Herausgegeben und übersetzt aus dem Französischen von Lutz Roemheld, eingeleitet von Dirk Löhr
358 Seiten
34.80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-905-0
(05. März 2012)
Register
Proudhon zu lesen ist keine Leichtigkeit, da es durchaus Mühe macht, sich durch seine unsystematisch und widersprüchlich erscheinenden Werke zu arbeiten. Die unzähligen Missverständnisse seiner Ideen beruhen aber auch auf der ihm so wichtigen dialektischen Methode - ein Denken, welches bis heute dem Laien, aber genauso dem Forscher äußerste Schwierigkeiten macht. Proudhon kritisierte ausgiebig den Status quo und die ihn rechtfertigende politische Ökonomie, aber zerschlug ebenso die utopischen Gegenentwürfe seiner Zeit. Er kämpfte daher an zwei Fronten, geleitet durch die Grundidee, dass die Gesellschaft in einem evolutionären Prozess auf ein System der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zusteuert. Egal, ob man nun Proudhon als Sozialphilosophen, politischen Philosophen, Anarchisten, Libertärsozialisten oder politischen Ökonomen interpretiert - sein Denken ist geprägt vom Primat der Ökonomie gegenüber der Politik.
Nun sind wir auch schon mitten im zu besprechenden Buch, welches um die Idee der Unterordnung des Staates unter das System ökonomischer Beziehungen kreist. Genau umgekehrt dem Forschungs- und Reformprogramm Karl Polanyis plädiert Proudhon für eine Einbettung des Staates in die Ökonomie und Degradierung zum Tauschpartner. Damit handelt es sich genau genommen nicht nur um eine Theorie der Steuer - worunter man sich heute Fragen der Steuergerechtigkeit und -effizienz vorstellen mag -, sondern vielmehr um eine Theorie (der Legitimation) des Staates.
Proudhon beginnt mit der Rekonstruktion der Steuer in der Geschichte, wo die Steuer stets den Privatbedürfnissen der herrschenden (meist religiös legitimierten) Klassen diente: "Die Idee, aus der Regierung unter dem Gesichtspunkt der Steuer einen Tauschpartner zu machen, ist noch ziemlich neu, unseren siebzig Jahren Revolution zum Trotz. Sie steht zu sehr im Widerspruch zu unseren Lebensgewohnheiten, die völlig von Theosophie und Theokratie geprägt sind, und zu unserer in Fleisch und Blut übergegangenen Untertänigkeit". (S. 67)
Steuern müssen Leistungen gegenüberstehen, wobei die Leistungen nur nutzenstiftend sind, wenn sie einem Bedarf entsprechen. Nun könnte man daraus ableiten, dass man gleich die Steuer abschaffen könnte und den Leistungstausch über den Markt absichern könnte. Ganz so naiv ist Proudhon nicht, denn er begründet Staatstätigkeit bzw. Steuern z. B. mit Infrastrukturleistungen wie Transportwegen, dem Kreditwesen oder der Bewirtschaftung von Wäldern und Gewässern. Wenn auch nicht so explizit, deutet Proudhon hier das potentielle Marktversagen bei privatwirtschaftlicher Organisation von natürlichen Monopolen an. Auch wenn er prinzipiell gegen jegliche Form der Obrigkeit ist, so gesteht er vorsichtig auch eine gewisse Lenkungsfunktion der Steuer ein; z.B. die Tabaksteuer zur Reduktion des gesundheitsschädigenden Tabakkonsums oder die Hundesteuer im öffentlichen Interesse der Hygiene.
Proudhon analysiert sehr detailliert die verschiedenen Steuerarten und prüft ihre Zweckmäßigkeit und ihre Gerechtigkeit bzw. ihre ökonomische Wirkung auf die Gleichheit. Dabei überrascht, wie differenziert seine Kritik der Luxussteuer ausfällt und dass er gegen eine progressive und für eine proportionale Steuer plädiert. Bis heute relevant ist auch seine Kritik an der Verbrauchssteuer (heute insb. Mehrwertsteuer), die wie keine andere Steuer die Ungleichheit begünstigt. Vertretern verbrauchssteuerbasierter Reformansätze, wie etwa Götz Werner, ist die Lektüre daher dringend zu empfehlen. Proudhon macht sehr deutlich, dass die Steuern in jedem Fall ein Übel sind und bis auf ein Minimum (aus heutiger Sicht utopische 5 % des Volkseinkommens) reduziert werden müssen. Der wirklich konstruktive Beitrag ist sein Ansatz, die Bodenrente zur "ersten und wichtigsten Quelle der Steuer" (S. 253) zu machen: "Der Staat könnte sich die Grundrente zur Gänze nehmen, ohne dass der Landwirt, ja die ganze Landwirtschaft, ohne dass das Gewerbe, der Handel, ja selbst die Lebensmittelpreise darunter litten." (S. 254) Oder milder formuliert, ist "die Rentensteuer die einfachste, vernünftigste, gerechteste, am wenigsten kostspielige, die Massen am wenigsten beschwerende, die Erpressungen des Staates am wenigsten begünstigende, kurz ... die am wenigsten unvollkommene Steuer". (S. 231) Proudhon ist somit Vordenker der Einheitssteuer auf Basis des Bodenwertes, wie sie durch Henry George bekannt wurde.
Proudhons Analyse und die von ihm aufgestellten Steuergrundsätze dienen seinem Ziel einer Gesellschaft, "die gleichermaßen bei der Gerechtigkeit, der Freiheit und beim gesellschaftlichen Reichtum voranschreitet." (S. 290) Man kann ihm durchaus zustimmen, dass seine Grundsätze "über jede Willkür erhaben" sowie "von universeller Bedeutung sind". (S. 290-291) Für die Relevanz der Proudhonschen Gedanken für die heuten steuerwissenschaftlichen Diskurse möchte ich auf Dirk Löhrs lehrreiche Einführung zum vorliegenden Buch verweisen.
Abschließend möchte ich kritisch ergänzen, dass die Grundidee der Betrachtung des Staates als Tauschpartner und entsprechender Organisation der Besteuerung und Ausgaben im Lichte der heutigen makroökonomischen Diskurse doch unzureichend ist. Proudhon konnte noch nicht den Staat als Akteur mit Funktion einer ökonomischen Globalsteuerung erfassen, wie es von Keynes etabliert und heutigen Ökonomen wie Randall Wray weiterentwickelt wird. Besteuerung und Staatsausgaben erfüllen heute die Funktion der Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die hohen Staatsquoten, die progressive Einkommensbesteuerung sowie die hohen Defizite - bei denen sich Proudhon im Grab umdrehen würde - sind als Reflex auf eine inhärente Stagnationstendenz kapitalistischer Geldwirtschaften zu fassen. Diese makroökonomischen Probleme lassen sich im Rahmen einer Proudhon'schen Steuerreform wohl nicht lösen. Umgekehrt würde das Festhalten an den Grundsätzen Budgetausgleich, niedrige Schuldenquote und niedrige Steuerquote die makroökonomische Lage entwickelter Geldwirtschaften verschlimmern. Die Probleme sind daher im Rahmen einer Kreditreform anzugehen. Da aber Proudhon ausgiebige Überlegungen zu Geld, Kredit, Kapital und Zirkulation anstellte, bekommen seine Grundsätze der Steuerreform wieder Relevanz."
"Die Aufklärung bescherte dem wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs eine neue Literaturgattung. Mit ihr kamen Preisfragen und Preisschriften in Mode. Die hier vorzustellende Schrift "Theorie der Steuer" stammt aus den 1860er Jahren und fällt damit in die Spätphase dieser Preisschriftenliteratur. Der Staatsrat des Kantons Waadt hatte im Jahre 1860 zur Suche nach der gerechten Gestaltung der Steuerrechtsordnung einen Wettbewerb ausgelobt. Dass der Verfasser sich hieran beteiligt hat, ist zunächst das Verwunderliche an der hier besprochenen Schrift. Sein Werk zeichnet sich doch gerade durch eine fundamentale Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer Eigentumsverfassung und des Staates aus. Kann der sozialreformerische Anarchismus überhaupt etwas zur Steuertheorie sagen? Steuern werden nach der überkommenden Lehre gemeinhin als Formen freiheitlicher Gemeinwohlfinanzierung verstanden. Der Staatsbürger trägt über die voraussetzungslose Steuer seinen Anteil an der Finanzierung der Staatsaufgaben. Wie der Finanzierungsanteil beschaffen sein soll, wie er ausgestaltet ist, an welchen Maßstäben er sich orientiert und schließlich welche absolute Höhe er erreichen darf, markieren die auch neute noch offenen Fragen jeder Steuerrechtfertigung. ..."
"Proudhons Schrift hat einerseits für den historisch und steuergeschichtlich interessierten Leser einen hohen Unterhaltungswert. Der Gebrauchswert wird ganz ungemein gesteigert durch eine hervorragende, wenn auch fast zu kurz geratene Einführung, die Dirk Löhr besorgt hat. Zum anderen aber kann die Lektüre der Untersuchung sicher auch die heutige Steuerreformdebatten befruchten. Das Nachdenken über die Gerechtigkeit der Steuerrechtsordnung ist auch im 21. Jahrhundert nicht weit über den Erkenntnisstand des 19. Jahrhunderts hinausgekommen. In einer Zeit, in der in der Bundesrepublik über die Wiedereinführung einer Vermögensteuer nachgedacht wird, sind Fragen der gerechten Auswahl der Steuerbemessungsgrundlage, der Steuerrechtfertigung von Ertragsteuern und ihrer konkreten Ausgestaltung nicht nur Fragen des Steuerverfassungsrechts, sondern auch der Steuergesetzgebungskunst. Zur Erhöhung der Kunstfertigkeit kann die Lektüre dieser Preisschrift nur empfohlen werden."