gehört." Selbstverständlich kommt auch Karl Marx vor. Der hatte dem Studenten Schaaff schon am ersten Vorlesungstag einen bleibenden Eindruck beschert. Wie hing dessen Kernaussage, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem vor allem auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse basiere, mit der kurz davor notierten professoralen Aussage zusammen, dass der wichtigste Zweck unternehmerischer Tätigkeiten die Gewinnmaximierung sei?
Damals leuchteten ihm beide Teilaussagen zwar mehr oder weniger unmittelbar ein. "Nichtsdestotrotz blieb an diesem Abend ein unwohles Gefühl zurück. Hierüber würde sicherlich weiter und intensiver nachzudenken sein." Solche sozio-ökonomischen Fragen liessen Schaaff nie mehr los. Später kamen ökologische Elemente hinzu, die heute eine grundlegende Systemänderung erfordern. Es müssen private, politische, wirtschaftliche Weichenstellungen zusammenkommen, wirkungsvoll und rasch. Dies zudem in einem für demokratische Entscheidungen schwierigen Umfeld. Obwohl, ja vielleicht sogar weil der gesellschaftliche wie der durchschnittliche individuelle Wohlstand in unseren Breiten stark gestiegen ist, "dominieren Verlustängste, Ausgrenzungsversuche, Neiddiskussionen"; der Autor sieht keine breite "gedankliche Annäherung an die hier diskutierten Themen". Klare und zugleich zurückhaltende Formulierungen. Tatsächlich liefert das Werk, welches wohl auch eine Spätfolge jenes Denkanstosses vor vier Jahrzehnten ist, auf fast sechshundert Seiten mit vielen Fussnoten und reichem Literaturverzeichnis keine neuen Erkenntnisse. Doch es dokumentiert eine sorgsame Recherche, die zugänglich macht, was an "Nach- und Vordenken" bereits geleistet wurde. Ohne flammenden Appell, aber auch ohne resigniertes Räsonieren. Wir können eigene Schlüsse daraus ziehen.
Der unheimliche Sog des Konsums
Selbst wurde ich an viele Autorinnen und Autoren erinnert, die mir in den schon so unheimlich lang geführten Debatten um Ökonomie-Ökologie-Konflikte wichtig schienen. Ich fand Thesen und Argumente gut zusammengefasst, miteinander verknüpft, anderen, mir nicht bekannten gegenübergestellt. Damit lässt sich das Gesamtbild ergänzen, ohne noch ein Regal voll Bücher durchzuackern. Für mich wurde vor allem fassbarer, was den Durchbruch zu einer nicht mehr imperialen Lebensweise und einer zukunftstauglicheren Postwachstumsgesellschaft - um nur zwei von vielen Chiffren aufzugreifen - derart schwer macht: Es ist der unheimliche Sog des Konsums, den der Kapitalismus erzeugte und von dem dieser jetzt gestützt wird. In ihm sollen die Bedürfnisse eben gerade nicht befriedigt werden. "Es geht darum, stets offene und immer intensivere Wünsche zu haben." Mit diesem Wälzer wird wirklich ein Kernproblem ins Zentrum gerückt."