"Kritische Studien zu Markt und Gesellschaft" · Band 2
2. durchgesehene Auflage Oktober 2009
449 Seiten
29,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-780-3
(Juli 2009)
Die herrschende Wirtschaftskrise ist auch eine Krise der herrschenden Wirtschaftslehre. Diese hat durch Jahre hindurch "den freien Markt" propagiert und mitgeholfen, eine wirksame Regulierung der Kapital- und Geldmärkte zu verhindern. Ein unregulierter Markt, so wurde gesagt, würde sich von selbst regulieren, effizient arbeiten und optimale Ergebnisse zum Wohle aller hervorbringen.
Der Glaube an DEN freien MARKT hat die Welt jahrzehntelang beherrscht. Er war die Leitideologie einer Kultur, die in eine globale Krise geschlittert ist. Die politischen und ökonomischen Eliten und die meisten Medien waren von ihm erfüllt. Andauernd wurden die Segnungen eines ungebremsten MARKTES verkündet, Privatisierung und Deregulierung gefordert, private Alterssicherungssysteme gepriesen, der Abbau des Sozialstaates begrüßt und weltweit "freier" Handel und "freier" Kapitalverkehr durchgesetzt. Im Glauben an DEN MARKT konnte das Finanzsystem ungezügelt wachsen und der Kapitalismus sich zu einem Finanz- oder Renditen-Kapitalismus wandeln. Der Glaube an DEN MARKT war die große Ideologie jener Phase des Kapitalismus, die zu einem jähen Ende gekommen ist. Um sie zu verstehen, müssen wir das Konzept DES MARKTES verstehen.
Der Begriff DER MARKT wird in diesem Buch als ideologischer Kampfbegriff verstanden, der zu manipulativen Zwecken erschaffen worden ist und als solcher immer noch verwendet wird. DER MARKT ist ein Propaganda-Begriff und kann als solcher exakt analysiert werden. Er weist auf eine fiktive Wirtschaft ohne empirischen Beleg. Was der Ausdruck DER MARKT besagen will, ist in der Realität nicht vorhanden. Es gibt keinen MARKT, ihn kann und wird es niemals geben.
Die wichtigste ökonomische Theorie mit der größten Breitenwirkung ist die neoklassische Mikroökonomie. Ihr Kern heißt allgemeine Gleichgewichtstheorie - ein kompliziertes mathematisches Modell. Sein stärkster Einfluss geht über die Lehrbücher der Mikroökonomie. Sie haben weltweit fast überall den gleichen Inhalt. Nahezu alle, die eine höhere Ausbildung im breiten Feld der Wirtschaft erhalten, bekommen in ein oder mehreren Kursen die Grundzüge dieser Theorie vermittelt. Die wirtschaftliche Elite der ganzen Welt lernte und lernt mit ihrer Hilfe marktradikal zu denken.
Im Buch werden zwei Ebenen systematisch verbunden:
In den Kapiteln 3 bis 6 wird der Kern des Grundmodells der Mikroökonomie dargestellt. Es wird gezeigt, welche Schwachstellen jeder wichtige Begriff besitzt und wie dürftig die Schlussfolgerungen sind. Ziel ist es, kritischen Personen viele Argumente zu liefern, mit dem sie dem vermeintlich wissenschaftlichen Reden von DEM MARKT Paroli bieten können.
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"Es ist nun schon etwa 40 Jahre her, dass John Kenneth Galbraith in seinem berühmten Aufsatz Ökonomie als Glaubenssystem beschrieb (Galbraith 1970). Im Konkreten ging es Galbraith damals um die Ignoranz, die die Volkswirtschaftslehre gegenüber dem Thema gesellschaftlicher Machtverhältnisse und insbesondere der Macht der Unternehmen (Stichwort Konsumentensouveränität) zeigte.
Seitdem wurde an Kritik sowohl innerhalb als auch außerhalb des ökonomischen Mainstreams an der allgemeinen Gleichgewichtstheorie, also dem zentralen Modell der Mikroökonomie, nicht gespart. Die erste große Qualität des Buches von Walter Otto Ötsch ist es sicherlich, eine umfassende Zusammenfassung dieser Kritikpunkte an der neoklassischen Theorie zu präsentieren.
Wie man angesichts des Titels des Buches allerdings schon vermuten kann, belässt es Ötsch nicht dabei. Die zentrale These seines Buches geht nämlich noch weiter als die Kritik Galbraiths und beschreibt die Anwendung der Volkswirtschaftslehre als Propagandasystem. Propaganda wird hier verstanden als absichtlichen und systematischen Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zu steuern. Solch eine Form nimmt gemäß Ötsch sowohl die neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsphilosophien eines Ludwig von Mises, Walter Lippmans oder Friedrich August von Hayeks, welche er im ersten Teil seines Buches analysiert, an, als auch die neoklassische Theorie.
Um seine These argumentativ zu unterstützen, identifiziert Ötsch insgesamt 143 Kommunikationsmuster, die diesen Propagandacharakter unterstreichen sollen. Beispiele für solche Muster wären etwa das Argumentieren in demagogischen Diskursen ähnelnden Dualismen, der Verzicht auf die Definition zentraler Begrifflichkeiten oder aber auch zentrale Aussagen als ›Wahrheiten‹ darzustellen, die keiner empirischen Überprüfung bedürfen.
Es ist dies die zweite große Qualität dieses Buches, die neoliberale sowie neoklassische Theorie in einer umfassenden Weise kommunikationstheoretisch zu untersuchen. Die Beschreibung als Propagandasystem erscheint hier für die neoliberalen Gesellschaftstheorien von Lippmann und Hayek absolut überzeugend; die Unterschiede, die Ötsch hier in der Argumentation der beiden zwischen deren Propagandatheorie (also ihren gesellschaftstheoretischen Schriften) und deren Theorie der Propaganda (also deren Ausführungen, ob und wie Menschen in ihrer Meinung manipuliert werden können) identifiziert, sind hier besonders entlarvend.
Auch für die neoklassische Theorie liefert Ötsch mit der Beschreibung der Verwurzelung der allgemeinen Gleichgewichtstheorie in den Propagandainteressen der RAND Corporation Interdependenzen zwischen der Entstehung der Theorie und ihrer Anwendung als Propagandasystem. Im letzten Kapitel gelingt es ihm außerdem, die Offenheit der neoklassischen Theorie für die Zwecke marktradikaler Propaganda heutiger Tage aufzuzeigen, vor allem in Bezug auf die Themen Globalisierung und Standortwettbewerb. Die spezifische Weise, wie in der Neoklassik Argumente präsentiert werden (ihre Kommunikationsmuster), erweist sich hier als äußerst nützlich zur wissenschaftlichen Unterstützung neoliberaler politischer Ideen.
So überzeugend die Darstellungen Ötschs auch sind, stellt sich nichtsdestotrotz die Frage nach der Relevanz der Ötschen Kritik, greift er doch explizit die allgemeine Gleichgewichtstheorie an, die wohl auch von einigen Ökonom|inn|en innerhalb des Mainstreams als ›outdated‹ bezeichnet werden würde. Nun ist die Relevanz ohnehin schon deshalb zu bejahen, da sich allgemeine Gleichgewichtsmodelle auch heute noch großer Beliebtheit erfreuen und sie noch immer Grundlage beinahe jeder volkswirtschaftlichen Ausbildung überall auf der Welt sind. Allerdings ist außerdem auch zu vermuten, dass viele seiner Kritikpunkte ohnehin ebenfalls auf die ›neueren‹ Ansätze innerhalb des ökonomischen Mainstreams anwendbar sind. Gerade jene Argumente von Ötsch, die die ontologischen Fundamente der neoklassischen Theorie angreifen, und damit implizit oder explizit auch die Methodologie in den Fokus nehmen, lassen sich, wie auch Lawson (z.B. 2009) und sein Forschungsprogramm des Kritischen Realismus aufzeigen, wunderbar auf das gesamte Mainstream-Forschungsprojekt ausweiten.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Ötschs Buch eine umfassende, gut strukturierte und argumentativ sehr klare Kritik an der neoklassischen Theorie sowie der neoliberalen Gesellschaftskonzeption darstellt, deren herausragende Besonderheit sicherlich der zweite Blickwinkel ist, den er, neben seiner Tätigkeit als Ökonom, als Kommunikationsexperte bereitstellen kann. Man kann aus heterodoxer Perspektive nur hoffen, dass sein Buch bei vielen neoklassischen Ökonom|inn|en zu einer umfassenden Reflexion der eigenen Tätigkeit führt.
"Ob man dem Klappentext folgen mag, der Ötschs "Mythos MARKT" als "Das Buch zu den theoretischen und ideologischen Grundlagen der Krise" verstehen möchte, sei dahingestellt. Dass die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise allerdings in der Tat auch die Krise einer Denkweise ist, ist sicherlich richtig: Der Glaube an den freien und ungehinderten Markt, der notwendig rationales Handeln fördere und ebenso notwendig effiziente Ergebnisse zeitige, hat sich als quasi-religiöse Ideologie ohne empirische Grundlage entpuppt. Dies macht das vorliegende Buch mehr als deutlich.
Ötschs Anspruch ist es, in einem großen Rundumschlag die historischen, politischen und pseudo-wissenschaftlichen Grundlagen der modernen Marktideologie zu analysieren. Er versteht den Begriff des "Marktes" als ein Propaganda-Schlagwort, dessen historische Ursprünge in naiven Wissenschaftsauffassungen des 19. Jahrhunderts zu finden sind und das sich als neoliberaler Kampfbegriff insbesondere in den System-Auseinandersetzungen des Kalten Krieges durchzusetzen vermochte. Trotz dieser hochgradig ideologisierten Wurzeln habe es der "Markt" in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, sich in der so genannten "Neoklassik" wissenschaftlich verbrämt als sachlicher und kohärenter Fachbegriff darzustellen.
Auf einem Großteil seiner 449 Seiten zeigt Ötsch gerade die mangelnde Kohärenz dieses vermeintlich wissenschaftlichen Begriffes auf: Der Markt entpuppt sich als Mythos, der auf fragwürdigen Grundannahmen und empirisch wertlosen Modellen beruht. Ein Mythos, der gleichwohl massiven Einfluss in wirtschafts- wie auch in gesellschaftspolitischen Debatten nehmen konnte und noch immer nimmt.
Ötsch ist eine umfassende Darstellung dieser Problematik gelungen, die auch für interessierte Nicht-Ökonomen verständlich ist. Der Lesefluss wird zwar an der einen oder anderen Stelle durch unnötige Wiederholungen und durch manch übertrieben ausführliche Darstellung gehemmt; ein reines Vergnügen ist die Lektüre nicht. Wer sich allerdings mit neoliberaler Marktgläubigkeit befassen möchte, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen - und an inhaltlichen Kriterien gemessen, lohnt die Lektüre in jedem Fall.
"Das Buch ist insgesamt derartig vielfältig, dass diese Besprechung dem ganzen Spektrum der Argumentation kaum gerecht werden kann. ... Der Text wird durch zahlreiche Zitate ergänzt. Grafische Darstellungen der verbal beschriebenen Zusammenhänge vermitteln immer wieder einen Überblick und dienen zum besseren Verständnis. Dennoch ist das Buch nicht unbedingt eine "leichte Lektüre", wahrscheinlich auch für jene nicht, die mit der neoklassischen Theorie bisher keine nähere Bekanntschaft gemacht haben. Das liegt auch an der Neoklassik selbst, die den Menschen zum Verständnis ihrer Annahmen und Schlussfogerungen doch eine intensive Auseinandersetzung mit ihrer hochkomplizierten, aber irrealen Modellwelt abverlangt. Es ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass "Mythos Markt" (fast) gänzlich auf mathematische Darstellungsformen verzichtet. Jene, die bereits vertrauter mit der Neoklassik sind, könnten bei der Lektüre immer wieder an das gewisse Erstaunen erinnert werden, welches sie bei der ersten Begegnung mit Indifferenzkurven, Nutzenfunktionen, Arbeitsangebotskurven, Preisnehmern etc. befallen hat. Möglicherweise werden ihre Fragen dazu - auf vielleicht unerwartete Weise - beantwortet.
Zu empfehlen ist das Buch all jenen, die sich auch vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise eingehend mit "Wirtschaft" auseinandersetzen möchten oder dies bereits tun. In diesem Sinn sei es vor allem jenen ans Herz gelegt, die sich bereits wissenschaftlich, politisch, medial etc. intensiv mit Wirtschaft beschäftigen. Schließlich fordert der Autor durch die Ansammlung fundamentaler Kritikpunkte an der Mainstream-Ökonomie geradezu zu einem fundierten Diskurs auf."
"Wir erleben derzeit das katastrophale Scheitern des Marktradikalismus und der Deregulierungsideologie. Es ist jetzt schon erkennbar, wer die Opfer für die ungeheuren Schulden tragen soll, die der Staat zur Rettung der Banken aber auch zur Stabilisierung der Wirtschaft aufbringen muss. Es werden die kleinen Steuerzahler und die staatlichen Transferempfänger sein. Eigentlich müssten jetzt die politischen Kräfte, die dem Staat eine steuernde Funktion im Wirtschaftsprozess zuerkennen, Zustimmung gewinnen und diejenigen, die den Marktradikalismus und das Aushungern des Staates propagierten, politisch in die Defensive geraten. Doch wenn man den Umfragen glauben darf, gewinnen solche Kräfte, wie etwa die FDP oder Wirtschaftsliberale wie Baron zu Guttenberg, die genau die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Linie vertreten, die zur Katastrophe geführt hat, an Zustimmung. Paradoxie der Geschichte oder das Ergebnis von systematischer Meinungsbeeinflussung?
In einem neu erschienenen Buch "Mythos Markt" des österreichischen Ökonomen Walter Otto Ötsch vom Zentrum für soziale und interkulturelle Kompetenz der Johannes Kepler Universität Linz, habe ich eine interessante historische Aufarbeitung gelesen, wie schon in der Vergangenheit das Zusammenspiel von Marktradikalismus und Propaganda funktionierte und wie die öffentliche Meinung manipuliert wurde. Weil die Ideologie und die Methoden der Meinungsbeeinflussung auf die heutige Situation übertragbar sind, will ich aus den einschlägigen Kapiteln dieses Buches referieren und daraus einige Schlussfolgerungen auf die heutige Situation ableiten. ...
Die Lektüre von Mythos Markt lohnt sich allemal, vor allem die Kapitel über die Entstehungsgeschichte des Neoliberalismus und der Neoklassik, mit ihren zahlreichen Think-Tanks und ihrer Propagandamission sind aufschlussreich. Auch die Analyse der Metaphern und Bildern, die hinter den marktradikalen Vorstellungen stecken gehört zu den Glanzlichtern des Buches. Alles in allem eine faszinierende, wegen der verschiedenen Ansätze abwechslungsreiche und überzeugende Lektüre. Außerdem wäre es interessant die Rezeption des Buches in der USA zu sehen, wer den dortigen Diskurs ein bisschen kennt weiß, dass das marktradikale Denken noch viel mehr im Alltagsbewusstsein verankert ist als bei uns. Genau wie Ötsch beschreibt wird dort nämlich z.B. unter dem Begriff socialism fundamentalistisch alles bezeichnet vom Skandinavischen Sozialstaatsmodell bis zum Stalinistischen Terrorregime."