"Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft" · Band 15
2. Auflage Januar 2000
334 Seiten
24,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-995-1
(18. November 1998)
An und für sich dürfte es keine Arbeitslosigkeit geben; denn es gibt noch eine große Anzahl von Tätigkeiten, die sinnvoll durchgeführt werden könnten. Ja, in einer Welt voll Knappheit, d.h. in einer Welt, in der es grundsätzlich zu wenige Güter im Verhältnis zu den menschlichen Bedürfnissen gibt, ist das Bestehen von Arbeitslosigkeit immer ein Anzeichen dafür, daß die Organisation der Wirtschaftstätigkeiten nicht funktioniert, Warum arbeitet ein Arbeitsloser nicht, wenn es doch genügend zu tun gibt? Und warum stellt ein Unternehmer keine zusätzlichen Arbeitskräfte ein?
In den Zeiten des Faustkells gab es keine Arbeitslosigkeit - oder zumindest ist dies sehr schwer vorstellbar. Denn das Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung war an die Arbeitsleistung eines jeden Mitglieds eines Jäger- und Sammlerstamms gekoppelt. Hatte man Jagd- oder Sammlerglück, brauchte man weniger zu arbeiten; hatte man dieses Glück nicht, so mußte man verstärkte Anstrengungen unternehmen, um das Überleben sicherzustellen. Jeder einzelne, der arbeiten konnte, mußte auch mitarbeiten; denn seine Arbeitsleistung trug direkt zum Lebensunterhalt des Stammes bei.
Diese direkte Beziehung veränderte sich im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung: Es entstand eine verstärkte Arbeitsteilung und Spezialisierung. Die Menschen wurden über immer größere Räume regional, international und global wirtschaftlich voneinander abhängig, indem sie nicht mehr alle für ihren Lebensunterhalt notwendigen Tätigkeiten selbst unternahmen, sondern Tätigkeiten für andere durchführten und im Austausch dafür Güter für ihren eigenen Lebensunterhalt erhielten. Und diese Tätigkeiten wurden immer spezialisierter; gleichzeitig hing die Durchführung solcher spezialisierter Tätigkeiten immer mehr davon ab, ob auch die entsprechenden Werkzeuge und Maschinen zur Verfügung standen. Aus einer Form des Wirtschaftens, in der jeder vergleichsweise unspezifizierte und ganzheitliche Tätigkeiten durchführte, entwickelte sich eine Form des Wirtschaftens, in der jeder spezialisierte und zerlegte Tätigkeiten in Abhängigkeit von allen anderen Wirtschaftenden zu erfüllen hatte.
Daraus ergab sich ein sehr wichtiges Moment. Ob jemand arbeiten kann, hängt nun davon ab, ob er einen Arbeitsplatz bekommt, d.h. einen Platz, an dem er mit Hilfe bestimmter technischer Hilfsmittel vergleichsweise genau spezifizierte Tätigkeiten durchführen muß. Die Bereitstellung eines derartigen Arbeitsplatzes hängt aber nur sehr indirekt von den Entscheidungen des Arbeitsuchenden ab. Andere bestimmen nach gewissen Kriterien darüber, ob sie einen Arbeitsplatz anbieten oder nicht. Diese anderen sind die Arbeitsnachfrager, Arbeitsplatzanbieter oder Unternehmungen, alles Begriffe, die synonym verwendet werden. Aber warum stellen die Unternehmungen nicht genügend Arbeitsplätze bereit?
Die allgemeinste, theoretisch zutreffende, zugleich aber ungemein abstrakte Erklärung für Arbeitslosigkeit lautet: Die Kosten der Einstellung sind zu hoch. Kosten sind dabei nicht lediglich zu interpretieren als die absolute Lohnhöhe, sondern (aus Unternehmersicht) zu messen an
Daraus folgt: Der Umfang der Beschäftigung hängt in erster Linie von den Motiven und Verhaltensweisen der Nachfrageseite auf dem Arbeitsmarkt, den Unternehmungen, ab. Arbeitslosigkeit ergibt sich folglich aus einer positiven Divergenz zwischen Arbeitsplatznachfrage und Arbeitsplatzangebot und nur indirekt aus einer positiven Divergenz zwischen der Nachfrage nach Arbeitsdiensten und dem Angebot von Arbeitsdiensten.
Eine derartige Divergenz zwischen Arbeitsplatznachfrage und Arbeitsplatzangebot dürfte es auf einem perfekt funktionierenden Arbeitsmarkt aber nicht geben. Nur wenn der Lohn zu hoch ist, übersteigt das Arbeitsangebot die Arbeitsnachfrage. Eine Lohnsenkung müßte zur Vollbeschäftigung führen. Doch funktioniert der Arbeitsmarkt zumindest insofern nicht perfekt, als es zu keiner Markträumung kommt. Warum paßt sich der Lohn denn nicht instantan an ein Arbeitsmarktungleichgewicht an und verhindert somit die Divergenz zwischen Arbeitsplatznachfrage und Arbeitsplatzangebot? Hierauf gibt es mehrere Anworten.
Die theoretisch unaufwendigste ist die Behauptung, daß die Gewerkschaften als Arbeitsangebotsmonopolist auf einem ansonsten perfekt funktionierenden Arbeitsmarkt einen zu hohen Lohn fordern; dieser Mindestlohn bewirkt dann die (Mindestlohn-) Arbeitslosigkeit. Eine zweite Antwort läuft darauf hinaus zu zeigen, daß saisonale, friktionelle, strukturelle und konjunkturelle Variationen des Wirtschaftsablaufs derart große Auswirkungen hinsichtlich der qualitativen, quantitativen, räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit von Arbeitskräften haben, daß der Lohn diese nicht hinreichend kompensieren kann. Folglich entstehen saisonale, friktionelle, strukturelle und konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Eine dritte Antwort beruht auf dem Gedanken, daß der Lohn nicht nur eine Markträumungsfunktion, sondern auch noch andere Funktionen, wie die der Distribution, Motivation oder der Information, zu erfüllen hat. Da aber zur Erreichung von zwei oder drei Zielen auch zwei oder drei Instrumente vorhanden sein müssen, kann ein einzelner Preis nicht gleichzeitig zwei oder drei Funktionen erfüllen. Der Lohn erfüllt dann lediglich einen Kompromiß aus mehreren Funktionen, mithin die Markträumungsfunktion unvollständig - (Effizienzlohn-)Arbeitslosigkeit entsteht. Eine vierte Antwort bezweifelt, daß der Arbeitsmarkt überhaupt ein Markt wie jeder andere ist. Vielmehr ist ein Teil des Arbeitsmarktes in die Unternehmungen integriert. Statt eines Arbeitsmarktes sorgt ein hierarchisches Befehls- und Normensystem für eine Koordination von Arbeitsbeziehungen, so daß der Lohn Distributions-, Informations- und Motivationsfunktionen zu erfüllen hat und die Markträumungsfunktion nicht mehr erfüllen kann - organisationsbedingte Arbeitslosigkeit entsteht.
Die Folgerung, die aus allen diesen Antworten zu ziehen ist, besagt, daß der Arbeitsmarkt ein besonderer Markt ist, daß Arbeit ein besonderes Gut ist und daß der Lohn ein besonderer Preis ist. Demnach ist es naheliegend, diese Besonderheiten mit der Unternehmensorganisation und dem Unternehmungsverhalten in Beziehung zu setzen, um zeigen zu können, wie Arbeitslosigkeit entsteht.
Damit gerät die Frage in den Vordergrund, was eine Unternehmung ist, wie sie sich organisiert und wie sie agiert und reagiert. Bedeutsam dabei ist, daß die Unternehmung sich über fixe Lohnstrukturen, sowohl horizontal für verschiedene Arbeitstätigkeiten als auch vertikal für verschiedene Positionen auf den jeweiligen Aufstiegsleitern, als Organisationsform in einer komplexen Umwelt stabilisiert und nur über bestimmte Zutrittsstellen mit dem externen Arbeitsmarkt verbunden ist. Das hat zwei Konsequenzen:
Betrachten wir die beiden Konsequenzen etwas näher. Da nicht die Dienstleistung eines Arbeiters als Gut marktmäßig gehandelt wird, sondern der Arbeiter seine Leistung in einer hierarchischen Organisationsform abgibt, reflektiert der Lohn nicht nur die reine Dienstleistung, sondern ein Mixtum aus Dienstleistung, seelischer Stabilität, Leistungsorientiertheit, Lernbereitschaft u.a.m., das für die Unternehmung durch Leistungsanreize und Kontrolle in optimaler Weise sicherzustellen versucht wird. Nicht Lohnveränderungen regeln die Verteilung der Arbeitskräfte auf die Arbeitsplätze, sondern hierarchisch veranlaßte Zuweisungen gemäß bestimmten Regelungen und Standards bei relativ fixer Lohnstruktur. Nur eine relativ fixe Lohnstruktur kann Funktionen wie Motivation zu höherer Leistung, Minimierung von unternehmungsinternen Konflikten bei der relativen Bewertung der einzelnen Arbeitsplätze untereinander nach Arbeitsbelastung, Qualifikation usw. und Information hinsichtlich Kosten und Erträgen sowohl für Arbeitsnachfrager als auch Arbeitsanbleter erfüllen. Damit sind sowohl der Lohn als auch die gesamte Lohnstruktur nicht mehr so flexibel, jeweils kurz- und mittelfristig bestehende Arbeitsmarktungleichgewichte zu beseitigen. Saisonale, strukturelle und globale Unterbeschäftigung können durch Lohnveränderungen allein nicht vermieden werden.
Allgemein erfüllt eine Unternehmung drei Funktionen:
In unserem Wirtschaftssystem wird von den drei Unternehmungsfunktionen die letztere betont, die beiden anderen Funktionen sind mehr oder weniger Mittel zu diesem Zweck. Dies bedeutet, daß die Bereitstellung von Arbeitsplätzen in unserem Wirtschaftssystem vor allem davon abhängt, wie hoch die Gewinnerwartung einer Kapitalanlage in Arbeitsplätzen relativ zu anderen Kapitalanlagemöglichkeiten ist. Ist diese Gewinnerwartung niedrig, so werden potentielle Investoren ihr Kapital horten, es in Anleihen anlegen, ins Ausland transferieren oder teilweise konsumieren, ist diese Gewinnerwartung hoch, so werden die Alternativanlagen unattraktiv, und die Investition in Arbeitsplätze wird bevorzugt. Arbeitsnachfrage und die Bereitstellung von Arbeitsplätzen richten sich also nicht danach, ob Arbeit insgesamt oder bestimmte Arbeitsarten nach irgendwelchen Kriterien als nützlich oder notwendig erachtet werden, sondern danach, ob man mit den Arbeitsprodukten einen hinreichenden Gewinn erzielen kann; die Arbeitsnachfrage ist mithin eine aus der Güternachfrage abgeleitete Nachfrage.
In einer Unternehmung findet eine (mehr oder weniger starke) hierarchische Kontrolle des Arbeitsprozesses statt, da zwischen Arbeit und Arbeitskraft, d.h. zwischen der Arbeitstätigkeit und der Arbeitskraft als Person, zu unterscheiden ist; die Möglichkeit der hierarchischen Kontrolle innerhalb der Unternehmung basiert auf dem Tatbestand, daß dem einzelnen Arbeiter (oft sehr hohe) Kosten entstehen, wenn er sich der Kontrolle entziehen, d.h. die Unternehmung verlassen, will. Umgekehrt entstehen auch dem Arbeitsnachfrager Kosten, die bei bestimmten Fachkräften auch sehr hoch sein können, wenn der Arbeiter die Unternehmung verläßt. Und diese relativen Kosten des Verlassens einer Unternehmung sind nun bei verschiedenen Personengruppen (Facharbeiter, Ungelernte usw.) höchst unterschiedlich und erklären zum großen Teil, warum bestimmte Personengruppen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als andere.
Damit ist klar, daß die Existenz einer hierarchischen Unternehmungsorganisation auf der Tatsache aufbaut, daß für den einzelnen Arbeiter Kosten entstehen, wenn er den Anordnungen der Vorgesetzten nicht nachkommt. Eine derartige Organisation ist demnach erst dann in einer komplexen Umwelt, d.h. bei einer ungewissen Entwicklung auf den Güter-, Rohstoff- und Arbeitsmärkten sowie im Bereich der Produktionstechnologie, lebensfähig, wenn für die Unternehmensleitung relativ sicher ist, daß die Beschäftigung nicht bei jeder kleineren Umorganisation sofort auf null sinkt. Akzeptiert man diese Überlegung, dann sind zwei Fragen zu beantworten:
Um beide Ziele erreichen zu können, folgt, daß Arbeitsteilung und Arbeitszerlegung zu einem großen Teil innerhalb von Unternehmungen hierarchisch organisiert und einer marktlichen Koordination entzogen werden; die Unternehmung stabilisiert sich in einer marktwirtschaftlichen Umwelt, die durch Unsicherheit und mangelnde Information gekennzeichnet ist, indem sie sich Markteinflüssen teilweise entzieht. Die Unternehmung ist also aus der Sicht des Unternehmers ein Mittel, Kosten der Kontrolle und Information in einer unsicheren Welt zu verringern.
Nun üben Veränderungen in dieser marktwirtschaftlichen Umwelt natürlich einen großen Einfluß auf das Verhalten einer Unternehmung aus, die Unternehmung muß auf Lohn- und Preisveränderungen, veränderte Absatzmöglichkeiten, neue technologische Entwicklungen u.a.m. reagieren. Die Analyse dieses Verhaltens ist ein weites Feld. Für unser Thema wichtig ist eine Verhaltensweise der Unternehmung: Die Unternehmung paßt sich an veränderte Umweltsituationen durch Variierung der Anzahl der Beschäftigten an, d.h. die Unternehmung entläßt Arbeiter oder stellt neue Arbeiter ein (darüber hinaus kann die Unternehmung Rationalisierung betreiben, die Produktqualität verändern, die Arbeitszeit variieren etc.).
Damit haben wir einen wesentlichen Gesichtspunkt herausgearbeitet: Die Unternehmung muß bei Einstellungen und Entlassungen beachten, daß sie zum einen eine bestimmte Beschäftigungsstruktur (Aufstiegsleitern, Über- und Unter-Ordnung, Sicherheit langfristiger Arbeitsplätze usw.) bewahrt und zum anderen eine gewisse Flexibilität bezüglich des Beschäftigungsumfangs sicherstellt.
Da letztlich nicht Dienstleistungen am Arbeitsmarkt gehandelt werden, sondern Rechte, über Arbeitskraft zu verfügen, disponiert der Beschäftigte in jedem Moment über seine Arbeitskraft selbst. Durch Einarbeitung, Anordnungen und Kontrolle der Beschäftigten durch die Vorgesetzten muß daher innerhalb einer Unternehmung erst sichergestellt werden, daß bestimmte Leistungen in bestimmtem Maße von den Arbeitern erbracht werden. Das hat zur Folge, daß das Kriterium der Arbeitsnachfrage nicht ausschließlich die mitgebrachte oder im Betrieb erworbene Qualifikation des Bewerbers ist, d.h. der Nachweis bestimmter Fähigkeiten, sondern daß vielmehr auch weitere Kriterien eine große Rolle spielen: Belastbarkeit, Arbeitswilligkeit, Gehorsam, Pünktlichkeit, seelische Stabilität, Leistungsorientiertheit u.a.m. Eine von der Unternehmung gewünschte Verknüpfung dieser Kriterien wird mit der Lohnforderung des Bewerbers verglichen, um Auskunft darüber zu erhalten, ob eine Einstellung für die Unternehmung lohnend ist. Diese ist dann lohnend, wenn der erwartete Ertrag aus der Nutzung der Arbeitskraft die Kosten der Beschäftigung übersteigt.
Nun hängt der erwartete Ertrag aus der Nutzung der Arbeitskraft für die Unternehmung u.a. von den Absatzerwartungen, der Preisentwicklung für ihre Produkte, allgemeinen Erwartungen bezüglich der strukturellen und konjunkturellen Entwicklung der Volkswirtschaft und dem voraussichtlichen technischen Fortschritt sowie der Arbeitsproduktivität ab. Auf der anderen Seite werden die Kosten der Beschäftigung bestimmt vom Lohn und von den Lohnnebenkosten (insbesondere Sozialversicherungsbeiträge) sowie den Kosten, die dadurch entstehen, die gewünschten Arbeitskräfte überhaupt zu finden, sie für ihre vorgesehenen Tätigkeiten einzuarbeiten und die geforderte Leistung durch Kontroll- und Anreizsysteme (beispielsweise Aufstiegsmöglichkeiten, betriebliche Sozialleistungen) zu gewinnen.
Durch diese Argumentation wird deutlich, inwiefern Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit miteinander zusammenhängen. Die Autoren dieses Bandes zeigen in ihren Beiträgen, wie diese Zusammenhänge theoretisch und empirisch fundiert begründet werden können.
In der Beitrag von Brandes und Weise über "Unternehmung und Arbeitsbeziehungen" wird gezeigt, welche Beziehungen zwischen Unternehmungsorganisation und Arbeitsnachfrage bestehen. Die Art und Weise der Koordination von Arbeitsbeziehungen innerhalb einer Unternehmung liefert eine Erklärungsursache für das Entstehen von Arbeitslosigkeit. Die "Umstrukturierung der Arbeitsbeziehungen durch neue Managementkonzepte" behandelt Hellstern in seinem Aufsatz. Gerade diese neuen Organisationsverfahren haben einen erheblichen Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen und mithin auch auf das Entstehen von Arbeitslosigkeit.
In dem Beitrag "Mikroökonomische Theorien der Arbeitslosigkeit" gibt Sesselmeier einen Überblick über effizienzlohntheoretische, transaktionskostentheoretische und segmentationstheoretische Ansätze zur Erklärung von Arbeitslosigkeit. Anschließend vergleichen Eger und Nutzinger in ihrem Aufsatz "Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch. Institutionelle Arbeitsmarktvarianten und Arbeitslosigkeit" das amerikanische und das deutsche Modell der Unternehmens- und Arbeitsmarktorganisation und kommen zu dem Schluß, daß das deutsche Modell vor allem auf dem Widerspruchsmechanismus, das amerikanische vor allem auf dem Abwanderungsmechanismus beruht. Nach diesen vier Aufsätzen ist die institutionen-theoretische Basis für die Analyse spezifischer Arbeitsmarkt- und Arbeitslosigkeitsprobleme gelegt.
Auf dieser Basis argumentieren Gerlach und Jirjahn in ihrem Aufsatz mit dem Titel "Längerfristige Beschäftigung, personalpolitische Konzepte und Beschäftigungsentwicklung" und zeigen theoretisch und empirisch, welcher Zusammenhang zwischen innerbetrieblichen Strukturen und Prozessen und der Beschäftigungsdynamik besteht. Die strukturellen Komponenten der Arbeitslosigkeit diskutiert Wagner in seinem gleichnamigen Beitrag und begründet, inwiefern selbst ein flexibler Lohn in einer dynamischen Entwicklung keinen Marktausgleich herbeiführen kann.
In seinem Aufsatz "Personenspezifische Arbeitslosigkeit" erörtert Bellmann verschiedene Ursachen der strukturalisierten Arbeitslosigkeit und geht insbesondere auf den Zusammenhang von Dauer der Arbeitslosigkeit und Höhe der Arbeitslosen- und Sozialhilfe ein. Allgemein theoretisch und mit Hilfe von Simulationsrechnungen erörtern Walwei und Zika in ihrem Beitrag "Soziale Sicherung und Beschäftigungsprobleme" die vielfältigen Interdependenzen zwischen dem System der sozialen Sicherung und der Arbeitslosigkeit und zeigen insbesondere, welche Beschäftigungswirkungen bei einer Senkung der Lohnnebenkosten zu erwarten sind.
Aus juristischer Sicht stellt Dorndorf in seinem Beitrag über "Beschäftigungseffekte des Arbeitsrechts und ihre juristische Rechtfertigung" die Auswirkungen des Kündigungsschutzrechts auf die Beschäftigung dar. Schließlich zeigt Gilroj in seinem Aufsatz mit dem Titel "Beschäftigungswirkungen multinationaler Unternehmungen", daß die oftmals den öffentlichen Diskurs bestimmenden Lob- oder Schimpfreden auf multinationale Unternehmungen zumindest im Hinblick auf ihre Beschäftigungswirkungen zu oberflächlich sind und einer genauen Analyse nicht standhalten.
Eine Folgerung aus diesem Band lautet, daß die Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit dem folgenden Bewertungskriterium genügen müssen: In welchem Ausmaß werden aus der Sicht der Investoren durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen die Kapitalanlagemöglichkeiten in Arbeitsplätze relativ zu alternativen Anlagen attraktiver?
Die traditionellen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beeinflussen die Gewinnerwartungen der Unternehmer und Investoren aber nur auf indirektem Weg. So senkt eine Lohnsenkung zwar die Kosten der Beschäftigung, senkt aber gleichzeitig auch die Güternachfrage mit der Folge, daß die Gewinnerwartungen unter Umständen nicht besser werden. Ausbildungsverbesserungen, Qualifikationsveränderungen der Arbeitskräfte durch Umschulen oder Lohnkostenzuschüsse regen von der Kostenseite her eine höhere Beschäftigung an; doch kommt dies nicht zum Tragen, wenn nicht gleichzeitig die Absatz- und Gewinnerwartungen der Unternehmer besser werden - und das muß bei diesen Maßnahmen nicht unbedingt der Fall sein. Eine Kürzung der Arbeitszeit als arbeitsmarktpolitische Maßnahme erhöht zwar den Bedarf an Arbeitskräften, verteuert aber gleichzeitig deren Einstellung; diese Maßnahme verteilt teilweise die Arbeitslosigkeit auf eine größere Anzahl von Arbeitskräften und wird die Gewinnerwartungen tendenziell senken.
Auch eine Senkung der Arbeitslosenunterstützung sowie ein Abbau der Gastarbeiterbeschäftigung berühren nicht direkt die Absatz- und Gewinnerwartungen der Unternehmer - ganz abgesehen davon, was man ansonsten von diesen Maßnahmen hält. Eine allgemeine Nachfragestimulierung hingegen kann die Absatz- und Gewinnerwartungen positiv beeinflussen, sofern erwartet wird, daß die Erhöhung der Nachfrage von Dauer ist: Der Preis für diese Politik ist allerdings unter Umständen in Form einer höheren Inflation und Staatsverschuldung zu zahlen. Tritt der Staat als Ersatzbeschäftiger auf, so entzieht er die Arbeitsnachfrage dem Gewinnkalkül (Verteidigung, soziale Dienste usw.), das Problem hierbei ist, daß diese Nachfrage dauerhaft finanziert werden muß.
Wir erkennen, daß alle diese Maßnahmen nur dann wirken, wenn sie die Gewinn- und Absatzerwartungen der Unternehmer positiv beeinflussen und mithin eine Kapitalanlage in Arbeitsplätzen attraktiv machen oder indem sie die Bereitstellung von Arbeitsplätzen vom Gewinnkalkül unabhängig machen.
Die Gewinn- und Absatzerwartungen der Unternehmer und Investoren werden aber aufgrund von langfristigen Überlegungen bestimmt, die sich nur teilweise auf solche Elemente beziehen, die von der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik als Maßnahmen genutzt werden können. Die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik kuriert mehr an Symptomen, als daß sie die erwartungsrelevanten Größen direkt beeinflussen kann. Darüber hinaus besteht eine fundamentale Asymmetrie: Positive Gewinn- und Absatzerwartungen kann man relativ leicht negativ beeinflussen; negative Gewinn- und Absatzerwartungen hingegen kann man nur schwer positiv beeinflussen. Daraus resultiert das Dilemma der Arbeitslosigkeitsbekämpfung: Sie muß negative Gewinn- und Absatzerwartungen der Unternehmer und Investoren mit Maßnahmen positiv zu beeinflussen versuchen, die nur teilweise erwartungsrelevante Größen betreffen.
Dies ist kein Offenbarungseid; dies ist aber der Hinweis auf die prinzipielle Schwierigkeit einer Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in einem Wirtschaftssystem, das die Bereitstellung von Arbeitsplätzen davon abhängig macht, ob man mit diesen Arbeitsplätzen einen hinreichenden Gewinn erzielen kann oder nicht, für das also die Unternehmungsfunktion der Bereitstellung von Arbeitsplätzen zu angemessenen Arbeitsbedingungen letztlich als Mittel zur Gewinnerzielung dient.
Da also
verbleiben als effiziente wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor allem solche, die eine Entkoppelung der Allokations- und der Distributionsfunktion des Lohnes bewirken. Doch eine abgewogene Diskussion derartiger Maßnahmen füllt einen weiteren Band. ("Die Erforschung der Wahrheit ist doch ein endloses Geschäft", wie Laurence Sterne im Tristam Shandy schreibt.) Zeigen wir daher zunächst, wie Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit zusammenhängen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind eine notwendige Voraussetzung für eine adäquate Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.