435 Seiten
48.00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1399-2
(September 2019)
Das Geld hat die globale Gesellschaft überlagert und beherrscht faktisch alle Lebensprozesse. Diese Einsicht wurde vielfach ausgesprochen: Geld regiert die Welt. Doch das Geld ist weit mehr. Die Gelderklärungen der Wirtschaftswissenschaften, aber auch der Philosophie - wie im vorliegenden Buch gezeigt wird - erweisen sich als vielfältige Irrwege. Sie übersehen: Geld ist allem anderen voran eine Denkform, die sich seit den Anfängen der Geldverwendung mehr und mehr dem menschlichen Bewusstsein überlagert hat - ein Vorgang, der als "Moderne" das Fundament einer globalen Kultur bildet. Vor allem die Wissenschaften, aber auch der Alltag der Menschen sind durchsetzt von einem berechnenden Denken, dessen Herkunft aus dem Geldverkehr nicht mehr erkannt wird. Das Geld als Denkform ist der vergessene Grund wissenschaftlicher Methoden. Deshalb sind Krisen der Geldverwendung stets zugleich Krisen der Vergesellschaftung. Sie erscheinen sowohl ökonomisch wie in den wissenschaftlichen Denkformen. Dieser innere Zusammenhang ist der Grund für die bunte Vielfalt der Krisenphänomene, die immer deutlicher in ihrer Gesamtheit als Krise der Moderne sichtbar werden. Erst die Erkenntnis dieses Grundes durch eine entfaltete Philosophie des Geldes erlaubt es, tatsächliche Lösungen für die allgegenwärtigen Krisenphänomene vorzuschlagen.
Wer sich heute mit theoretischen Fragen von Geld und Gesellschaft beschäftigt, kommt an Karl-Heinz Brodbeck nicht vorbei. Insbesondere sein Hauptwerk "Die Herrschaft des Geldes", ein opulenter Wälzer von rund 1.200 Seiten, ist inzwischen zu einem echten Standardwerk der sozialwissenschaftlichen Geldtheorie geworden. Seit Erscheinen dieses Buches publizierte der Autor eine Reihe weiterer hochinteressanter Arbeiten, teils zu speziellen Themen der Philosophie, Geschichte und Ökonomie, teils zu zentralen Fragen der Wirtschaftsethik, den philosophischen Grundlagen der Ökonomie und deren Kritik. Der neue Band enthält neun Aufsätze, die teilweise bereits in anderen Sammelwerken veröffentlicht worden sind oder auf Vorträge und Konferenzbeiträge zurückgehen. Darunter ragen drei besonders hervor. Auf sie soll näher eingegangen werden.
Da ist erstens der Aufsatz "Philosophie des Geldes" aus dem Jahr 2014. Brodbeck entwickelt hierin systematisch, wie sich der historische Prozess der Vergesellschaftung in zwei Formen vollzogen hat: im Rechnen und im Sprechen. Das Rechnen aber steht in einem engen Zusammenhang mit dem Geld, so dass die hierin zum Ausdruck kommende Rationalität auch als "geldförmiges Denken" aufgefasst werden kann. Der hier verfolgte Ansatz unterscheidet sich essentiell von der herkömmlichen Auffassung über Herkunft und Wesen des Geldes. Es gibt in der Geschichte der Philosophie jedoch einige Hinweise, die zu ähnlichen Aussagen führen, wie der Autor sie vornimmt. Dazu gehören die Kommentare von Platon und Aristoteles, die Ansichten Georg Simmels und die bis heute nicht zu Ende geführten Überlegungen von Alfred Sohn-Rethel. Aber auch die neuere Forschung vermag dazu einiges beizutragen, insbesondere die Erkenntnisse der Sozialanthropologie, der Archäologie, der Ethik, der Geschichtswissenschaft und der Psychologie.
Liest man den theoriehistorischen und quellenreichen Text, so sollte man die "zentrale These" des Autors im Blick behalten. Danach sind die ökonomischen, politischen, ökologischen und wissenschaftlichen Krisen der Gegenwart, so vielfältig sie sein mögen, alle auf einen einzigen Grund zurückzuführen: auf "das Geld" (11). Damit bildet die Geldkritik die eigentliche Klammer, die über alle Texte gespannt ist und die deren inneres Band ausmacht. Diese Kritik ist jedoch keine vordergründige Kritik an einzelnen Erscheinungen der Geldwirtschaft, der Geldpolitik oder des Umgangs mit Geld. Vielmehr zielt sie auf den Kern des Geldgeschäfts und auf die Geldform selbst, das heißt auf die sich in ihr manifestierende Rationalität im Denken und Handeln der Menschen: "Die vielfältigen Krisen der Gegenwart und die immer wieder scheiternden Versuche, Gesellschaft und Umwelt berechnend beherrschen zu wollen, entpuppen sich", so das Fazit des Autors, "als Krise des rechnenden Denkens selbst: als Krise der Ratio" (49).
Der zweite m. E. herausragende Text dieses Buches ist der Aufsatz "Geld als Denkform". Dieser Aufsatz wurde zuerst 2016 in einem Sammelband veröffentlicht und damals bereits besprochen. Im Zusammenhang mit den in diesem Band vereinigten Texten erfährt er jedoch eine Aufwertung. Dies insbesondere deshalb, weil sich aus der vertretenen Position weitreichende Konsequenzen ableiten, die in den anderen Aufsätzen behandelt werden. So erscheint die These vom Geld "als Denkform" hier sehr zugespitzt, indem betont wird, dass das Geld (als Denkform) "nicht zu einem außerbewusst-realen 'Geld' hinzu(kommt)", sondern dass sich vielmehr "der Prozess des Geldes als Denken" vollzieht (57). Dies gilt auch für die Herausbildung des Geldes im historischen Entwicklungsprozess. Damit gerät das Geld als reale Angelegenheit, die es ja auch ist, allerdings etwas ins Hintertreffen. An anderer Stelle geht der Autor mit dieser Problematik m. E. geschickter um, indem er herausarbeitet, dass das Geld "eine Denkform und uno actu eine Wirklichkeitsform" ist (236). Mithin schließt die Kritik des Geldes immer beides ein, die Kritik des Rechnens und des rationalen Denkens und die Kritik der realen Geldwirtschaft und Geldgesellschaft.
Beeindruckend ist die Abrechnung, die der Autor mit anderen Geldtheorien vornimmt. So schreibt er: "Das Haupthindernis für das Verständnis des Geldes ist nicht ein Mangel an systematischen oder historischen Theorien, sondern deren Überfülle." (65) Reduziert man diese auf die theoretisch relevanten, so bleibt die Erkenntnis übrig, dass "das Geld vergesellschaftet", indem die Subjekte ihre Vergesellschaftung alltäglich "durch ihre Denkformen hindurch" (65) vollziehen. Also durch das Rechnen und den Umgang mit Geld. Das Geld ist folglich "kein äußeres Ding, sondern der endlos vermittelte soziale Denkprozess der Rechnung in Geldeinheiten" (73). Dem Zusammenhang zwischen Geldverwendung und Mathematik wird in diesem Aufsatz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist übrigens ein Thema, das inzwischen auch aus soziologischer und mathematischer Perspektive (unter Berufung auf Brodbeck) umfassend behandelt worden ist. Die Diktion bei Brodbeck ist jedenfalls antimonetär und antirational. Der Autor ist davon überzeugt, dass die Zukunft einen Rückgang der Geldwirtschaft bringen wird - und damit des rationalen Denkens: "Die Ratio als menschliche Vernunftform", so ist zu lesen, "blickt ihrer Dämmerung entgegen" (129).
Es liegt auf der Hand, dass die Kronzeugen für die in diesem Buch entwickelte Geld- und Vernunftkritik kaum unter den Philosophen und Ökonomen zu finden sein werden, deren Bestreben darin besteht, die gesellschaftliche Entwicklung, einschließlich der Wirtschaft, voranzubringen. Der Autor weiß das und greift deshalb bei der Suche nach Unterstützern für seine Argumentation auch eher auf konservative Denker, Politiker und Literaten zurück. Im Mittelpunkt steht dabei Johann Wolfgang von Goethe, dem in diesem Buch ein umfangreiches Kapitel gewidmet ist (131-204). Dieses beinhaltet erwartungsgemäß eine Interpretation der Aussagen Goethes zur Papiergeldschöpfung im "Faust II". Hierzu hatte bereits Hans Christoph Binswanger im Jahre 1985 eine bemerkenswerte Studie vorgelegt, mit welcher sich Brodbeck nun konstruktiv auseinandersetzt. Er entwickelt aber auch eine ganz eigene Sicht und Deutung der betreffenden Passagen. Dabei wird deutlich, dass Goethe als Kind seiner Zeit und geborener Dichter zwar Schwierigkeiten mit dem Rechnen hatte und dem Vordringen der Mathematik in allen Bereichen des Lebens skeptisch bis ablehnend gegenüberstand. Andererseits aber war Goethe mit der ökonomischen Wissenschaft seiner Zeit durchaus vertraut und pflegte zahlreiche Kontakte zu Ökonomen. Indem Brodbeck Goethes Ansichten über Wirtschaft und Geld anhand von dessen eigenen Quellen, teilweise aus der Bibliothek Goethes in Weimar, nachgeht, erweckt er ein nahezu vergessenes Stück Dogmengeschichte der Nationalökonomie wieder zum Leben. Dabei ist zu beachten, dass Goethe als liberaler, aber im Alter auch konservativer Denker nicht nur Interesse an den Werken englischer Ökonomen in der Nachfolge von Adam Smith hatte, sondern auch deutsche Theoretiker wie Johann Georg Büsch, Georg von Buquoy und den Romantiker Adam Müller zur Kenntnis nahm. Von den Ansichten Müllers war Goethe tief beeindruckt (171). Er las dessen Bücher (gedruckte Vorlesungen) und traf mit ihm mehrmals zu Gesprächen über ökonomische Fragen zusammen. Das Verhältnis trübte sich allerdings später ein, weil Müller sich mit Friedrich Schlegel anfreundete und dem Katholizismus anhing. Es war also mehr ein "anti-katholischer Affekt" (171), welcher Goethe von Müller trennte, weniger dessen romantisch-verklärte Auffassung von Wirtschaft und Geld. - Alles in allem ist Brodbeck zuzustimmen, dass Goethe auch als Denker ein Künstler war und der "Faust" folglich kein theoretisches Werk ist, sondern ein Kunstwerk. Daher führt es zu nichts, in diesem Werk nach gültigeren Antworten auf wirtschaftstheoretische Fragen zu suchen, auf die zeitgenössische Ökonomen keine endgültigen Antworten hatten. Es bleibt also auch in diesem Fall bei dem durchaus lesenswerten Versuch, "einige der ökonomischen Spuren im Faust zu dechiffrieren", womit sich der Autor in den "vielstimmigen Chor" der modernen Interpreten Goethes (197) einreiht.
Das neue Buch von Karl-Heinz Brodbeck stellt einen wertvollen Beitrag zur kritischen Behandlung historischer wie aktueller Fragen des Geldes und der wirtschaftlichen Entwicklung dar. Es regt dazu an, vorhandene Erklärungsmuster und vermeintliche Gewissheiten infrage zu stellen und neue Wege bei der Erkundung eines so wichtigen Themas wie dem Geld einzuschlagen. In Anlage und Stil unterscheidet sich das Werk wohltuend von vielen ökonomiehistorischen und finanzwissenschaftlichen Büchern, indem es auf einen komplizierten mathematischen Apparat verzichtet und in verständlichem Deutsch geschrieben ist. Das Buch enthält ein zusammengefasstes Literaturverzeichnis, was Platz spart und die Lesbarkeit der einzelnen Aufsätze verbessert.