Herausgegeben von Eberhard Demm und Hartmut Soell, unter Mitwirkung von Nathalie Chamba und Volker Schober,
2 Halbbände, Register
942 Seiten
48.00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-110-8
(September 2003)
Preis der Gesamtausgabe (10 Bände): 299 EUR
In diesen beiden Halbbänden werden insgesamt 652 zum größten Teil unveröffentlichte Briefe von und an Alfred Weber aus mehr als 30 Archiven und Bibliotheken präsentiert. Zu den Briefpartnern gehören u.a. Thomas Mann, Ernst Jünger, Max Brod, Karl Mannheim, Erich Fromm, Arnold Toynbee, Karl Jaspers, Graf Hermann Keyserling, Ludwig Curtius, Friedrich Meinecke, Friedrich Naumann, Prinz Max von Baden, Erich Ludendorff, Tomás G. Masaryk, Theodor Heuss, Lucius D. Clay, Erich Ollenhauer, Fritz Erler und Hugo Stinnes (vgl. auch Inhaltsverzeichnis).
Diese Briefedition versteht sich als eine "Dokumentenbiographie", in der die Briefe Zeugnisse einer persönlichen Kommunikationsgemeinschaft sind, eines politischen und intellektuellen Netzwerkes, das Weber, manchmal über Jahrzehnte, für seine Zwecke mobilisierte. So entsteht ein Panorama von Dokumenten geistiger Arbeitsprozesse, die Aufschluss über die Entwicklung seiner Projekte geben und Ausmaß und Wirkung seiner politischen und wissenschaftlichen Initiativen deutlich machen. Auf diese Weise erkennt man z.B. in seinen philosophisch-kultursoziologischen Briefen nicht nur Art und Intensität der Rezeption seines Werkes, sondern es wird auch deutlich, wie er in einer Heidelberger "République des lettres" auf andere Intellektuelle ausstrahlte oder selbst von ihnen beeinflusst wurde.
Um dieser Konzeption gerecht zu werden, entschlossen sich die Herausgeber, bei der Gliederung konsequent neue Wege zu gehen. Die Briefe Webers und die Gegenbriefe werden nicht, wie üblich, chronologisch abgedruckt oder gar nach Bänden getrennt, sondern nach Themenbereichen gegliedert: Kapitel I präsentiert 24 Briefe aus der Jugend- und Studentenzeit, Kapitel II 35 persönlich relevante Briefe, Kapitel IV 100 Briefe aus der philosophisch-kultursoziologischen Korrespondenz. Kapitel III, der politische Briefwechsel, nimmt bei einem "scholar-politician" wie Alfred Weber mit insgesamt 292 Briefen natürlich den größten Raum ein. Er ist zunächst chronologisch nach Epochen - von der Wilhelminischen Zeit bis zur Bundesrepublik -, innerhalb jeder Epoche aber wieder nach Themenbereichen gegliedert. Kapitel V (142 Briefe) behandelt Hochschulfragen wie Habilitationen, Berufungen und Lehrveranstaltungen, bietet aber nicht zuletzt auch instruktive Schülerbriefe an Weber. Kapitel VI (49 Briefe) umfasst die nach den einzelnen Veröffentlichungen Webers geordnete Verlags-und Herausgeberkorrespondenz.
Die Edition ist durchgehend kommentiert und mit einem biographischen Verzeichnis der Briefpartner, einem Fundstellenverzeichnis und einem Namensregister versehen. Nachträge zu den Bänden 5, 7, 8 und 9 der Gesamtausgabe runden den Band ab.
I) JUGEND UND STUDENTENZEIT (1875-1897)
1. AW an Helene Weber 24.09.75II) PERSÖNLICHES (1907-1958)
25. AW an Lujo Brentano 01.01.28III) POLITISCHE KORRESPONDENZ
1) Wirtschafts- und Sozialpolitik (1897-1913)IV) IN DER WELT VON HEIDELBERG - PHILOSOPHISCHKULTURSOZIOLOGISCHE KORRESPONDENZ
356. AW an Willy Andreas 05.08.28V) HOCHSCHULFRAGEN
1) Berufungen WebersDa klappt dem Max-Weber-Verehrer der Unterkiefer herunter: Am 9. November 1944 bittet Hans Frank, der NS-deutsche Generalgouverneur in Polen, aus seiner Krakauer Residenz den 76-Jährigen Alfred Weber, den jüngeren Bruder Max Webers, um einen Aufsatz 'Max Weber, sein Leben und Werk'. Er schreibt dazu: 'Wir sind hier ein kleinerer Kreis von früheren Schülern Max Webers und wollen doch dieses Jahr, in dem Max Weber 80 Jahre alt geworden wäre, nicht ganz vorüberziehen lassen, ohne dass nicht von berufener Stelle aus dieses einzigartig bedeutenden Mannes gedacht wird.' ...
Alfred Weber schrieb dem NS-Herrscher über Polen knurrig zurück, er habe momentan für einen solchen Aufsatz keine Zeit, empfinde aber 'auch sachliche Hemmungen'. Er habe seinem älteren Bruder 'so nah gestanden', dass er 'eine objektive Würdigung' nicht geben könne. Gewiss wollte Alfred Weber mit einem Hans Frank nichts zu tun haben. Aber noch etwas anderes kam hinzu. Je länger Max Weber tot war, desto tiefer geriet Alfred Weber in den Schatten dieses älteren Bruders, der schon in der Kindheit - was Alfred ihm nie verzeihen konnte - alle Mutterliebe auf sich gezogen hatte. Unter den Heidelberger Studenten trug er mittlerweile den Spitznamen 'Minimax', den er zu Lebzeiten des großen Bruders nie getragen hatte.
Max und Alfred Weber: Das ist eine Bruder-Beziehung voll untergründiger Spannung, die an die Beziehung zwischen Thomas und Heinrich Mann erinnert, und bei der sich wie dort Geistiges und Sexuelles mischen. Wenn es darauf ankam, hielten die beiden zusammen: so nach 1918 bei der Stärkung der entstehenden deutschen Demokratie gegen ihre Feinde. Und dennoch haben sie einander oft gehasst. ... In seiner Jugend hatte Alfred sich nervlich noch zerrütteter gefühlt als Max; aber während Max Weber 1898 einen psycho-somatischen Zusammenbruch erlitt, der ihn zwanzig Jahre lang zu Lehrveranstaltungen unfähig machte, knüpfte Alfred vor seinen Augen eine Liebesbeziehung zu der zauberhaften Else Jaffé an, die auch Max insgeheim liebte, und wurde zusehend gesünder und produktiver. ...
Man mag von Alfred Webers Büchern halten, was man will: seine Korrespondenzen sind eine Überraschung und ein literarischer Leckerbissen für Kenner der Kulturgeschichte seiner Zeit. Alfred Weber vermochte sich in Beziehungen offener hineinzubegeben als Max; und in welchen Wechselbeziehungen hat er alles durchgestanden, von der Ära Bismarck bis zur Ära Adenauer! Die Korrespondenzpartner reichen von Thomas Mann bis zu Erich Ludendorf, dem deutschen De-facto-Kriegsherrn im Ersten Weltkrieg; von Hugo Stinnes, dem Weber einmal Landesverrat vorwarf, bis zu Hugo von Hofmannsthal; von Theodor Heuss bis zu dem Grafen Hermann Keyserling, der Alfred Weber die Weisheit des Ostens erschloss, die auch der späte Max Weber entdeckte. Und immer wieder Karl Jaspers, der Psychiater-Philosoph und Heidelberger Kollege, mit dem er durch die enge Beziehung zu Max Weber und die Gegnerschaft gegen das NS-Regime verbunden, zugleich aber durch eine tiefe Animosität getrennt war. Gerade diese Korrespondenz ist ein Muster an 'Streitkultur'! Sehr zu begrüßen ist, dass die AWG im Gegensatz zur MWG oft auch die Gegenbriefe der Korrespondenzpartner abdruckt, soweit diese erhalten sind. Und es war das einzig Richtige, dass die AWG-Editoren sorgsam ausgewählt, längst nicht alles gedruckt und dafür die Bände gegenüber der MWG, der Max Weber Gesamtausgabe, viel preiswerter gemacht haben. ...
Die Leser der MWG-Briefbände sind in der Regel enttäuscht, dass Max Weber dort so wenig von seinem kreativen Prozess preisgibt. Das ist bei Alfred, dem ewigen Sponti, ganz anders: Der lebt sich oft in seinen Briefen hemmungslos aus. ...
Und auch der, der nach neudeutscher Oberlehrer-Manier Alfred Webers Korrespondenzen auf political correctness hin durchkorrigiert, kommt auf seine Kosten. Alfred Weber konnte zu Zeiten chauvinistisch, rassistisch, militaristisch und elitär sein. ... Aber als es in Deutschland mit dem Rassismus blutiger Ernst wird, zeigt Alfred Weber Haltung und Hellsicht wie nur wenige. Sein Brief vom 6. August 1932 an Hans Zehrer, den 'konservativen Revolutionär' des 'Tat'-Kreises, gehört zu den Glanzstücken der Edition und sollte in die Schulbücher aufgenommen werden. ...
Zeitweise wirkt Alfred Weber wie ein von wechselnden Trends hin- und hergerissener Theorie- und Polit-Flipper, aber 1933 ließ er sich nicht im mindesten korrumpieren. Das lag wohl nicht nur an seinem Scharfblick, sondern auch daran, dass er trotz aller Spitzen ein gutes Herz hatte: Das spürt man in vielen Briefen. Zu Weihnachten 1955 schrieb der nach Amerika emigrierte Erich Fromm aus Mexiko an den 87-Jährigen Alfred Weber: 'Ich habe Sie in all den Jahren immer lebendig vor mir gesehen, und in den Jahren der Hitler-Diktatur standen Sie, mehr als jeder andere, vor meinen Augen als der Repräsentant des Deutschland, an das ich immer glaubte.' Trotz all seiner Schwächen, ja lächerlichen Züge: Welch ein Mann!"
"Mit einer knapp tausendseitigen Briefauswahl ist die vor sieben Jahren begonnene zehnbändige Gesamtausgabe des Kultursoziologen Alfred Weber (1868-1958), deren erste Staffel bereits angezeigt wurde (vgl. NZZ vom 19.1.00), unlängst abgeschlossen worden. Als ausgesprochen glücklich erweist sich spätestens auf den zweiten Blick die Entscheidung, die Korrespondenz nach Sachgebieten und Themen zu ordnen und erst innerhalb dieser dann chronologisch sowie nach Adressaten. Die so entstandenen Blöcke wie etwa 'Kriegsziele' und 'Gedanken zur deutschen Sendung' für die Jahre 1914-18 oder 'Wahlrechts- und Verfassungsfragen' für die noch junge Bundesrepublik ermöglichen dem Leser angesichts ungeheurer Materialfülle überhaupt erst die Orientierung, gestatten indes gleichzeitig, die beinahe bruchlose Kontinuität von Alfred Webers liberaler Haltung innerhalb der Vielfalt wahrzunehmen. Als ebenso gelungen (und hier können sich die Herausgeber eine kleine Spitze gegen die anders verfahrenden Verwalter der Schriften von Max, dem grossen Bruder, nicht verkneifen) darf die Aufnahme vieler Gegenbriefe gelten - z. T. zwar bloss in Form von Regesten, wenn die Rechtsinhaber beschämenderweise die Druckerlaubnis verweigerten, aber immerhin.
Wie unverzichtbar eine solche Zusammenstellung generell ist, zeigt pars pro toto der Kontakt mit Hugo Stinnes, dem Weber 1923 vorschlägt, sich weithin sichtbar zum 'Retter des Vaterlandes' aufzuschwingen, indem Stinnes dem drohenden Währungszerfall u. a. durch massive eigene Devisenverkäufe entgegenträte. Die abgedruckte Antwort des Schwerindustriellen an den 'sehr geehrten Herrn Professor' beleuchtet schlaglichtartig das unvermindert aktuelle (Miss )Verhältnis zwischen Wirtschaftsinteressen auf der einen und dem von diesen als 'weltfremd' eingestuften Reformeifer sozialdemokratischer Geister auf der anderen Seite. Nicht weniger erregend liest sich auch die ideologische Abgrenzung gegenüber Hans Zehrer, dem rechtskonservativen Publizisten aus dem Umfeld des 'Tat'-Kreises und nachmaligen Chefredaktor des Hauses Springer. Es dürfte kaum einen zweiten bürgerlich gemässigten Weimarer Intellektuellen gegeben haben, der am Vorabend der 'Machtergreifung' 1933 das Wesen des NS-Regimes so klar auf den Punkt gebracht hätte wie, in seiner Ermahnung Zehrers, Alfred Weber."...