Aus der Einleitung des Beitrags:

Während die derzeit dominierende ökonomische Lehrmeinung und die Wirtschaftspolitik - bestärkt durch die internationalen Organisationen - den Wohlfahrtsstaat immer wieder als Klotz am Bein der Wirtschaftsentwicklung sehen, kommen seit einigen Jahren immer mehr Analysen zum Schluss "that equality does not obviously conflict with growth" (Putterman/Roemer/ Silvestre 1998, S. 866; Atkinson 1999). Aus der Perspektive der neuen Wachstumstheorie formulieren Aghion, Caroli und Garcia-Penalosa (1999, S. 1618) noch deutlicher, dass "equality seems to be growth-enhancing" bzw. "The main policy implication that emerges [...] is that [...] there is scope for redistributive policies which are also growth-enhancing" (S. 1656).

Auch in historischer Sicht wurde der Wohlfahrtsstaat gerade in seiner Aufbauphase als stabilisierender Faktor gesehen. Die späten fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, auf die in Europa der stärkste Anstieg der Sozialquoten fällt, werden heute als das "Goldene Zeitalter des Kapitalismus" bezeichnet. In Österreich ist etwa zwischen 1955 und 1980 die Sozialquote um rund 10 Prozentpunkte gestiegen. Wir hatten hohes Wachstum und Vollbeschäftigung, eine steigende Lohnquote und die personelle Verteilung wurde egalitärer. Seit wir unter dem Titel der Globalisierung oder des Standortwettbewerbs von Lohnzurückhaltung und Sozialabbau sprechen, die Lohnquote sinkt und die Sozialquote im Großen und Ganzen stagniert, stockt der Wachstumsmotor und wir kämpfen mit steigender Arbeitslosigkeit sowie mit stagnierenden und sich stark polarisierenden Einkommen.

Ein Blick auf die Realität führt zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die Wirtschaftspolitik in Europa sieht trotz Außenhandelsüberschüssen nur Effizienz-, Wettbewerbs- und Angebotsprobleme, ignoriert aber den viel drückenderen Mangel an binnenwirtschaftlicher Nachfrage. Umgekehrt ignorieren die USA ihre hohen Außenhandels- und Budgetdefizite, wachsen aber deutlich stärker - ein unbefangener Beobachter könnte meinen, dort alimentiert ein üppiger Sozialstaat die Nachfrage und hohe Sozialabgaben belasten die Wettbewerbsfähigkeit.

Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Umverteilungsfunktion des Staates und stellen die jüngsten empirischen Arbeiten dazu vor. Für Österreich habe ich selbst ausführlich in mehreren Studien zu diesem Thema gearbeitet (Guger 1986, 1996). In meinem Beitrag werde ich mich nach einer Darstellung des Umverteilungspotenzials und der funktionellen Verteilung im Hauptteil auf eine so eben erschienene internationale Studie der OECD (Förster/Mira d?Ercole 2005) stützen und den Einfluss der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilung auf die personelle Verteilung analysieren.