" Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik " · Band 6
352 Seiten
26.80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-593-9
(Februar 2007)
Warum erfasst die kapitalistische Dynamik Ostasien intensiver als den Maghreb? Der Einfluss von Religion auf sozioökonomische Prozesse schwindet nicht, es ändert sich vielmehr die Art und Weise der Einwirkung. Eine der Leitfragen lautet: "Inwiefern formen Religionen die Ökonomie und die gesellschaftliche Dynamik durch ihre Verhaltensnormen und Weltbilder?" Schon Adam Smith beschäftigte sich mit dieser Frage. Er war zugleich auch Pionier der ökonomischen Erklärung religiöser Phänomene, die sich seit den 1970er Jahren als Economics of Religion etablierte, welche Religion als abhängige Variable untersucht: "Inwiefern wandeln sich aufgrund ökonomischer und gesellschaftlicher Veränderungen religiöse Bedürfnisse, religiöse Regelwerke oder religiöse Organisationen?"
Das Jahrbuch präsentiert ein Spektrum von Beiträgen, welche Religion auf verschiedenartige Weisen in ökonomische, soziologische und kulturwissenschaftliche Erklärungsansätze integrieren. In einigen Beiträgen wird zudem das Innovationspotenzial der Leitfragestellungen ausgelotet. Die Modellierung der Interdependenzen zwischen Religion und Ökonomie können für die institutionenökonomische Theoriebildung über einen möglichen Beitrag zur Stabilisierung von Vertrauen und damit Transaktionskostensenkung hinausgehend insgesamt von Interesse sein: Die Herausforderung besteht in der Modellierung von Interdependenzen, die in Systeme mit ökonomiefremden Kodierungen hineinreichen. Mit dem Jahrbuch wird erstmalig ein Sammelband zur Thematik "Ökonomie und Religion" vorgelegt, der unterschiedliche Ansätze in einer großen Bandbreite zur Diskussion stellt.
"Die Herausgeber/innen bemerken im Vorwort, dass damit erstmalig ein Sammelband dem Thema 'Ökonomie und Religion' gewidmet sei, der 'die unterschiedlichen Fragestellungen und Ansätze in einer großen Bandbreite' zusammenfasst. Dies ist für deutschsprachige Publikationen zwar richtig. Es sei jedoch angemerkt, dass bereits im Jahr 1997 ein Themenheft des Journal of Institutional and Theoretical Economics demselben Thema gewidmet war und dass sich darin auch Beiträge mehrerer Autoren und Autorinnen finden, die am hier rezensierten Sammelband mitgewirkt haben. Weiterhin sei verwiesen auf einen ebenfalls 2007 von Harald Hagemann herausgegebenen Sammelband mit dem Titel 'Ökonomie und Religion', der auf den Beiträgen der 24. Tagung des dogmenhistorischen Ausschusses des 'Vereins für Socialpolitik' aus dem Jahr 2003 beruht.
Mit diesen einleitenden Bemerkungen soll dem Jahrbuch 'Ökonomie und Religion'nicht sein innovativer Charakter abgesprochen werden. Insbesondere in Bezug auf die theoretische und methodische Diskussion bietet der Sammelband ein reichhaltiges Angebot an Ansätzen. Allerdings sind die Beiträge nicht ganz so umfassend gehalten, wie es das Vorwort verspricht. Von den insgesamt 14 Autoren und Autorinnen haben nur vier einen explizit religionswissenschaftlichen Hintergrund. Die anderen Aufsätze sind überwiegend der Ökonomie zuzuordnen. Dennoch bieten die Beiträge einen insgesamt überzeugenden Überblick über den aktuellen Diskussionsstand zur Interdependenz von Religion und Ökonomie und damit zu einem Thema, das in den letzten Jahren eine zunehmende Konjunktur in der Forschung erfahren hat.
Insgesamt bietet das Jahrbuch ein umfangreiches und vielfältiges Reservoir an Ideen, wie die Interdependenz von Ökonomie und Religion wissenschaftlich erfasst werden kann. Die gegenwärtige Diskussion wird damit schön zusammengefasst und der bereits über zehn Jahre alte Überblick im Themenheft des Journal of Institutional and Theoretical Economics von 1997 auf den aktuellen Stand gebracht sowie durch die interdisziplinäre Einbindung geisteswissenschaftlicher Autoren und Autorinnen deutlich erweitert. Im Vergleich mit dem von Harald Hagemann 2007 herausgegebenen Sammelband heben sich die hier rezensierten Beiträge klar durch ihre größere theoretische und empirische Bandbreite ab. ... Wer einen fundierten Überblick über die aktuelle theoretische Diskussion sowie Anwendungsbeispiele religionsökonomischer Konzepte in globaler Perspektive sucht, wird eher im Jahrbuch 'Normative und institutionelle Grundlagen der Ökonomik' fündig werden."
"Auch die moderne Welt scheint eine von Religionen geprägte Welt zu sein. Einige Autoren behaupten sogar, dass der Glaube in der Moderne "in einem bestimmten Sinne" noch zunehme. Es ist daher von der "Wiederkehr der Götter" die Rede. Dieser Auffassung schließen sich die Herausgeber des vorliegenden, sorgfältig edierten Bandes an, indem sie gleich im Vorwort betonen, dass "auch und gerade in modernen Gesellschaften [...] Religionen nach wie vor nicht nur lebendig [sind], sondern ihr Einfluss auf die sozio-ökonomischen Prozesse i.w.S. keineswegs schwindet". Es ändern sich lediglich ihre Formen, was angesichts des beschleunigten Wandels und weltweiten Austauschs von Menschen und Ideen in einer globalisierten Welt alles andere als verwunderlich ist. Wie dies vor sich geht und welche Determinanten dabei eine Rolle spielen, ist Gegenstand dieses Buches. Dafür werden vor allem Ansätze und Methoden der Institutionenökonomik bemüht, einer Richtung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, die sich in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland immer stärker durchsetzt.
Was gewinnt man durch die Einbeziehung religiöser Zusammenhänge zusätzlich an Erklärungskraft? Nicht viel, sagen die einen, sehr viel, die anderen. In diesem Buch überwiegt die positive Sicht, was die Darstellung schon deshalb interessant macht, weil im traditionellen Verständnis von Wirtschaft eher die andere Sichtweise verbreitet ist. Wie die Ausführungen in den einzelnen Beiträgen zeigen, hängt die Antwort aber auch vom jeweiligen Religionsverständnis ab, von der Religiosität oder Nichtreligiosität der Autoren und natürlich vom Glauben selbst.
Nach einem einleitenden ökonomischen Aufsatz von Gisela Kubon-Gilke widmet sich Anne Koch aus religionswissenschaftlicher Perspektive der Interdependenz von Religion und Wirtschaft. Sie bezieht dabei Fragen der Netzwerkbildung, der Vorteilhaftigkeit religiöser Gemeinschaften und der Bildung sozialen Kapitals mit ein, was den Text außerordentlich lesenswert macht. Die Autorin entwickelt ein eigenständiges Konzept einer Religionsökonomie, worin die Religion als Wirtschafsfaktor, das Verhältnis von Religion und Wirtschaft im kulturtheoretischen Kontext und Wirtschaftstheorien als Untersuchungsgegenstand und Modellansatz der Religionswissenschaft thematisiert werden. Sie gelangt bei der Erörterung derartiger Perspektiven zu dem Ergebnis, dass ökonomische Muster in der religiösen Metaphorik einen "festen Platz" haben, was Anlass zu der Hoffnung gibt, dass sich hierin "fruchtbare Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit von ökonomischen und religionswissenschaftlichen Experten" finden.
Auch wenn man nicht alle Thesen dieses Buches teilt, so trägt die Lektüre doch dazu bei, den Horizont zu erweitern und der Bandbreite gesellschaftswissenschaftlicher Analyse, insbesondere auf wirtschaftswissenschaftlichem Gebiet, einen weiteren Aspekt hinzuzufügen. Das Jahrbuch trägt damit dem Anliegen der Reihe voll und ganz Rechnung, institutionelle Milieus "hinsichtlich der in ihnen enthaltenen 'normativen Anker' zu analysieren" und aufzuzeigen, dass diese "Anker" nicht nur aus individuell zweckrationalem Verhalten heraus rekonstruierbar sind, sondern dass dieses vielmehr "institututionelle Arrangerments bereits voraussetzt".
"Es ist ein großes Verdienst der Herausgeber dieses Sammelbandes, das bislang zu wenig beachtete Thema »Ökonomie und Religion« zur Diskussion zu stellen. Dabei sind bereits, wie die Autoren zu Recht betonen, bei Adam Smith oder Max Weber die Grundlagen für eine Aufarbeitung dieser Fragestellung genügend deutlich markiert worden. So belegt Andrea Maurer, dass Weber in seinem Beitrag über den »Geist des Kapitalismus« nicht nur die Soziologie, sondern auch die Ökonomie darauf hingewiesen hat, bei der Erklärung und Analyse wirtschaftlicher Phänomene »nicht nur Interessen und Ressourcen zu berücksichtigen, sondern dafür gerade auch die Wirkung von Ideen und Werten sowie normativer Institutionen in Rechnung zu stellen« (83).
Hinsichtlich der konkreten Frage, inwieweit Religion Wirtschaft präge oder Wirtschaft Religion, sieht Gisela Kubon-Gilke eine »gegenseitige Abhängigkeit von Kultur und Ökonomie«. Deshalb wären eine »Reihe von ceteris-paribus-Annahmen der Standardökonomik« neu zu überdenken (32 f.). Aus Sicht der Religionswissenschaften stimmt Anne Koch einer Interdependenz von Religion und Wirtschaft zu und hofft hier künftig auf produktive Zusammenarbeit der Experten (58). In Blick auf den Zusammenklang von Ökonomie und Religion bei der Bestimmung eines »Gerechten Preises« zeigt Richard Sturm, dass hier Unterschiede in erster Linie mit unterschiedlichen »Konzeptualisierungsvarianten der Beziehungen von Naturrecht, jus gentium, christlicher Sittlichkeit und positiv-rechtlicher, institutioneller Realität« zusammenhingen (108). Eine andere Verbindung von Ökonomie und Religion sieht Bernhard Emunds hinsichtlich des Arbeitsmarkts bzw. der Massenarbeitslosigkeit. Für ihn ist das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe unter arbeitsgesellschaftlichen Bedingungen »ein ethisches, juristisch nicht einklagbares Recht auf Erwerbsarbeit«(130). Hierfür hätte jeder in der Gesellschaft Verantwortung zu tragen, und er redet sogar von einer »Bringschuld«. Ersatzweise fordert er ein entsprechendes Transfereinkommen (133) und ebenso ein Grundeinkommen sowie eine gesellschaftliche Relativierung der Erwerbsarbeit (134). Völlig offen lässt er dabei die Frage, wer das gegebenenfalls bezahlen soll.
Einen weiteren Schnittpunkt von Ökonomie und Religion greift Hans G. Nutzinger mit der Frage nach der Gerechtigkeit und dem Gebot der Armutsvermeidung auf. Er beschäftigt sich hierbei mit den aus der Bibel zu entwickelnden ethischen Maximen zu wirtschaftlichen Fragen (141). Und als Zentralbegriff sieht er hierzu im Alten Testament die Gerechtigkeit (142), die sich in der Zuwendung zu den Armen ausdrücke. Dazu diskutiert er dann die Frage des Schuldenerlasses (144). Bezüglich des Neuen Testaments analysiert er kein unmittelbares Interesse an Wirtschaftsfragen (146 f.), wendet sich aber auch gegen eine »Vorzugswürdigkeit« der Armut gegenüber dem Reichtum (147 f.). Entscheidend für Arme wie Reiche sei, nicht sein Herz an den Reichtum zu hängen statt an Gott (148). Nutzinger zeichnet sodann unterschiedliche Versuche nach, christliche ethische Maximen in der Wirtschaft umzusetzen, und sieht in der Sozialen Marktwirtschaft eine »anonymisierte« (154) Form christlicher Nächstenliebe, die sich künftig globalen Herausforderungen (zur Armutsvermeidung) zu stellen habe und dabei wichtige Orientierung leisten könne (157).
Entgegen der im Manchester-Liberalismus zerrissenen Verbindung von Ökonomie und Religion weist Walter 0. Ötsch nach, dass in einer naturtheologischen Weise für Adam Smith der Glaube an Gott eine zentrale Rolle spiele. Ökonomisches Handeln erscheine in diesem Programm notwendigerweise als moralisches Handeln und der Kapitalismus wesensgemäß als moralisches Wirtschaftssystem. Denn Menschen sollten nach Smith versuchen, ihrer »Natur« nach zu handeln und sich für die Errichtung »natürlicher« sozialer und ökonomischer Systeme einzusetzen. Auf diese Weise engagierten sie sich am Plan Gottes (175). Otsch geht hier jedoch nicht auf die im sog. »Adam-Smith-Problem« diskutierten, angeblichen weltanschaulichen Veränderungen bei Smith ein, sondern meint, dass im Gegensatz zum »Smithschen Deismus« im späteren populäreren »Lockeschen Deismus« die Naturtheologie Züge annehme, die nachträglich in Materialismus und Atheismus mündeten (175 ff.). Dagegen fragt Ötsch, welchen Sinn es mache, über menschliches Handeln zu theoretisieren, ohne sich systematisch auf »Innen-Raum-Aspekte« zu beziehen, wie Smith das noch getan habe (177).
Für Dieter Schmidtchen ist es nun die auf- und anregende Botschaft der Ökonomik der Religion, »dass Religiosität und Rationalkalkül sich nicht ausschließen müssen und homo oeconomicus und homo religiosus miteinander versöhnt werden können« (252). Dabei hält er drei Motive für religiöse Aktivitäten für wesentlich: das Heilsmotiv, das Konsummotiv und das Motiv des sozialen Drucks. Von dieser Logik her analysiert er ökonomisch rational religiöse Gemeinschaften nach dem Zuschnitt eines Clubs oder eines Unternehmens (259 ff.). Auch führt er das Argument an, dass Religion und Kirche das Sozialprodukt steigerten, weil sie »durch Setzung und Überwachung von Verhaltensregeln die Transaktionskosten« senkten (265). Da er meint nachweisen zu können, dass das religiöse Niveau in einer Gesellschaft (was immer das ist) zunehme, wenn der religiöse Markt dereguliert und freier Wettbewerb zugelassen werde, plädiert er für mehr Wettbewerb auf Märkten für religiöse Dienstleistungen (272). Trotz interessanter Denkanstöße bleibt bei ihm jedoch die Dimension des »Glaubensmotivs« (vgl. Schlicht, 279 f.) oder des »Sinnmotivs« (vgl. Erlei, 319 ff.) ausgeblendet. Und wenn er auch die Rechenhaftigkeit eines »Heilsegoismus« sehr scharf beschreibt, so findet sich jedoch kaum Verständnis für eine reformatorische Wirtschaftsethik, deren Hauptquelle Lob und Dank für die von Gott erfahrene Güte ist.
Mit dem in der Ökonomik der Religion propagierten sog. »Jenseits-Konsummotiv« setzt sich Ekkehart Schlicht auseinander. In ihm werden bestimmte Heilserwartungen für das Jenseits vorausgesetzt. Allerdings wendet Schlicht ein, dass das Jenseits-Konsummotiv für sich genommen »mit übertriebenen Heilsversprechen am besten befriedigt werden könnte«. Und unter Konkurrenzbedingungen würde das zu einer »Inflation von Heilsversprechungen« führen. So etwas sei aber nicht zu beobachten (288). Für überzeugender hält er, deshalb aus dem von ihm so genannten »Glaubensmotiv«, unter welchem er eine »Verknüpfung von Sinngebungs- und Rechtfertigungsmotiv« versteht (280), das Jenseits-Konsummotiv als einen Spezialfall zu entwickeln (290).
Hinsichtlich der Funktion von Religion in der Gesellschaft steht Wolfgang Pfeuffer die Paradoxie moderner Marktwirtschaften vor Augen, die »in dem Maße den eigennützigen Opportunismus der Beteiligten heraus(fordern), in welchem sie auf der kollektiv nützlichen Vertrauenswürdigkeit der Marktteilnehmer im nicht idiosynkratischen Austausch beruhen« (300). Mit Hilfe eines an das Gefangenendilemma angelehnten spieltheoretischen Modells (295 ff.) entwickelt er die These, dass organisierte Religion »durch ihre Signalisierungswirkung zur Stabilität altruistischer Kooperation im wettbewerblich geprägten Umfeld« beitragen könne (315).
Mit solchen Erwägungen sind allerdings der »Kern der Religion« und »ihre religiösen Inhalte« nicht erfasst und so kritisiert Mathias Erlei zu Recht, dass bisher Beiträge zur Religionsökonomik dieses nicht erfassten (320). Dabei seien Menschen bestrebt, nach Sinnzusammenhängen, insbesondere nach dem Sinn ihres endlichen irdischen Lebens zu suchen. Aber offensichtlich sei es ihnen während ihrer Lebenszeit nicht möglich, alle relevanten Informationen darüber zu sammeln und zu verarbeiten. Auf Grund dieser begrenzten Rationalität müssten sich Menschen hier wie meist sonst auch mit möglichst einfachen und bewährten mentalen Modellenzufriedengeben. Nun sei der Sinn des irdischen Lebens eng verbunden mit seinem Ursprung und Ziel. Das seien aber Größen, die der menschlichen Erfahrung nicht zugänglich seien. Deshalb sei die Sinnfrage untrennbar an das Transzendente und damit an Religion gekoppelt, wenn man sie als Theorie über das Transzendente verstehen könne. Religion sei damit ein wichtiger Bestandteil des individuellen Weltbildes, aus dem die Menschen ihre persönliche Identität ableiteten. Und Identität beeinflusse die Handlungspräferenzen. Insofern habe Religion konsequenterweise Einfluss auf das wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Verhalten von Menschen. Hierbei sei ferner die Heterogenität von Religionen, Identitäten, Präferenzen und damit letztlich auch Heterogenität des Verhaltens der »Homines culturales« zu berücksichtigen. Zweifel¬los könnten so die Aspekte Religion, Identitäten, Präferenzen und Heterogenität der ökonomischen Theorie einen signifikant höheren Erklärungsgehalt liefern als die klassische Theorie des streng egoistischen Homo oeconomicus (343 f.).
Der Sammelband wird konsequenterweise und erhellend ergänzt durch entsprechende Reflexionen zu Ökonomie und Religion im Islam (Helmut Leipold), Hinduismus (Peter Seele) und der japanischen Religions-, Geistes- und Wirtschaftsgeschichte (Günther Distelrath).
Es ist zu wünschen, dass diese vorzüglichen Anregungen und Anstöße zum Thema Ökonomie und Religion eine große Resonanz finden, um viele Defizite in der gegenwärtigen ökonomischen und theologischen Theorie und Praxis zu produktiver Bearbeitung zu führen."
"Ein durchschnittlicher Student der Nationalökonomie nähme vielleicht an, Religion wäre der wirtschaftlichen Analyse unzugänglich. Er beginge einen gravierenden Fehler, denn die Neoklassik erklärt bekanntermaßen nicht nur alle ökonomischen Probleme erschöpfend, sondern - der Tradition Beckers folgend - auch die aller übrigen Lebensbereiche; so auch jenen der Religion.
Die Wirtschaftssubjekte wenden Zeit und Ressourcen auf, um über "religiöse Güter" zu verfügen, ebenso wie über alle anderen. Jene beinhalten nicht nur Konsum im diesseitigen Leben, sondern auch eine solchen im Jenseits: das Heilsversprechen. Und natürlich bestehen ihre Opportunitätskosten im verminderten Konsum weltlicher Güter und Leistungen. Das Wirtschaftssubjekt kalkuliert also vollkommen rational den Grenznutzenausgleich zwischen beiden. Wie man sieht, erklärt das Modell des "homo oeconomicus" das religiöse Verhalten der Menschen, wie D. Schmidtchen in seinem Übersichtsartikel des obzitierten Sammelbandes ("Ökonomik der Religion - Wettbewerb auf den Märkten für religiöse Dienstleistungen”) ausführt.
Aber natürlich bedürfen auch die Anbieter der religiösen Güter und Leistungen der ökonomischen Analyse. Die großen Religionsgemeinschaften lassen sich hiebei durch die Unternehmenstheorie erfassen, also wie ein Gewinn maximierender Betrieb, an dessen Spitze ein "Chief Theological Officer" steht. Sie bieten religiöse Programme an, mit welchen sie im Wettbewerb mit anderen Anbietern stehen. Sie sind daher verhalten, attraktive Angebote zu entwickeln, insbesonders Heilsversprechungen im Jenseits.
Das jedoch stimme nicht, sagt E. Schlicht ("Konsum im Jenseits"), denn es existierten eine Reihe von Religionen ohne jenseitige Heilsversprechungen, und weiters entstünde nach dieser Auffassung alsbald eine Inflation von Heilsversprechungen, was ganz offenkundig nicht der Fall ist. Daher sollte man zur Erklärung der religiösen Nachfrage auf das Jenseits-Konsummotiv verzichten und auf ein generelles Glaubensmotiv zurückgreifen, "das sich aus allgemeinen kognitiven und emotionalen Dispositionen der Menschen ergibt".
Wollte man das Sammelwerk nun zur Seite legen, da sich der wissenschaftliche Ertrag der dargelegten Überlegungen in Grenzen hält, beginge man einen Fehler, weil sich darin eine Reihe interessanter und wichtiger Beiträge vorfindet.
Religion als Determinante des ökonomischen Verhaltens
Da ist zunächst der einleitende Aufsatz von G. Kubon-Gilke über die Wechselwirkungen von Religion und Ökonomie. Sie stellt die grundsätzliche Frage: "Was gewinnt man durch die Einbeziehung religiöser Zusammenhänge zusätzlich an Erklärungskraft durch die Ökonomik?" Sie geht dabei von den verhaltensbestimmenden Faktoren der Individuen aus. Wie auch M. Erlei im gleichen Band ausführt ("Sinnbildung, Religion und Präferenzen - vom homogenen Homo oeconomicus zu heterogenen Homines culturales") führen begrenzte Informationsgewinnungs- und Verarbeitungskapazitäten zu vereinfachten Schemata der Realitätsbeurteilung - die "mental models" nach North. Teil solcher Modelle ist die Religion. Sie sollten konsistent sein, weil sie nur so die Identität des Individuums und Handlunsanforderungen an dieses ermöglichen. Solche Modelle sind keine individuellen, sondern solche großer Gruppen - "shared mental models" (Denzau und North). Und diese "Weltbilder" bestimmen auch das ökonomische Handeln der Wirtschaftssubjekte, sodass sie die wirtschaftliche Entwicklung fördern oder behindern können.
Solche Weltbilder sind langfristig stabil, können sich jedoch dann ändern, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse dies erfordern, wodurch dann die Religion betroffen ist. Wenn freilich die Bevölkerung von der Informationsgewinnung ausgeschlossen wird, können sich "auch religiös geprägte Präferenzsysteme für einige Zeit stabilisieren, die dem aktuellen Stand der Wissenschaft entgegenstehen".
Freilich scheint dieser interessante Zusammenhang zwischen Religion und Ökonomie insofern etwas zu eng, als er offenbar nur den direkten Konnex zwischen Religion und Ökonomie ins Auge fasst. Hier existieren ja auch indirekte Konnexe, etwa wenn die Religion ein bestimmtes Rechtssystem oder eine gesellschaftliche Organisationsform stipuliert, welche einer industriellen Entwicklung abträglich sind. Jedenfalls bietet die Autorin hiereine interessante Erklärung des ambivalenten Zusammenhanges zwischen beiden Bereichen.
Diesem Ansatz steht eigentlich der Beitrag aus religionswissenschaftlicher Sicht entgegen, weil A. Koch darin ("Zur Interdependenz von Religion und Wirtschaft - Religionsökonomische Perspektiven") die Auffassung vertritt, dass die Religion auf derart vielfältige Weise mit der Gesellschaft, aber auch mit den anderen Wissenschaften verflochten sei, dass die beiden Systeme einander nicht als klar abgegrenzte Bereiche gegenübergestellt werden können.
A. Maurer ("Der Geist des Kapitalismus - Eine institutionentheoretische Interpretation der Protestantischen Ethik") würdigt die einschlägige Arbeit Max Webers unter den Kriterien der Neuen Institutionentheorie. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass sich der "Geist des Kapitalismus" als bedeutender Vorläufer der Institutionentheorie verstehen lässt. Freilich verzichtete Weber auf die Ausarbeitung einer generellen Handlungstheorie, sondern beschränkt sich auf einen idealtypischen Ansatz.
Die folgenden Beiträge führen über spezifische Analysen in historischer Sicht (R. Sturn: "Gerechter Preis und Marktpreis: Zur Interdependenz von Religion, Ökonomie und Sozialtheorie”; sowie W. O. Ötsch: "Gottes-Bilder und ökonomische Theorie: Naturtheorie und Moralität bei Adam Smith") zur Gegenwart (B. Emunds: "Der Arbeitsmarkt aus Sicht einer christlichen Gesellschaftsethik"; und H. G. Nutzinger: "Gerechtigkeit und das Gebot der Armutsvermeidung - Solidarität der Gesellschaft als Ausdruck von Israels Bund mit Gott").
Trotz gleichfalls historischem Einstieg erreichen jene Beiträge hohe Aktualität, die sich mit dem Einfluss der Religion auf die langfristige Wirtschaftsentwicklung der nichtchristlichen Regionen beschäftigen. So demonstriert H. Leipold ("Religiöse Faktoren der institutionellen und wirtschaftlichen Stagnation im Islam"), dass zwar die Religion im engeren Sinne, also der Inhalt von Koran und Sunna, die ökonomische Entwicklung in keiner Weise behinderte, wohl aber die darauf aufbauende Institutionenstruktur. Diese ist nicht nur durch die vollkommene Inzidenz von Religion, Staat und Gesellschaft charakterisiert, sondern vor allem dadurch, dass sich jene theologischen Strömungen durchsetzten, welche die Antwort auf sämtliche Fragen ein für alle Mal im Koran und in der Sunna gelöst fanden. Auf diese Weise ging die ursprünglich lebhafte philosophische und naturwissenschaftliche Diskussion zu Ende, ebenso wie es unmöglich wurde, das Recht weiterzuentwickeln. Damit und durch das Fehlen autonomer Städte konnte nie eine Zivilgesellschaft entstehen, welche jenen individualistischen Menschentyp hervorbrachte, der in Europa zum Träger des kapitalistischen Unternehmers, von Beamten und Wissenschaftern wurde.
P. Seele ("Hindu Cosmopolitan Case - Institutioneller Wandel in Indien durch transnationale Migration") erklärt die hinduistische Religion einschließlich des Kastenwesens als "shared mental modef`, welches in jüngerer Zeit dadurch charakterisiert wird, dass es sich im Migrationsfall als außerordentlich flexibel erweist.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Beitrag von G. Distelrath ("Japans vorklassische Ökonomik und ihre religions- und geistesgeschichtlichen Grundlagen"). Dieses Land setzte bekanntermaßen als erstes außereuropäisches einen kapitalistischen Aufholprozess erfolgreich in Gang. Manche Autoren, wie etwa Landes, nehmen an, dass die Voraussetzungen für einen industriellen Entwicklungsprozess schon zuvor in der japanischen Gesellschaft existiert hätten. Distelrath untersucht dieses Problem im Kontext der religiösen Entwicklung. Diese war während des Mittelalters in Japan durch außerordentliche Vielfalt gekennzeichnet. Erst im 17. Jahrhundert begann sich der Neokonfuzianismus durchzusetzen, dessen Regeln die Gesellschaft formten. Danach wurde eine soziale Hierarchie fixiert, welche vom Fürsten über die Samurai zu den Bauern, Handwerkern und zuletzt Kaufleuten reichte. Eine solche fand sich zwar auch in anderen Kulturen. Besondere Bedeutung scheint sie jedoch durch den "Japanischen Physiokratismus" erlangt zu haben, wonach der Landwirtschaft die zentrale wirtschaftliche Position zugekommen sei. Der wesentliche Effekt lag jedoch darin, dass deshalb nur die Bauern besteuert wurden. Anscheinend trug dieser Umstand dazu bei, dass die Kaufleute einen steilen ökonomischen, aber auch sozialen Aufstieg vollzogen, vor allem in den Städten, umso mehr, als sie sich bald zu Finanziers der Fürsten entwickelten.
Ansonsten wirkte selbst ein dynamisierter Konfuzianismus auf die Wirtschaftsentwicklung eher dämpfend, als er aus moralischen Erwägungen Konsumrestriktionen, Preiskontrollen und Schuldenerlässe verlangte. Andererseits entstand bereits Ende des 17. Jahrhunderts ein kaufmännisches Schrifttum, das die moralische Berechtigung des Handels betonte ebenso wie die Gleichwertigkeit von Fürsten und Kaufleuten. 1724 kam es sogar zur Gründung einer kaufmännischen Lehranstalt in Osaka, die zum Zentrum der kommerziellen Gelehrsamkeit wurde, welche sich allmählich gänzlich vom Konfuzianismus löste.
Allerdings beschränkte sich diese Schule nicht nur auf Probleme des Handels, sondern publizierte auch Ratschläge zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion, welche von den Bauern häufig gelesen wurde. (Daraus lässt sich auch der hohe Alphabetisierungsgrad der japanischen Bauernschaft dieser Zeit erschließen.)
Im frühen 19. Jahrhundert begann sich auch in Japan eine merkantilistische Entwicklung durchzusetzen, mit Verlagsproduktion und entsprechender Gewerbeförderung. Offensichtlich hatte sich zu dieser Zeit bereits ein selbstbewusstes, gebildetes, wissenschaftlich interessiertes und politisch durchschlagskräftiges Bürgertum herausgebildet, welches in der Lage war, die Meiji-Restauration in Gang zu setzen. Die - ambivalenten - religiösen Einflüsse auf die japanische Wirtschaft wirken teilweise bis in die Gegenwart fort, was besonders in den spezifischen Arbeitsbeziehungen seinen Niederschlag findet.
W. Pfeuffer ("Altruistische Kooperation und Signalisierungswirkung organisierter Religionen") diskutiert schließlich an Hand der Spieltheorie mögliche Signalisierungswirkungen der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft.
Ein interessantes Buch. Den Herausgebern gebührt Dank dafür, am Thema Religion wieder die Bedeutung der Institutionen für die wirtschaftliche Entwicklung demonstriert zu haben.
"Religiöse Überzeugungen beeinflussen wirtschaftliches Denken und Handeln. So lautet die Quintessenz des Sammelbandes ... Eingeleitet durch zwei Überblicksartikel aus religionswissenschaftlicher beziehungsweise ökonomischer Sicht, verfolgen die Autoren in zumeist sorgfältigen Analysen über verschiedene Epochen, Kulturen und Theorien hinweg das Wechselspiel zwischen Religion und Ökonomie.
Die meisten Untersuchungen dieses Bandes sind dabei von der Einsicht getragen, dass 'wirtschaftliche Strukturen und Prozesse über soziale Handlungsmuster zu erklären und dafür neben materiellen Faktoren auch ideelle in Rechnung zu stellen' sind, wie die Soziologin Andrea Maurer in ihrem lesenswerten Beitrag über Max Webers 'Geist des Kapitalismus' ausgeführt hat.
Eine besondere Perle des Bandes ist der Beitrag des Finanzwissenschaftlers Richard Sturn. Mit Akribie legt Sturn dar, wie in der Scholastik um das Konzept des gerechten Preises gerungen wurde und wie vor allem die zunehmende Eigenlogik des Marktes es notwendig machte, bei der Bestimmung des Preises individuelle und gemeinschaftliche Wertschätzung, subjektive Bedürfnisbefriedigung und die Bedingungen von Nachfrage und Angebotsseite mit einzubeziehen. Zugleich macht Sturn damit deutlich, dass auch religiöse Lehren durch wirtschaftliche Veränderungen geformt werden.
Religiöse Faktoren der institutionellen und wirtschaftlichen Stagnation im Islam
Hindu Cosmopolitan Caste - Institutioneller Wandel in Indien durch transnationale Migration
Japans vorklassische Ökonomik und ihre religions- und geistesgeschichtlichen Grundlagen
Ökonomik der Religion - Wettbewerb auf Märkten für religiöse Dienstleistungen
Konsum im Jenseits?
Altruistische Kooperation und die Signalisierungswirkung organisierter Religion
Sinnbildung, Religion und Präferenzen - Vom homogenen Homo oeconomicus zu heterogenen Homines culturales
Religion prägt Wirtschaft, Wirtschaft prägt Religion - zur Interdependenz von Ökonomie und Religion
Zur Interdependenz von Religion und Wirtschaft
Der Geist des Kapitalismus - Eine institutionentheoretische Interpretation der Protestantischen Ethik
Gerechter Preis und Marktpreis: Zur Interdependenz von Religion, Ökonomie und Sozialtheorie
Der Arbeitsmarkt aus Sicht einer christlichen Gesellschaftsethik
Gottes-Bilder und ökonomische Theorie: Naturtheologie und Moralität bei Adam Smith
Gerechtigkeit und das Gebot der Armutsvermeidung - Solidarität der Gesellschaft als Ausdruck von Israels Bund mit Gott