Manfred Moldaschl und Nico Stehr
66 Seiten · 7,88 EUR
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February 25, 2010
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Aus der Einleitung:
Wissen ist Macht („scientia est potentia“), erklärte Francis Bacon (N.O. I, Aph. 3) bereits 1597 in seinem Novum Organum. Mit diesem oft mißverstandenen Satz beginnen Bücher und Artikel zu unserem Thema gerne. Denn die in der Übersetzung zweideutige Feststellung wirft die Frage auf, ob die Welt von der Macht des Wissens oder der des Geldes bestimmt wird, oder wie gegebenenfalls die Vermittlungszusammenhänge von Wissen und Kapital in der modernen, kapitalistischen Weltgesellschaft heute beschaffen sind. Auf dem Markt der Erklärungen ist fast alles Denkbare dazu im Angebot: von der Ablösung des Kapitalismus durch die Wissensgesellschaft bzw. einer moderne Stufe der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft, über den „kognitiven Kapitalismus“, der sich alles bislang nicht Kommodifizierte erfolgreich und quasi „restlos“ subsumiert, bis zur These, es sei nichts Neues in der Ökonomie, außer im Diskurs über sie. Wir werden den Streit nicht entscheiden können, wollen aber zur Begriffsklärung betreiben und ihn beurteilbarer machen.
So beliebt und gängig die Begriffe Wissensökonomie und Wissensgesellschaft im Alltag, besonders im Alltag der Politik, geworden sind, so fragmentarisch blieb ihre Akzeptanz in der akademischen Welt, aus der sie freilich stammen. Vielen gelten sie nach wie vor als anrüchig, stehen unter Ideologieverdacht und Mythenvorbehalt. Da diese Unbestimmtheit schon lange andauert, wollten wir der Frage nach Gründen und eventuellen Fortschritten in der „Aufklärung des Gegenstands“ nachgehen. Der vorliegende Band will daher Themen und Begriffe im Bedeutungshof der „Wissensökonomie“ beleuchten. Er will selektive Einblicke in recht verschlungene Diskursstränge geben, die für das Feld der „Wissensökonomie“ von Bedeutung sind, auch wenn sie dieses Label nicht immer zuvorderst im Wappen tragen. Es geht in diesem Zusammenhang auch um die Bedeutung der Wissensproduktion für das Wachstum (Endogene Wachstumstheorie bzw. New Growth Theory) und den Innovationsprozeß (Innovationsökonomie und -theorie); ferner um die Frage des geistigen Eigentums hierbei, der Rolle des „Humankapitals“ und der Bildung, um Wissensökonomie auf Unternehmensebene (u.a. evolutorische Unternehmenstheorie, Wissensbilanzierung, Intellectual Capital Reporting, knowledge management), und nicht zuletzt um die Transformation der Erwerbsarbeit in postindustriellen Ökonomien, wofür der Begriff „Wissensarbeit“ eine der wiederum umstrittenen Chiffren ist.
Daß man ein solches Diskursfeld nicht anders denn interdisziplinär behandeln kann, ist offensichtlich. Ebenso, daß es nicht darum gehen kann, die angesprochenen Zusammenhänge erschöpfend zu behandeln, sondern sie überhaupt zu thematisieren. Ein Teil der hier versammelten Beiträge entstand für eine interdisziplinäre Tagung im Jahr 2004, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, insbesondere Forscher der Wirtschaftswissenschaften und der Soziologie zu diesen Themen zusammenzubringen. Einladende waren die Sektionen Arbeits- und Industriesoziologie sowie Wissenschafts- und Techniksoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, und der Arbeitskreis Politische Ökonomie. Die Referentinnen und Referenten kamen aus diesen Teildisziplinen ebenso wie aus der Volkswirtschafts- und der Betriebswirtschaftslehre, der Arbeits- und den Rechtswissenschaften sowie aus der Pädagogik, was mehr als ein Minimum an „Perspektivität“ auf den schillernden Gegenstand gewährleistete.
Mit dem 1994 veröffentlichten programmatischem Titel Arbeit, Eigentum, Wissen – zur Theorie der Wissensgesellschaft gehörte Nico Stehr zu den wichtigsten Anregern einer solchen tellerrandüberschreitenden Debatte im deutschsprachigen Raum, weshalb wir ihn einluden, an der Entstehung und Gestaltung dieses Bandes mitzuwirken. Von Beginn an war geplant, die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge zu erweitern um Texte weiterer Kolleginnen und Kollegen, die zur Ausmessung des Feldes wesentliche Beiträge leisten können. Der herausgeberische Prozeß hat sich allerdings auch durch diese Entscheidung sowie einige weitere Einflüsse weit länger als geplant hingezogen. Alle AutorInnen, die ihre Texte frühzeitig eingereicht hatten, bitten wir hierfür um Nachsicht. Soweit wir sehen können, hat sich das Diskursfeld aber zwischenzeitlich nicht wesentlich verändert, so daß der Band seine ihm zugedachte Funktion erfüllen kann.
In diesem Beitrag versuchen wir, eine Übersicht zumindest über einige der wichtigen verschlungenen Diskurse zu geben, um die Einordnung der einzelnen Beiträge zu diesem Band zu erleichtern. Auf sie verweisen wir jeweils im Zusammenhang mit den betreffenden Diskursen, anstelle einer Liste von Abstracts am Ende unserer Einführung.
ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der TU-Chemnitz. Forschungsschwerpunkte: Innovation, Beratung, Sozialkapital.
[weitere Titel]Inhaber des Karl-Mannheim-Lehrstuhls für Kulturwissenschaft an der Privaten Zeppelin Universität in Friedrichshafen.
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