"Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik" · Band 16
380 Seiten
36,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN 978-3-7316-1270-4
(November 2017)
Digitalisierung, ökologischer Wandel und Globalisierung führen zu vielfältigen Transformationsprozessen. Die damit einhergehenden Herausforderungen können gegenwärtig von Märkten allein nicht bewältigt werden. Politische Problemlösungen sind also gefragt, doch befinden sich die Institutionen des demokratischen Kapitalismus nach verbreiteter Wahrnehmung selbst in der Krise. Im vorliegenden Jahrbuch werden Einsichten aus Evolutionsökonomik, Wirtschaftssoziologie, agentenbasierten Modellierungen, Institutionenökonomik und politischer Theorie genutzt, um Fragen wie die folgenden zu adressieren:
"Das böse Umschlagbild wirkte mit Blick auf das Gezerre um die Regierungsbildung bei den Nachbarn doppelt provozierend. Ist die Symbolik berechtigt? Wer zieht an diesen Fäden? Die im Buch zitierte Formel von der "marktkonformen Demokratie" könnte eine Andeutung sein. Sie stammt zwar nicht wörtlich von Angela Merkel, liess sich aber aus einer von ihr 2011 gehaltenen Rede ableiten. In der Folge entspann sich dann eine rege Debatte darüber, "ob es nicht vielmehr um einen demokratiekonformen Markt gehen sollte". Was nun auch ein zentrales Thema des Sammelbandes ist. Sind kapitalistische Wirtschaftsordnung und Demokratie in globalisierten und derart rasant beschleunigten Veränderungsprozessen überhaupt vereinbar? Wo findet noch Politik statt, durch die wir unsere Zukunft mitgestalten könnten?
Die in den letzten Jahrzehnten vorangetriebene Liberalisierungen, Deregulierungen und Privatisierungen machten multinationale Unternehmen weltweit zum dominanten Faktor. Das engt die politischen Handlungsspielräume massiv ein, stellt nicht nur Wilfried Atzinger fest, erneute Regulierungen müssten nun auf internationaler Ebene ansetzen. Bleiben sie aus, mahnt der Professor aus Wien, wird sich "die Gefährdung unserer demokratischen Grundordnung weiter verstärken". Ulrich Klüh, der in seinem Beitrag vorhandene Chancen für 'New Deals' auszuloten versucht, kommt zum Schluss, "dass die Handlungsfähigkeit moderner Demokratien nur wiederhergestellt werden kann, wenn dem Grundproblem, der Alternativlosigkeit, begegnet wird." Dazu müsste sich die Zivilgesellschaft emanzipieren, aber auch eine "Ertüchtigung des Staates" wäre nötig. Ein gutes Beispiel sei "die deutsche Energiewende bis 2013" gewesen. Dort wurden nach dem Grundsatzentscheid mit starken Anreizen private Initiativen in vorgegebener Richtung gefördert. Allerdings wäre es sogar nach Meinung des in Darmstadt an einer Business School wirkenden Volkswirtschafters "aus verteilungspolitischer Sicht" besser gewesen, Subventionen nicht via Stromrechnung, sondern durch eine Besteuerung hoher Vermögen zu finanzieren. "Ein selbstbewussterer Staat" hätte zudem "ein hocherfolgreiches Projekt" nicht vorab wegen der Kritik an "einer mangelnden Marktkonformität" abgebrochen. Für gute Lösungen von Problemen des Klimawandels oder der Digitalisierung brauchte es mehr Rückgrat und Rückhalt.
Verantwortung der Wissenschaft
Solches also las ich, als gerade der Detailstreit zwischen SPD und CDU/CSU in Gang kam. Rasch einig war sich die altneue Koalition, früher deklarierte Klimaziele zu kippen. Die gesetzte Frist reiche nicht. Dafür wurden Investitionen in die Digitalisierung unisono als vordringlich postuliert. Dies ohne vernehmbare Fragen zu Konsequenzen des hektisch vorangetriebenen Wandels. Umso erfreulicher ist es, dass in der Evangelischen Akademie Tutzing regelmässig Fachleute diverser Disziplinen tagen, um aktuelle Entwicklungen im ökonomischen Bereich mit betont "normativen" Kriterien zu sichten und über ihre Befunde in Jahrbüchern zu berichten. Nicht nur das: Zwar sei die Wissenschaft eher gewohnt, "zu beschreiben und zu erklären, was ist oder was war", schreibt Michael Roos von der Ruhr-Universität Bochum, stosse bei Prognosen oft an Grenzen. "Sogar zu antizipieren, was sein könnte, halten viele Wissenschaftler für jenseits ihres Auftrags und ihrer Kompetenz." In solchen Zeiten aber müsse sie sich dieser Herausforderung stellen. "Die gegenwärtige Art zu leben und zu wirtschaften ist global nicht nachhaltig und wird sich daher gewollt oder ungewollt ändern." Daher gelte es, "die gesellschaftlichen Transformationskräfte zu erforschen und Vorschläge zu erarbeiten, wie diese Kräfte zum gesellschaftlichen Wohl gestaltet werden können", verantwortungsvoll, auf dem Fundament von Rationalität und Vernunft. In der Folge werden entsprechende Forschungsansätze skizziert.
Die zwei letzten Texte präzisieren die Zielrichtung. Gisela Kubon-Gilke, im Fachbereich Soziale Arbeit tätig, benennt sie als "ökologisch-ökonomisch-soziale Nachhaltigkeit", setzt aber den Akzent auf die meist vernachlässigte soziale Frage. In ökologisch orientierten Diskursen tauche diese oft nur als "irgendwann später" zu behandelndes Nebenproblem auf. Was allerdings auch umgekehrt vorkommt: Umweltschutz als grüne Garnitur. Beides ist verhängnisvoll. Armutsphänomene oder Migrationsbewegungen lassen sich so wenig ausklammern wie unsere Lebensstile. Das alles muss im Zusammenhang gesehen und angegangen werden, auch wenn dies "eine Art Münchhausen-Aufgabe" zu sein scheint. Zuerst müsste die Politik überhaupt wieder als eine entscheidende Problemlösungsebene gesehen werden. Mit neuen Formen des Lernens und der Informationsaufbereitung wären Bewusstseinsänderungen zu erreichen. Dem müssen geeignete Governance-Strukturen folgen. Klingt komplex, aber einfacher geht's einfach nicht. Sebastian Strunz, Ökonom in einem Institut für Umweltforschung, erinnert an die Problemdimensionen. So müsste sich, um den Klimawandel einzudämmen, der im globalen Norden vorherrschende Lebensstil grundlegend ändern. Mit einer persönlich wie politisch zu beantwortenden Frage setzt er den Schlusspunkt: "Welche Anpassungen sind wir zu leisten bereit?".
Kapitalismus, Globalisierung, Demokratie: Große Transformationen und das Politische
New Deals: Transformation ökonomischer Institutionen und demokratische Politik
Expansionskrisen des Kapitalismus: Klimawandel und Migrationsströme
Die Institutionen des modernen Kapitalismus: Karl Polanyi contra Max Weber
Transformationsprozesse und ihre unterschiedlichen Akteure
Elemente eines globalen Ordnungsrahmens dynamischer Marktwirtschaften: spontane Ordnung oder Mechanismus-Design?
Gut und günstig?
Die Globalisierung der Verhaltenspolitik
Globalisierung, wirtschaftliche Entwicklung und der Staat
Varianten des Neoliberalismus, Alternativenradikalismus und Demokratie
Globalisierung, Verteilung und Demokratie: Gibt es eine Transformation zum patrimonialen Kapitalismus?
Ökologisch-ökonomisch-soziale Nachhaltigkeit
Transformation zur Nachhaltigkeit – Herausforderung für Diskurs und Theorie