Aus der Einleitung:

Ohne Vertrauen in rechtliche und politische Institutionen ist ökonomisches Handeln nicht denkbar. Auch das „Sozialkapital“ einer Gesellschaft besteht in Vertrauensnetzen, die sich zwischen ihren Mitgliedern bilden und elementare Solidarität ermöglichen. Dass Politik und politisches System in dem Vertrauen, das sich ihnen zuwendet, von der empfundenen wirtschaftlichen und sozialen Leistungsfähigkeit abhängen, wird kaum anderswo so transparent wie in der neueren deutschen Zeitgeschichte. Im Westen trägt das „Wirtschaftswunder“ der Erhard-Zeit maßgeblich zur steigenden Wertschätzung des politischen Systems bei. Dass diese im Osten einen kontinuierlichen, fast gleichbleibenden Rückstand aufweist, hängt mit der sich dort zögerlich entwickelnden Wirtschaftsleistung zusammen. Gleichwohl besteht eine Gemeinsamkeit. Hier wie da führt nämlich das Empfinden wachsender sozialer Ungleichheit zu schwindendem Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen. Diese Tendenz erfasst besonders die politischen Parteien, denen 82 % kein Vertrauen entgegenbringen.

Dabei liegt die Staatsquote seit Jahrzehnten in Deutschland zwischen 45 % und 49 %, weist also ein hohes Maß staatlicher Aktivitäten in der Volkswirtschaft aus. Zu wenig tut der Staat anscheinend nicht. Tut er das Richtige? Immerhin weist der Bundeshaushalt 2020 etwa die Hälfte seiner Ausgaben (362,6 Mrd.) für Soziales im weiteren Sinn aus, wenn man etwa Bildungs- und Familienleistungen einbezieht. Ende der 1970er Jahre und in den 1980er Jahren wurde in derartigen Quoten durchaus eine Überforderung des Staates wie eine Bedrängnis gesellschaftlicher Autonomie und Freiheit gesehen, die Deregularisierungsoffensiven auslösten. Heute herrscht die gegenteilige Tendenz und der Zusammenhang dieses „Neodirigismus“ mit dem Ausmaß der Chancen individueller Freiheitsentfaltung bleibt unerkannt – spezifisch einer Freiheit, die Selbstentfaltung mit Selbstverantwortung verbindet. In der Gründerzeit der BRD stellte sich der Schutz der Individualsphäre als Pflicht des Staates dar, „die persönliche Freiheit und Selbstständigkeit des einzelnen Menschen zu schützen“. Damit ist gewiss auch eine ökonomische Perspektive gemeint gewesen, vordringlich aber eine pluralistisch-liberale. Doch historisch hatte sich längst ein idealtypisch gegenläufiger Freiheitsbegriff herausgebildet, der sich nicht ohne Grund erheblich auf soziale Sicherheit stützt.