Matthias Schmelzer
256
Seiten ·
19,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN
978-3-89518-791-9
(June 2010)
)
In der aktuellen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt sich, dass das neoliberale Währungs- und Finanzsystem fulminant gescheitert ist. Statt von Liberalisierung ist wieder von Regulierung und Kontrolle die Rede, viele fordern ein ganz anderes Währungssystem, ein neues Bretton Woods. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass sich die neoliberale Währungstheorie und -politik durchsetzte?
Dieses Buch untersucht die theoretischen Wurzeln des neoliberalen Währungssystems. Es wird im Detail dargestellt, wie die beiden Forderungen nach globaler Freiheit für das Kapital und nach frei floatenden Wechselkursen von den späten 1940er bis zu den frühen 1970er Jahren von organisierten Neoliberalen theoretisch entwickelt und gesellschaftlich propagiert wurden. Der Fokus liegt dabei auf der Mont Pèlerin Society, dem zentralen transnationalen neoliberalen Netzwerk der Nachkriegszeit, in dem Ökonomen, Politiker und Unternehmer wie Milton Friedman, Gottfried Haberler und Friedrich von Hayek sich vernetzten, Theorien entwickelten und sich gemeinsam für deren Durchsetzung einsetzten.
Es werden zuerst die Ursprünge der neoliberalen Währungstheorie, deren Fundamentalkritik am keynesianischen Währungssystem von Bretton Woods und die internen Aushandlungsprozesse innerhalb des neoliberalen Netzwerkes zwischen Verfechtern des Goldstandards und Advokaten frei floatender Wechselkurse nachgezeichnet. Danach folgt eine systematische Untersuchung der organisierten Verbreitung der neoliberalen Währungstheorie in den Wirtschaftswissenschaften, bei Politikern und Privatbankiers. Schließlich wird der Einfluss neoliberaler Ökonomen in der Nixon-Regierung im Kontext des Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems und die Anfänge neoliberaler Währungspolitik analysiert.
Das Buch stellt somit einen Beitrag zur Geschichte ökonomischer Ideen, zur Analyse des organisierten Neoliberalismus, sowie zur transnationalen Netzwerkgeschichte dar.
"Schmelzer erinnert daran, dass die globale Umstellung auf ein liberalisiertes Währungssystem zu Beginn der 1970er-Jahre keineswegs eine naturgegebene, gleichsam alternativlose Antwort auf technologische und ökonomische Entwicklungen war, sondern das Resultat eines langjährigen Austauschprozesses zwischen Ökonomen und politischen Entscheidungsträgern, welcher ganz wesentlich von der Mont Pélerin Society gesteuert und befeuert wurde: "Die akademische Etablierung und die gesellschaftlich-politische Hegemonialisierung der Theorie floatender Wechselkurse", so seine zentrale These, "wurde maßgeblich vorangebracht und dominiert durch Mitglieder d[ies]es wichtigsten transnationalen Netzwerkes des aufkommenden Neoliberalismus"(S. 16).
Folglich konzentriert sich die Studie ausschließlich auf währungspolitische Diskussionen innerhalb des Netzwerks. Schmelzer folgt dabei einer klaren Struktur: Nach einem kontextbezogenen Kapitel zur Gründung der Gesellschaft und zur Funktionsweise des Bretton-Woods-Systems wendet er sich der äußerst konfliktreichen Durchsetzung der Theorie frei floatender Wechselkurse innerhalb des Netzwerkes in den 1950er- und 1960er-Jahren zu. In minutiöser Analyse zeichnet er nach, wie sich ausgehend von Milton Friedmans frühem Plädoyer für frei floatende Wechselkurse aus dem Jahre 1950 ein zäher Gesinnungswandel innerhalb der Gesellschaft vollzog: Die in den 1950er-Jahren noch vorherrschende Zielsetzung einer Rückkehr zum Goldstandard geriet mehr und mehr ins Zentrum der Kritik, ehe sich auf der Konferenz im italienischen Stresa 1965 die Theorie schwankender Wechselkurse endgültig durchsetzte. Schmelzer erklärt diesen Wandel unter anderem damit, dass diese Theorie zum einen, im Gegensatz zum Goldstandard, pragmatische Lösungen für reale politische Probleme anbieten konnte. Zum anderen habe sie aufgrund ihres innovativen Potentials insbesondere jüngeren Mitgliedern der Gesellschaft attraktive Forschungsmöglichkeiten eröffnet.
Dieser Binnenanalyse schließt sich ein Kapitel zur Verbreitung der Theorie schwankender Wechselkurse in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik an. Schmelzer weist nach, dass es den Mitgliedern der Mont Pélerein Society im Laufe der 1960er-Jahre gelang, auf zahlreichen internationalen Konferenzen mit akademischen Kollegen, Zentralbankchefs, Regierungsverantwortlichen und Bankern aus der Privatwirtschaft die weit verbreitete Ablehnung gegen ein System frei floatender Währungen aufzubrechen. Vor allem in der wissenschaftlichen Arena und im privaten Bankensektor fiel es Mitgliedern des neoliberalen Netzwerks ungemein leicht, neue Verbündete zu gewinnen. Schließlich macht Schmelzer deutlich, dass die Entscheidung der USA vom August 1971, zu frei schwankenden Wechselkursen überzugehen, ganz wesentlich von Beratern innerhalb der Nixon-Administration forciert wurde, die der Gesellschaft angehörten oder ihr zumindest nahestanden. Auch wenn die Argumentation in diesem Kapitel häufig einen assoziativen Charakter annimmt, da die Akteure zwar nahezu durchgehend Mitglieder der Mont Pélerin Society waren, aber zu keiner Zeit in ihrem Auftrag handelten, behält Schmelzers Grundthese in der Zusammenschau mit dem vorhergehenden Kapitel hohe Plausibilität.
Doch nicht nur Story, These und Struktur gefallen an dieser Studie. Es gibt bislang kaum eine geschichtswissenschaftliche Arbeit, die Peter Haas' Konzept der epistemischen Gemeinschaft so konsequent und überzeugend umsetzt, wie Schmelzer dies für die Mont Pélerin Society leistet.[1] Insbesondere die Binnenanalyse der Gesellschaft dürfte die historische Forschung konzeptionell bereichern, da transnationale Netzwerke bislang überwiegend als homogene Interessengruppen verstanden und in erster Linie auf ihre Außenwirkung hin untersucht wurden.[2] Darüber hinaus ist es Schmelzer gelungen, ein schwer verdauliches, teils sehr komplexes, nichtsdestotrotz hochaktuelles wirtschaftshistorisches Thema aus der verstaubten Dogmengeschichte herauszuholen und in einen breiteren wissensgeschichtlichen, politikhistorischen und zugleich transnationalen Kontext zu stellen. Eine derart betriebene Wirtschaftsgeschichte schlägt nicht nur Brücken zu anderen Teildisziplinen, sondern zwingt letztere geradezu, sich wieder verstärkt der allzu lange verpönten Ökonomie als zentralem Untersuchungsgegenstand geschichtswissenschaftlicher Forschung zuzuwenden."