Der Sammelband vermisst anhand exemplarischer Konfliktfelder die Herausforderungen, vor denen die Demokratie als politische, gesellschaftliche und kulturelle Ordnung im 21. Jahrhundert steht. Wie vollbringt die Demokratie, deren Existenzberechtigung nicht nur auf politische, sondern auch auf ökonomische, kulturelle und soziale Konstellationen Rücksicht nehmen muss, das Kunststück, moderne Gesellschaften trotz ihrer Pluralität und Heterogenität zusammenzuhalten? Und in welchen gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Feldern zeichnen sich Konstellationen ab, die ihr gefährlich werden können?
Andreas Langenohl und Jürgen Schraten
Einführung: Die demokratische Frage im 21. Jahrhundert
Anne Sophie Krossa
Eine Diskussion des Konzepts Gehegter Konflikt
Gabriel Motzkin
Demokratie und Gewalt
Claus Leggewie
Die demokratische Frage heute
Jürgen Schraten
Die Regulierung von Schuldverhältnissen als normative Quelle in Marktgesellschaften
Martina Ritter
Postdemokratie versus Partizipationsgesellschaft. Überlegungen zu gegenläufigen Entwicklungen in spätmodernen Gesellschaften
Reimer Gronemeyer
Die Modernisierung der Trauer
Bernhard Giesen
Die Konstitution des Demos durch den Skandal
Andreas Langenohl
Das politische und das soziale Imaginäre. Demokratische Aporien öffentlicher Praktiken am Beispiel der Jugendorganisation Naschi in Russland
Peter Schmidt, Julia Iser und Aribert Heyder
Ist die Kritik an Israel antisemitisch? Die politische Orientierung macht den Unterschied
Aribert Heyder und Oliver Decker
Rechtsextremismus - Überzeugung, Einstellung, Ideologie oder Syndrom? Eine theoriegeleitete empirische Überprüfung mit repräsentativen Daten
Eva Gros
Fragen zum Gedenken des Holocaust in Deutschland
Samuel Salzborn
Antidemokratische Grenzziehungen. Zur Kritik von Ethnizitätsvorstellungen
Die Frage nach Krise und Zukunft der Demokratie scheint auf den ersten Blick so aktuell zu sein wie schon lange nicht mehr. Auf der einen Seite wird der Diskurs von Colin Crouchs pessimistischer These von der Postdemokratie bestimmt. Auf der anderen Seite offenbaren so unterschiedliche Phänomene wie der arabische Frühling oder der Protest der deutschen Wutbürger, dass die Idee der Teilhabe Potenzial besitzt für eine demokratische Erneuerung der Gesellschaft. ?Die Debatte darüber, dass die Demokratie in der Krise ist, ist eines der Wesensmerkmale der Demokratie und so alt wie sie selbst? (19), konstatieren allerdings Andreas Langenohl und Jürgen Schraten. Als Herausgeber der Festschrift für den Gießener Soziologen Helmut Dubiel ist ihnen die nicht ganz leichte Aufgabe zugefallen, zwölf inhaltlich wie normativ sehr unterschiedliche Beiträge einzuleiten. Während die Frage von Gewalt und Herrschaft in der Demokratie und hier besonders Dubiels Konzept des gehegten Konflikts manche Autoren verleitet, sich mit grundlegenden Fragen der demokratischen Kultur auseinanderzusetzen, orientieren sich andere stärker an praktischen Beispielen. Claus Leggewie sinniert etwa unter dem Titel "Die demokratische Frage heute" über die ökologischen Herausforderungen und Andreas Langenohl untersucht die russische Jugendorganisation Naschi. In zwei weiteren Beiträgen werden die antisemitische Israelkritik beziehungsweise rechtsradikale Einstellungen thematisiert. Herauszuheben ist Martina Ritters Beitrag. Sie nimmt in Anschluss an Dubiels Demokratietheorie und in Abgrenzung zu Crouch eine Tour d?horizon vor, die von den Anforderungen einer partizipativen Demokratie über die Wechselwirkung von privatem und politischem Feld bis hin zum Rollenverständnis von Regierung und Bürger reicht. Bemerkenswert ist dabei die Einschätzung, wonach die "Chance auf demokratische Beteiligung [...] in den letzten Jahrzehnten unermesslich gestiegen" (133) sei, zugleich aber Partizipation nicht mehr als politische, sondern mehr als gesellschaftliche Partizipation verstanden werde.