Aus der Einleitung:

Viele konzeptionelle Gedanken über und zahlreiche lebenspraktische Beispiele für vorsorgendes Wirtschaften haben wir in diesem Buch entwickelt und vorgestellt. Sie verweisen darauf, dass für die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft mithilfe von vorsorgendem Wirtschaften mehr nötig ist als die einfache Verbreitung von guten Beispielen. Vielmehr bedarf es einer grundsätzlich anderen Rahmung der Gesellschaft; einer Rahmung, die nicht auf Hierarchien und Abwertungen basiert, einer Rahmung, die keine Abspaltungen und Ausgrenzungen mehr braucht; einer Rahmung, die durch das Prinzip der Inklusion statt der Externalisierung gekennzeichnet ist. Eine solche Rahmung erfordert andere Entscheidungsprinzipien und andere Grundlagen für politisches und soziales Handeln. Daher wird sie in der Fachdiskussion als Gesellschaftsvertrag bezeichnet. Es geht somit um einen neuen Gesellschaftsvertrag.

Die Figur des Gesellschaftsvertrages ist alt und hat in den klassischen Vertragstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts ihre neuzeitliche Ausprägung erhalten. In den vergangenen Jahren ist sie in der Nachhaltigkeitsdebatte immer wieder aufgegriffen worden. So hat Joseph Huber in seinem Grundgesetzszenario 159 Artikel für einen neuen Gesellschaftsvertrag verfasst. (Huber 2005) Und Wolfgang Sachs hat im Ausblick der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt" auf die Dringlichkeit eines neuen Gesellschaftsvertrages hingewiesen. Der Vertrag müsse nicht mehr nur das Verhältnis zwischen den Bürgern befrieden, sondern das Verhältnis zwischen Menschheit und Natur. (BUND et al. 2008, 607) Und jüngst hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) einen "Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" zur nachhaltigen Gesellschaft vorgeschlagen. Dieser Vertrag zielt darauf ab, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Er sieht vor, die Zivilgesellschaft besser zu beteiligen. Der Gesellschaftsvertrag soll globale Reichweite haben. Angesichts ungleicher Verteilung müsse er Fairness, Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich berücksichtigen. Die drei zentralen Transformationsfelder sind dem WBGU zufolge Energie, Urbanisierung und Landnutzung. (WBGU 2011)

Mit unserem Beitrag knüpfen wir an diese Debatte an und grenzen uns zugleich davon ab. Erstens stimmen wir der Auffassung zu, dass der vorherrschende Gesellschaftsvertrag als politische, soziale und ökonomische Grundstruktur moderner Gesellschaften für Nachhaltigkeit nicht geeignet ist, sie vielmehr blockiert. Deshalb fragen wir zu Beginn danach, woher das kommt und was mit den alten, mit den klassischen Gesellschaftsverträgen los ist (2). Wie sind sie konzipiert, worin besteht ihre Nicht-Nachhaltigkeit, und inwiefern sind sie immer noch gültig? Zweitens skizzieren wir die aktuellen Ausprägungen dieses Gesellschaftsvertrages in Deutschland (3).

Und drittens schließlich grenzen wir uns da ab, wo die Entwicklung eines neuen Gesellschaftsvertrages als Aufgabe für Experten angesehen wird. Unseres Erachtens kann die Suche nach Wegen zu nachhaltigen Lebens- und Arbeitsformen in einer nachhaltig verfassten Gesellschaft nicht als großes "hegemoniales Herrschaftsprojekt" (Roth 2006) angelegt sein. Der Entwurf eines einzigen neuen Gesellschaftsvertrages durch eine Gruppe oder gar eine einzelne Person geht daher am Problem vorbei. Vielmehr bedarf es vieler kleiner neuer Gesellschaftsverträge, die in Form von innovativen Projekten und Netzwerken mit für- und vorsorgender Ausrichtung in der Lebenspraxis entwickelt werden. Sie können und müssen v.a. auf der lokalen Ebene immer wieder neu ausgehandelt werden. Daher blicken wir aus einer fürsorgenden und vorsorgenden Perspektive auf neue Gesellschaftsverträge (4). Hier stellen wir die Lebensprozesse der Menschen und der Natur in den Mittelpunkt und schauen von ihnen aus auf die gesellschaftlichen Regelungen und die politischen und ökonomischen Prinzipien, die neue Gesellschaftsverträge für Nachhaltigkeit auszeichnen.