Die Debatte über Ursachen und Umgang mit der Krise entscheidet darüber, welche politische Formation in der nächsten Dekade die Hegemonie im öffentlichen Diskurs und damit die politische Hegemonie erringt. Wohin die Gesellschaft driftet, hängt von langfristigen und subkutanen Trends in der massenhaften Krisenwahrnehmung und Krisenverarbeitung ab, von Stabilität und Brüchen der intuitiven Übereinkünfte. Erlaubt die Krise noch, sich in Sicherheit zu wiegen und dem Gefühl hinzugeben, was sich bewährt habe werde sich auch weiter bewähren und die Gesellschaft durch die Krise in eine neue Prosperitätsphase tragen? Oder erreicht das Gefühl der Bedrohung eine Intensität, die diese Gewissheit zerstört und gebietet, sich auf die Suche nach einem erneuerten Prosperitätsregime zu machen? Suchprozesse dieser Art haben eine Vorgeschichte, und die Zeitenwende braucht Zeit. Was aber in diesem gesellschaftlichen Orientierungsprozess zur intellektuellen wie praktischen Disposition steht, das ist die „soziale Marktwirtschaft“ als Doktrin und als institutionelles Arrangement. Die soziale Marktwirtschaft hat 60 Jahre Praxis und Begriffsgeschichte hinter sich. Die Krise zum Jubiläum ist ein unbestechlicher Prüfstand für alles, was über die soziale Marktwirtschaft je gedacht, gesagt und geschrieben wurde. Mehr noch als „Demokratie“ oder „Föderalismus“ ist sie der harte Kern des tief in die gesellschaftliche Mentalität eingesickerten politischen Vermächtnisses, das von Adenauer und Erhard bis heute tradiert wird. Dieser Kern wird durch die Krise Schicht für Schicht freigelegt und diskursiv gewogen, durchleuchtet und seziert.