594 Seiten
38.00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-930-2
(27. März 2013)
Register
Europa durchläuft eine tiefgehende Krise. Auch wenn die öffentliche Wahrnehmung auf Themen wie die gemeinsame Währung und den Staatsschuldenabbau verengt ist, geht es doch um mehr. Infrage steht der weitere Entwicklungspfad im Verhältnis von Märkten und staatlichen Institutionen, von profitgetriebener Privatökonomie und der Versorgung des Gemeinwesens mit öffentlichen Diensten. Als Staatsschuldenkrise wird bezeichnet, was im Kern eine Krise der Staatsfinanzierung ist. Weder in Deutschland noch in Spanien, Irland sowie anderen europäischen Ländern resultieren hohe Staatsschulden aus einem verschwenderischen öffentlichen Haushaltsgebaren. Für Deutschland gilt: Obwohl der Staat nicht zuletzt auf der kommunalen Ebene zurückgebaut und notwendige öffentliche Investitionen vernachlässigt wurden, wuchs die öffentliche Verschuldung. Sie wuchs mit der Deutschen Einheit, mit den Steuersenkungen der Schröder-Ära, mit der Bankenrettung im Zuge der Finanzkrise. Während das öffentliche Gemeinwesen bei der Kinderbetreuung, bei Bildung, Pflege, Kultur und anderen Bedarfsfeldern unterfinanziert ist, entstand im Gegenzug gigantisches Privatvermögen und ein Teufelskreis der sozialen und kulturellen Spaltung kam in Gang. Schuldenbremse, Fiskalpakt und die erzwungene Austeritätspolitik vertiefen die Fehlentwicklung.
Das vorliegende Buch setzt hier an. Nicht theoretisch-abgehoben, sondern unterlegt mit einer Fülle von empirischem Material plädiert es für eine politische Richtungsänderung. Behandelt wird die Frage, was wir an öffentlicher Leistungserbringung benötigen, um von unten, von den Kommunen aus eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Die in den fünf skandinavischen Ländern realisierten Alternativen dienen als Spiegel. Aufgezeigt wird ein Weg, bei dem der "local welfare state" als Dienstleister gute Arbeit erfolgreich verknüpft mit der Bewältigung sozialer, demografischer und ökologischer Herausforderungen. Auch für die Revitalisierung lokaler Demokratie bietet dies Anknüpfungspunkte, denn Demokratie wird entleert, wenn ihr Gestaltungsfeld schrumpft, weil sich der Staat aus der Leistungserbringung zurückzieht.
"Damit sind wichtigen Bedingungen für eine zielorientiert-gestaltende Politik - etwa in Form einer Pfadverschiebung Richtung nordisches Modell - benennbar: Die staatlichen Akteure müssen erstens in relevantem Umfang Mitspieler sein, dies sorgt für Kooperationsbereitschaft bei den nicht-staatlichen Akteuren; der öffentliche Sektor muss zweitens als Rollenmodell fungieren können und drittens muss die Gesetzgebung ggf. den Mut zu scharfen Sanktionen aufbringen. Auf dieser Basis sei auch in Deutschland eine Pfadverschiebung Richtung nordisches Modell und damit zu weniger Armut und Ungleichheit möglich.
Eine Verklärung der nordischen Länder liegt Heintze gleichwohl fern; mehr als ein Dutzend Mal wird darauf hingeweisen, dass auch dort Outsourcing betrieben wurde, Privatisierungen zu Beschäftigungsabbau geführt und sich die soziale Ungleichheit verstärkt hat - "aber auf einem deutlich geringeren Leverl" und ohne die in Deutschland nachgewiesenen "Einrasteffekte" (einmal arm, immer arm). Während mit der "doppelten Umverteilung von unten nach oben und vom Staats- in den Privatsektor" in vielen anderen Ländern die Voraussetzungen der Finanzkrise verschärft wurden, blieben die nordischen Länder auf ihrer "Straße des Erfolgs".
Heintzes überzeugendes Resümee: Das skandinavische Modell "mag Schrammen haben, aber es funktioniert". Sehr zurückhaltend ist sie bei ihrem Ausblick: "Kritisch dürfte es werden, wenn die Finanzierungsbasis schwindet." Von daher wird es spannend, den weiteren Entwicklungsweg der nordischen Länder zu beobachten.
Dafür, vor allem aber für die aktuellen Diskussionen politischer Alternativen hierzulande bieten die 550 Textseiten eine reichhaltige Grundlage".
"Der Autorin gelingt es mit Hilfe vieler Datentabellen und Grafiken, sowie durch zahllose praktische Beispiele, ein sehr anschauliches Bild davon zu zeichnen, wie ausnehmend positiv sich ein aktiver und starker Staat auf die Lebenswirklichkeit der Menschen auswirken kann. Dies geschieht, indem sie die große Bandbreite der staatlichen Dienstleistungen in allen fünf skandinavischen Ländern ausführlich beschreibt und diese dem Angebot in der Bundesrepublik gegenüberstellt.
Dabei treten gewaltige Unterschiede zutage, die zu einem großen Teil dem massiven und über drei Jahrzehnte hinweg konsequent verfolgten Staats- und Sozialabbau in Deutschland geschuldet sind. Dieser zerstörerische Prozess fand in den nordischen Ländern so nicht statt, wenngleich es auch dort unnötige Zugeständnisse an die neoliberale Ideologie gab. Die Einschnitte fielen allerdings von Staat zu Staat unterschiedlich aus. Auch sonst finden sich in der Politik der einzelnen Länder in einigen Details deutliche Abweichungen. Diese Unterschiede werden im vorliegenden Buch sorgfältig herausgearbeitet.
Außerdem erfährt der Leser, dass sich darüber hinaus bereits das Selbstverständnis der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten überraschend deutlich von der Tradition des deutschen Sozialstaates unterscheidet. Während es hierzulande seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hauptsächlich um die Absicherung gegen die großen Risiken des Lebens über die Sozialversicherung geht, fanden die nordischen Länder zu einem weiter gefassten, universellen Ansatz. Sie entwickelten über viele Jahrzehnte hinweg und im Rahmen einer überwiegend linksgerichteten Politik einen Staat, der seine Aufgabe darin sieht, für alle da zu sein und niemanden zurückzulassen. Deshalb reicht es auch nicht, wenn es, wie in Deutschland, den meisten Menschen (noch) recht gut geht. Es wird kein geringeres Ziel verfolgt, als eine gute Lebensqualität für alle Bürger zu ermöglichen und das Wohlergehen des Einzelnen sicherzustellen, auch jenseits monetärer Fragen.
Aus diesem hohen Anspruch heraus ergibt sich auch eine ganz andere Herangehensweise an die Ausgestaltung der staatlichen Dienste. Der Ausgangspunkt liegt im tatsächlich vorhandenen Bedarf. Die Basisfrage lautet also: "Welche Unterstützung brauchen die Menschen?". In Deutschland steht dagegen fast nur noch die Budgetierung im Vordergrund, also die Frage: "Was darf es kosten?". In der Konsequenz ergaben sich zwei völlig konträre Strategien. Während hierzulande unzählige staatliche Stellen gestrichen wurden und auch privatwirtschaftlich erbrachte Dienstleistungen immer billiger werden sollten, erkannte die Politik in Skandinavien das große Potenzial qualitativ hochwertiger Dienstleistungen seitens des Staates. So wurden in den meisten nordischen Ländern in den letzten Jahren sogar neue Arbeitsplätze im kommunalen Sektor geschaffen. In Deutschland dagegen gingen allein in diesem Bereich seit 1991 mehr als 750.000 Jobs verloren.
Die Autorin wählte mit den Kommunen einen idealen Aufhänger für ihr Buch, denn in den nordischen Ländern spielen die Gemeinden im Gegensatz zum deutschen Föderalismus die zentrale Rolle und sie werden dementsprechend über hohe Steuereinnahmen großzügig finanziert. In der Wahrnehmung der Menschen ist im Grunde die Kommune der Staat und hier sind auch die allermeisten Dienstleistungen verankert. Diese staatlichen Dienste genießen in Skandinavien außerdem ganz klar den politischen Vorrang gegenüber Geldleistungen.
Im Buch wird ausführlich dargelegt, wie die Gemeinden in den einzelnen Ländern arbeiten, wie sie finanziert werden und welche wichtige Rolle sie als Arbeitgeber spielen. Besonders intensiv findet anschließend die Auseinandersetzung mit den speziellen Dienstleistungen für Kinder und Jugendliche statt, gefolgt von den Diensten für Senioren. Der Leser erfährt, wie unheimlich weit entwickelt zum Beispiel die Kinderbetreuung ist. So ist in den nordischen Ländern die Ganztagesbetreuung von Kleinkindern bis zum Vorschulalter die Regel und es gibt sogar ein recht gutes Netz an Einrichtungen zur 24-Stunden-Betreuung für die vielen Eltern, die Schichtarbeit leisten. Auch an die Ferienzeiten und an Nachmittagsangebote für Schüler wurde gedacht. Gleichzeitig ist die Personalausstattung in der Regel sehr gut und mehr als ein Drittel der Erzieherinnen verfügt sogar über eine akademische Ausbildung.
Trotz der Fortschritte in der jüngsten Vergangenheit kann in Deutschland von solchen Errungenschaften nur geträumt werden. Noch fehlt es an der Quantität der Angebote, besonders auch im Hinblick auf die Ganztagesbetreuung, von einer vergleichbaren Qualität ganz zu Schweigen. Das skandinavische System erlaubt den Müttern und Vätern ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit und das sogar in den vielen sehr dünn besiedelten Regionen. Dies führt im Zusammenwirken mit den deutlich familienfreundlicheren Arbeitszeitmodellen zu einer weitaus besseren Vereinbarkeit von Beruf und Kindern. Darin ist mit Sicherheit auch ein wichtiger Grund dafür zu sehen, dass die Frauen in den nordischen Ländern bereits seit langer Zeit erheblich mehr Kinder bekommen als in Mittel-, Süd- oder Osteuropa und natürlich auch in der Bundesrepublik. Diese Tatsache wird dort unter anderem die Auswirkungen des demographischen Wandels stark abmildern.
Ebenso wie im Bereich der Erziehung wurde auch in der Kranken- und Altenpflege der Weg der Akademisierung beschritten. Während die Pflege in Deutschland vor allem billig sein soll, wird in Skandinavien den hohen psychischen und physischen Anforderungen und der besonderen gesellschaftlichen Bedeutung dieser Berufe Rechnung getragen. Diese Aufwertung, die besseren Arbeitsbedingungen und die weitaus höhere Bezahlung machen außerdem die Pflegeberufe deutlich attraktiver. Auch das Angebot an Dienstleistungen ist viel breiter gefächert. Während in Deutschland die Pflegebedürftigkeit Angehöriger meist ein privates Problem der Frauen bleibt und sich die Pflegenden häufig völlig überfordern - und zwar in körperlicher, seelischer und finanzieller Hinsicht - steht in den nordischen Ländern immer der Staat bereit. Bei der örtlichen Gemeinde wird festgestellt, welche Pflegedienstleistungen im einzelnen Fall benötigt und gewünscht werden. Es gibt dabei auch weitaus bessere Hilfsangebote im ambulanten Bereich. Dies gilt vor allem für die so wichtigen Dienste der sozialen Betreuung und der praktischen Unterstützung im Alltag; gerade Dänemark darf hier als Vorreiter gelten. In der Folge können Pflegebedürftige sehr oft in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und kommen nicht ins Heim, nur weil sie nicht mehr allein den Haushalt bewältigen können.
Dankenswerterweise nimmt die Autorin auch noch zur staatlichen Förderung von Kunst- und Kulturangeboten Stellung, die den Skandinaviern deutlich mehr Geld wert ist. Sie schließt mit einigen speziellen kommunalen Themen und erläutert beispielsweise, wie die Gemeinden mit ihren Stadtwerken zum Fundament einer dezentralen Versorgung mit erneuerbaren Energien werden können und damit zur Keimzelle einer erfolgreichen Energiewende.
Dieses Buch ist eine gute und fundierte Basis für politische Arbeit und zeigt, welche enormen Chancen eine solidarische Gesellschaftsordnung in sich birgt. Dabei sind die Inhalte gut gegliedert und der Text ist sprachlich relativ leicht verständlich. Der Umfang dieses Werks mag für den einen oder anderen Leser durchaus eine Herausforderung darstellen. Beim Lesen stellt sich dann aber heraus, dass letztlich keine Seite zu viel geschrieben ist; dies gilt vor allem für den sehr interessanten Teil B. Der Textaufbau ist außerdem so gestaltet, dass man den jeweiligen Inhalten auch dann noch gut folgen kann, wenn man ein Kapitel überspringen würde.
Cornelia Heintze, die sich wie kein anderer Autor in Deutschland darin verdient macht, die großen Vorzüge des Skandinavischen Modells in die Öffentlichkeit zu tragen, hat mit diesem Buch ein wahres Nachschlagewerk geschaffen. Dieses Engagement ist deshalb so wichtig, weil die Politiker und Ökonomen in den nordischen Ländern stark dazu neigen, leise und viel zu bescheiden aufzutreten. Würden in Schweden 80 Millionen Menschen leben wie in Deutschland, wäre das Gewicht in der politischen und gesellschaftlichen Debatte in Europa automatisch ein ganz anderes. Da dem aber nicht so ist, müssen sich kritische Autoren immer wieder bemühen, das nordische Erfolgsmodell zu einem wahrnehmbaren öffentlichen Thema zu machen.
Der Rechercheaufwand für dieses Buch muss enorm gewesen sein. Die Fülle an Informationen und Daten ist so groß, dass auch all jene, die sich bereits eingehend mit der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik in den nordischen Ländern befasst haben, noch viel Neues erfahren werden. Ich nehme mich hier auch selbst nicht aus und wünsche der Autorin und dem Buch den wohlverdienten Erfolg.
Cornelia Heintze: Die Straße des Erfolgs. Rahmenbedingungen, Umfang und Finanzierung kommunaler Dienste im deutsch-skandinavischen Vergleich, Metropolis-Verlag, 2013, 594 Seiten, 38 EUR.
"Cornelia Heintzes umfassender deutsch-skandinavischer Vergleich weist dagegen in eine ganz andere Richtung. Dabei geraten viele angebliche Wahrheiten ins Wanken, vor allem was die Rolle des Staates angeht. Der spielt in den skandinavischen Ländern traditionell eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung. Offensichtlich ist das aber alles andere als ein Nachteil. Im Gegenteil, die skandinavischen Länder schneiden in internationalen Vergleichen in wichtigen Bereichen regelmäßig deutlich besser ab - im Bildungsbereich, bei der Kinderversorgung, bei der Gesundheit.
Heintze weist überzeugend nach, dass sich Deutschland, was die Quantität und die Qualität des Dienstleistungssektors angeht, geradezu auf einer "Bettlergasse" ("low road") bewegt. Diese zeichnet sich aus durch umfassende Privatisierungen öffentlicher Leistungen, wachsende Ungleichheit, mangelnde Personalausstattung in Erziehung, Bildung und Pflege bei gleichzeitig massiver Ausweitung von Billigjobs. Demgegenüber bewegen sich die skandinavischen Länder auf einem "Königsweg" ("high road") mit einer umfassenden und bedarfsgerechten Bereitstellung von öffentlichen Dienstleistungen. Entsprechend gibt es in den skandinavischen Kommunen auf 1000 Einwohner rund sechs Mal so viele öffentlich Beschäftigte wie hierzulande. Die von ihnen erbrachten Leistungen erweisen sich "gerade nicht als Last, sondern als Vorteil", so Heintze.
Natürlich kostet das entsprechend mehr: Knapp 600 Euro für Personalausgaben je Einwohner hierzulande steht dort das Fünf- bis Zehnfache gegenüber. Finanziert wird dies durch eine höhere Steuerquote. Entsprechend brandmarkt Heintze Merkels Argument der "leeren Kassen" als "hohl und einseitig interessengeleitet". Die erfolgreiche skandinavische "Straße des Erfolgs" soll aber nicht einfach kopiert werden. Vielmehr sollen deren gute Erfahrungen für notwendige Veränderungen am eigenen Entwicklungspfad genutzt werden. Wer Cornelia Heintzes hochinteressantes Buch gelesen hat, weiß, dass es auch ganz anders geht, und das Gerede von der Alternativlosigkeit politischen Handelns dummes Zeug ist."
"Zur 2003 beschlossenen "Agenda 2010" gab und gibt es eine sehr erfolgreiche Alternative in Form des Nordischen Modells, also jenes Entwicklungspfades, dem die Länder Island, Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland folgen. Erstaunlicherweise sind darüber in Deutschland selbst Gegner des Neoliberalismus kaum informiert. Das will Cornelia Heintze ändern.
Bei aller Begeisterung für den Norden geht es der Autorin um Deutschland, auf das sie "durch die Brille" der nordischen Verhältnisse schaut. Der Fokus auf die kommunale Ebene setzt einen sinnvollen Vergleichsrahmen und ermöglicht detaillierte Blicke auf die aus deutscher Sicht so unfassbar vernünftigen Praktiken unserer nordischen Nachbarn.
Skandinavien wie Deutschland sieht die Autorin im Übergang zur "Dienstleistungsgesellschaft". Deutschland ist auf eine "Dienstleistungs-Lowroad" eingeschwenkt - mit Prekarisierung, Niedriglohnsektoren, Rückbau des öffentlichen Dienstes und einer gezielten Geringqualifizierung ganzer Beschäftigtengruppen in Erziehung und Gesundheit. Dagegen verfügen in Skandinavien die Beschäftigten in Erziehung und Pflege über Hochschulausbildungen und werden vergleichbar mit anderen Sektoren entlohnt. Die begrenzten Privatisierungen haben bisher nicht zu Dumpinglöhnen geführt. So steht das nordische Modell nicht nur in Industrie und Hightech, sondern auch in den öffentlichen Dienstleistungen für die "Highroad". In den letzten 20 Jahren haben die nordischen Länder ihren öffentlichen Dienst modernisiert und z.T. ausgebaut. Im Ergebnis werden heute in den nordischen Ländern zwischen 12% (Island) und 37% (Dänemark) des BIP in Kommunen und kommunalen Unternehmen geleistet - gegenüber 7% in Deutschland. Dabei sind die Aufgaben der nordischen Kommunen und ihre historischen Traditionen mit Deutschland in vielerlei Hinsicht vergleichbar. ...
Aus Ihrer Sicht begünstigt die starke Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten, selbst bei den rechten Parteien, eine Priorisierung von Erziehung, Bildung, Gesundheit und anderen Themen der kommunalen Daseinsvorsorge. Dass die starken Gewerkschaften, die Mindestlöhne bis heute überflüssig machen, in Heintzes "Erzählung" nicht vorkommen, mag dem kommunalen Fokus geschuldet sein. Eine Gesamtdarstellung des nordischen Modells zu leisten ist nicht der Anspruch dieses Bandes. Für seriöse Diskussionen darüber wird das mit sorgfältig recherchierten Fakten gespickte Werk im deutschen Sprachraum auf Jahre unverzichtbar sein. Für alle, die in der Krise der deutschen Kommunen nach Alternativen suchen, ist es eine wahre Fundgrube.
"Jenseits aktueller Krisenerscheinungen in Europa sehen sich hoch entwickelte Gesellschaften wie die deutsche weltweit vor sehr ähnliche Herausforderungen gestellt. Ihre ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung hängt stark davon ab, wie es ihnen - im globalen Zusammenhang miteinander verwoben und aufeinander angewiesen - gelingt, demographische Probleme der Alterung und Migration zu meistern, mit Ungleichheit von Einkommen und Vermögen umzugehen, kulturelle und technische Infrastrukturen zu erhalten oder auszubauen und den Klimawandel wie andere ökologische Herausforderungen nachhaltig zu bewältigen. Wie die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt, weisen einzelne Länder in dieser Hinsicht dauerhaft sehr unterschiedliche Leistungen auf. Dabei ragen in internationalen Vergleichen insbesondere die nordisch-skandinavischen Länder (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden) als besonders leistungsfähig heraus.
Aufgrund langjähriger, außerordentlich kenntnisreicher und detailorientierter Forschung über soziale Dienste in den nordischen Ländern hat Cornelia Heintze diese Ländergruppe als Referenzmodell und Kontrastmittel genommen, um vor diesem Hintergrund die deutsche Entwicklung bei der Bewältigung der genannten Herausforderungen auszuleuchten. Dabei zeigen sich schon auf den ersten Blick wesentliche Unterschiede zwischen der deutschen und der skandinavischen Entwicklung: Während in den nordischen Ländern die meisten Sektoren der Wirtschaft, insbesondere die stark exportorientierte Industrie und die öffentlichen Dienste gleichermaßen auf Prinzipien guter Arbeit, hoher Qualifikation und hohem Lohn beruhen, gilt dies in Deutschland nur für Teile der exportlastigen Industrie, nicht aber für die öffentlichen Dienste, die ganz überwiegend auf Kostensenkung, Niedriglöhne, geringe Qualifikation und Privatisierung ausgerichtet sind. Diese sehr unterschiedlichen Entwicklungspfade sind in Deutschland, vor allem bei Frauen, mit massiver Prekarisierung, Verarmung und Ungleichheit bei Einkommen und Beschäftigung verbunden, während die öffentlichen Dienste der nordischen Länder für hohe Beschäftigung bei hohen, mit der Industrie mindestens vergleichbaren Einkommen sorgen. Entsprechend deutlich höher sind auch die Pro-Kopf- Einkommen und die Beschäftigungsquoten bei Frauen. ...
Es ist das große Verdienst der Buchautorin, für den Entwicklungspfad der wohlfahrtsstaatlichen "Highroad" zuträgliche Bedingungen und institutionelle Arrangements mit empirischer Akribie, differenzierendem Blick und außerordentlichem Detailreichtum untersucht zu haben. Bei aller detailreichen Beschreibung der Besonderheiten der Bäume gerät ihr aber nie die Gesamtschau des Waldes aus dem Blick. Trotz aller Unterschiede im Detail bilden die skandinavischen Länder einen an gleichheitlich wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung orientierten Geleitzug, vor dessen Gemeinsamkeiten die Defizite des deutschen Sozialstaats deutlich hervortreten. So kann das Buch gleich mehrere Funktionen erfüllen: Es ist die meines Wissens bislang umfassendste und detaillierteste vergleichende Darstellung der deutschen und der nordischen sozialen Dienste, mit seinen Analysen hilft es, die je besonderen institutionellen und finanziellen Bedingungen ihrer Funktionsweise nachzuvollziehen und zu verstehen, und es kann zur Orientierung als Nachschlagewerk für Einzelaspekte wohlfahrtsstaatlicher Regelungen dienen."