Seit einiger Zeit rückt die Thematik der Einkommensverteilung in Deutschland wieder verstärkt in den Fokus öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Untersuchungen. Während für die angelsächsischen Länder und insbesondere die USA schon länger eine deutliche Zunahme der Einkommensdifferenzen festgestellt wird, galt Deutschland bisher eher als ein Land, in dem die Einkommen relativ egalitär verteilt sind. Auch starke Zuwächse bei den Spitzeneinkommen werden vor allem mit den USA und weniger mit Entwicklungen hierzulande in Verbindung gebracht. Diese Ansichten werden jedoch in jüngster Zeit durch empirische Untersuchungen zunehmend widerlegt.
Christina Anselmann leistet mit der vorliegenden Arbeit einen Beitrag zur Untersuchung der Frage, wie sich die personelle Einkommensverteilung in Deutschland in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Insbesondere greift sie dabei die Vermutung auf, dass in jüngerer Vergangenheit die Entwicklungen am oberen Verteilungsrand eine entscheidende Rolle bei der Zunahme der Einkommensunterschiede spielten. Sie untersucht herkömmliche und alternative Erklärungsansätze für den Anstieg bei den Spitzeneinkommen und betrachtet mögliche wirtschaftliche und soziale Konsequenzen zunehmender Einkommensdisparitäten.
"Lange Zeit galt Deutschland als ein Land mit einer relativ gleichmäßigen Einkommensverteilung. Wachsende Ungleichheiten wurden hauptsachlich in den USA und in anderen angelsächsischen Ländern beobachtet, wobei die hohen Einkommensgruppen überproportionale Steigerungen aufweisen, während die unteren Einkommensgruppen Nettoverluste verzeichnen. Diese Erkenntnis greift Christina Anselmann auf, indem sie sich in ihrer Analyse der personellen Einkommensentwicklung in Deutschland auf die Entwicklung und die Zusammensetzung der Spitzeneinkommen konzentriert. Die empirische Untersuchung - gestützt auf Daten aus dem Top World Income Database, den Jahrbüchern des Statistischen Bundesamtes sowie eigenen Auswertungen aus dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) - gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Teil stellt die Autorin die Verteilung der Bruttoeinkommen über einen Zeitraum von 100 Jahren dar, wobei sie zu Vergleichszwecken auch die Entwicklungen in den USA skizziert. Im zweiten Schritt wird die staatliche Einkommensumverteilung in Deutschland betrachtet und im dritten Abschnitt geht es um die Verteilung der Nettoeinkommen zwischen 1983 und 2009. Im Ergebnis zeigen sich auch für Deutschland große Einkommensdivergenzen. "Insbesondere ab Mitte der 1990er Jahre sowie in verstärktem Maße mit Beginn des 21. Jahrhunderts waren Zuwächse der realen Durchschnittseinkommen bzw. Einkommensanteile nur in den oberen Einkommensgruppen zu verzeichnen, wohingegen die unteren Einkommensschichten Verluste hinnehmen mussten." (51 f.) Anselmann setzt sich anschließend anhand ökonomischer Theorien und Modelle mit der Frage nach den Ursachen sowie den Auswirkungen dieser Entwicklung auseinander. Dabei hebt sie einerseits hervor, dass eine ungleiche Verteilung von Einkommen durchaus auch "als Anreizsystem zu verstehen [ist]" (91). Andererseits räumt sie ein, dass die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Topeinkommen aus ökonomischer und gesellschaftlicher Sicht nicht unproblematisch und daher kritisch zu bewerten sind. Die Arbeit schließt mit einer kurzen Betrachtung von Gegenmaßnahmen, die gegenwärtig diskutiert werden."