"Ökologie und Wirtschaftsforschung" · Band 80
3., durchgesehene Auflage 2010
273 Seiten
18,00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-796-4
(Juli 2010)
Die Lage scheint klar: Die Übernutzung der Natur gefährdet das Überleben der Menschheit. Das Problem ist nur: Über die "Rettung der Welt" (oder ihre Zerstörung) wird vor allem ökonomisch, kulturell und politisch entschieden, nicht naturwissenschaftlich. Ob und vor was die Welt gerettet werden soll, ist auch Interpretationssache. Das wird in Debatten über "Zukunftsfähigkeit" und "nachhaltige Entwicklung" oft übersehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Buch auf viele Themen ein: Wachstum, Innovation, Glaubwürdigkeit, Effizienz, Glück, Knappheit, Partizipation, Gender, Klima, Humor, Ressourcen, Entschleunigung, Politik, Kunst, Nachhaltigkeitsforschung, unternehmerische Verantwortung, Rituale, Sprache, Verschwendung, Lebensstile, Reziprozität.
Der Text nimmt die "Nachhaltigkeit" in ihrer Allzuständigkeit also beim Wort. Ergebnis: Die fehlende Trennschärfe dieses Begriffs und die Kontingenz des Wissens über die Welt legen einen ironischen Zugang nahe. Um in Auseinandersetzungen über gesellschaftliche Entwicklungen überhaupt sinnvoll Position beziehen zu können, ist Ironie unerlässlich: Nur ironisch lässt sich das Wissen um Kontingenz mit Meinung und Engagement verbinden. Mit dieser Einstellung kann man die "Rettung der Welt" in neuem Licht sehen und Autoren befragen, deren Beiträge die Debatte über nachhaltige Entwicklungen neu befeuern können. Zum Beispiel: Agamben, Bataille, Freud, Heilbroner, Jullien, Keynes, Lennon/McCartney, Luhmann, Mauss, Rorty, Sahlins, Schumpeter, Sombart, Veblen. Mit Hilfe dieser Denker lässt sich Einiges wegräumen.
Was dann in Sicht gerät, ist Vieles - und nicht zuletzt dieses: Der naive Glaube an Effizienz ist ein wesentliches Hindernis auf der Suche nach menschen- und umweltgerechten Entwicklungen. Die "Rettung der Welt" erfordert deshalb in dreifacher Weise Großzügigkeit: als Überwindung von Effizienzverbissenheit, als Zulassen von Verschwendung und als Ächtung von Geiz. Großzügigkeit erweist sich als Kardinaltugend, und zwar sowohl im Hinblick auf den Umgang mit der Natur als auch im gesellschaftlichen Miteinander. Der moderne Wettlauf zwischen Knappheit und Wachstum, zwischen Mangelerfahrung und Expansion, kennt keine Ziellinie - und das führt in einer endlichen Welt zu Zerstörung. Diese Situation verlangt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, die das Rennen zwischen Mangel und Mehr wesentlich antreibt: Eine Gesellschaft, die in einer endlichen Welt gegenwarts- und zukunftsfähig sein will, muss endlich im Endlichen ankommen.
"Entspannen Sie sich!
Über Großzügigkeit, Ironie und die Merkwürdigkeiten des aktuellen Weltrettungsdiskurses. Georg Bauernfeind hat sich in "Endlich im Endlichen", dem neuen Nachhaltigkeitsbuch von Fred Luks, vertieft.
Dass irgendetwas nicht so richtig klappt bei der "Rettung der Welt", das haben sich wahrscheinlich schon viele gedacht - nicht nur die Bewahrer und Verteidiger des aktuellen Status Quo. Das Buch "Endlich im Endlichen" trifft den wunden Punkt der Nachhaltigkeitsszene. Das ist auch deshalb unangenehm, weil die Kritik von innen kommt.
Gut so. Denn Fred Luks, Wissenschaftler und CSR-Manager bei einer großen österreichischen Bank, hat einen Essay geschrieben, über das, was im herrschenden Weltrettungsdiskurs fehlt: Ironie und Großzügigkeit. Das war längst notwendig. Denn machen wir uns nichts vor: Auch wenn die Berliner TAZ schon länger eine Kolumne mit dem Titel "Ökosex" führt - sexy und witzig ist das Thema nicht. Im Gegenteil: Die "Rettung der Welt" bleibt eine ernste Sache, von ernsten Leuten, die sich ihrer eigenen Positionen sehr sicher sind: "Runter vom Gas, Müll trennen, ökologisch einkaufen, solidarischer denken - dann klappt das mit der Rettung des Planeten." Dem schleudert Luks ein entschiedenes Nein entgegen. Er wehrt sich gegen extrem individualistische Ansätze ebenso wie gegen steuerungsoptimistische Varianten von Weltrettungsplänen. Beiden kann man "ernsthaft nur ironisch begegnen."
Wieso eigentlich und was versteht man unter Ironie? Luks bezieht sich auf Richard Rorty, dessen Ansatz in etwa so lautet: Wer um die Relativität seiner Position nicht weiß, schwebt in Gefahr die Komplexität der Welt zu unterschätzen und daher falsch zu entscheiden. Ein ironischer Zugang meint daher "dass man sich für etwas einsetzen kann, auch wenn man weiß, dass die Ideen, die man verfolgt, nicht natürlich oder selbstverständlich sind und also auch ganz andere sein könnten, also kontingent sind."
Mit anderen Worten: "Entspannen Sie sich." Strom sparen und Materialeinsatz senken allein - das wird die Welt nicht retten. Denn Effizienz hat uns ja genau dorthin geführt, wo wir heute stehen. Wenn Autos weniger Sprit brauchen, führt das dazu, dass der Spritpreis sinkt, weil wieder mehr Sprit zur Verfügung steht. Was dazu führt, dass wieder mehr gefahren wird. Und vor allem weiter. Ein Teufelskreis. Nein, auch nicht der Innovationsboom wird uns erlösen. Und damit sind wir beim Kern des Buches: "Nachhaltigkeit hat wesentlich mit dem zu tun, was man unter Großzügigkeit zusammenfassen kann."
Eine paradoxe Intervention? Luks hat kein Problem damit, wenn er so interpretiert wird. Er bricht eine Lanze für die Fülle und für die Verschwendung. Denn das herkömmliche Paradigma des Wirtschaftswachstums sei durch Knappheit geprägt, was zu einer Endlosschleife von Mehrproduktion und Mehrwollen führt. Ohne Maß, ohne Ziellinie, ohne Endpunkt. Immer ist da eine Lücke, die durch neue Produktion, durch neuen Konsum geschlossen wird. Und im Schließen eine neue aufreißt. Und diese Schleife soll durch Verschwendung aufgebrochen werden?
Natürlich plädiert der Autor auch für die Entkoppelung von Wirtschaftsleistung und Umweltverbrauch. Aber es geht ihm um viel mehr. Es geht ihm um ein Menschenbild. Also um die Frage nach dem Glück. Da ist sie wieder, die Lücke: Wir haben es nicht nur gerne gut, sondern gerne besser! Wir sind unzufrieden. Immer. Weil das Mögliche durchschimmert, aber letztlich unerreichbar ist. Und ein großes Auto gehört nicht immer dem, der den weitesten Weg hat. Da gibt es noch ganz andere Bedürfnisse!
Es geht daher um Muße, um Zeit zum Nachdenken. Und um Resilienz, also um die Überzeugung, dass es für ein System besser ist, wenn es einen gewissen Spielraum hat. Der Seiltänzer muss einen gewissen Freiraum für seine Armbewegungen haben, um balancieren zu können. Mit festgebundenen Armen stürzt er ab. Die Nutzung der Natur bis zum Letzten ist ein Tanzen auf dem Seil mit festgebundenen Armen. Grund genug, sich einer Empirie der Verschwendung zuzuwenden. Schließlich gibt es ja auch Güter, die sich durch ihren "Gebrauch" vermehren": Liebe, Freundschaft, Hingabe, Fürsorge, Freude und Zuwendung beispielsweise.
"Endlich im Endlichen" arbeitet eine unglaubliche Fülle an Nachhaltigkeitsliteratur ein - schon deshalb eine Empfehlung. Aber es wird auch viel vorausgesetzt. Was versteht man noch einmal schnell unter Resilienz, Kontingenz und Potlatsch? Schade, weil das die Leserschaft eingrenzt. Und man bedauert, dass sich das Buch dann doch nicht zu einer Vision aufraffen kann, wie das aussehen könnte: Ein entspannter Lebensstil, großzügig aber nicht ressourcenintensiv, ein Lebensstil der ironisch daherkommt und trotzdem überzeugt ist, von einem Anders, dafür aber keinen moralischen Überlegenheitsgestus braucht. Vielleicht ist das aber auch eine zu hohe Erwartung an einen philosophischen Essay. Wahrscheinlich müssten diese Visionen aus anderen Bereichen kommen: Aus der Literatur, aus der Kunst, aus der Spiritualität. Denn ganz neu ist das alles natürlich nicht - die Frage nach dem Glück und nach dem Tod. Hier gibt es schon noch Schätze zu bergen - auch in der Religionsabteilung. Gerade wenn es um Begriffe wie Gastfreundschaft und Geschenk geht.
Die Stärke des Buches ist, dass es die Nachhaltigkeitsszene nicht oberflächlich aufs Korn nimmt, sondern in der Tiefe hinterfragt. Ganz ohne ironische Kommentierung kommt die Szene aber auch nicht davon: "Mittlerweile gibt es Menschen, die mit Nachhaltigkeit ihr Geld verdienen, was ein Verschwinden des Themas unwahrscheinlich macht." Das sitzt. Und es ist ja wirklich auch viel Ungewissheit im Spiel, bei all den Ökopäpsten mit ihren "Scheinexaktheiten". Erst gar nicht zu reden von den LOHAS, also der gutverdienenden Minderheit, die es sich leisten kann, "ökologisch" zu leben und die mit ihren Fernflügen und Hybridautos dennoch mehr CO2 verbraucht, als die große Mehrheit der "nicht nachhaltig lebenden" Leberkäs- und Dosenbier-Fraktion. Ja, da wird viel ausgeblendet. Auch das musste gesagt werden. Ein wildes Buch. Ein radikales Buch. Ein nicht ganz leicht zu verstehendes Buch. Deshalb: zweimal lesen. Es lohnt sich.
"Die globale Koalition der Weitermacher glaubt immer noch, in einer endlichen Welt sei unendliches Wachstum möglich, aber dass effizientere Technik das Klima nicht retten kann und 'nachhaltiges Wachstum' ein Oxymoron ist, kann man mit dem Taschenrechner demonstrieren. Die großen Pläne zur Weltrettung scheitern am verwinkelten Instrumentarium westlicher Demokratien, die individualistischen Lösungen sind nicht groß genug. Und der ökonomisch-ökologische Realismus mit seinen Reden vom Schrumpfen ist unattraktiv. Luks kennt so gut wie alle Theorien über dieses Trilemma und noch einiges mehr, und so verwickelt sein Essay den Leser in ein Gespräch mit Werner Sombart und Michael Jackson (Man in the Mirror), Keynes und Bataille, Krisentheoretikern, ökologischen Ökonomen und postmodernen Philosophen, Luhmann und Camus. Es geht dabei weniger um die Suche nach einem 'Dritten Weg', sondern nach einer haltbaren Haltung für die Jahrzehnte vor uns.
Dazu braucht es zunächst Realismus - im Blick auf die endliche Welt, aber vor allem auf uns, die Akteure in diesem großen Spiel um die Zukunft: denn es ist ja nicht nur das böse 'System' von Kapital und Konsum, das die Megamaschine antreibt und dabei tief in unsere Seelen greift. ... 'Ironie' und 'Großzügigkeit' - das ist die These des Buches - sollen hier helfen. Ironie, das heißt hier: illusionslos in der Analyse sein, radikal in den Zielen, einsichtsvoll gegenüber den eigenen, kleinen Handlungsmöglichkeiten - und dennoch zu agieren. ... Und 'großzügig' ist es, 'unökonomisch' denken zu üben... Die Wirtschaft von der guten Gesellschaft her denken. Nicht panisch die Welt retten wollen (mit alten Mitteln, Gedanken und Politiken), sondern von ihrem Überfluss auszugehen, vom wirklichen Reichtum der Welt. Uns, in der Post-Not-Welt, müsste es eigentlich leichtfallen."