"Studien zur Governanceethik" · Band 5
173 Seiten
22,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-89518-592-2
(Februar 2007)
Mit diesem fünften Band der "Studien" wird die philosophische Diskussion um die normative Fundierung der Governanceethik - in der Auseinandersetzung mit der von Jürgen Habermas entwickelten Diskursethik - weitergeführt. Theoretisch geht es dabei vor allem um das Verhältnis von Effizienz und Legitimität in den Steuerungsstrukturen moderner Gesellschaften. Empirisch stehen die Möglichkeiten und Formen der Governance des Diskurses "postnationaler" Gesellschaften im Zentrum des Interesses.
Josef Wieland untersucht in seinem Essay 'Idealistische, ideale und reale Diskurse. Governanceformen des Diskurses' das Legitimationspotenzial deliberativer Foren. Guido Palazzo arbeitet in seinem Aufsatz 'Die Governanceethik als Diskursethik? Überlegungen zum Vorrang der Demokratie vor der Philosophie' auf der Basis einer demokratietheoretischen Interpretation der Diskursethik das politische Fundament der Governanceethik heraus. Reinhard Pfriem entwickelt in seinem Beitrag 'Steuerung und Demokratie. Governanceethik und Diskursethik' einen kulturwissenschaftlichen Bezugsrahmen für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Unternehmensethik. Birger P. Priddat treibt die im letzten Band der "Studien" begonnene kategoriale Reflexion der Wirtschafts- und Unternehmensethik mit Überlegungen zur 'Moral als soziale Konstruktion' weiter. Michael Schramm führt in seinem Aufsatz 'Normative Konflikte und moralische Interessen. Zur Governance ethischer Kontingenz in modernen Gesellschaften' die philosophische Figur des "normativen Konflikts" ein, die selbst nicht wieder auf anderes, also etwa Interessen oder ökonomische Kalküle, zurückgeführt werden kann. Den Abschluss bildet eine empirische Studie über das Verhältnis von Effizienz, Effektivität und Legitimität in realen Diskursen. Maud Schmiedeknecht und Josef Wieland untersuchen in einer weltweit ersten Studie ('ISO 26000 as a Network Discourse. An empirical study') den Entstehungsprozess des Sozialstandards.
"Wer jemals versucht hat, sich als philosophisch interessierter Laie durch die zwei dicken Bände von Habermas' "Theorie des kommunikativen Handelns" zu quälen - auf der naiven Suche nach konkreten Grundlagen, Inhalten und Konsequenzen der Diskursethik - der wird dankbar sein für die Lektüre dieses Buches! Es handelt sich dabei um den fünften Band der vom Konstanzer Unternehmensethiker Josef Wieland herausgegebenen "Studien zur Governanceethik". In sechs Aufsätzen wird auf schlanken 170 Seiten die Bedeutung der Diskursethik für die "normative Fundierung der Governanceethik" (S. 7) bzw. allgemeiner für die Steuerung des Zusammenlebens in der modernen, globalisierten Welt analysiert. Dabei führt Wieland wiederum renommierte deutschsprachige Autoren zusammen, die auch zu vorangegangenen Bänden der "Studien" schon Beiträge geliefert haben.
Den Anfang macht der Herausgeber selbst, zunächst mit einer erfrischenden Einleitung, in der er die Beiträge seiner Mitstreiter nicht nur ankündigt, sondern auch kurz wohlwollend kritisch kommentiert. Es folgt der umfassende Hauptbeitrag von Josef Wieland zu "Governanceformen des Diskurses", in dem er deutlich macht, dass nicht nur der Diskurs von zentraler Bedeutung für moderne Governance ist, sondern dass auch die Governance über den Erfolg von Diskursen entscheidet. Zunächst klärt er die Relevanz von Stakeholder-Dialogen als eine zentrale Institutionalisierungsform der Diskursethik. Dann leitet er aus der Literatur ein Kriterienraster ab (mit den drei Dimensionen Effektivität, Effizienz und Verfahrenslegitimität), mit dem er empirisch den Erfolg der "Multistakeholder Working Group" der ISO analysiert, die derzeit einen Standard zur sozialen Verantwortung von Organisationen (ISO 26.000) erarbeitet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass nur eine "simultane Integration von Ökonomie (Effektivität, Effizienz) und Diskurs (Legitimität)" (S. 34) realen Diskursen zum Erfolg verhelfen kann. Dieses Zusammenwirken von (nach Scharpf) Output- und Input-Legitimität wird dann im Folgenden differenziert weiter erörtert. Wieland macht mehrfach deutlich, dass eine Verabsolutierung der Verfahrenslegitimität nicht ideale, sondern wenig sinnvolle idealistische Diskurse zur Folge hätte. Besonders interessant sind die praktischen Konsequenzen, die Wieland aus seiner Analyse für die Governance unterschiedlicher Formen realer Diskurse ableitet.
Guido Palazzo macht in seinem Beitrag "Die Governanceethik als Diskursethik?" zunächst sehr gut deutlich, dass die klare Trennung in staatlich und privat und damit die zentrale Grundannahme traditioneller liberaler Gesellschaftskonzeptionen im Zeitalter der "postnationalen Konstellation" nicht mehr gegeben ist. Völlig zu Recht weist er darauf hin, dass die praktisch beobachtbare Politisierung der Unternehmung von der Betriebswirtschaftslehre bisher nicht hinreichend wissenschaftlich nachvollzogen sei. Dass der "Brückenschlag der unternehmensethischen Diskussion zur politischen Theorie und Praxis" (S. 65) bisher aber ganz unterblieben wäre, wie der Autor suggeriert, ist allerdings eine deutliche Überinterpretation. Die angeführten Praktiken, wie die "Gründung des Forest Stewardship Council" oder "BPs Engagement für das Kyotoprotokoll", finden sich bereits in zahlreichen Beiträgen zur Unternehmensverantwortung. Und auch eine explizite Verwendung politischer Theorie erfolgt beispielsweise in der Diskussion um Corporate Citizenship bei Matten & Crane (Corporate Citizens als "Lieferanten" liberaler Bürgerrechte), Habisch (Corporate Citizens als Träger ordnungspolitischer Mitverantwortung und Produzenten sozialen Kapitals), Schrader (Corporate Citizenship als Übernahme republikanischer Bürgerpflichten) und vielen anderen. Dennoch ist es das Verdienst von Palazzo und Scherer, das Bewusstsein für die Relevanz einer stärker politisch orientierten Variante der Habermas'schen Diskurstheorie geschärft zu haben - gerade auch im Hinblick auf eine Vertiefung der Governanceethik, wie Palazzo zum Ende zeigt und Wieland in seiner Einleitung dankend bestätigt.
Auch Reinhard Pfriem belegt in seinem Beitrag zu "Steuerung und Demokratie" mit einer sehr lesenswerten kritischen Einführung in die Diskursethik, die - wie er selbst schreibt - "eine wörtliche Übernahme aus [s]einer St. Galler Habilitationsschrift" aus dem Jahre 1995 ist, dass sich einzelne deutsche Betriebswirte durchaus schon länger mit politischer Philosophie beschäftigen. Seine zentrale Intention in diesem Beitrag ist es, die Relevanz eines kulturwissenschaftlichen Bezugsrahmens für eine zukunftsfähige Ethik-Konzeption zu verdeutlichen. Dadurch könnten Schritte von "Scheinkonsensen" zu "produktivem Streit" (S. 83), von kognitivistischer "Verkopftheit" (S. 86) zu einem höheren Stellenwert von "Leiblichkeit und Sinnlichkeit" (S. 95f.) sowie insgesamt eine Abkehr gelingen, von dem Motto "jetzt mal alles vergessen, was ich für nützlich oder richtig oder schön halte, jetzt moralisch anständig handeln" (S. 84). Während er die Diskursethik - aus interessanten Gründen - für nicht mehr zu retten hält, kann er sich eine stärker kulturwissenschaftlich geprägte Governanceethik sehr gut vorstellen. Diese müsste sich stärker mit einer Governance befassen, die auf persönliches Handeln und Erfahren abstellt, denn seine spannende zentrale These lautet: "Moralische Kompetenz entsteht nicht durch Formeln oder Definitionen der Tugend, sondern durch das Erleben, aus eigener Kraft verantwortlich zu handeln" (S. 97).
Der Beitrag "Moral als soziale Konstruktion" von Birger P. Priddat ist - wie Wieland in seiner Einleitung schreibt - verfasst im "mäandernden Stil kategorialer Reflexion" (S. 10). Dabei erschließt sich nicht jede Biegung im Gedankenfluss der insgesamt 65 thesenartigen Absätze unmittelbar. Eine interessante Kernüberlegung betrifft die Bedeutung von Subjekten, die als Knotenpunkte eine Vielzahl von Diskursen verknüpfen, in denen jeweils eine spezifische Moral konstruiert ist.
Wie wohltuend und erkenntnisfördernd die intensive Bezugnahme auf geistige Mitstreiter und Kontrahenten sein kann, zeigt der folgende Beitrag von Michael Schramm. Im Zentrum stehen hier "normative Konflikte und moralische Interessen" als zwei zentrale Konstrukte für eine "Governance ethischer Kontingenz in modernen Gesellschaften" aus. Plausibel weist er darauf hin, dass die Möglichkeiten der in der Diskursethik angelegten "Höher-Legung" normativer Konflikte von den eigentlichen Inhalten auf Verständigungsfragen begrenzt sind. Anhand konkreter Beispiele (Hartz IV, Gesundheitsreform u.a.) zeigt Schramm plastisch auf, dass sich unterschiedliche moralische Hintergrundüberzeugungen oft nicht im Diskurs auflösen lassen. Er verdeutlicht, dass diese Überzeugungen als moralische Interessen zu betrachten sind, die ähnliche motivationale Kraft entfalten können wie das Eigeninteresse. Anders als beispielsweise Homann sieht Schramm dabei hohes Dissenspotenzial nicht erst auf der Anwendungsebene, sondern bereits auf der Begründungsebene normativer Prinzipien. Dennoch bestreitet er Wielands Ansicht, die Diversität möglicher Begründungsethiken begründe eine "motivationale Schwäche": Zum einen sei eine mögliche Schwäche weniger Folge der Diversität, sondern eher der Abstraktheit rationaler Begründungen (im Gegensatz zur Stärke intuitiver Überzeugungen), zum anderen könne es sehr wohl eine Diversität überaus motivierender Moralvorstellungen geben - und damit eine "Profilierungschance" (S. 132) für ein an unterschiedlichen Zielgruppen ausgerichtetes Marketing.
Der letzte Beitrag, "ISO 26000 as a Network Discourse. An empirical study" ist von Josef Wieland und seiner Mitarbeiterin Maud Schmiedknecht verfasst. Er stellt einen abrupten Bruch im Buch dar: von der deutschen zur englischen Sprache und vom theoretisch-konzeptionellen Entwurf zur Beschreibung empirischer Projektergebnisse. Dass die neue Diktion gewöhnungsbedürftig ist, liegt nicht an der englischen Sprache. "This working paper is one part of a research project ... supervised by Prof. Dr. habil. Josef Wieland" heißt es im ersten Satz. Es folgt die Beschreibung und deskriptive Auswertung der Stakeholderbefragung, die bereits im ersten Beitrag von Wieland knapp zur Hälfte (mit den gleichen Ergebnistabellen) geliefert wurde. Neu ist u.a. die Erkenntnis, dass die befragten Stakeholder den Unternehmen einen überdurchschnittlich hohen Einfluss auf den ISO-Prozess zuschreiben, da diese über ein besonderes Maß an Ressourcen, Erfahrungen und Agenda-Setting-Potentialen verfügten. Gerade im Rahmen des vorliegenden Buches hätte man sich bei der Herleitung der Befragung und der Interpretation der Ergebnisse allerdings eine explizitere Bezugnahme auf Governance- und Diskursethik gewünscht. in dieser Form hat der Beitrag eher den Charakter eines - durchaus wertvollen - Anhangs.
Insgesamt stellt das Buch ein hervorragendes Beispiel für einen gelungenen Sammelband dar. Die Beiträge sind aufeinander bezogen, ohne redundant zu sein. Sie besitzen in ihrer Gesamtheit - jenseits der um sich greifenden Journal-Fixierung - Innovationskraft und Tiefgang. Es wird nicht nur das Ziel eingelöst, die Governanceethik zu fundieren, sondern gleichzeitig liefern die Autoren auch eine implizite multiperspektivische Einführung in die Diskursethik. Damit ist das Buch den wirtschaftsethischen Spezialisten, die nach einem vertieften Verständnis der Governanceethik suchen, ebenso zu empfehlen wie Neulingen im wissenschaftlichen Diskurs zur Diskursethik."
Die Governanceethik als Diskursethik
Steuerung und Demokratie
Moral als soziale Konstruktion
ISO 26000 as a Network Discourse
Normative Konflikte und moralische Interessen
Idealistische, ideale und reale Diskurse