Werner Sombart / Friedhelm Hengsbach SJ
"Die Gesellschaft Neue Folge" · Band 1
248
Seiten ·
22,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN
978-3-89518-650-9
(March 2008)
)
Das Thema des ersten Bandes, mit dem die Neue Folge der Reihe "Die Gesellschaft" eröffnet wird, war auch das Thema des ersten Bandes der von Martin Buber herausgegebenen Reihe; "Das Proletariat" von Werner Sombart erschien im Jahre 1906. Sombart zeigt das Ausmaß sowie die sozialen und psychischen Folgen der Verelendung der ärmsten Bevölkerungsschicht; er zeigt, was der Proletarier an Heimatverbundenheit, an Familiengemeinschaft, an Sicherheit eingebüßt hat und wie die Probleme im "Wohnungselend" kulminieren. In einem Prospekt zur Reihe sagt Martin Buber: "Er (Sombart) schreibt die Tragödie der Arbeiterseele." Ein neues Leben kann der Proletarier nur durch Bildung erreichen, durch Ausbildung seiner kritischen Fähigkeiten und durch ein Bewusstsein der Solidarität.
Friedhelm Hengsbach kommentiert den Band von Sombart und schreibt die Geschichte des Proletariats bis in die jetzige Zeit fort. Er zeigt, in welchen Formen dieses Begriff heute noch seine Gültigkeit hat.
"Proletariat nennen wir diejenige soziale Klasse in unseren modernen Gesellschaften, die aus den besitzlosen Lohnarbeitern besteht, das heißt, also aus denjenigen Bevölkerungselementen, die, weil sie keine Mittel haben um sich wirtschaftlich selbständig zu machen, genötigt sind, auf dem Wege des freien Lohnvertrages ihre Arbeitskraft gegen Entgelt einem kapitalistischen Unternehmer zeitweilig zur Nutzung zu überlassen. Ihre Existenz setzt also das kapitalistische Wirtschaftssystem voraus, das in seiner neuen Gestalt seit dem Ausgange des Mittelalters sich unaufhaltsam über Europa, Amerika, Australien und einem Teil von Asien und Afrika ausgebreitet hat." Mit diesen Worten leitet der Soziologe und Ökonom Werner Sombart seinen Text "Das Proletariat" ein. 1906 war das Buch der erste Band einer von dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber herausgegebenen Reihe "Die Gesellschaft". Der Marburger Metropolis-Verlag hat sich entschlossen, die 40 Bände der Reihe neu herauszugeben und um eine Aktualisierung zeitgenössischer Autoren zu ergänzen. Die Bände der Buber-Reihe behandeln unter anderem die Themen Religion, Streik, Börse und Weltverkehr. In seinem Buch beschreibt Werner Sombart die sozialen und psychischen Folgen der Verelendung des Proletariats, dem er ein Drittel der damaligen Bevölkerung des deutschen Kaiserreiches zurechnet. Adressat seiner Publikationen war allerdings nicht das Proletariat selbst, sondern Sombart wollte das Bürgertum, aus dem er selbst stammte, über die Lebensverhältnisse der Lohnabhängigen aufklären. "Wie das Proletariat den Tag anfängt, davon erfahren wir höchstens einmal, wenn wir nach einer durchtanzten Nacht oder einer ausgedehnten Pokerpartie früh um fünf oder sechs nach Hause kommen oder wenn wir zum Frühzug zum Bahnhof gehen." Der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach schrieb Sombarts Schrift über das Proletariat mehr als 100 Jahre später fort. Seine Bewusstwerdung als historisches Subjekt, als politische Klasse, die Sombart hervorhebt, ist Ausgangspunkt für Friedhelm Hengsbach. Die soziale Entwicklung des Proletariats habe ihren Höhepunkt im bundesrepublikanischen Wohlfahrtsstaat erlebt, mit ihr sei aber auch das Klassenbewusstsein verschwunden und die Klasse als Kategorie gesellschaftlicher Analyse in der Wissenschaft ignoriert worden. Das ändere sich allerdings nach der Periode neoliberaler Reformen, durch die die Erfolge der Arbeiterbewegung brüchig geworden seien, glaubt Hengsbach. "Ich vermute, dass sich im Schattenplural aller Lebensstile Klassenverhältnisse erneut etablieren und ein nicht umkehrbares Gefälle der Verteilung von Lebenschancen dauerhaft festigen." Deshalb plädiert Hengsbach für die Wiedereinführung der Klassenanalyse, die die bürgerliche Lebensstil- und Milieuforschung in Deutschland ergänzen müsse. "Die fortbestehenden Klassenlagen verschwinden hinter einem Nebel der Individualisierung, Pluralisierung und Differenzierung, in denen sich eine privilegierte Wissenschaftselite spiegelt, die diese Spiegelung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit verwechselt." So verdienstvoll Hengsbachs Plädoyer für die Wiedereinführung der Klasse als Instrument gesellschaftlicher Analyse ist, hat das Buch auch seine Leerstellen. Hengsbach beschreibt Werner Sombart zwar als umstritten, erläutert dies aber nicht weiter, auch nicht auf den 20 Seiten, die er dem gesamten Werk biographischen Kontext Sombarts widmet. Nicht in seinem Buch für die Martin-Buber-Reihe, aber in seinen späteren Werken, bediente Sombart nämlich antisemitische Stereotype und schrieb den Juden zum Beispiel eine besondere Befähigung zum kapitalistischen Wirtschaften zu. In den 30er Jahren unterstützte er sogar die Nationalsozialisten, aber, und das attestiert ihm auch Friedhelm Hengsbach als Bestandteil wissenschaftlicher Qualität, Sombart war ein lernfähiger Mensch. 1938, drei Jahre vor seinem Tod, distanzierte er sich schließlich von den nationalsozialistischen Rassetheorien. Hengsbach würdigt Sombarts Verdienste in seinem Text "Das Proletariat". "Werner Sombart hat mitten im Elend des Proletariats ein intellektuelles, kritisches Bewusstsein und eine neue Ethik der Solidarität entdeckt. Da die Arbeitersolidarität nicht naturwüchsig ist, musste sie aus der Lage der Zersplitterung zum Bewusstsein kommen und als kollektiver Wille aufgebaut werden." Friedhelm Hengsbach skizziert auch Handlungsperspektiven. Er setzt auf eine Zitat "demokratische Aneignung des Kapitalismus". Umsetzen will er sie mit radikalen Reformen, unter anderem will er die gesetzliche Grundlage betrieblicher Mitbestimmung ausweiten, Tarifverträge und solidarische Sicherungssysteme stärken, globale Finanzmärkte kontrollieren, Vermögen umverteilen und den öffentlichen Sektor ausbauen. Dabei hofft er auf die regulierende Kraft des Staates, den er als potenziellen neutralen Akteur erachtet, der durch ein organisiertes Proletariat beziehungsweise die Arbeiterklasse in deren Sinne aktiviert werden könne."
"Zwischen ein Drittel und ein Fünftel der Bevölkerung des Deutschen Reiches rechnete Sombart zum Proletariat, und obwohl dies ein bedeutender Teil der Gesamtbevölkerung war, bekam das Bürgertum von ihm nicht viel mit. Aus der Warte des materiell gutsituierten und in einer Breslauer Villa wohnenden Gelehrten liest sich das so: "Wie es (gemeint ist das Proletariat) den Tag anfängt, davon erfahren wir höchstens einmal, wenn wir nach einer durchtanzten Nacht oder einer ausgedehnten Pokerpartie früh um fünf oder sechs nach Hause kommen oder wenn wir zum Frühzuge zum Bahnhof gehen."
Als Sombart diese Zeilen schrieb, hatte er sich längst von einem ehemals naiv Fortschrittsgläubigen in einen elitären Kulturkonservativen verwandelt, der in der in zubetonierten Großstädten lebenden industriellen Massengesellschaft den Verlust einer romantisch verklärten Welt beklagte, in der die Menschen zwar materiell arm, aber seelisch reich waren.