Aus dem Nachwort der Hg.:

Ulrich Weiß befasst sich mit zwei Grenzbereichen des Gerechtigkeitsbegriffs und entblättert in diesen nicht nur den eigentlichen Kern und Knackpunkt aller Gerechtigkeitsdiskurse, sondern deckt auch ihr dialektisches Moment auf, den Umschlagpunkt, wo das Gerechte beginnt, selbstwidersprüchlich zu werden und damit äußerst spannungsreiche Fragen aufzuwerfen. Einer dieser Grenzbereiche befindet sich in der Billigkeit, auf die Weiß schon mit seinem Anfangszitat von Gracián aufmerksam macht: „Nichts übertreiben“ – alles im rechten Maß. Denn wo der Gerechtigkeit das Augenmaß und das entsprechende Urteilsvermögen fehlt, das sich eben nur anhand konkreter Situationen zeigen und erfahren lässt, dort wird das gerechte Streben blind für das, was es eigentlich gerecht machen sollte und wollte. Man ahnt schon: auch im Guten, Wahren und Schönen gibt es ein Zuviel, ein Moment, wo die Sache beginnt, aus dem Ruder zu laufen, wo der ehrenwerte Gerechtigkeitswunsch anfängt, fanatisch, rigoristisch und erschreckend gerechtigkeitsblind zu werden. Weiß führt dies am hervorragenden Beispiel von Michael Kohlhaas auf, dessen ursprüngliche Gerechtigkeitsforderung sich zusehends in einen wütenden Rachefeldzug verwandelt. Wenn die Revolution anfängt, ihre Kinder zu fressen, dann wendet sie sich gegen ihre eigentliche Bestimmung, führt nicht zu Freiheit und einer gerechteren Gesellschaft, sondern mündet in Versklavung und Tyrannei. Die Tyrannei der Werte, jenen zweiten Grenzbereich der Gerechtigkeit, entziffert Weiß bei Nicolai Hartmann und Carl Schmitt, deren kritische Zeitdiagnosen dabei keineswegs nur für autokratische und totalitäre Herrschaftsstrukturen gelten. Auch unsere heutige Zeit zeugt davon und sollte sich von den liberalen Prämissen lieber nicht täuschen lassen. Gerechtes kann immer ein Zuviel haben und damit sehr ungerecht.