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 Startseite » Gesellschaft 

Die vierte Singularität

Perspektiven einer soziologischen Zeitendiagnostik

634 Seiten ·  44,80 EUR (inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1437-1 (October 05, 2020) )

 

Das Zusammenleben der Menschen entwickelte sich evolutionär von der ursprünglichen Sozialform der natürlich-organischen Gemeinschaft, deren Nukleus die Kleingruppe ist, zur neuzeitlichen der künstlich-mechanischen Gesellschaft, deren Nukleus das Individuum ist. In soziologischer Perspektive durchläuft es historisch vier singuläre Zäsuren, die sich strukturell voneinander unterscheiden, wobei jede einzelne von ihnen die Voraussetzung darstellt für die darauffolgende: Neolithische Revolution, Achsenzeit (griechisches Mirakel und Mosaische Differenz), europäisches Mirakel, technologische Singularität. Jede dieser Singularitäten, die durch Sperrklinkeneffekte von einander abgetrennt waren, stand, sollte die Evolution menschlichen Zusammenlebens weitergehen, vor der Bewältigung einer sozialkulturell je spezifischen Problematik.

Die gegenwärtige, vierte Singularität ist die technologische. Sie wird, wenn es gelingt, ihr Grundproblem zu lösen, die Selbstläufe einer profitgesteuerten Ökonomie zu zivilisieren, mehr Gemeinschaft im Zusammenleben der Menschen ermöglichen (Wagenheber-Effekt). Sie wird, wenn das nicht gelingt, zur Unbewohnbarkeit des Raumschiffs "Erde" führen. Neben der ökologischen und der global nach wie vor ungelösten sozialen Frage wird ihre technologische Herausforderung maßgeblich darin bestehen, die körperlich gebundene Intelligenz des Menschen aus ihrer Grenzen setzenden Biologie herauszulösen und auf lernfähige, sich selbst steuernde Artefakte zu übertragen.

P.S., 9/2023, S. ()

"Dass auch «Die vierte Singularität» den Übergang von der Dauerkrise in eine neue Zeit meinen könnte, ahnte ich höchstens, als ich diesen mir bislang fremden Begriff sah. Hätte ich nicht schon frühere Bücher von Arno Bamme erhellend gefunden, wäre dieser Wälzer nicht mit der «Selbstverwandlung» ins schwere Paket geraten. Mehr als 600 Seiten sind es in dem Fall. Vorn vier karge Grafiken, die Klima- und andere Katastrophenszenarien in Erinnerung rufen, hinten ein paar Bilder, auch zu realen Exempeln. Und auf der letzten Textseite, vor dem Quellenverzeichnis, eine erlösende Botschaft: Ich muss gar nicht alles lesen. Es wird Wiederholungen geben. In den Essays, die der Autor in den letzten Jahren zu verwandten Themen verfasst und hier vereint hat, werden oft die gleichen Beispiele in anderen Zusammenhängen vorkommen. «Mir bleibt nichts anderes übrig, als dem Leser, der Leserin anheimzustellen, sie bei der zweiten Kenntnisnahme einfach zu übergehen.» Tatsächlich stellte ich dann fest, dass die Doppelungen zuweilen halfen, Kompliziertes im zweiten Anlauf besser zu verstehen. Beim dritten Mal konnte ich wissend nicken...

Und wieder das Fazit: Eine geduldige Lektüre lohnt sich! Der immerhin hundertseitige Prolog legt konzentriert dar, um was es im Kern geht, was mit der vierten Singularität gemeint ist, welche früheren Zivilisationsschübe die Voraussetzungen dafür schufen, welche Folgen beim neuen absehbar oder denkbar sind. Was der - je nach Lesart - als Heils- oder Unheilsverkünder taxierte Ray Kurzweil die «technologische Singularität» nannte, hat auch mit den Debatten über das Anthropozän zu tun, mit der lange davor proklamierten Risikogesellschaft, und sogar die 2022 zum Wort des Jahres gekürte Zeitenwende passt ins Umfeld des 2020 erschienenen Bandes. Thema ist schliesslich, steht auf dem Buchrücken, der Grundwiderspruch «zwischen den quantitativen Fiktionen einer profitgesteuerten Finanzökonomie, die keine Grenzen kennt und keine Moral, und den qualitativen Dimensionen einer Technologie, die an die Endlichkeit irdischer Naturressourcen rückgebunden bleibt.»

Vielleicht können die Titel einiger Texte, etwas willkürlich, aber nicht ganz zufällig aus dem Inhaltsverzeichnis gepflückt, das Spektrum zeigen: «Menschen und Maschinen», auch hier, «Kollabierende Gesellschaften», «Demokratie! Aber welche Demokratie?» Bei der 2019 für eine soziologische Fachzeitschrift verfassten Betrachtung über «Postfaktische Zeiten» wird «Donald J. Trump als Symptom» genommen. Eingeordnet sind diese Überlegungen in eine Denkschule, die mit vier Namen angedeutet wird: Hobbes, Dewey, Tönnies, Goldscheid. Wem das wie mir wenig sagt, bekommt davon im eher theoretischen Mittelteil zumindest eine Ahnung. Der dritte Teil hat wieder mehr Praxisbezug, sucht alternative Perspektiven: «Heute die Welt für morgen gestalten.» Sicher nicht mit Biogas und Biosprit, die bewertete der Autor schon 2013 im «Memorandum über die mentalen Ursprünge einer fehlgeleiteten Umweltpolitik» unter dem Strich als ökologisches Desaster. Und einen Epilog zu Corona gibt es auch hier.

Schwer fiel die Wahl zwischen vielerlei möglichen Zitaten. Um eine Brücke zum zuvor besprochenen Buch ("Selbstverwandlung") zu schlagen, hier etwas zu Risiken von Entscheiden «Jenseits von Natur und Tradition». Da werde «das Beunruhigende der gegenwärtigen Technologie» besonders deutlich, denn Informations- und Kommunikationstechnologien «greifen in die mentale Identität des Menschen ein. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz zeigt, dass maschinelle Mechanismen in der Lage sind, Funktionen und Aufgaben zu erfüllen, die bislang dem mit Geist versehenen Subjekt Vorbehalten schienen.» Es wird real, was einst undenkbar war. Life Science und Biopolitik sind Stichworte dazu, Waffen neuer Art eine dramatische Bedrohung. «Die ihrem Wesen nach technologische Welt ist nicht aus sich heraus verbrecherisch», aber sie wurde eine Welt, die zuvor unvorstellbare Formen des Verbrechens möglich und wirklich macht.




the author
Prof. Dr. Arno Bammé
Arno Bammé Jahrgang 1944, Ordentlicher Universitätsprofessor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Kärnten), Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung, Direktor des Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society in Graz, Leiter der Ferdinand-Tönnies-Arbeitsstelle an der AAU, Fachvorstand der Sektion "Abendländische Epistemologie" beim Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand in Berlin, bis zu seiner Emeritierung Vorstand des Instituts für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung. der AAU [weitere Titel]
dem Verlag bekannte Rezensionen
  • "Man muss gar nicht alles lesen!" ...
    P.S., 9/2023, S. mehr...
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