Michael Wohlgemuth
31 Seiten · 7,58 EUR
(18. März 2008)
Aus der Einleitung:
... Es wäre freilich tollkühn, wollte ich Diskursethiker davon überzeugen, dass der Kapitalismus die ideale Arena eines reinen „kommunikativen Handelns“ abgäbe, wie es Habermas auf über 1100 Seiten beschreibt (Habermas 1981/95a, b). Aber dies ist auch nicht mein Anspruch. Ähnlich wie Habermas’ Unterscheidung von „System“ und „Lebenswelt“ impliziert auch seine Unterscheidung idealtypischer Handlungsarten bzw. -motive scheinbar selbstverständliche Zuordnungen zu realtypischen Handlungszusammenhängen. Bekanntlich unterscheidet Habermas im Wesentlichen drei „Handlungsbegriffe“: (1) „teleologisches Handeln“, das zweckrational auf Erfolg durch Wahl geeigneter Mittel ausgerichtet ist; (2) „strategisches Handeln“, das auf Erfolg vermittels der Entscheidungen Anderer ausgerichtet ist; hierbei sind Akte der Kommunikation oft Bestandteile der Spielstrategien (ibid., 141f.), doch handelt es sich nicht um Habermas’ Idealform von (3) „kommunikativem Handeln“. Hierbei suchen die „Aktoren […] eine Verständigung über die Handlungssituation, um ihre Handlungspläne und damit ihre Handlungen einvernehmlich zu koordinieren“ (ibid., 128); wobei es nicht um das Aushandeln von Interessensunterschieden gehen darf – strategisch erfolgsorientierte Motive müssen vielmehr durch reflexiven Bezug auf Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit überwunden bzw. „mediatisiert“ werden. Kein leichtes Unterfangen – jedenfalls eines, das der gelernte Ökonom leicht in der (Un-) Welt des „Nirvana“ zu alloziieren gewohnt ist (vgl. Demsetz 1969).
Habermas selbst (1981/95a, 129) sieht durchaus zu Recht die „Fruchtbarmachung“ des teleologischen und des strategischen Handlungsbegriffs bei den „Begründern der Neoklassik“ mit ihrer „Theorie der Wahlhandlungen“ sowie der „Theorie strategischer Spiele“. Damit wird jedoch zugleich erfolgreich insinuiert, es gäbe weder eine andere Ökonomik noch eine andere Ökonomie. Hätte normenreguliertes und verständnisorientiertes Handeln etwas mit Ökonomie zu tun, hätte die Ökonomik ja diese Begriffe wohl auch „fruchtbar“ gemacht. Nun darf man aber vorherrschende Theorie und tatsächliche Praxis nicht gleichsetzen. Besonders gilt dies für die neoklassische Rational-Choice-Theorie des Marktgleichgewichts und die Realität überaus kommunikativer wettbewerblicher Marktprozesse. Es geht also im Folgenden zum einen darum, zu zeigen, dass im ökonomischen „Reich der Notwendigkeiten“ deutlich mehr kommunikatives Handeln angelegt ist und geleistet wird, als neoklassische Theorie modellieren und Habermas’sche Intuition glauben kann. Des Weiteren möchte ich zeigen, dass im Reich der „politischen Notwendigkeiten“, aber auch im lebensweltlich „zweckunabhängigen“ Diskurs deutlich mehr strategisches Handeln angelegt ist und an den Tag tritt, als Habermas’ Diskurstheorie anzuerkennen bereit scheint.