Arno Bammé (ed.)
230
Seiten ·
24,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN
978-3-7316-1094-6
(November 2014)
)
Der geochronologische Begriff des Anthropozäns, des Menschenzeitalters, wurde von dem Nobelpreisträger für Chemie, Paul Crutzen, geprägt. Er wollte damit ausdrücken, dass die Menschheit selbst inzwischen zu einem geologischen Faktor geworden ist. Wenn vom Anthropozän in einem sozialwissenschaftlichen Sinne gesprochen wird, kann nur ein Soziotop als Weltgesellschaft gemeint sein, das sich heute auf dem Raumschiff "Erde" zu konstituieren beginnt. Die Einheit dieser Weltgesellschaft wird durch Technologie hergestellt und sie wird technologisch geprägt sein. Die Zukunft des Raumschiffs "Erde" ist deshalb, wenn überhaupt, als ein riesiger Produktionsprozess, als eine Art "Weltfabrik" vorstellbar. Auch wenn vor dem Hintergrund dieser sich abzeichnenden Synthese einzelne Sozialwissenschaftler darauf hingewiesen haben, dass der in der griechischen Philosophie wurzelnde abendländische Dualismus, der scharf zwischen der Natur auf der einen und der Gesellschaft auf der anderen Seite trennt, obsolet geworden ist, pflegen die Sozialwissenschaften in ihrem Mainstream ihre antinaturalistische Attitude und halten am überkommenen Dogma fest, soziale, kulturelle und moralische Tatsachen seien eine Realität sui generis. Indem sie sich an einem überholten Forschungsparadigma orientieren, verharren sie in einem selbstgeschaffenen kulturalistischen Ghetto und ignorieren nicht nur den Erkenntnisstand der zeitgenössischen life sciences, sondern liefern zugleich ein Lehrstück dafür, wie ein tradiertes Selbstverständnis, das historisch durchaus seine Berechtigung gehabt haben mag, an einem bestimmten Punkt seiner Entwicklung zur Selbstfesselung wird.
Die Beiträge des Buches gehen zurück auf ein Symposium in Bazon Brocks Berliner Haus der DENKEREI, das im Mai 2014 stattfand. In ihnen wird erstmals ein dezidiert sozialwissenschaftlicher Zugang aus Sicht unterschiedlicher Disziplinen erarbeitet. Mit Beiträgen von Arno Bammé (Klagenfurt), Bazon Brock (Wuppertal/Berlin), Wilhelm Berger (Klagenfurt), Günter Ropohl (Frankfurt am Main), Christian Lauk (Wien), Renate Hübner (Klagenfurt), Christian Schwägerl (Berlin), Ingrid Reschenberg (Klagenfurt), Matthias Wieser (Klagenfurt), Tanja Paulitz (Aachen).
"Wie stark das Anthropozän den Blick auf Natur, Kultur und Technik verändert, ist Gegenstand des von Arno Bammé herausgegebenen Sammelbandes "Schöpfer der zweiten Natur". Mit dabei sind unter anderem Christan Schwägerl ("Die menschgemachte Erde"), Wilhelm Berger ("Technik, Politik und das Theater der Apokalypse") und Bazon Brock ("Prometheische Scham"). Letzterer stellt die pathetische Rede vom Anthropozän als pseudo- bis wissenschaftliche "Gerüchteverbreitung im öffentlichen Diskurs" kritisch in Frage. Lege sie doch nahe, den Menschen als Beherrscher der Natur zu proklamieren. Dies sei eine groteske Verkennung der Tatsache, dass "wir mit keiner menschlichen Wirkmacht die Naturgesetze aufheben können".
Die Annahme, es käme für die Zukunft der Erde im wesentlichen auf die Menschen und deren Einwirkung auf die Natur an, sei demnach ein Trugschluss und laufe Gefahr zu einem fatalen Triumphalismus anthropozentrischen Denkens zu verkommen. Was sich in Brocks Artikel wie eine Abstrafung der, überwiegend auf der anthropozentrischen These fußenden, vorherigen zehn Gastbeiträge liest, knüpft dabei auch an Bammés Aufzählung von "Fünf Gründe(n), warum die Menschheit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gewachsen ist" an.
Die Bandbreite der in diesem Band versammelten Beiträge liefert schließlich ein paar grundlegende Bausteine zu einer Ausformung eines postakademischen Wissenschaftsansatzes, indem disziplinäre Grenzen konstruktiv durchdrungen werden. Das Anthropozän dient Bammé et al. dabei als Anlass, tradierte, mitunter angestaubte Ansätze und Prinzipien der Soziologie herauszufordern, weshalb das Buch bisweilen auch als wissenschaftsdidaktische Streitschrift angelegt ist. Kern der Kritik: Nach wie vor sei die Soziologie durch einen Mangel an wissenschaftlichem Wissen gekennzeichnet, das auch gesellschaftlich relevant ist. Zudem mangele es ihr allzu häufig an kognitiven Vermittlungsinstanzen.
Es besteht somit die Herausforderung darin, im Dickicht aus Mensch, Natur und Technik, neuartige oder mögliche Hybride und Amalgame zu identifizieren und zu erforschen. Auch, um sie schließlich in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse einbeziehen zu können."