Nachhaltigkeit als Aufgabe für die Gesellschaft
Nachhaltigkeit alleine reicht nicht, um die Welt zu retten. Es bedarf auch Freiheit und Geeignetheit, argumentiert der Ökonom Fred Luks in "Öko-Populismus". Damit führt er das Thema zurück in die Mitte der Gesellschaft.
Grünen- und Ökobashing ist gerade in. Selbst nachhaltige Unternehmer möchten nicht als "Ökos" betrachtet werden, grüne Minister betonen, dass sie Fleisch essen und Bücher, die einen "Ökofimmel" feststellen oder, wie der Dänische Statistiker Björn Lomborg, die Apokalypse erst mal vertagen, gehen ganz gut. Naja, die Botschaft, dass unsere Wirtschaftsweise die Zukunft konsumiert, ist ja auch nicht mehr gerade nagelneu, und Selbstgefälligkeit und Moralismus gehen einem auch nicht nur beim Bundespräsidenten auf die Nerven, sondern mehr noch bei der gewohnheitsmäßig schlechtgelaunten Führungsmannschaft der GRÜNEN. In letzter Zeit erscheinen aber zum Glück auch Bücher, die das Anliegen einer starken Nachhaltigkeit bei gleichzeitiger Kritik der Ökoszene vortragen - die "Grünen Lügen" des Nachhaltigkeitspioniers Friedrich Schmidt-Bleeck, im Frühsommer 2014 erschienen, ist so eins, das gerade erschienene "Ökopopulismus" des an der Wiener Wirtschaftsuniversität lehrenden Fred Luks ein anderes.
Luks, der sich selbst sicherlich der Nachhaltigkeitsszene zurechnen würde, kritisiert in diesem Buch zu Recht jede Einfachheit, die suggeriert, dass mit bewussterem Konsum und mehr erneuerbaren Energien die wesentlichen Probleme schon gelöst seien. Ihm scheinen neben der Nachhaltigkeit zwei andere Kriterien für eine gute gesellschaftliche Praxis essentiell: Freiheit und Geeignetheit. Freiheit ist für ihn, was es aufrechtzuerhalten gilt, und zweifellos braucht man nachhaltigere Wirtschafts- und Lebensformen, wenn man eine freiheitliche Gesellschaft will. Mit "Geeignetheit" meint Luks, dass Vorschläge zu einer nachhaltigeren Praxis auch anschlussfähig an die vorhandenen wirtschaftlichen Bedingungen und Infrastrukturen sein müssen. Bei diesen beiden Erweiterungen der Nachhaltigkeitsperspektive kann man Luks durchaus zustimmen - er führt damit, und das ist der große Vorzug seines Buches, das Thema aus der ökotechnokratischen Sackgasse und reformuliert es als gesellschaftspolitisches Thema.
Dabei ist es wohltuend, dass Luks erstens flott schreibt und zweitens Dimensionen anspricht, die andernorts ausgespart bleiben: zum Beispiel, dass man um das Faktum nicht herumkommt, dass viele Konsumangebote nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern gleichzeitig auch emotional höchst begehrenswert sind. Einem Autofan wird man den Aston Martin nicht mit Verweis auf den fortschreitenden Klimawandel ausreden können - daher ist die Frage nach der Lebensqualität, ja, sogar nach der Ästhetik der Lebenspraxis eine, die im Ökodiskurs nicht ausgespart werden darf, sondern zentral gestellt werden muss. Man muss dieses gute Argument nicht unbedingt damit unterfüttern, dass man wie Luks einen 12-Zylinder-Sportwagen ausleiht und damit durch die Gegend kachelt, nur um festzustellen, dass der Konsumismus stark verführen kann - wie der Autor, um im Bild zu bleiben, überhaupt manchmal zuviel Gas gibt.
Beim Lesen geht einem besonders auf die Nerven, dass Luks wie in einem Lexikon ständig auf die anderen Kapitel in seinem eigenen Buch verweist, als gäbe es dort Gültigkeiten zu finden, die man gar nicht oft genug lesen kann. Aber abgesehen davon liefert Luks viele brauchbare Ideen und Hinweise, wie man der Verführung des vereinfachenden Arguments und des grünen Pharisäertums entrinnen kann und Nachhaltigkeit wieder als Aufgabe verstehen kann, die nicht nur die Technik transformiert, sondern die Gesellschaft.
Ein Beitrag von Harald Welzer (Deutschlandradio Kultur, 03.11.2014)
Ein Mikro-Ausdruck für einen Makro-Trend: Die Grünen sind in der Politik erfolgreich, weil sie - na ja - simpel daherkommen. Große Würfe und einfache Lösungen haben in einer immer schwierigeren Welt Konjunktur. Eine kleine Auseinanderlegung
Es ist alles sehr kompliziert - die Politik, das Leben, die Welt: Darauf hat Fred Sinowatz schon 1983 hingewiesen. Populismus will davon nichts wissen und verspricht - das ist eine seiner Haupteigenschaften - einfache "Lösungen". Das kennt man zum Beispiel aus Debatten über Migration und Integration. Das Phänomen Populismus spielt aber auch in anderen Diskursen eine immer größere Rolle - zum Beispiel dann, wenn es um Wirtschaft und Umwelt geht.
Thomas Hofer hat in seinem Beitrag (Standard vom 27./28. September 2014) darauf hingewiesen, dass die Erfolge der Grünen eine populistische Seite haben. Es sei, so Hofer, ganz wesentlich "eine der medialen Logik angepasste Strategie der Simplifizierung", die grüne Wahlerfolge erkläre: "Kompliziert ist da gar nichts mehr."
Nun könnte man mit Blick auf Wahlkampfrhetorik darauf verweisen, dass Klappern nun mal zum Handwerk gehört. Ernster ist allerdings die Tatsache, dass der grüne Populismus in einem größeren Kontext steht: Wenn es um Nachhaltigkeit geht, werden populistische Tendenzen immer stärker spürbar. Insofern sind die populismusbefeuerten grünen Wahlerfolge nur der Mikro-Ausdruck eines Makro-Trends.
Beispiele für die Tendenz, die komplexe Welt mit einfachen und großen Würfen zu "retten", finden sich in verschiedenen Ecken des Diskurses über Nachhaltigkeit. Zugespitzt: Die Gemeinwohlbewegung will uns die "richtigen" Werte und außerdem jede Menge Gremien verordnen, in denen darüber abgestimmt werden soll, wie wir aus dem Kapitalismus aussteigen. Dass eine historisch gewordene Wirtschaftsform zwar verändert, aber nicht einfach "abgeschafft" werden kann, bleibt völlig unberücksichtigt.
Die Idee des "Postwachstums" basiert auf der richtigen Einsicht, dass Nachhaltigkeit mit dauernder wirtschaftlicher Expansion nicht vereinbar ist - und sieht den einzigen Weg in die "Postwachstumsgesellschaft" in radikalen Veränderungen des individuellen Verhaltens. Dass diese Veränderungen erstens nicht ausreichen und zweitens wesentlich durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen geprägt werden, bleibt unterbelichtet. In Publikationen des Club of Rome wird uns nahegelegt, doch von China zu lernen und einzusehen, dass autoritäre Regierungen das mit der Nachhaltigkeit einfach besser hinbekommen.
All diese Ideen für eine nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft sind auf populistische Weise zweifelhaft - zumindest dann, wenn man Freiheit, Kreativität und Demokratie für wichtig erachtet. Der politische Mainstream hält diese Werte zumindest rhetorisch hoch - und macht es am Ende nicht besser. Letztlich wird uns auch hier eine einfache "Lösung" für nahezu alle gesellschaftlichen Probleme verordnet: Wachstum, Wachstum und nochmal Wachstum. Dieser Ökonomie-Populismus ist ebenso simpel und gefährlich wie die oben erwähnten Ansätze.
Keine platte Weisheit
Auch das Aufrufen des Sinowatz-Zitats "Es ist alles sehr kompliziert" ist in gewisser Hinsicht populistisch. Denn wenn man das Originalzitat anschaut, sieht man: Sinowatz hat keine platte Lebensweisheit in die Welt gesetzt, sondern eine wichtige Problemlage so benannt, dass seine Analyse auf die heutige Situation passt wie die vielzitierte Faust auf das vielzitierte Auge: "Ich weiß schon (...), das alles ist sehr kompliziert, so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen. Haben wir daher den Mut, mehr als bisher auf diese Kompliziertheit hinzuweisen; zuzugeben, dass es perfekte Lösungen für alles und für jeden in einer pluralistischen Demokratie gar nicht geben kann."
Und was sind in dieser komplizierten Situation wirksame Mittel gegen den Populismus der einfachen Lösungen? Nun: Humor wird auch hier nicht schaden - die Naivität mancher populistischer Vorschläge lädt durchaus zum Lachen ein. Und: Bildung! Menschen, die die Kompliziertheit der Welt kennen und sie als Teil demokratischer Politik anerkennen, gehen populistischen Parolen wahrscheinlich weniger leicht auf den Leim als Leute, die wenig wissen - und daher alles Mögliche glauben. Einer Gesellschaft, die sich auf demokratische Weise nachhaltig entwickeln will, sollte das viel wert sein.
Ökonomische Bildung
Ökonomische Bildung ist besonders wichtig, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Einmal, weil laut Keynes jeder Politiker Sklave eines toten Ökonomen ist. Aber auch, weil nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und ökologische Themen ökonomisch geprägt sind. Wenn einem die Nachhaltigkeit am Herzen liegt, kann man sich daher über die internationale studentische Bewegung für mehr Pluralismus in der Volkswirtschaftslehre nur freuen. Wir brauchen eine Ökonomik, die die Kompliziertheit der Welt und auch die ausgesprochene Vielfalt ihrer wissenschaftlichen Interpretationen zur Kenntnis nimmt.
Versuchen Sie Dummheit
Gute Bildung allein wird wohl nicht verhindern, dass Menschen auf platte Wahlkampfrhetorik hineinfallen oder sich bei der Suche nach Orientierung von einfachen "Lösungen" begeistern lassen - aber schaden wird sie gewiss auch nicht. Wie heißt es so schön: Wenn Ihnen Bildung zu teuer ist, versuchen Sie's mal mit Dummheit. Eben.
(Fred Luks, DER STANDARD, 18.10.2014)