Die meisten Betriebe der deutschen Landwirtschaft bedienen sich zunehmend industrieller Methoden: Sie betreiben arbeitsteilige Massenproduktion in immer größeren Einheiten. Dieses Buch zeigt, wie diese Wirtschaftsweise letztlich ihre eigenen Existenzbedingungen zerstört und die Ernährungssicherheit gefährdet.
Die industrielle Landwirtschaft schädigt die Lebensgrundlagen Boden und Wasser und die Vielfalt der Arten und Ökosysteme. Sie gefährdet Leben, Gesundheit und Wohlbefinden von Pflanzen, Tieren und Menschen. Und sie trägt erheblich zur Erwärmung des Weltklimas bei. Leidtragende dieser Entwicklung sind auch die Landwirtinnen und Landwirte selbst. Deshalb müssen sie für den Umbau der industriellen Landwirtschaft zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise gewonnen werden. Norbert Franz und Hans-Jürgen Müller leiten die Gründe für diese Entwicklung her und zeigen erprobte Wege der Landwirtschaft hin zur Nachhaltigkeit: den ökologischen Landbau, eine nachhaltige Weidewirtschaft und andere Formen nachhaltigen Land- und Gartenbaus wie beispielsweise Agroforstsysteme und Permakultur, regenerative Landwirtschaft und ökologisierte Formen industrieller Landwirtschaft. Eine Brücke auf diesem Weg kann die "Hybrid"-Landwirtschaft sein, die ökologische und industrielle Wirtschaftsweisen verbindet.
Die Autoren stellen gesellschaftliche Akteure vor, die diese "große Transformation" vollziehen und fördern. Und sie erheben konkrete Forderungen an die Politik, die geeignet sind, diese Transformation zu fördern und die Existenz der Landwirtschaft zu sichern.
"Auch ein deutsches Autoren-Duo, das die EU-Agrarpolitik mit im Blick hat, postuliert das deutlich: Der dringliche, offiziell proklamierte Wandel müsste mit zielgerichtetem Einsatz aller öffentlichen Mittel vorangetrieben werden. Nicht mehr die bewirtschaftete Fläche, die Art der Bewirtschaftung müsste ausschlaggebend sein. Doch noch gilt das «Wachse-oder-weiche»-Diktat, wird ‹bäuerliche› Landwirtschaft von grossflächig betriebener Agroindustrie verdrängt. Daran interessiert sind vorab unzählige Unternehmen, die dazu Betriebsmittel, gigantische Investitionen finanzieren, Produkte kaufen, angeblich veredeln und zum Konsum vertreiben. Sie sind bestens organisiert, einflussreich, übermächtig.
In einem persönlichen Exkurs beschreibt Hans-Jürgen Müller, Jahrgang 1957, «aufgewachsen in einem ganz konventionell geführten Ackerbaubetrieb», was das etwa punkto Pestizide bedeutete. Er sah als Kind die Totenköpfe auf den Verpackungen der Mittel, die gespritzt wurden, hatte das Puder, welches ein Lohnunternehmer mit seinem Traktor ausbrachte, an der Kleidung, auf der Haut, in der Nase. Um sein Agrarstudium mitzufinanzieren, setzte er sich sogar selbst in so einen Traktor. «Erstmals so richtig auf die ganze Problematik» aufmerksam geworden sei er erst, «nachdem der Fahrer relativ jung an Krebs gestorben war». Inzwischen gebe es zwar geschlossene Kabinen und strenge Vorschriften, doch er wich derartigen Belastungen nun generell aus, habe auch versucht, seinen Lebenswandel entsprechend zu gestalten, achte besonders auf eine gesunde Ernährung. In letzter Konsequenz sei er Bio-Bauer geworden, weil er «zeigen wollte, dass es auch anders geht». Zudem wirkt er als Grüner im Hessischen Landtag. Co-Autor Norbert Franz war Buchhändler und Industriearbeiter, bevor er Germanistik und Geschichte studierte und promovierte. Nun befasst er sich im Ruhestand «als freier Forscher» mit Bedingungen einer Wende, die nicht nur die deutsche Landwirtschaft dringend braucht.
Denn die in historisch gesehen kürzester Zeit dominant gewordene Agrarindustrie erweist sich in der Bilanz nicht als Fortschritt, sondern als ökologischer und auch ökonomischer Irrweg. «Weiter so» ist keine Option, nur schon wegen des Klimaaspekts. Nötig wäre eine grundlegende Transformation. Ein schillernder Begriff. Mir hat er, als er in den politischen Debatten auftauchte, gefallen. Er enthält zwar Entscheidungen gegen etwas Bisheriges, wo nötig mit radikalen Brüchen, aber auch das Bemühen um den Bau von Brücken vom vertrauten Vergangenen zum als besser Erkannten. Inzwischen klingt «Transformation» manchmal fast so modisch und unverbindlich wie die «Nachhaltigkeit», zu der laut dem Titel des Buches unsere Landwirtschaft gelenkt werden müsste. Doch auf den gut 500 Seiten ist alles bestmöglich beschrieben, der Umfang ist der Komplexität des Themas angemessen. Zielsetzungen, Wege werden differenziert skizziert und mit Beispielen präzisiert.
Wo ein Aspekt zu breit dargelegt scheint, kann die mitgelieferte Zusammenfassung des Abschnitts genügen. Etwa dort, wo spezifisch deutsche Fragestellungen dominieren. Aber das meiste trifft im Kern auch auf die Schweiz zu. Sie kommt sogar erstaunlich oft direkt vor, zumal wenn es um frühe Versuche mit biologischem Landbau geht, um den Anteil der Bio-Produkte beim Konsum oder alternative Ansätze mit Stadt-Land-Bezügen. Und wenn vom Scheitern der Reformpläne die Rede ist, die zur Zeit der Ampel-Koalition vom grünen Umweltminister eingeleitet, dann durch die FDP sabotiert wurden, kommt uns automatisch der Rösti als neu Verantwortlicher für Umwelt- und Landwirtschaft in den Sinn. Das waren Rückschläge, bei uns gar per Volksabstimmungen abgesegnet, die lange nachwirken werden.
Von vielen, ja der Mehrheit der Bäuerinnen und Bauern bekamen die Bremser allerdings Beifall. Die ökologisch orientierte «Agrarwende» stiess bei den von allen Seiten bedrängten und verunsicherten Produzenten immer auf Opposition. «Wir müssen die Welt ernähren», war ihnen in der Ausbildung als Credo vermittelt worden. Kombiniert mit ideologischer Marktliberalität sowie traditionellem Konservativismus ergab dies einen Mix, der zu eher reaktionären Kundgebungen führten. Mit kraftvollen Traktoren gegen gefühlte Ohnmacht. Urbaner geprägte «Wir haben es satt»-Demonstrationen, die seit der Jahrtausendwende jeweils im Umfeld der ‹Grünen Woche› in Berlin stattfinden, markieren eine Gegenposition. Auch dort sind Bäuerinnen und Bauern dabei, wie in der Einleitung des Buches betont wird. Gemeinsam mit vielen anderen Menschen wenden sie sich zum Beispiel gegen das Billigfleischsystem, gegen Gentechnik, synthetische Düngemittel und Pestizide. «Auch sie kämpfen um ihre Existenz. Sie fordern eine selbstbestimmte, sozial-, natur- und klimagerechte Landwirtschaft.»
Ermutigend wirkt, was über Weichenstellungen der Europäischen Union zu lesen ist. Zumindest für die letzten Jahrzehnte wird die agrarpolitische Dynamik bei der EU positiv beurteilt. Sie sei «zu einem wichtigen Akteur der Transformation» geworden, obwohl sie noch «zwischen konservativer Reform und Grosser Transformation» schwanke. Zumal der 2019 im Sinne der UN-Agenda 2030 verkündete ‹Green Deal›, der Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen sollte, habe Bemerkenswertes bewirkt. Dazu gehören eine Biodiversitäts- sowie eine «Farm-to-Fork»-, also «vom Hof auf den Tisch»-Strategie. 2023 fanden Gesetze zum Erlass neuer Verordnungen «zur Wiederherstellung der Natur» trotz aller Widerstände eine knappe Mehrheit im Europäischen Parlament. Das taxiert der Deutsche Bauernverband als «Belastung für die Landwirtschaft», die Umsetzung dürfte konfliktreich werden. Auch hier sei dann entscheidend, wie stark sich zivilgesellschaftliche Kräfte engagieren, ob die Wissenschaft mitwirkt, ob weitere konkrete Projekte entstehen, gemeinsam gefundene Lösungen gelingen. Aktive vor Ort, «allen voran die Landwirtinnen und Landwirte selbst», können lokal beginnen. Oft sind es kleine Familienbetriebe oder initiative Kollektive. Neu entwickelten, aber auf altem Wissen basierenden Agrarökologie-Experimenten mit Kreislauf- und Agroforst-Ansätzen sind etliche Abschnitte gewidmet.
"Wenn zwei Menschen aus eigentlich unterschiedlichen Fachrichtungen zusammenkommen, kann daraus eine interessante Gesamtbetrachtung werden. Das ist bei Norbert Franz und Hans-Jürgen Müller der Fall. Historiker mit Bezug zum "wirklichen Leben" der eine, Agrarwissenschaftler mit dem Hintergrund eines Machers und Erfahrung aus dem politischen Leben der andere.
Bei der Buchvorstellung im Rathaussaal Witzenhausen zeigten die beiden Autoren, wie das zusammengeht. "Nachhaltige Landwirtschaft - sichere Ernährung. Die große Transformation der deutschen Agrarwirtschaft" behandelt auf über 500 Seiten die Entwicklung der deutschen Landwirtschaft. Schon im ersten Teil über die Agrarindustrialisierung erschließen sich auch durchaus kundigen Leser:innen Zusammenhänge, die wichtig sind für ein Verständnis des Ganzen und für einen Blick in die Zukunft.
Tatsächlich schafften es die beiden Verfasser, in nur einer Stunde ihre wesentlichen Thesen vorzutragen. Norbert Franz mit der Präzision und Klarheit eines Universitätsprofessors, Hans-Jürgen Müller mit dem riesigen Fundus seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Agrarpolitiker. Seine Hintergrunderfahrungen und mitunter Anekdoten würzten den gemeinsamen Vortrag.
Formal ist das über 500 Seiten starke Werk in drei Teile gegliedert. Neben dem schon genannten ersten Teil werden Wege der Transformation erörtert. "Lebenspraktisch" werden dabei auch Methoden nachhaltiger Landwirtschaft jenseits des ökologischen Landbaus vorgestellt, alternative Formen anderer Länder und Kulturen. Auch Agroforstsysteme werden erläutert.
Schließlich geht es um die Frage einer nachhaltigen industriellen Landwirtschaft. Gleich zu Anfang wird aus dem Kursbuch Agrarwende 2050 von Greenpeace zitiert, in dem eine Ökologisierung der konventionellen Landwirtschaft gefordert wird: Klimaschonende Bewirtschaftung, Erhöhung der biologischen Vielfalt, verringerte Schadstoffeinträge, verbesserte Nutztierhaltung, gentechnikfreie Lebensmittel.
Im letzten Teil über die "zivilgesellschaftlichen Akteure des Wandels" mögen Lesende gelegentlich stutzen. Etwas salopp wird etwa die umstrittene Figur des Edmund Rehwinkel (u.a. Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, † 1977) behandelt mit einem Zitat von Kiran Klaus Patel: "Gelegentliche Annäherungen Rehwinkels an die NPD blieben Episode".
Das schmälert aber nicht den hohen Wert des Buches für alle Interessierten im weiten Umfeld der Umwelt- und Klimabewegung. Die Landwirtschaft ist eine wesentliche Stellschraube für die Zukunft der Menschheit. Mit der fast nüchternen Sichtweise des Historikers einerseits und der fundierten Kenntnis des Agrarpolitikers andererseits wird das überdeutlich.
Das spiegelte auch der zweite Teil des Abends wider. Im anschließenden Dialog mit den Gästen wurden viele Positionen deutlich, die wohl als repräsentativ für viele Menschen gelten können. Vom Pessimismus über den augenblicklichen Rollback über den Frust konventioneller Landwirt:innen bis zur kompromisslosen Haltung einer Tierrechtlerin kam alles zur Sprache, was involvierte und/oder am Thema interessierte Menschen bewegt. Dennoch verbreiteten die beiden Autoren in einem Schlussstatement Optimismus. Denn gerade aus der Sicht der Geschichtswissenschaft, die Vergangenheit immer in Abschnitte einteile, könne erkannt werden, dass Entwicklungen nicht unumkehr- oder unveränderbar seien.