Aus der Einleitung:

Von Finanzmarktkapitalismus über Beteiligungsgesellschaften, von Accounting bis zum Kennziffernsystem: ökonomisch orientierte Steuerungsformen und ihre Auswirkungen auf der Ebene von Subjekten, Unternehmen und Gesellschaft haben derzeit thematische Hochkonjunktur. Diagnostiziert wird ein „neuer Tanz um das Goldene Kalb“ (Vormbusch 2005, 87) und das Motto „If it matters, measure it!“ (Singleton-Green 1993; zit. in Vormbusch 2004, 35) scheint bruchlos alle gesellschaftlichen Sphären zu durchdringen. In der gesellschaftlichen Bewertung zählt das Zählbare. Und das Zählbare nimmt zu, es entwickelt Eigendynamik, es „schlägt“ sozusagen zurück, denn es „gibt immer Zahlen, die günstiger ausfallen, es gibt immer Ökonomien, die sich besser rechnen. Und um dorthin zu gelangen, benötigt man immerzu: mehr Zahlen“ (Vollmer 2004, 460).

Innerhalb der aktuellen Debatten sind die Ansätze der vergleichsweise traditionsreichen englischsprachigen kritischen Accountingforschung ebenso wie ihre deutschsprachigen Adaptionen und Weiterentwicklungen ein analytischer Gewinn für eine kritische Perspektive auf die neue Dominanz betriebswirtschaftlicher Strategien und unternehmenswertorientierter Managementkonzepte in den Unternehmen. Eine gleichwertig ausgearbeitete analytische Perspektive auf diese Entwicklungen hat die deutschsprachige Industriesoziologie bislang nicht zu bieten, und auch wenn sie sich mit vielen einschlägigen empirischen Phänomenen seit Jahren durchaus befasst, sind die Begrifflichkeiten des Gegenstands und die relevanten Debattenströmungen noch lange kein industriesoziologisches Allgemeingut; einigen grundsätzlichen Differenzierungen und Einschätzungen dazu widmet sich daher das erste Kapitel. Nun, da auch die deutschsprachige Industrie- und Organisationssoziologie das Thema vehement entdeckt, ist fraglich ob eine Übernahme der analytischen Perspektiven und Theoreme der englischsprachigen kritischen Accountingforschung fruchtbar und ausreichend ist. Meine These dazu ist: Es wäre ein Verlust bei der reinen Adaption stehen zu bleiben. Denn eine spezifische Deutung und ein eigenständiger Zugang – entwickelt aus den historischen Erfahrungen mit den Stärken und Schwächen der eigenen Disziplin – wäre eine fruchtbare Ergänzung zu den überwiegend an Foucault orientierten Ansätzen aus dem englischen Raum. Das zweite Kapitel widmet sich daher einer Kritik der Kritik – stellt also zum einen wesentliche bereits offenkundige Schwächen und blinde Flecke der Accountingforschung in Großbritannien wie auch der Diskussion im deutschsprachigem Raum dar. Ein Ziel dieser Passagen ist es, die Kompatibilität von Ansätzen wie den kalkulativen Praktiken, des organisierten Rechnens und der indirekten Steuerung mit dem „alten“ Theorem der reellen Subsumtion herauszuarbeiten.

Die daraus entwickelten und im dritten Kapitel entfalteten Grundthesen dieses Artikels sind: Die früher nicht gelungenen dialektischen Reformulierungen eines reduzierten Verständnisses der Prozesse reeller Subsumtion dürfen sich in den neuen Konzepten nicht implizit wiederholen. Wo es um Realprozesse geht, die bis in die Köpfe der einzelnen Subjekte hinein wirken, darf es kritischer Analyse nicht nur um die Beschreibung einer unterstellten Totalität der Prozesse gehen, sondern sie braucht ein Instrumentarium um auch den Grenzen, Brüchen und dem nicht zu Vereinnehmenden auf die Spur zu kommen. Die neuen Steuerungskonzepte setzen konstitutiv auf die Autonomie und Freiwilligkeit der Subjekte, statt sie „nur“ beherrschen zu wollen. Anders als noch in der Analyse tayloristisch-fordistischer Verhältnisse ist daher heute eine konsequent dialektische Perspektive unverzichtbar geworden. Eine solche zu begründen, konzeptionell zu skizzieren und für eine empirische Analyse von Accounting als Arbeit zu konkretisieren, das ist das Anliegen meiner Überlegungen.