Seit Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 steht auch die akademische
Disziplin der Ökonomie in der Kritik. Dabei ist die Ökonomie nicht nur mit dem Vorwurf konfrontiert, man hätte die Entstehung der Krise sowie die ihr zugrunde liegenden mittel- bis langfristigen Entwicklungen nicht ausreichend beachtet und antizipiert. Vielmehr wird die Ökonomie ganz allgemein für ihren engen Denkstil kritisiert, der auf der Annahme rationalen, eigennützigen Verhaltens und effizienter Marktallokation beruht. Dieser Denkstil - so der Tenor der Kritik - erschwert dabei nicht nur das Erkennen systemischer,
ökonomischer Probleme, sondern trägt auch auf verschiedenen Ebenen zu deren Entstehung bei. Und tatsächlich lässt sich im Kontext der Finanzkrise in unterschiedlichen
Zusammenhängen ein signifikanter Einfluss ökonomischen Denkens feststellen.
Vor diesem Hintergrund stellt der Band das tradierte Verständnis ökonomischer Wissenschaft
in Frage. Insbesondere geht es darum, mögliche alternative Verständnisse und Herangehensweisen an eine "Wissenschaft von der Wirtschaft" auszuloten und deren Erklärungskraft und Durchsetzungspotentiale kritisch zu durchleuchten.
Vorwort
Entwicklung, Zustand und Leerstellen der Ökonomik
Walter Otto Ötsch
Die Politische Ökonomie "des" Marktes. Eine Zusammenfassung zur Wirkungsgeschichte von Friedrich A. Hayek
Sebastian Thieme
Selbsterhaltung. Ein ethisches Kriterium zur Bewertung von ökonomischer Theorie und Sozialstaat
Mark Kirstein
Von der Ergodenhypothese der Physik zum Ergodenaxiom in der Ökonomik
Frank Beckenbach
Krise und "Normalwissenschaft" - Konstruktion und Performativität in der modernen Ökonomik
Politik und Praxis der Ökonomie
Brigitte Young
Die Unkonventionelle Geldpolitik der Zentralbanken und die Vermögensverzerrungen. Die Rolle der Zentralbanken vor und nach der Finanzkrise 2007/2008
Michael Ertl
Über den Zusammenhang von Erbschaften und Vermögen. Schätzung des Vermögens für Österreich auf Basis von Erbschafts- und Schenkungsdaten
Markus Lange
Zur induktiven Beobachtung von Finanzmärkten. Ein "Risk Event" und der Handel mit Zahlungsversprechen
Paul Ramskogler
Alternative Wirtschaftspolitik und die Rolle der OECD
Alternative Sichtweisen in der Ökonomik
Wilfried Altzinger
Macht - Das (scheinbar) Unsichtbare sichtbar machen. Zur Ökonomik Kurt W. Rothschilds
Frank Fehlberg
Sozialökonomik und Kapitalistik. Karl Rodbertus' Beitrag zur Sozioökonomie
Burkhard Kühnemund
Fichtes ökonomische Theorie egalitärer Freiheit
Katrin Hirte
Die "Landnahme"-These von Rosa Luxemburg - empirisch beobachtbar, aber theoretisch falsifiziert? Zur Widerlegungspraxis einer Auffassung im Kontext des Problems ökonomischer Wachstumsmodellierung
PS, Dreier-Serie für 24. Dezember 2016
(Hans Steiger)
"In die gleiche Richtung zielen zwei Tagungs-Dokumentationen [die 2. ist Brodbeck, Graupe: Geld! Welches Geld?], in denen scheinbar ewige Glaubenssätze der Mainstream-Ökonomie hinterfragt werden: einmal generell und einmal speziell bezüglich Geld. Trotz anhaltender Dauerkrise scheint heute ja unverrückbar, was sich als neoliberales Credo in der Lehre, in Unternehmen, Politik und via Medien in fast allen Köpfen etabliert hat. Entsprechend spannend ist der einleitende Beitrag von Walter Otto Ötsch. Er zeigt anhand der Wirkungsgeschichte von Friedrich A. Hayek, wie es zur Dominanz einer einseitigen und zudem wenig plausiblen Wirtschafts-Weltanschauung kam. Für den Aufbau und Unterhalt kapitalnaher "Denkfabriken" wurde als Schmiermittel sehr viel Geld eingesetzt; im frühen Stadium der Offensive sponserten vorab Schweizer Banken - inklusive Nationalbank - einschlägige Konferenzen. Im weiteren wird, zum Teil ebenfalls personenbezogen, auf alternative Denkströmungen hingewiesen, die in einer offenen Wissenschaft viel mehr Aufmerksamkeit verdienten. In der Regel bleibt das im Feld der Theorie. Doch beim Exempel des Handels mit Zahlungsversprechen wird ein 'Risk Event' quasi live rapportiert. Es zeigt Wahnsinnslogik in der Praxis."