Ute Gahlings
38 Seiten · 6,98 EUR
(21. Mai 2008)
Aus der Einleitung:
Wenn ich mich als Philosophin mit dem in meinem Fach häufig vernachlässigten Thema Ernährung befasse, so geschieht das vor dem Hintergrund eines Verständnisses von Philosophie als einem „Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung“ – wie es Hermann Schmitz einmal formuliert hat (Schmitz 1995, 5). Der Kontext Ernährung bezeichnet eine zentrale Situation des Sich-Findens in der Umgebung, ja des Sich-Einverleibens von Umgebung und die Besinnung darauf ist eine der fundamentalen Reflexionen des Menschen, da es in ihr um das Überleben und die Lebensqualität seiner Gattung geht. Ernährung ist eingebettet in Naturzyklen und Kultivierungspraxen, in global interagierende Nahrungsketten und intergenerational verankerte Wissenstraditionen. Die Ernährungsarbeit erstreckt sich auf hochkomplexe Prozesse im Umgang mit der Natur vor uns: Hervorbringung, Pflege, Ernte, Lagerung, Konservierung, Reinigung von Nahrungsgütern, ihre Zubereitung, Präsentation, Entsorgung etc. Die Ernährungsarbeit umfasst aber auch Vorgänge und Kompetenzen hinsichtlich der ‚Natur‘, die wir als Leib selbst sind. Bei allen Menschen findet diese Arbeit an der oralen Zone ihren aktiven leiblichen Exponenten. Vom Körper in besonderer Weise vorgezeichnet ist ferner die sich am weiblichen Leib nach der Geburt eines Kindes aufdrängende Befähigung zur Nährung durch Laktation, ein Ernährungsauftrag, der im Stillen zur sozialen Arbeit in zwischenleiblicher Responsivität wird. Darüber hinaus spielen soziale Handlungen in den Ritualen, Atmosphären und Ekstasen des Speisens bis hin zur sakral-kultischen Transsubstantiation von Nahrungsmitteln eine wichtige Rolle. Vor aller Differenzierung in Lebensalter, Geschlechter oder soziale Felder verweist der Kontext Ernährung zunächst einmal auf die leibliche Grundverfassung des Menschen.
*1963, Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Psychologie an der Bergischen Universität Wuppertal; 2005 Habilitation im Fach Philosophie an der TU Darmstadt. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte (Auswahl): Ethik/Praxis der Philosophie, Phänomenologie, feministische Philosophie, Philosophie des Leibes.