561 Seiten
29.80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-872-5
(Oktober 2011)
Die Reform der Finanzierung und Organisation der Alterssicherung steht seit mehr als vier Jahrzehnten ganz oben auf der politischen, wissenschaftlichen und medialen Agenda. Seither wird die Abkehr von der im Umlageverfahren staatlich organisierten Alterssicherung und der Auf- und Ausbau der über den Finanzmarkt organisierten Altersvorsorge diskutiert und exekutiert. Dem herrschenden Reformparadigma zufolge ist die umlagefinanzierte Alterssicherung ineffizient, ungerecht und angesichts des demographischen Wandels unfinanzierbar. Zwar hat sich die übertriebene Euphorie für die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge aufgrund der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise merklich abgeschwächt. Dennoch hält die öffentliche und wissenschaftliche Debatte an der Rhetorik des demographischen Wandels und der Generationengerechtigkeit wie auch an den realwirtschaftlichen und finanzmarkttheoretischen Fehlannahmen zur Förderung der kapitalgedeckten Altersvorsorge fest. Infolgedessen dominieren bis heute Stereotype, Simplifizierungen, höchst widersprüchliche und unhaltbare Thesen die Debatten.
Dieses Buch rekonstruiert - erst- und einmalig in der deutschen Diskussion - zum einen die Debatten um die Entstehung der umlagefinanzierten Alterssicherung in den Industrienationen und stellt sie in einen breiten historischen, sozialpolitischen Kontext. Zum anderen wird die seit den 1970er Jahren eingeläutete und schrittweise umgesetzte Abkehr vom Umlageverfahren dargestellt. Im Zentrum der interdisziplinären Analyse steht das dominierende Reformparadigma, dessen theoretische Kernargumente, Annahmen, Hypothesen und Folgerungen offen gelegt und kritisch hinterfragt werden. Die Evaluation der Wirkungen des Auf-/Ausbaus der kapitalgedeckten Finanzierung der Alterssicherung mündet dabei in einer immanenten Kritik der orthodoxen bzw. neoklassischen Theorie. Die Reformen fallen aber nicht nur inneffizient, kontraproduktiv und sozial ungerecht aus. Dem alternativen postkeynesianischen Verständnis zufolge befördern die Reformen der Organisation und Finanzierung der Alterssicherung die Krisenanfälligkeit des Finanz- und Wirtschaftssystems im ausgehenden 20. Jahrhundert.
Diese Dissertation wird in der wissenschaftlichen Diskussion Anerkennung finden und Anschlussforschungen auslösen. Auch für die theoriebegründete Praxis der Sozialpolitik gibt die Untersuchung wichtige Impulse. So lassen sich Möglichkeiten einer systematischen Vermeidung von Altersarmut infolge untauglicher Modelle der Altersvorsorge auf der Basis der Eigenkapitalbildung identifizieren. [?] Die Zusammenführung demografischer, wirtschaftswissenschaftlicher und sozialpolitischer Aspekte unter einer die Erkenntnisbildung leitenden Idee generiert wichtige, neue Erkenntnisse. Ursächlich für das Gewinnen neuer Erkenntnisse ist der eingebrachte Mut zur interdisziplinären Betrachtung unter Berücksichtigung der historischen Dimension."
Prof. Dr. Rudolf Hickel (Universität Bremen)
Die vorgelegte Dissertationsschrift beeindruckt durch die Gründlichkeit und Systematik ihrer kritisch-rekonstruktiven Analyse des (sozialpolitik)historisch siegreichen Kapitaldeckungsparadigmas. Sie stellt in ihrem Anliegen und Ansatz, sozialwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven auf dieses Phänomen miteinander zu verknüpfen, eine durchaus bemerkenswerte Leistung dar, die sich im Detail (sprich: ihrem Detailreichtum) kaum gebührend würdigen lässt.?
Prof. Dr. Stephan Lessenich (Universität Jena)
"Die Arbeit des Autors ist ein Beitrag zu einer differenzierteren und ausgewogeneren Diskussion der Strukturentscheidungen in der Alterssicherungspolitik, die einen zentralen Lösungsansatz in der Verlagerung hin zu mehr von der Kapitalmarktentwicklung abhängigen Sicherungsinstrumente sieht. Die jüngste Entwicklung auf den Finanzmärkten hat (vorerst?) zu mehr Zurückhaltung in der Propagierung der positiven Wirkungserwartungen geführt, die einer solchen Politik zugrunde liegen. Dennoch soll von der nun politisch eingeschlagenen Richtung - so die Aussage nicht nur vieler Politiker, sondern auch vieler Wissenschaftler in Deutschland - keinesfalls abgewichen werden, ja diese soll auch für die (deutsche) Pflegeversicherung zum Leitbild werden.
Wer sich der Mühe unterzieht, die vorliegende umfangreiche Arbeit zu studieren, wird zweifellos viele Hinweise zur Einordnung und zum Verständnis von Argumenten finden, die in der Diskussion der vergangenen Jahre immer wieder vorgetragen wurden, obgleich (öffentlich aber kaum geäußerte) Zweifel an der Eignung und Vorteilhaftigkeit als "alternativlos" bezeichneter Maßnahmen berechtigt sind. Da der Verfasser seine Arbeit teilweise in eine Art Lehrbuch verwandelte, begibt er sich wohl leider der Möglichkeit, ein breiteres Echo mit seinen kritischen Anmerkungen auszulösen. Doch wird man generell keine allzu hohen Erwartungen hegen können, dass angesichts der herrschenden Vorstellungen in der Ökonomie und den gewichtigen ökonomischen und politischen Interessen einflussreicher Akteure eine offenere und breitere Diskussion nicht nur über die Wirkungen, sondern auch über die der Politikstrategie zugrunde liegenden (theoretischen) Annahmen erfolgen wird, wie sie der Autor mit seiner Arbeit anstoßen möchte."
Jahrzehntelang war das System der deutschen Alterssicherung weitgehend unangefochten. Es beruhte auf dem Generationenvertrag, wonach die jeweils aktive Generation unmittelbar im sogenannten "Umlageverfahren" für die Finanzierung der jeweiligen Rentnerinnen und Rentner sorgt. Angesichts des hohen Finanzierungsvolumens witterte die Finanzwirtschaft hier ein großes Geschäft. Sie ließ seit den 1970er Jahren nichts unversucht, das bewährte System zu diskreditieren und eine Finanzierung über die Finanzmärkte als ebenso lukrativ wie alternativlos darzustellen. Die Politik folgte willig und subventionierte - etwa mit der Riester-Rente - auch noch den Umstieg in die private Rente.
Seit der Finanzmarktkrise und des Platzens der Finanzmarktblase wurde jedoch schlaglichtartig das Risiko deutlich, Alterssicherung über die Finanzmärkte zu organisieren. Christian Christen hat diese Entwicklung detailliert nachgezeichnet. Kenntnisreich, gut lesbar und aus einer interdisziplinären Perspektive werden historische und theoretische Entwicklungen erläutert. So wird die Reformdebatte um die Rente auch als spannendes Lehrstück über die Wirkungen und Folgen gezielter Interessenpolitik präsentiert. Das Buch hat das Zeug, zu einem Standardwerk zum Thema Alterssicherung zu werden.