Aus der Einleitung der Hg.:

In ihrem Beitrag skizziert Gabriele Winker die Utopie einer solidarischen Gesellschaft jenseits des kapitalistischen Systems. Der Gesellschaftsentwurf ist rückgebunden an eine doppelte Problemdiagnose, die von einer Krise der sozialen wie der ökologischen Reproduktion ausgeht. Sowohl die Zentrierung auf die Erwerbsarbeit, zu der alle erwerbsfähigen Bürger*innen genötigt werden und die kaum Zeit für Fremd- und Selbstsorge lässt, als auch die wachstumsgetriebene Produktion klimaschädlicher Güter, die auf die Zerstörung der Ökosysteme hinausläuft, sind durch eine profitorientierte Ökonomie bedingt. Die Krise des Sorgens wie die Krise der ökologischen Reproduktion haben also eine gemeinsame Ursache. Die Suchbewegungen nach krisenbewältigenden Potenzen sind der Autorin zufolge geknüpft an die Frage, wie der neoliberal-kapitalistischen Wirtschaft, die diese Krisen hervorgebracht hat, ein radikaler Umbau abgerungen werden kann.

Bei Winkers Entwurf eines zukunftsfähigen, alternativen Wirtschaftens bildet die Care-Ökonomie das Gravitationszentrum. Das menschliche Leben und die unentgeltlichen Sorgearbeiten stehen im Zentrum. Über eine sozialstaatlich breit flankierte Reduzierung der Wochenarbeitszeit soll den sozialen wie ökologischen Krisenverläufen entgegengesteuert werden. In der Folge wird erstens die Erwerbsarbeit für alle weniger wichtig werden und mehr Zeit für Fremd- und Selbstsorge zur Verfügung stehen. Zweitens wird die klimaschädliche Güterproduktion zurückgefahren werden. Die vorgestellte Care-Governance nimmt Abstand von der Position, dass alle Sorgearbeiten zu verrechenbaren, in die Geldwirtschaft eingebetteten Leistungen werden müssten, um sie fair zu organisieren. Vielmehr gehen Menschen mit auskömmlichen Einkommen und einer verlässlichen sozialen Absicherung sinnvoller Care-Arbeit nach, und diese Arbeit an und mit Menschen ist gerade nicht notwendig monetarisiert. Notwendig ist eine grundlegende Neuausrichtung staatlicher Politiken, der Abschied von industrie- und wachstumsfixierten Politiken, die bestenfalls nebenbei Anreize zur Übernahme unentgeltlicher Care-Arbeit setzen, und der Einstieg in Politiken, die sich um die bezahlte und unbezahlte Care-Ökonomie gruppieren und alles dafür tun, dass eine sorgende Gesellschaft freier und gleicher Bürger*innen entsteht, in der Ausbeutung und Selbstausbeutung der Vergangenheit angehören.