"Ökologie und Wirtschaftsforschung" · Band 87
247 Seiten
18,00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-811-4
(August 2010)
Geleitwort von Bundespräsident a.D. Horst Köhler
Trotz zahlreicher wachstumskritischer Stimmen halten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an ihrer Orientierung am Wirtschaftswachstum fest. "Nachhaltige Entwicklung" wird als "nachhaltiges Wachstum" vereinnahmt; der Schutz der Umwelt steht unter Wachstumsvorbehalt. Warum ist die Fixierung auf das Wirtschaftswachstum so stark? Weil unsere sozialen Sicherungssysteme wie Altersversorgung und Gesundheitswesen davon abhängig sind. Weil wir uns darauf eingestellt haben, dass alles immer größer wird: das Budget des Staates, die Aktienkurse und die Unternehmensumsätze, das eigene Einkommen und unser Konsum. Das westliche Entwicklungsmodell ist strukturell auf fortdauerndes Wirtschaftswachstum ausgerichtet und angewiesen.
Dieses Buch nimmt die Wachstumskritik auf und geht über sie hinaus. Es zeigt die systemischen Zwänge auf, die uns am Wachstumspfad festhalten lassen, und stellt alternative Entwicklungsmöglichkeiten für eine Gesellschaft vor, die nicht auf Wachstum angewiesen ist - für eine Gesellschaft, in der es sich auch ohne Wachstum gut leben lässt. Es will zu einer Diskussion darüber einladen, wie die Zwänge überwunden und neue Perspektiven gewonnen werden können: Perspektiven für eine Postwachstumsgesellschaft.
Zu diesem Buch wird auch ein Blog betrieben, den Sie unter Postwachstum.de finden. Dort bietet sich die Möglichkeit, interaktiv über die Ideen und Reformvorschläge des Buches mitzudiskutieren.
Einblick
Irmi Seidl, Angelika ZahrntGesellschaftsbereiche
François HöpflingerInternationaler Blick
Interviews mit:
Serge Latouche: "Inzwischen kennt die französische Öffentlichkeit den Begriff "Décroissance"Ausblick
Irmi Seidl, Angelika Zahrnt"Die Leser des "NET-Journals" sowie Erfinder und Entwickler energietechnischer Novitäten stellen immer wieder die Frage, warum vieles nicht oder sehr schleppend vorankommt. Ihr Selbstbewusstsein als Urheber, ihr Sachverstand und logisches Denken lassen sie die Optionen für eine drängende nachhaltige Energieversorgung erkennen, die ohne die diesen "Angeboten" zuzubilligende Wertschätzung unbeachtet oder auf der Wartebank liegen bleiben. Ein kardinaler Grund dafür ist die Orientierung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am dogmatisierten Wirtschaftswachstum. Wir sind darauf eingestellt, dass alles immer zunehmend muss: das Budget des Staates, die Aktienkurse und die Unternehmensumsätze, der allgemeine und der persönliche Konsum. Das westliche Entwicklungsmodell ist strukturell auf fortwährendes Wirtschaftswachstum ausgerichtet und angewiesen.
Obwohl das hier vorgestellte Buch bereist 2010 erschienen ist, haben seine "Konzepte für die Zukunft" nicht an Aktualität eingebüßt. Sie bleiben wichtig und zielführend, bis eine "Postwachstumsgesellschaft" konkrete Konturen angenommen hat."
"Nicht die Begründungen, warum sich die altindustriellen Gesellschaften vom Paradigma des gesellschaftlich eingeübten Glaubens an die Glück spendende Kraft des fortwährenden Wirtschaftswachstums lösen sollten, ist das zentrale Thema, sondern die Fragen, warum so Viele an diesem Glauben festhalten, ob wohl sie es besser wissen (müssten) und was sich gegen diese Glaubensroutine tun lässt. Der Anspruch der Herausgeberinnen an das Werk ist beachtlich hoch, indem sie formulieren. "Dieses Buch will aufzeigen, wie vom ständigen Wirtschaftswachstum abhängige Bereiche in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft so gestaltet resp. umgestaltet werden können, dass diese und damit auch Politik und Gesellschaft nicht weiter auf ständiges Wirtschaftswachstum angewiesen sind" (S. 23 f.).
Schon dieser Ansatz macht berechtigter Weise neugierig, aber bitte nicht auf fertig erscheinende, am Reißbrett entworfene Konzepte, wie man schnell den Weg zu einer konsistenten und realisierbaren Postwachstumsgesellschaft kommen könnte. Nein, der hohe Wert dieses Buches liegt nicht in einer fertigen Beschreibung einer Postwachstumsgesellschaft und einer präzisen Navigation zu dieser, sondern darin, die abstrakt-allgemeine Kritik am Wirtschaftswachstum auf konkrete politische Handlungsfelder hinunter zu brechen, die in diesen jeweils empfundenen Handlungsanreize und Denkroutinen der Verantwortlichen zu analysieren und - zumindest exemplarisch - Alternativen vorzuschlagen.
Ob sich die Leserschaft mit den Lösungsvorschlägen, die der Autorinnen und Autoren machen, anfreundet oder nicht, ist nicht der zentrale Erfolgsmaßstab dieses Buches. Bedeutsamer ist das Anliegen, plausibel zu machen, dass man nicht auf ständiges Wirtschaftswachstum setzen muss, um eine begründete Hoffnung zu haben, das Leben Vieler zu verbessern. Und noch wichtiger: Leserinnen und Leser fühlen sich bei fast allen Beiträgen angeregt, eigene Überlegungen zum Warum und Wie einer Postwachstumsgesellschaft anzustellen.
... Diese Beispiele mögen zeigen, dass - wer im Themenfeld "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" - so der Name der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages dieser Legislaturperiode - mitreden und vor allen Dingen kritisch mitdenken will, dieses Buch nicht nur gelesen, sondern zu eigenen Überlegungen genutzt haben sollte. Für den Rezensenten ergeben sich zwei übergreifende Denkanstöße: Welche grundlegend neuen institutionellen Arrangements sind erforderlich, um zu einer Postwachstumsgesellschaft zu gelangen, und wie lassen sich diese neuen Institutionen so gestalten, dass sie die individuelle Freiheit sichern?
Wer sich die Einzelbeiträge nicht sogleich im Detail ansehen möchte, der oder dem sei empfohlen, dem sei der sehr gut gelungene Beitrag der Herausgeberinnen "Verbindungslinien: inhaltliche Zusammenhänge zwischen den Themen" als wichtige Orientierung zu lesen. Diese Lektüre ist ein starker Anreiz, um sich doch den verschiedenen Aufsätzen näher zu widmen."
"Wenngleich sich die in diesem Teil versammelten Autoren/innen auch in recht unterschiedlichem Mass und auf vielfache Weise auf die Fragestellung des Buches einlassen, so überzeugen insgesamt die zusammengetragenen Visionen für eine Erneuerung der Gesellschaft. Und die Zusammenschau der Beiträge verdeutlicht, dass und wie Entwicklungsperspektiven konsistent zu werden versprechen. Synergien werden vielfach sichtbar - z.B. in Bezug auf ein neues Verständnis und eine andere gesellschaftliche Wertschätzung von Arbeit. Auch stellen die zwei grundlegenden, bereichsübergreifenden Beiträge zu Gerechtigkeit (Möhring-Hesse) und Demokratie/Teilhabe (von Braunmühl) einen Brückenschlag zwischen den Gesellschaftsbereichen her. ...
Die aus der Analyse der verschiedenen Gesellschaftsbereiche herausgeschälten Perspektiven und Wandlungsoptionen (Teil 2) bilden das Kernstück des sehr anregenden Buches. Die Autoren/innen zeigen, dass Quer-, Neu- und Voraus-Denken nicht nur Not tut, sondern auch zu überraschenden Erkenntnissen führt. Dabei ist die Auswahl der Themenfelder eng an das Leitbild nachhaltige Entwicklung angelehnt."
Die "wachstumskritische" Debatte zeigt sich in weiten Teilen als hochgradig ignorant gegenüber den sozialpolitischen und verteilungspolitischen Implikationen ihrer Forderungen. Die einzige Umverteilung, die ernsthaft und breit diskutiert wird, ist jene der radikalen Umverteilung und Verkürzung der Arbeitszeit mit dem Ziel, auf diese Weise das Wachstum zu bremsen oder umzukehren. Nun mag man einer Verkürzung der Arbeitszeit im Grundsatz zwar mit Sympathie gegenüberstehen. Stutzig machen sollte allerdings, dass die Frage eines Lohnausgleichs seitens der "Wachstumskritiker" kaum thematisiert wird. Viele Beschäftigte arbeiten heute 40 Stunden bei einem Stundenlohn von fünf oder sieben Euro. Wie diese Kolleginnen und Kollegen sich und ihre Familien zukünftig bei halbierter Arbeitszeit und gleichem Stundenlohn durchbringen sollen, bleibt das Geheimnis der "Wachstumskritiker". Antworten finden sich auch in dem hier zu besprechenden Sammelband nicht. Kapitalismuskritik sieht anders aus.
Und selbst wo die soziale Frage zumindest angesprochen wird, sind die Konzepte zur tatsächlichen Umsetzung bestimmter sozialpolitischer Forderungen im Besonderen ebenso dünn wie die Konzepte einer "Postwachstumsökonomie" im Allgemeinen. Hier wär etwa zu verweisen auf Irmi Seidls und Angelika Zahrnts "Argumente für einen Abschied vom Paradigma des Wirtschaftswachstums" im hier besprochenen Sammelband.
Die in den Aufsätzen des Sammelbandes beschriebene "Wachstumskritik" krankt aber keineswegs nur an einem Mangel an Reflexion ihrer sozialen und verteilungspolitischen Implikationen. Mindestens ebenso fragwürdig, und beides ist eine Gemeinsamkeit des Mainstreams der "wachstumskritischen" Debatte, ist ihr Verständnis von dem, was Wachstum überhaupt ist. Tatsächlich ist dieses nämlich nichts anderes als eine statistisch konstruierte Größe ? die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einer bestimmten Zeitperiode, etwa einem Quartal oder einem Jahr. Das BIP wiederum erfasst die in Geld gemessenen Marktwerte der in dem genannten Zeitraum produzierten Waren und Dienstleistungen. Undokumentierte Arbeit, andere nicht registrierte Beschäftigung sowie staatliche Leistungen werden durch Schätz- bzw. Ersatzwerte einbezogen. Beim Vergleich des BIP verschiedener Zeitperioden wird zudem die Geldentwertung berücksichtigt.
Das BIP bezieht also ausschließlich marktförmig produzierte Waren und Dienstleistungen ein, die in Geldform auf Basis ihrer Marktpreise erfasst werden. Damit stellt es per se keinen Indikator für Ressourcenverbrauch oder für Umweltbelastung dar; es kann folglich durchaus ein schrumpfendes BIP mit steigendem Ressourcenverbrauch oder umgekehrt ein wachsendes BIP mit sinkendem Ressourcenverbrauch geben. Einen methodischen, systematischen und zwingenden Nexus zwischen dem statistischen Indikator "Wachstum" und dem Ressourcenverbrauch bzw. der Umweltbelastung gibt es nicht.
Das Problem ist nun, dass die pauschale und undifferenzierte Forderung nach einem Ende des Wachstums sich nicht dafür interessiert, in welchen Bereichen und auf welche Weise eine Volkswirtschaft schrumpfen soll. Sie interessiert sich auch nicht dafür, wo eigentlich ? erstens ? Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch in welchem Ausmaß stattfinden und ob ? zweitens ? bestimmte Maßnahmen gegen das Wachstum tatsächlich zu einem geringeren Ressourcenverbrauch führen. Wer vor diesem Hintergrund schlicht eine Begrenzung oder Umkehrung des Wachstums fordert, sieht sich drei unbequemen (und vermutlich nicht gewollten) Konsequenzen gegenüber:
Erstens droht er oder sie, statistischen Taschenspielertricks aufzusitzen. Die Forderung vieler ?Wachstumskritiker? ? auch im vorliegenden Sammelband ? nach mehr Ehrenamt und Selbstversorgung bedeutet nämlich nichts anderes als die Weiterführung bisher am Markt erbrachter Produktion fernab des Marktes. Umweltfreundlicher wird das Produzieren dadurch nicht, seine Produkte fließen lediglich nicht mehr in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts ein.
Zweitens liegt der Ressourcenverbrauch schon heute weit jenseits des Verträglichen, so dass selbst ein gewisser Rückgang des BIP nicht viel helfen würde. "Wachstumskritik" droht hier den Blick auf das tatsächlich Notwendige zu verstellen, nämlich die Entwicklung und Durchsetzung umweltverträglicherer und ressourceneffizienterer Produkte und Produktionsverfahren.
Eine dritte und noch sehr viel gravierendere Konsequenz der pauschalen und undifferenzierten Forderung nach einem Ende des Wachstums ist, dass damit argumentationslogisch auch ökologisch sinnvolle Projekte, Entwicklungen und Investitionen in Frage gestellt werden ? denn auch sie steigern das BIP und damit das Wachstum. Hier wäre beispielhaft zu verweisen auf die Behebung von Schäden an Natur und Umwelt oder Investitionen in Recycling, erneuerbare Energien sowie eine bessere Ressourcen- und Energieeffizienz. Auch hier ist zu konstatieren: Eine überzeugende Kapitalismuskritik sieht anders aus. Für alle drei Konsequenzen finden sich Beispiele in dem hier zu besprechenden Sammelband."
"Im anschließenden Teil versuchen sie daher, Verbindungslinien zwischenden Themen zu ziehen. Auch wenn dies recht unsystematisch geschieht, so schält sich doch als entscheidendes Merkmal einer Postwachstumsgesellschaft das Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit heraus. Denn da es nun keine Zuwächse mehr geben wird, die verteilt werden können, werden "Verteilungsungleichheiten ... politisch brisanter" (223) Die Folgerungen, die sie daraus ziehen, sind insbesondere, dass mehr Güter wie Gesundheit, Bildung, Mobilität öffentlich und allgemein zugänglich werden müssen, dass durch Arbeitszeitverkürzung die gesellschaftliche Gesamtarbeitszeit gerechter verteilt werden muss und dass die Mitbestimmungsrechte in den Unternehmen erweitert werden müssen."
So zeigen die Beiträge des Sammelbandes in einer wohl begründeten Weise zwar auf, wie eine Postwachstumsgesellschaft, die sein soll, zumindest in Deutschland, auch sein kann; aber der Weg zu einer solch "tief greifenden Transformation" (228) der Gesellschaft bleibt im Buch vage und unbestimmt."
"Die deutschsprachige Diskussion um die Möglichkeit einer "Postwachstumsgesellschaft" oder einer "Postwachstumsökonomie" hat einen - häufig übersehenen - ordnungspolitischen Hintergrund. Walter Eucken (1952, S. 279) betont bereits als konstituierendes Prinzip der Wettbewerbsordnung einen umfassenden Grundsatz der Haftung für alle aus wirtschaftlichem Handeln entstandene Schäden, und er sieht einen wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf nach dem regulierenden Prinzip der (korrekten) Wirtschaftsrechnung (S. 301 f.), wenn die einzelwirtschaftliche Plandurchführung gesamtwirtschaftliche Datenänderungen hervorruft, die nicht in die betriebliche Kostenrechnung eingehen. Waldzerstörung und damit einhergehende Boden- und Klimaverschlechterung in den USA, schädliche Emissionen aus Chemiefabriken und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen sind seine plastischen Beispiele dafür. Im Hintergrund seiner Überlegungen steht die wohlfahrtsökonomische Interpretation des allgemeinen Gleichgewichts, in der Fragen einer verselbständigten und von realen Tauschprozessen weitgehend abgelösten Wachstumsdynamik keine zentrale Rolle spielen, auch deswegen nicht, weil die Giralgeldschöpfung der Banken gemäß dem "Primat der Währungspolitik" allenfalls noch "subsidiären Charakter" tragen soll, ja, nach dem von Eucken (1952, S. 263 f.) zustimmend erwähnten "Chicago-Plan" liberaler Ökonomen von 1933 "überhaupt verhindert" würde. Der Yale-Professor Irving Fisher unterstützte seinerzeit dies Unterfangen publikumswirksam durch seine Forderung nach "Vollgeld" ("100% Money", 1935) - eine Forderung, die in jüngster Zeit angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise wieder öffentliche Aufmerksamkeit gewonnen hat. Auf diese historischen Wurzeln macht der Bielefelder Historiker Joachim Radkau in seinem Beitrag "Wachstum oder Niedergang: ein Grundgesetz der Geschichte?" zum Sammelband "Postwachstumsgesellschaft" indirekt aufmerksam, wenn er an die seinerzeit gerne belächelten "Maßhalteappelle" Ludwig Erhards erinnert, der immerhin als "Vater der Sozialen Marktwirtschaft" galt. Die Steigerung materiellen Wohlstands und eine darauf ausgerichtete Wirtschaftspolitik, wie er sie ja selbst praktizierte, hielt Erhard (1957/1968, S. 233) tatsächlich nicht für "gleichsam [?] ewige Gesetze". Im Gegenteil: "Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoll ist, unter Verzichtleistung auf diesen 'Fortschritt' mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen." Von einer solchen Situation seien wir einstweilen zwar noch weit entfernt, aber wenn der durch die aktuelle Wirtschaftspolitik angestoßene "Entfaltungsprozess" dazu führe, dass "unser Volk neben dem unverzichtbaren Wert auf Sicherung materieller Lebensführung in steigendem Maße eine geistige oder seelische Bereicherung als wertvoll erachtet, dann werden wir in ferneren Tagen auch zu einer Korrektur der Wirtschaftspolitik kommen müssen. Niemand dürfte dann so dogmatisch sein, allein in der fortdauernden Expansion, d.h. im Materiellen, noch das Heil erblicken zu wollen".
"So verwundert es nicht, dass das Buch rege Diskussionen auslöst. Interessanterweise wird in den bisherigen Buchbesprechungen die Problemanalyse kaum in Frage gestellt. Vielmehr beschäftigen sich die Kommentare vor allem mit der Umsetzbarkeit der Vorschläge.
Diese zwei Meinungen zeigen das Spannungsfeld auf, in dem sich die Diskussionen uber die Postwachstumsgesellschaft bewegen ? auch im Buch: es geht u.a. um das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft und um die Frage, welche Prozesse durch den Staat bzw. durch den Markt geregelt werden sollen. Auf der übergeordneten Ebene orten die Einen primär Marktversagen, die Anderen sehen die Probleme eher beim Politikversagen. So fordert Lorenz Jarass in seinem Buchbeitrag "Faire und effiziente Steuerpolitik" einen steuerpolitischen Rahmen, der internationale Firmen nicht weiter gegenüber nationalen und regionalen Firmen bevorzugt. Innerhalb eines solchen Rahmens soll dann der Markt spielen.
Deutlich stärker interventionistisch argumentieren Norbert Reuter und Inge Roepke, die einen staatlichen Ausbau des Dienstleistungssektors fordern ? einerseits um Beschäftigung zu generieren, anderseits um privaten in öffentlichen Konsum zu überführen.
Möglicherweise ist der ideologische Unterbau dieses Spannungsfeldes ohnehin am verfallen, zu evident sind Notwendigkeiten. So ist es gesellschaftlich kaum mehr umstritten, dass es für eine nachhaltige Entwicklung in verschiedenen Bereichen bessere Regulierungen durch Staaten und internationale Vereinbarungen braucht. Ebenso ist klar, dass ein laufend steigender Anteil des Staatsbudgets an der Wertschöpfung nicht die Lösung für zentrale gesellschaftliche Probleme wie z.B. die Finanzierung des Sozialsystems sein kann, wie auch die Herausgeberinnen argumentieren.
"Die vorgestellten Rezepte sind zum Teil so dirigistisch, dass sie für Marktliberale nur schwer verdaulich sein dürften. Sie zeigen aber, welche Konsequenzen es haben könnte, würde man die ökologischen Bedenken ernst nehmen. Insofern ist das Buch ehrlich und nachdenkenswert, ohne dass man alle Vorschläge teilen oder für realistisch halten muss. ...
Vieles ist altbekannt. So geistert der Gedanke, dass Vollbeschäftigung ohne Wachstum nur möglich ist, wenn die Arbeitszeit reduziert wird, schon seit Beginn des wachstumskritischen Diskurses in den sechziger Jahren herum. Auch die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die staatlichen Sicherungssysteme wurden vielfach beschrieben. In den meisten Beiträgen wird aber sorgsam ausgeführt, welche gesellschaftlichen Spannungsfelder die Postulate an eine "Postwachstumsgesellschaft" eröffnen würde. Und damit kommen sie manchen liberalen Vorstellungen auch durchaus wieder nah."
"Im hölzernen Zeitalter", als das Holz der nahezu alleinige Brennstoff und der wichtigste Bau- und Werkstoff war, verstanden sich die "Grenzen des Wachstums" von selbst, so der Umwelthistoriker Joachim Radkau. Die Schönheit der alten Städte sei der "Orientierung auf qualitatives Wachstum" entsprungen, die "Hässlichkeit der neuen Industriestädte dem ungehemmten quantitativen Wachstum". Radkau erinnert daran, dass das Wirtschaftswachstum die Kluft zwischen Arm und Reich - und auch "die Kluft zwischen den Gesetzen der Wirtschaft und denen der Lebensweisheit" vergrößert hat. Spektisch beurteilt der Historiker auch den Optimismus bezüglich einer "zunehmenden Entmaterialisierung der Wirtschaft", da Effizienzgewinne bisher immer durch den Mengeneffekt aufgesogen wurden. Gefordert sei die Politik, die Weichen für Begrenzung zu setzen. Radkau hofft dabei nicht allein auf globale Umweltpolitik, sondern insbesondere auch auf lokale Initiativen, so genannten "Pionierregionen". Denn: "Nicht abstrakte Beschlüsse, sondern anschauliche Modellregionen machen Neues attraktiv und vertrauenerweckend." ...
Der Status quo ist keineswegs der Zenit kultureller Entwicklungsmöglichkeiten! Dass es Aufbruchsbewegungen in vielen "Wohlstandsländern gibt, zeigen die den lesenswerten Band beschließenden Interviews mit Serge Latouche (Bewegung der Décroissance in Frankreich), Tim Jackson (Autor von "Prosperty without Growth, Berater der britischen Regierung), Juliet Schor (US-Soziologin und Autorin von "Plenitude") sowie Rita Trattnigg (Proponentin der Initiative "Wachstum im Wandel" des Österreichischen Umweltministeriums".
Mit den Top Ten der Zukunftsliteratur hebt das aus Alfred Auer, Hans Holzinger, Walter Spielmann und Stefan Wally bestehende PRO ZUKUNFT-Team "zehn besonders wichtige Neuerscheinungen" des Jahres hervor.
Darunter als Tip 4: Seidl/Zahrnt: Postwachstumsgesellschaft mit folgender Bewertung:
"Zu diesen zählt der von den Wirtschafts- und Umweltexpertinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt herausgegebene Band "Die Postwachstumsgesellschaft". Es werden darin zentrale Aspekte einer nicht weiter wachsenden Wirtschaft - von Arbeit über Steueraufkommen bis hin zur Sicherung der Pensionen - dargelegt und zugleich internationale Stimmen einer Transformation eingeholt."
"Unabhängig davon liefert dieses Buch einen Querschnitt durch die neuen Diskussionen über "wachstumsunabhängige Strukturen". Nach einer kurzen Rekapitulation der wirtschaftlichen Entwicklung in der Zeit seit dem zweiten Weltkrieg will es "eine Postwachstumsgesellschaft noch nicht im Voraus genau beschreiben", sondern zunächst "tiefer liegende Systemzwänge" sichtbar machen und "neue Orientierungen ermöglichen".
Gerade vor diesem Hintergrund verdient es sehr hohe Anerkennung, dass Irmi Seidl und Angelika Zahrnt in der "Geld- und Kreditschöpfung durch die Banken sowie im Zins zentrale Wachstumstreiber" sehen (S. 21). In ihrer abschließenden "Forschungslandschaft für eine Postwachstumsgesellschaft" weisen sie unter anderem auf "Vollgeld, Zinsverzicht, Schwundgeld, Regionalgeld" und auf den "Forschungsbedarf zur Frage (hin), wie ein nationales und internationales Geld- und Finanzsystem aussehen könnte und insbesondere welche Regulierungen nötig sind, damit das Geld- und Finanzsystem nicht das Wirtschaftswachstum antreibt. Die Bedeutung von Zins sowie Geld- und Kreditschöpfung für Wirtschaftswachstum ist dabei ein zentrales Forschungsthema." (S. 236). Dieses dankenswert klare Wort stärkt die Hoffnung, dass dieses wiichtige Forschungsthema fortan ernsthaft bearbeitet wird."
"Zu bewerten ist damit die Tauglichkeit der aufgezeigten Alternativen, mit denen die Verfasser und Verfasserinnen die Wirtschaft und Gesellschaft vom Wirtschaftszwang befreien wollen. Wie zum Beispiel lässt sich der Lebensunterhalt einer wachsenden Zahl von Rentnerinnen und Rentnern finanzieren, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst? Der Altersforscher Francois Höpflinger empfiehlt "Modelle eines produktiven Alterns", etwa die Ergänzung der Berufsarbeit durch nicht monetär abzugeltende "Sozialzeiten" oder "Altersteilzeitarbeit". Oder wie soll die Wachstumsdynamik in der Gesundheitsindustrie gebrochen werden? Der Gesundheitsökonom Hans-Peter Studer plädiert für mehr Prävention, Eigenverantwortung und veränderte wirtschaftliche Anreize. Eine Bildung, die sich mehr an der menschlichen Emanzipation denn an der ökonomischen Verwertbarkeit orientiert, soll den monetären Konsum bremsen, empfehlen weitere Mitautorinnen.
Diese und andere Alternativen sind wichtig, richtig - und unverbindlich. Was bei den meisten Vorschlägen fehlt, ist ein politischer und ökonomischer Hebel, der dafür sorgt, dass sie umgesetzt werden. ... Der neue Ansatz, mit dem "Postwachstumsgesellschaft" das wohl zentralste Thema unserer Zivilisation abhandelt, bestätigt damit, was frühere Werke schon zeigten: Die Vermittlung der Einsicht, dass Wachstum keine Zukunft hat, ist einfacher als die Gestaltung einer Zukunft ohne Wachstum."
"Seidl und Zahrnt fordern einen radikalen Paradigmenwechsel. In ihrem Buch diskutieren sie mit zwölf weiteren Autorinnen und Autoren, wie Gesellschaftsbereiche umstrukturiert werden müssten, damit sich "Pfade" für eine "Postwachstumsgesellschaft" ergeben. Was sich zunächst nach einer radikalen These anhört, schlägt sich in ganz pragmatischen Ansätzen nieder: Der Generationenvertrag etwa, der heute auf einem rein finanziellen Ausgleich beruht, soll durch einen solidarischen Generationenvertrag ergänzt werden. Kürzere und flexiblere Arbeitszeiten sollen mehr Zeit für soziale Dienste wie Altenpflege und Krankenpflege ermöglichen. Diese können unter Umständen auch verpflichtend sein.
Der Konsum solle reduziert werden, um den Verbrauch von natürlichen Ressourcen zu schonen. Alternativ sollten mehr Dienstleistungen in Anspruch genommen werden. Werte wie Familie, Gemeinschaft, Solidarität, Freizeit und Bildung sollen stärker im Mittelpunkt stehen. Auch die Banken sollten sich wieder auf ihre ursprüngliche Aufgabe, die Finanzierung wirtschaftlicher Aktivitäten, konzentrieren.
Die Reformvorschläge und Denkansätze werden überzeugend dargelegt. Sie erscheinen als logische Konsequenzen, um dem Verlust der natürlichen Ressopurcen und dem demographischen Wandel entgegenzuwirken. Viele der Lösungen sind jedoch nicht wirklich von Wachstumsgedanken gelöst. Ihre Basis bleibt ein funktionierender Markt, der von Angebot und Nachfrage bestimmt ist. Das Buch liefert dennoch konstruktive Beiträge zur aktuellen politischen Debatte. Interessant ist vor allem das Kapitel, in dem die Autoren über den Tellerrand blicken und anhand von Interviews den Stand der Diskussionen im westlichen Ausland beleuchten."
Bildung fürs Leben
Demokratie, gleichberechtigte Bürgerschaft und Partizipation
Alterssicherungssysteme: Doppelte Herausforderung von demografischer Alterung und Postwachstum
Interviews
Faire und effiziente Steuerpolitik
Finanzmärkte und Aufgabe der Banken
Ressourceneffiziente Wirtschaftsentwicklung unter dem Primat ökologischer Ziele
Warum die Verteilung Gerechtigkeit, nicht aber Wachstum braucht
Wachstum oder Niedergang: ein Grundgesetz der Geschichte?
Der Arbeitsmarkt im Spannungsfeld von Wachstum, Ökologie und Verteilung
Konsum: Der Kern des Wachstumsmotors
Unternehmen ohne Wachstumszwang: Zur Ökonomie der Gemeingüter
Argumente für einen Abschied vom Paradigma des Wirtschaftswachstums
Staatsfinanzen und Wirtschaftswachstum
Gesundheitswesen als kosteneffizientes Solidarsystem mit Eigenverantwortung