Hans-Joachim Stadermann
419
Seiten ·
29,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN
978-3-7316-1073-1
(July 07, 2014)
)
Das Finanzzentrum New York löste nach dem Ersten Weltkrieg Schritt für Schritt die Vorherrschaft Londons unter den Finanzplätzen des europäischen Kontinents ab, weil infolge der geschwächten Pfund-Währung eine Kapitalflucht nach den Vereinigten Staaten von Amerika einsetzte. Auch im britischen Kolonialimperium knisterte es an allen Ecken und Enden. Zugleich haben die meisten Länder auf dem Kontinent versucht, die auf London zentrierte Geldwirtschaft durch staatliche Lenkung zu schwächen oder zu ersetzen. Ein Fortbestand der zinsgesteuerten Wirtschaft schien zwischen den Kriegen nirgends mehr sicher.
In diesem Umfeld verdrängte der NS-Staat im Herzen Europas die Geldwirtschaft mit einer Lenkung nach dem Prinzip von "Führung und Gefolgschaft" oder "Befehl und Gehorsam". Dieser Versuch, sich der Zinssteuerung der Produktion vollständig zu entziehen, führte in den Zweiten Weltkrieg und endete mit einer militärischen Niederlage, die Deutschland und Kontinentaleuropa teilte. Die Wirtschaft des Westens des Kontinents wurde in die Hierarchie des New Yorker Finanzzentrums, die des Ostens in den Staatskapitalismus der UdSSR integriert.
Eingeleitet wurde die wirtschaftliche Unterordnung der westdeutschen Besatzungszonen unmittelbar durch ein von den Vereinigten Staaten von Amerika unter dem Namen "Deutsche Mark" ausgegebenes, mit fixem Wechselkurs an den Dollar gebundenes Besatzungsgeld. Die Militärregierung annullierte fast alle vertraglichen und alle gesetzlichen auf Reichsmark lautenden nominalen Forderungen und Verbindlichkeiten. Sie schuf die Möglichkeit, private DM-Schulden in Dollar-Schulden zentraler öffentlicher Stellen zu transformieren, um privaten Schuldnern fehlende Sicherheiten durch öffentliche Haftung zu ersetzen. Mit dieser gegen Deutschland, aber auch gegen dessen weitere Besatzungsmächte gerichteten Ordnungspolitik einer tabula rasa war der Weg für die US-Banken frei, das besetzte Westdeutschland ohne jede Konkurrenz wirtschaftlich zu erobern.
Die Wirtschaft der westeuropäischen "Siegermächte" wurde ebenso der Bewirtschaftung unterworfen. Es geschah indirekt mit systematischer, pari passu mit ihrem Wirtschaftswachstum steigender Verschuldung, aus der eine Abhängigkeit folgte. Die Refinanzierung fällig gewordener Schuldtitel konnte und kann - wie Stadermann zeigt - bis heute Schuldnerländern verweigert werden. Diese Sanktionsmöglichkeit bedroht die Betroffenen mit Illiquidität. Die Zahlungsfähigkeit ist an die Praktizierung einer monetären Stabilophobie gebunden. Das ist eine in den meisten Zentralbanken Europas existierende Furcht. Sie veranlasst die bewusste Unterlassung stabiler Geldpolitik, weil sie die durch Finanzpolitik permanent geschwächte Leitwährung mit Abwertung bedroht und als Reaktion die Sanktion auslöst. Das ist eine realistische Erwartung, weil die Abwertung die Nominalvermögensposition der US-Banken zum Rest der Welt verschlechtert.
Der Emittent der Deutschen Mark verkörperte die Ausnahme von der Regel. Das war nach Stadermann ein unbeabsichtigtes, vor allem unvorhergesehenes Resultat der Transformation der Frankfurter Bi-Zonen-Clearingstelle zur "Bank deutscher Länder". Dollar-Devisenzuflüsse beschränkten durch diesen Geburtsfehler die Neuemission des "deutschen Dollars". Auch die später im Bundesbankgesetz festgeschriebene Unabhängigkeit der Bundesbank, die den Griff des Zentralstaats in deren Kasse verhindern sollte, wurde zum Albtraum für das Finanzzentrum New York. Keinesfalls weniger überrascht wurden die US-Finanzpolitik und das Zentralbanksystem in Washington. Der Einfluss Washingtons auf die Bonner Regierung drang so nicht bis nach Frankfurt durch.
Was jenseits des Atlantiks als Missgeschick erfahren wurde, ermöglichte der Bundesbank, Westdeutschland mit einer stabilophil emittierten Deutschen Mark von seiner durch den Wechselkurs entwerteten öffentlichen Dollarschuld zu befreien. Die Sanktionsmöglichkeiten verloren so ihren Schrecken. Deswegen aber durfte niemand schon hoffen, an Rhein und Main in Frieden gelassen zu werden. Die Geschichte der deutschen Nachkriegswährung stellt sich vielmehr als eine Abfolge von Versuchen dar, die monetäre Stabilophilie der Bundesbank zum Beispiel durch Einbindung der Deutschen Mark in einen Währungsblock zu brechen. Erst die Mitgliedschaft der Bundesbank im Eurosystem erlaubte es, ihr Frieden aufzuzwingen. Soweit nicht schon der EU-Vertrag dies geregelt hatte, konnte erst nach mehreren "Gefechten" gegen Mitglieder des Direktoriums der Bundesbank die Bedrohung des US-Dollars durch einen stabilophil emittierten Euro nahezu ausgeschlossen werden.
Die in Dollar rechnenden Banken sind seit dem Untergang der Deutschen Mark mit dem Rechengeld, das ihre Gewinne und Verluste misst, ohne Währungskonkurrenz, wie es so nur 1946 bei der Gründung des IMF gewesen war. Die Bundesbank ist vernichtend geschlagen. Die Kosten der deutschen Einheit haben das Auslandsnettovermögen Deutschlands vermindert, ohne es allerdings als Schuldnerland in eine Abhängigkeit zu zwingen. Die Unfähigkeit zur harten Geldpolitik ergibt sich nur noch aus den Mehrheitsverhältnissen im Zentralbankrat des Eurosystems.
Doch die Geschichte steht nicht still, nur weil die Deutschen eine Schlacht verloren haben. Wohl ist es heute unwahrscheinlich, dass der Euro zu einer dauerhaft harten Währung wird, der die Pax Americana brechen könnte. Die durch Verschuldung in die Abhängigkeit vom Finanzzentrum New York geratene Mehrheit der Euroländer muss jede Entknappung der Dollarwährung nachvollziehen, um nicht von den dominanten US-Banken in Refinanzierungsnot gebracht zu werden.
Den Regierungen der Euroländer ist die monetäre Stabilophobie ihrer Zentralbanken zudem angenehm. Sie steigert die Nachfrage nach Staatsschuldtiteln. Das macht Regieren für die kurze Frist, die vom Erwartungshorizont der Politik bestimmt ist, leicht. Sie ist aber ein wesentlicher Grund für strukturelle Leistungsbilanzdefizite, systematisch sinkendes Inländerprodukt aus einem sukzessiv dequalifizierten Arbeitsmarktangebot und ein unbefriedigendes Wachstum der Wirtschaft. Die wirtschaftliche Zukunft des europäischen Kontinents hängt deswegen von der Einsicht aller Europäer in die Vorteilhaftigkeit des stabilophilen Währungswettbewerbs und der Bereitschaft zu Abbau externer Schulden ab. Verharrt die Mehrheit der Mitglieder in monetärer Stabilophobie, heißt das, langfristig chancenlos zu werden.
In den Finanzkriegen der Vergangenheit hat es ständig Überraschungen gegeben. Es gibt keinen Grund, warum es in der Zukunft anders sein sollte. Europa kann vereint mit einem stabilophil emittierten Euro erfolgreich gegen den US-Dollar konkurrieren. Währungswettbewerb erlaubt auch, die mit der Überflutung des Geldmarktes mit für Konjunktur und Wachstum überflüssigem Geld unübersehbar gewordene Korruption im Finanzsektor zu bekämpfen. Wettbewerb wird dort nur bestehendes Vermögen umverteilende Transaktionen reduzieren. Die Antriebskräfte des technischen Fortschritts würden in den Industriegüter produzierenden Sektoren der Wirtschaft in Europa und in den Vereinigten Staaten von Amerika gestärkt, statt weiter geschwächt zu werden.
Der Traum vom harten Euro bleibt aber Traum, wenn es den zum stabilophilen Wettbewerb um die Leitwährungsposition bereiten Ländern in der Währungsunion nicht gelingt, durch Überzeugung die Stabilophobie der Mehrheit im Eurosystem zu beenden. Von der nur dann möglichen Umkehr der Grundsätze der Euro-Emission hängt es ab, ob Kontinentaleuropa mit dem asiatischen Aufschwung mithalten kann. Ohne konsequenten Währungswettbewerb gibt es keinen ausreichenden Zwang zu technischem Fortschritt und zur Höherqualifizierung der Arbeitskraft.