174 Seiten
18,00 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1314-5
(März 2018)
Register, 14 farbige Abbildungen
"Richard David Precht hat mit "Jäger, Hirten, Kritiker" erneut ein faszinierendes Buch vorgelegt, diesmal über die digitale Transformation. Da er auch ein Medienprofi ist, war er in der Erscheinungswoche in fast allen Talkshows mit der Botschaft seines Buches unterwegs. Innerhalb einer Woche schoss das Buch in den Bestsellerlisten für Sachbücher nach oben.
Etwa zur selben Zeit veröffentlichte Arno Rolf, Professor der Wirtschaftsinformatik in Hamburg, sein Buch: Weltmacht Vereinigte Daten: Die Digitalisierung und Big Data verstehen. Es erstaunt, dass ein deutscher Professor für Laien so verständlich schreiben und dabei ohne fachlichen Tunnelblick die Perspektiven verschiedener Disziplinen zusammenführen kann. Anders als Precht war er allerdings bislang nicht in Talkshows vertreten.
Auffällig ist, dass beide Autoren in ihrer Einschätzung zur Digitalisierung nur an wenigen, aber nicht ganz unwichtigen Stellen über Kreuz liegen, sich kaum ins Gehege kommen, sich in jedem Fall auffällig ergänzen. Während Richard David Precht für die europäische Wertefamilie eine gesellschaftliche Vision, ein Gegenmodell zum Silicon Valley-Kapitalismus entwickelt, setzt Arno Rolf zunächst eine Ebene tiefer an: Er filetiert das System Silicon Valley, wodurch der kometenhafte Aufstieg zu Monopolen verständlich wird, legt die Bausteine der digitalen Transformation frei, erklärt sie auch für den Nichtinformatiker nachvollziehbar - u.a. Entstofflichung, Algorithmen, Big Data, Cloud Computing, Künstliche Intelligenz, Plattform-Ökonomie, Netzwerkeffekte - und setzt sie zu einem klaren Ganzen der digitalen Transformation zusammen. Die Eindruck ist: Kennt man nur Prechts Vision fehlt einem Rolfs Unterbau, und umgekehrt.
Prechts Buch hat eine leicht nachvollziehbare Struktur: Zunächst begründet er, weshalb von einer digitalen Revolution zu sprechen und ein dystopisches Gesellschaftsmodell mit dem Silicon-Valley-Kapitalismus im Anmarsch sei. Basis seiner Argumentation ist der lang angelegte Siegeszug von der Kybernetik zu Big-Data-Analysen. Im Retropie-Kapitel, greift er die verbreitete Angst vor den Folgen der digitalen Transformation auf, die bei vielen im Rückzug - der Sehnsucht nach dem Gestern - zum Vorschein kommt. Eine Ursache liege in der Arroganz des Silicon-Valley-Kapitalismus, der sich wenig um europäische Werte kümmere, beispielsweise beim Datenschutz oder bei der Zukunft von Arbeit und Leben. In seiner Utopie fordert er, sich der humanen westlichen Werte der Aufklärung wie der Urteilskraft zu vergewissern und sie gegen das kybernetische Funktionieren von Vermessen, Quantifizieren, Big Data und Nudging zu verteidigen.
Prechts zentrale These ist, Muße nicht Arbeit sei das Ziel der Menschen, insbesondere dann, wenn angesichts der zu erwartenden Digitalisierungsfolgen das protestantische Arbeitsethos nicht mehr trage und durch ein "hire and fire" ersetzt werde. Aus der Überzeugung, dass der Trend vom guten Beruf zum schlechten Job - mit zur Zeit 7,6 Mio. Jobs ohne Sozialversicherung - längst im Gange ist, rät er zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens in Höhe von € 1.500.
Arno Rolf ist eher skeptisch, was die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens angeht; vor allem deshalb, weil sie die Spaltung der Gesellschaft durch fortschreitende Kapitalkonzentration im Zuge der Digitalisierung nicht verhindere. Es lenke vom Kern notwendiger Reformen ab, die darin bestehen sollten, "die digitale Ernte unters Volk zu bringen". Rolf plädiert für eine digitale Wertschöpfungsteilhabe, die Bürger am Profit von Digitalkonzernen beteiligt, die sie aus unseren Daten schöpfen. Er begründet sie volkswirtschaftlich; ohne ihre Einführung drohe nicht nur eine verstärkte gesellschaftliche Spaltung, sondern auch ein Einbruch des Wirtschaftswachstums. Er ist eher vorsichtig bei der Einschätzung der Arbeitsmarktfolgen, da Entwicklungen der Demografie, Migration, Handelskriege und der Künstlichen Intelligenz heute schwer vorhersehbar sind. Sicher ist er sich allerdings, dass die Ausweitung der Plattform-Ökonomie ohne politische Regulierungen zu einem Absacken vieler Berufe der heutigen Mittelschicht in Alleinselbständigkeit, Leiharbeit, Werkverträgen mit geringen Stundenvolumen führen werde.
Arno Rolfs Buch füllt einige Leerstellen von Precht aus. So setzt er sich mit Ansätzen zur Einhegung der Datenherrschaft von Google & Co. und hier mit Möglichkeiten der Regulierung auseinander. Seine Vorschläge sind neu und bedenkenswert, etwa die Errichtung von Schutzräumen im Rahmen der EU. Mit der Definition von Schutzräumen - etwa beim Datenschutz oder bei der Buchpreisbindung - sei ein Maßstab für dasjenige vorhanden, was in einer Gesellschaft reguliert werden sollte.
Innovativ auch seine Strategie, die für die "Platzhirsche der Old Economy" das Überleben von Industrie und mittelständischer Wirtschaft sichern soll. So etwa, ob der gemeinsame Aufbau eines europäischen Datenpools großer Konzerne - u.a. Axel Springer, Allianz, Daimler und BMW - zusammen mit der Einführung eines Generalschlüssels, eine Strategie sein könnte, die Dominanz von Google & Co. anzugreifen? Er räumt auch mit dem Mythos auf, dass mit der Digitalisierung und der Entstofflichung der Dinge ein neues, energiesparendes ökologisches Zeitalter kommen werde.
Fast deckungsgleich sind die Ansichten von Precht und Rolf in der Bildung. Dem Satz "Deutschland muss mehr für die Bildung tun" und dann ein passgenaues digitales Know-how aus heutiger Sicht in Kombination mit der breiten Diffusion gerade aktueller Hardware fordert, wird ein Bildungsansatz entgegengestellt der sich darum bemüht, dass Schüler und Studierende sich durch Persönlichkeitsentwicklung in der digitalen Welt zurechtfinden können.
Welches Buch wird nun empfohlen, sofern man nur eins von beiden lesen möchte? Arno Rolfs "Weltmacht Vereinigte Daten" ist eine Handreichung für alle, die System und Bausteine der Digitalisierung verstehen und über Gestaltungsmaßnahmen und Regulierungen informiert sein wollen, wie unser heutiger Wohlstand, wie unsere sozialen und kulturellen Errungenschaften hoffentlich erhalten bleiben können. Richard David Precht entführt uns mit seiner nicht zu übertreffenden Erzählkunst und philosophischen Bildung in eine Vision, die unser Leben reichhaltiger machen könnte. Zugleich zeigt er uns die Dystopie auf, die uns erwartet, sofern wir uns der mit der digitalen Transformation anstehenden Herausforderung nicht stellen."