483 Seiten
38,00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1454-8
(11. Dezember 2020)
Die Autor/innen beschäftigt die Frage, warum aus dem Wissen über den Zustand der Welt kein angemessenes individuelles und gesellschaftliches Handeln folgt. Antworten werden gesucht auf rationaler, emotionaler und ästhetischer Ebene.
Nachhaltigkeit ist kein Gegenstand, sondern eine Sichtweise. Jedes Themenfeld kann unter dieser Perspektive betrachtet werden: das Münchener Oktoberfest ebenso wie der automobile Verkehr, die Gestaltung von Werbe-Botschaften ebenso wie der pädagogische Einsatz von Computerspielen.
Nachhaltige Entwicklung ist als Ziel zu formulieren. Es ist nicht immer uneingeschränkt umsetzbar, aber es darf niemals aus dem Auge verloren werden. Darum stehen kommunikative Aspekte im Fokus: Dazu zählen die Aktionen von Umweltaktivist/inn/en genauso wie die Verwendung von Bildern auf Instagram, das Greenwashing von Unternehmen oder die Übernahme von Verantwortung durch Einzelne und durch wirtschaftliche und politische Organisationen.
Nachhaltige Entwicklung kann kaum abschließend behandelt werden. Die Themen sind offen, um sie exemplarisch auf Mikro-, Meso- und Makroebene zu betrachten: der Einfluss eines neuen Umweltbewusstseins auf die Berufswahl oder die betrieblichen Entscheidungen in der Positionierung von Produkten, das Naturverständnis in der Politik oder die Versuche einer Wiedererlangung politischer Gestaltungssouveränität durch Beteiligte und Betroffene.
All dies wird eingeordnet in moralisch-ethische Debatten des Wollens, Könnens und Sollens von sozio-kulturellem und ökologischem Handeln.
Die gegenwärtige Lage wird wiederholt treffend umrissen. Dass wir seit Langem über "die ökologischen Grenzen unseres Planeten" hinaus konsumieren und weiter expandieren, ist offensichtlich. Sie jedoch markieren den Rahmen für ein Handeln mit Zukunft. Das wird zum Beispiel im Text eines ‹netzwerk n› sehr klar festgehalten. "Konkret bedeutet dies, dass vor allem wir im globalen Westen zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs unseren Lebensstil, Konsummuster und Produktionsweisen grundlegend verändern müssten." Mit diesem Ziel unterstützt und koordiniert das Netzwerk seit gut zehn Jahren in erster Linie studentische Nachhaltigkeits-Initiativen in Deutschland.
Konzeptionell fand ich dies den überzeugendsten Beitrag des Bandes, obwohl auch er die immer wieder gestellte Frage nach den Gründen, "warum Nachhaltigkeit unser Handeln bisher so wenig bestimmt", nicht klärt. Das sei eben ein vielschichtiges Problem, ist anderswo zu lesen. "Manchmal liegt es vielleicht schlicht daran, dass die Leidtragenden unseres Verhaltens teilweise noch nicht geboren sind." Oder dass sie relativ fern von uns leben. Wohl wahr, doch wenig hilfreich.
Ausgangspunkt der hier gesammelten aktuellen Beurteilungen aus einer vorwiegend an Universitäten agierenden Szene ist ein schon älteres, eher suspektes Forschungsprojekt, das mehrmals angesprochen wird. Da ist etwa von einem "Emotions-in-Balance-Prinzip" die Rede, dem Einsatz "des Ecotainment-Konzepts" für die Förderung von Nachhaltigkeit. Ecotainment? Wer diesen Suchbegriff eingibt, wird im Netz auf ein Wirtschaftslexikon verwiesen, das Ecotainment als eine Form der Umweltkommunikation beschreibt, die nachhaltiges Konsumentenverhalten "über die rein emotionale Inszenierung attraktiver Lebensstile" anregen soll. Entwickelt worden sei das Konzept als Marketingstrategie, nachdem "das konventionelle Umweltmarketing ab Mitte der 90er Jahre kaum mehr neue Konsumentengruppen angesprochen" habe. Auch "die Glaubwürdigkeit der Werbenden" nahm damals durch "ein Überangebot negativer ökologischer Informationsinhalte" ab. Zufall, dass diese lexikalische Erläuterung ausgerechnet von einem Link zur Nachhaltigkeitsstrategie von Glencore Schweiz flankiert wird?
Zurück zum Buch, wo Expertinnen und Experten zu Wort kommen, die sich zum Teil bereits ein halbes Berufsleben lang mit derartigen Fragen befassen, weil sie nachhaltige Entwicklungen vorbereiten und begleiten sollten und wollten. Dies war ja immer das offiziell deklarierte Ziel. Müssten sie am niederschmetternden Resultat bisheriger Bemühungen nicht verzweifeln? Selten nur klingt davon etwas an. In der Regel herrscht ein distanziert professioneller Ton vor. Das oben erwähnte Hochschul-Netzwerk führt (selbst)kritisch Defizite im internen Bereich an, weist auch auf finanzielle Abhängigkeiten hin. Doch die unter dem guten Motto über Jahrzehnte entwickelte Nachhaltigkeits-Bürokratie kommt kaum direkt ins Visier. Sind die Beteiligten gar ein Teil von ihr, die ihnen zugewiesenen Arbeiten ein Alibi? Es werde ja intensiv geforscht und geplant ... Wer sich in der Rolle reiner Politikberatung eingerichtet hat, tut sich mit direktem Eingreifen schwer. Immerhin werden jetzt Fakten und Argumente zunehmend allen Interessierten zur Verfügung gestellt.
Zuweilen mutet die Mischung des Sammelbandes ziemlich wild an. So setzt sich Alfons Matheis, einer der Herausgeber und seit einem Vierteljahrhundert am Umwelt-Campus der Hochschule Trier als Professor für Bereiche wie Kommunikation, Ethik und Weiterbildung beschäftigt, vehement mit der Alarmrhetorik von Greta Thunberg auseinander. War ihr empörtes "Wie könnt ihr es wagen", das sie 2019 bei der UNO den politischen Eliten der Welt entgegenschleuderte, "als das sichtbare Zeichen einer moralischen subjektiven Intuition zu interpretieren" und ist die Empörung berechtigt? Letzteres wird notabene nach kurvenreichen, durchaus spannenden und erhellenden akademischen Erwägungen klar bejaht. Von den für alle verständlichen Anklagen der schwedischen Schülerin, die sich im August 2018 erstmals mit ihrem Streikplakat vor das Reichstagsgebäude setzte, ging in kürzester Zeit womöglich mehr Wirkung aus als von Serien gigantischer Konferenzen und Bibliotheken voller Konzepte für "nachhaltige Entwicklung", die unzählige Institute seit dem Erdgipfel in Rio anno 1992 erarbeitet haben. Aber auch auf ‹Fridays for Future› bezogen lautet die bittere Bilanz, "dass sich viel bewegt, aber wenig getan hat". Wieder wird sichtbar, "wie langsam die Forderungen in der Politik und Wirtschaft auch auf Aktionen und Handlungen treffen".
Und dann? Als nächstes fragt ein Literaturwissenschaftler nach Bezügen von Mensch und Natur in späten Texten von Adalbert Stifter. Was ist von den Biedermeier-Betrachtungen aus dem Böhmerwald zu lernen? Das mutet als Exkurs exotisch an. Doch ich war für die Anregung dankbar, nahm den letzten Band der verstaubten Werkausgabe aus dem Regal, setzte meine vor Jahren begonnene Lektüre des "Nachsommer"-Romans endlich fort. Sie gewann durch die Anmerkungen von Benjamin Schlodder an Spannung. Hatten mich zuvor nur einzelne Passagen genervt, etwa der patriarchale Umgang des Gutsbesitzers mit dem Personal, achtete ich nun auch bei den Naturbetrachtungen des eben nicht nur konservativen Autors auf irritierende Stellen. Zwar habe die Kultivierung der Landschaft zu jenem Zeitpunkt "tatsächlich noch zu grösserer Diversität" geführt, wusste ich jetzt, doch der "Umschlagpunkt im Verhältnis der Natur zu ihrer Ausbeutung", hin zur zunehmenden Zerstörung der beschriebenen Landschaft, war bereits erreicht, als dieses Werk erschien. Und wie die kritische Analyse ergebe, arbeiteten Stifters Figuren - entgegen all der von ihnen vertretenen Ideale - an einer Nutzung, die mit der Einbindung der Gegend in globale Wege- und Handelsnetze in die letztlich verhängnisvolle Richtung führte. So sei bei der genauen Betrachtung seiner Naturwahrnehmung auch "eine Annäherung an die Frage möglich, warum aus dem Wissen um seine Notwendigkeit so häufig kein wirklich nachhaltiges Handeln folgt." ...
Design als Garant für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft
Die Integration des Leitbildes Nachhaltigkeit in die Produktkommunikation innerhalb der Konsumkultur
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Share a ride. Oder spricht was dagegen?
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Die emotionale Wirkung visueller Umweltkommunikation auf Instagram
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Climate Media Factory
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Nachhaltigkeit bei der AfD
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Das Individuum in der nachhaltigen Wirtschaft: Konsum in digitalen, algorithmenbasierten Entscheidungsarchitekturen
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Wie könnt ihr es wagen – vom Wollen zum Handeln
Qualitäten der Nachhaltigkeitskommunikation – Eine Checkliste