"Wirtschaftswissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung" · Band 4
2. Auflage Juli 2009
391 Seiten
36,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-735-3
(Februar 2008)
Menschen vom nachhaltigen Konsum zu überzeugen, ist nicht einfach. Aber einfach nur auf die Kraft irgendwelcher kleiner Schritte zu hoffen, ist zu wenig. Der Autor zeigt mit seinem Konzept der "Key Points", wie Konsumentscheidungen - statt als Privatsache zu versanden - zum Motor für politische und strukturelle Veränderungen werden können. Hierzu stellt er das Wechselverhältnis von Konsum und Politik in das Zentrum seiner Analyse. Ausgehend von der Theorie ökologisch-sozialer Dilemmata und der Strukturationstheorie entwickelt der Autor - ohne sich in theoretischen Differenzierungen zu verlieren - ein Strategiekonzept, das die Identifikation von besonders Erfolg versprechenden Tipps zum nachhaltigen Konsum ermöglicht. Die konzeptionellen Überlegungen werden durch zwei empirische Studien bestärkt und beispielhaft konkretisiert.
Die strategische Herangehensweise liefert erfrischend neue Perspektiven für die leidige Debatte über die Notwendigkeit individueller Lebensstiländerungen und besticht durch zwei klare Botschaften: "Das Wichtigste zuerst!" und "Strukturen statt Menschen ändern!". Oder in den Worten des Autors: Von "Peanuts" über "Big Points" zu "Key Points" nachhaltigen Konsums. Ein vielversprechender Ansatz für Theorie und Praxis der Nachhaltigkeitskommunikation!
"Bilharz hinterfragt den Ansatz der Freiwilligkeit und des "guten Vorbilds" im Hinblick auf das "Kollektivgut" Nachhaltigkeit. Denn: "Erfolgsmaßstab bei der Realisierung von Kollektivgütern ist das Verhalten aller, nicht das Verhalten einzelner Mitglieder eines Kollektivs." (S. 118) Das bedeute aber, dass "nachhaltiger Konsum vom Grundsatz her auf eine vollständige, d. h. 100%ige Marktdurchdringung und Umsetzung" (ebd.) zielen müsse. Nachhaltiger Konsum von Einzelnen sei hierzu eine notwendige, aber längst nicht hinreichende Bedingung. Zwei soziale Fallen würden dem Prinzip der Freiwilligkeit entgegenstehen: eine zeitliche, d. h. der Schaden durch nichtnachhaltiges Verhalten tritt zeitverzögert auf, sowie eine räumliche, d. h. Verursacher und Betroffene liegen häufig räumlich weit auseinander. Das Trittbrettfahrerprinzip - verzichte ich auf das Auto, bleibt anderen mehr Platz zum Fahren - bewirkt das Gegenteil der erwünschten Wirkung. "Privatisierung des Nutzens - Sozialisierung des Schadens". Eine Förderung nachhaltigen Konsums innerhalb der "falschen Strukturen" könne wegen des Kollektivgutdilemmas demnach nicht gelingen und "verpuffe" im wahrsten Sinne des Wortes. "Beiträge für ein Kollektivgut" müssten daher "auch einen persönlichen Vorteil oder die Nicht-Erbringung einen persönlichen Nachteil nach sich ziehen." (S. 122)
Warum ist es aber so schwierig, Rahmenbedingungen zu ändern. Bilharz spricht von "wechselseitiger Verantwortungsabschiebung": Statt einer gemeinsam getragenen "geteilten Verantwortung" regiere die "geteilte Unverantwortlichkeit" (S. 123). Solange Änderungen der Rahmenbedingungen den Gestaltern, d. h. der Politik, nicht einen positiven Nutzen erbringen, solange würden die Rahmenbedingungen nicht geändert. Dies führe zu einem Zirkelschluss: "Das nichtnachhaltige Handeln ändert sich nicht, weil die Anreizstrukturen nicht geändert werden, und die Anreizstrukturen werden nicht geändert, weil sich das Handeln nicht ändert." (ebd.) Daher brauche es doch das Vorangehen Einzelner. Für die Wechselwirkung zwischen Bürgerinnen und Politik sei jedoch die Art der Kommunikation entscheidend. Bilharz plädiert dafür, sich auf die Maßnahmen mit den größten Wirkungen zu konzentrieren. Die "Peanuts" der vielen kleinen Schritte seien zu vergessen, es gehe um die "Big Points", die letztlich zu den "Keypoints" nachhaltigen Konsums führen müssen. Diese identifiziert der Autor im Bereich des Wohnens, der Mobilität sowie der Ernährung. Wobei es darauf ankomme, insbesondere die "kritischen Strukturen", die nichtnachhaltigen Konsum "am Leben halten", zu identifizieren und zu verändern. "Strukturen statt Menschen verändern", müsse das Motto lauten (S. 165). Es gehe daher um eine andere Raumordnung, eine ökologische Wohnbauförderung oder die politische Unterstützung biologischer Landwirtschaft. Wichtig sei - und das ist eine wichtige Perspektive - sein Handeln nicht nur an der "persönlichen Nachhaltigkeitsbilanz" auszurichten, sondern auch zu fragen, was dieses für die "kollektive Nachhaltigkeitsbilanz" bringe, wofür etwa politisches Engagement nötig sei. "Nicht nur die persönliche Bilanz, sondern auch die kollektive Bilanz muss stimmen." (S. 159) Die Frage lautet "Welchen Beitrag kann und will ich für die Regel- und Ressourcenveränderungen in unterschiedlichen Handlungskontexten leisten?" (S. 166) P.S.: Der Autor hat im Rahmen seiner aufschlussreichen Dissertation auch Ökoratgeber analysiert und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die meisten in großer Beliebigkeit verharren und politisches Handeln nicht thematisieren. Das vom Rezensenten verfasste Büchlein "Nachhaltig leben" (2002) bekommt dabei auch sein Fett ab, auch wenn es vergleichsweise gut abschneidet. Zur Untersuchungsmethode ist freilich kritisch anzumerken, dass die Vorschläge der Publikationen lediglich hinsichtlich Wirkungen auf Energie- und CO2-Einsparungen analysiert werden, Nachhaltigkeit jedoch auch andere Aspekte umfasst wie Menschenrechte, Einhaltung von Sozialstandards bei der Produktion von Waren u. a. m. Nichts desto trotz ein wichtiges Grundlagenwerk, das neue Perspektiven in die leidige Debatte individueller Lebensstiländerungen bringt und deren Politisierung nahe legt. H. H.
"Ist es sinnvoll, konventionelle Leuchtmittel im eigenen Haushalt gegen Energiesparlampen auszutauschen oder sollte doch eher der Zweitwagen abgegeben werden? Im einen Fall sind Alternativen zu suchen und zu bewerten, im anderen sind darüber hinaus Verhaltensweisen zu ändern, Strukturen anders zu nutzen. Wie also lassen sich angesichts etablierter Lebensstile und begrenzter Zeit- und Finanzressourcen die "richtigen" Hinweise identifizieren, kommunizieren und umsetzen?
Michael Bilharz nähert sich diesem Problemfeld aus verbraucherpolitischer Sicht und fokussiert die Gestaltung effektiver Nachhaltigkeitskommunikation. Er geht von der Annahme aus, dass aktivierende Verbraucherpolitik dann eine effektive Kommunikation betreiben kann, wenn eine Prioritätensetzung zugunsten relevanter und wirkungsvoller Alternativen erfolgt. Dies ist plausibel, aber nicht trivial. Anhand der Theorie ökologisch-sozialer Dilemmata zeigt der Autor, dass das Spannungsfeld zwischen Individual- und Kollektivnutzen das zentrale Problem nachhaltigen Konsums ist. Nachhaltigkeit wird als Kollektivgut aufgefasst, das eben nicht im Sinne einer "Philosophie der kleinen Schritte" erreicht wird. Konsum als Handlung unterliegt den gegebenen Strukturen und bedingt sie zugleich.
Ähnlich wie Uwe Schneidewind Unternehmen als aktive strukturpolitische Akteure interpretiert, sieht Michael Bilharz ein erhebliches verbraucherpolitisches Gestaltungspotenzial bei den Konsumenten. Mit der Option des "Anders-handeln-Könnens" lassen sich gegebene Strukturen durch nachhaltigen Konsum zu dessen Gunsten verändern.
Welches sind Konsumoptionen, die helfen, diese Spirale in Gang zu setzen? Und werden diese Optionen in der Praxis der Nachhaltigkeitskommunikation prioritär behandelt? Für die Beantwortung dieser zentralen Fragen entwickelt Michael Bilharz ein eigenes Strategiekonzept, die best ecological strategies, kurz BEST. Dieses Strategiekonzept stellt ein Reflexionsmodell zur Begründung einer handlungsleitenden Hierarchie von Konsumoptionen dar. In der Auseinandersetzung mit BEST wird deutlich, was die kleinen kleinen Schritte ("Peanuts") und die "großen kleinen Schritte" ("Big Points”) sind und welcher Art die Schritte auf dem Weg zu nachhaltigem Konsum im engeren Sinne sind ("Key Points").
Drei Strategien werden ausgearbeitet, die unterschiedliche struktur- und handlungsverändernde Ansätze bereithalten. Hinter diesem Strategiekonzept steckt die konzeptionelle Leistung, komplexe Zusammenhänge zwischen individuellem Konsumhandeln und übergeordneten Konsumstrukturen tiefgehend analysiert und einer politisch-strategischen Veränderung zugänglich gemacht zu haben. Die "Key Points” dieser Veränderung werden mit einer weiteren Konzeption des Autors identifizierbar. Vorgeschlagen wird ein Bewertungsansatz, der Konsumoptionen anhand der Kriterien Relevanz, Dauerhaftigkeit und Außenwirkung beurteilt. Tipps, die diesen Bewertungskriterien entsprechen, bieten eine Chance auf wirklich nachhaltigen Konsum. Auf Basis des Bewertungsansatzes wurden zwei explorative Studien durchgeführt. Einerseits wurden Ratgeber untersucht; mit dem Ergebnis, dass eine eindeutige Prioritätensetzung bei diesem Kommunikationsinstrument bisher nicht stattfindet. Andererseits wurden Konsumenten befragt. Identifiziert wurden "heiße Eisen” und "Key Points". Doch wie bei den Ratgebern mangelt es bei den Tipps unter Konsumenten an klaren Prioritäten.
Michael Bilharz hat mit seiner Dissertation die Parole "Das Wichtigste zuerst" ausführlich begründet und deutlich gemacht, weshalb eine Prioritätensetzung der Schlüssel zu einem nachhaltigen Strukturwandel sein kann. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten sich in Theorie und Praxis zügig verbreiten. Bleibt zu hoffen, dass sie eine hohe Resonanzfähigkeit aufweisen, ebenso wie die Tipps zum nachhaltigen Konsum.
Auf die eingangs formulierte Frage könnte man nach Lektüre dieses Buches vielleicht wie folgt antworten: Ja, es macht Sinn, in Kleinstarbeit jedes konventionelle Leuchtmittel durch eine Energiesparlampe auszutauschen, und ja, auf den geliebten Zweitwagen sollten wir auch verzichten. Im Sinne der Parole von Michael Bilharz wäre der erste Schritt, umgehend den Zweitwagen zu opfern. Die kleineren Beiträge der Energiesparlampen können wir später immer noch realisieren. Doch sind wir schon soweit?"
"Menschen vom nachhaltigen Konsum zu überzeugen, ist nicht einfach. Aber einfach nur auf die Kraft irgendwelcher kleiner Schritte zu hoffen, ist zu wenig. Der Autor zeigt mit seinem Konzept der "Key Points", wie Konsumentscheidungen - statt als Privatsache zu versanden - zum Motor für politische und strukturelle Veränderungen werden können. Hierzu stellt er das Wechselverhältnis von Konsum und Politik in das Zentrum seiner Analyse.
Bilharz schreibt zu Recht, dass die Diskussion über die gesellschaftliche Notwendigkeit veränderter Konsummuster schnell von den Beteiligten als persönliche Schuldzuweisung interpretiert wird. Statt nachhaltiges Konsumverhalten auszulösen, erntet man persönliche Rechtfertigungen für anderes Verhalten.
Wie er mittels Befragung feststellt, gibt es beim individuellen Gesamtenergieverbrauch eine Differenz zwischen den besten und schlechtesten von 48.000 kWh/a, was fast dem Durchschnittsverbrauch von 53.000 kWh/a bei den Umfrageteilnehmern entspricht. 75 % der Differenz im Gesamtenergieverbrauch zu anderen Interviewpartnern lassen sich auf Unterschiede im Heizenergieverbrauch, in der Wohnart sowie in den gefahrenen Kilometern zurückführen. Er merkt an, dass es wichtig ist die Änderung des Konsumverhaltens neben dem Einkauf auch auf die Bereiche Nahrung (Verzicht auf Fleisch) oder Entsorgung zu beziehen. Vielen Bürgern ist dies nicht verinnerlicht. Dafür muss das Bewusstsein bei den Menschen geweckt werden. Nach seiner Ansicht ist eine Radikale Absenkung des heutigen Konsumniveaus erforderlich. Weil dies von heute auf morgen nur schwer möglich ist, muss aus der "Philosophie der kleinen Schritte" die "Philosophie der entscheidenden Schritte" entwickelt werden.
Der Erfolg von Maßnahmen darf bei der Einsparung von Energie nicht an Einzelbeispielen festgehalten werden sondern muss an der Gesamtbilanz (alle Bereiche) evaluiert werden. Um den Gesamtverbrauch zu reduzieren, bedarf es nach Ansicht Bilharz's einer kollektiven Änderung und nicht nur individueller Lösungen. Auf den Weg dahin müssen falsche Strukturen geändert werden, wie sie z.B. im Bereich der Mobilität anzutreffen sind. Das Ziel eines nachhaltigen Konsums kann nur erreicht werden, wenn die individuellen Voraussetzungen sowie individuelle Restriktionen berücksichtigt werden (u.a. mangelnde finanzielle Mittel bei den Bürgern).
Seine Botschaft ist provozierend einfach: Von "Peanuts" über "Big Points" zu "Key Points" nachhaltigen Konsums. Zu letzteren zählt die Wärmedämmung von Gebäuden, Investitionen in erneuerbare Energien, Kraftstoff sparende Autos, CarSharing, gemeinsame Wohnformen im Alter sowie der Einkauf von Bio-Lebensmitteln.
Durch nachhaltigen Konsum müssen nach Auffassung des Autors persönliche Vorteile (Förderung erneuerbarer Energien,...,), die auch von Dritten im Umfeld so wahrgenommen werden, entstehen. Erfolge und Verbräuche müssten seiner Ansicht nach sichtbar gemacht werden.
Die Herangehensweise liefert erfrischende Perspektiven für die Debatte über die Notwendigkeit individueller Lebensstilländerungen.