Bruno Schönfelder
"Europa (Essays zum neuen und alten E.) (Edition Europolis)"
152
Seiten ·
15,90 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN
978-3-7316-8009-3
(December 2022)
)
Die Invasion der Ukraine durch Russland hat die letzten Zweifel darüber ausgeräumt, dass sich die politischen Eliten der Russischen Föderation als eine Großmacht mit Weltgeltung ansehen. Schlagartig verlagerte sich die Diskussion von den Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit, insbesondere bei Rohstoffen, auf die militärpolitische Problematik. Wie sehr muss man Russland als Militärmacht fürchten? Pensionierte Generäle und selbsternannte Militärexperten geben hierzu inflatorisch ihre Einsichten kund.
Der Ansatz von Bruno Schönfelder ist dagegen primär ökonomisch. Der bekannte Ordinarius für Allgemeine Volkswirtschaftslehre von der Technischen Universität Freiberg, der sich mit den Transformationen in Ostmitteleuropa so intensiv wie wenig andere befasst hat, sieht in der geographischen Größe Russlands und den hieraus folgenden Kosten der Industrialisierung von Großräumen mit hohen Kälte- und Entfernungskosten die Schwachstelle - ja den Fluch - des Putin'schen Imperiums. Er erklärt, wie seit jeher die kommunistische Nomenklatura in Unkenntnis jeglicher Kostenrechnung und unter Zugrundelegung des Primats der Politik Sibirien industriell erschlossen hat, ohne dass dort jemals die Chance bestanden hat, wirtschaftlich lebensfähige industrielle Cluster entstehen zu lassen. Der Hayek-Anhänger Schönfelder stellt die ökonomische Bodenlosigkeit der Industrialisierungskonzepte Russlands historisch dar und formuliert hieraus folgend Einsichten und Bedingungen für die Integration Russlands in die Weltwirtschaft und seine Kohabitation mit dem Westen."Sein "Fluch des Imperiums" behandelt und beantwortet die Frage, warum Russland nie die drei wichtigsten Merkmale der westlichen Zivilisation verwirklichen konnte: die Überwindung der Massenarmut oder Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Seine verblüffende Antwort auf die selbst gestellte Frage ist, dass die Mehrheit der russischen Bevölkerung nie in der Lage war, auf dem Markt ein Einkommen zu erwirtschaften, das deutlich über dem Subsistenzniveau liegt. Das wiederum führt er nicht auf Merkmale der Menschen oder auf das Wirtschaftssystem zurück, sondern vor allem auf die russische Geographie und die Siedlungsstruktur. ...
Er erklärt die ungünstige russische Siedlungsstruktur damit, dass der russische Staat schon in der Zarenzeit und erst recht in der kommunistischen Periode immer wieder Menschen dazu gezwungen hat, in Sibirien oder im Norden Russlands unter Bedingungen extremer Kälte zu leben und zu arbeiten. Das war nie ökonomisch sinnvoll oder unter einer Effizienzperspektive motiviert, sondern immer unter politischen, strategischen oder rüstungswirtschaftlichen Gesichtspunkten geschehen. ... Die in den Weiten und der Kälte Russlands verstreute Bevölkerung benötigt in Anbetracht der hohen Lebenshaltungskosten dort ... staatliche Unterstützung zum Leben und stellt im Gegensatz zu den in den Großräumen Moskau oder Sankt Petersburg lebenden Russen auch die soziale Basis des Putin-Regimes. ...
Schönfelder hat eine auch für Fachfremde gut lesbare, geradezu faszinierende Analyse des russischen Dilemmas geliefert. Sein Grundgedanke, dass der westliche Dreiklang von Rechtsstaat, Wohlstand und Demokratie voraussetzt, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht wegen unwirtlicher Standortbedingungen von Transfers abhängen darf, ist besonders anschlussfähig an die staatskritischsten Denkschulen der Ökonomik: die Österreichische Schule und die Neue Politische Ökonomie (Public Choice). ...